Bei meinem Vater bin ich mir da ganz sicher: Er war ein Nazi. Zumindest während des Dritten Reiches. Ein sehr “glühender Nazi” sogar, der Hitler wie einen Messias verehrte. In der Autobiographie seines besten Freundes Eduard Biedermann(der diese 1972 etwa in Chile veröffentlichte) kann man nachlesen, was die jungen Männer damals empfanden. Die wollten – so wie später die 68er vom linken Rand des Spektrums her- den “Muff von tausend Jahren” beiseite fegen, Kaiserreich und Offizierkaste und Junkerklüngel und überhaupt diesen ganzen alten Kram –
– nur um für “tausend Jahre” ihr eigenes Reich zu errichten, in dem sie endlich das Sagen hatten. Und worin dann alles (!) unendlich viel schlimmer wurde als es im Kaiserreich in seiner hässlichsten Zeit jemals war, trotz seinem größenwahnsinnigen und eitlen Hochadel.
Aber meine Mutter?
Gut, sie war im “Bund deutscher Mädel (BdM)” und genoss wie ihre Schwester Elisabeth die neuen Freiheiten, die die Nazis den jungen Mädchen und Frauen zugestanden. Elisabeth war über den BdM sogar bayerische Landessportmeisterin im Kurzstreckenlauf. In der Kaiserzeit hätte das “Hertels Mariechen” sicher nicht nach Riezlern im Kleinwalsertal gehen und ihrer Schwester helfen können, diese Pension zu betreiben. Wo sie dann im Winter 1936/37 meinen Vater kennenlernte, der dort zum Schifahren urlaubte. So kam dieser Zufall zustande, dem ich meine Existenz verdanke – brave drei Jahre später.
Oh ja, die Nazis förderten die jungen Frauen – wenngleich mit der kaum verhohlenen Absicht, aus ihnen möglichst rasch kräftige Mütter von Soldaten zu machen, die man als Kanonenfutter überall hinschicken konnte – Sobald die Katze erst mal aus dem Sack und Hitler so richtig an der Macht war.
Marie vom Scheidt, geb. Hertel, und Söhnchen Jürgen (Archiv JvS – Rehau 1943 ca.)
So richtig habe ich nie hinter dieses freundliche, liebevoll zugewandte Gesicht schauen können. Da war manchmal eine gewisse Kühle.
Aber meine Mutter (1914-1973) war auf jeden Fall “tüchtig” – wie all die Frauen, die das damals sein mussten und den “Laden geschmissen” haben, während ihre Männer irgendwo draußen in Europa mordend und plündernd und sengend umherzogen. Bis spätestens im Mai 1945 der Spuk vorbei war.
Und der kleine Junge, also ich – was mag der sich da wohl gedacht haben an der Hand von “Mutti”? Vielleicht hat er gerade gefragt: “Wann kommt denn der Papa heim?” – “Der ist auf Kreta um kommt bald wieder zu uns-” Oder so ähnlich. (1943 war das noch um einiges blauäugig hoffnungsvoll zu früh).
Nein, so ein begeisterter weiblicher Nazi war meine Mutter nie. Solche Begeisterung hätte zu ihrem eher zurückhaltenden Wesen gar nicht gepasst. Da war sie ganz anders als ihr Mann, mein Vater.
Doch davon ein andermal mehr.