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MultiChronie oder Mehrzeitlichkeit

MultiChronie – das ist mein* neuer Begriff (lateinisch schlau: Neologismus) für ein Phänomen, das jeder Mensch kennt – und selten jemand sich in seiner großen Bedeutung für das menschliche Leben bewusst macht: Dass wir eigentlich immer in – mindestens – zwei Zeitebenen leben und handeln. Beispiel:

Ich habe eben mit jemandem telefoniert und schreibe mir nach Beendigung des Gesprächs kurz den Inhalt auf, um ihn nicht zu vergessen. Die beiden Zeitebenen hierbei:
° In der Gegenwart (Beispiel: Jetzt um 19:07 Uhr) notiere ich mir den Inhalt des Telefonats
° das ich fünf Minuten zuvor geführt habe (von 18:55 bis 19:02 Uhr).

* Wenn man den Begriff “MultiChronie” googelt, findet man magere zehn Einträge – das ist sehr selten. Aber immerhin, der Begriff existiert im Internet. Es ist damit jedoch etwas anderes gemeint als wie ich den Terminus verstehe. Und es fehlt das – für mich – charakteristische Binnenversalie – das große “C”, gewissermaßen mein Markenzeichen (oder meine Marotte, wie man auch sagen könnte).

Auch dieser Begriff hat bei mir eine – gewissermaßen multichrone – Geschichte: Ursprünglich (erstmals 1992) nannte ich das Phänomen der Gleichzeitigkeit, das mir irgendwann einmal aufgefallen war, MultiChronie (die Binnenversalie war von Anfang an dabei, um auf das doch etwas Exotische des Begriffs hinzuweisen). Irgendwann merkte ich dann, dass das sprachlich nicht korrekt ist: “multi” ist ein lateinischer Begriff – “chronos” ein griechischer. Also ersetzte ich brav das “multi” durch ein mir korrekter erscheinendes griechisches “poly” (was ja ebenfalls “viel” heißt).
Doch als ich heute diesen Beitrag schrieb, kehrte ich reumütig zum “MultiChronie” zurück. Den dreifachen Grund dafür erläutere ich unten, am Schluss dieses Beitrags.


Am Anfang war Musik?

Und so könnte man graphisch sichtbar machen, was gemeint ist: Mehrere, manchmal sogar viele Schickten (von Zeitlichkeit) übereinander – und beim Betrachten “von außen”, gewissermaßen, gleichzeitig präsent. Es passt, dass ich diese Zeichnung ursprünglich “Am Anfang war Musik” betitelt habe. Denn ist nicht Musik von eben solcher “Vielschichtigkeit in der Gleichzeitigkeit” gekennzeichnet: Mehrere Instrumente spielen zur selben Zeit, zum Beispiel bei einer Jazz-Jamsession wie “Olé” des John Coltrane Quartetts, oder in einem Symphonieorchester bei der Aufführung von “Mahlers Siebter”. In der indischen Musik dominiert zwar die Sitar oder die Sheenai – aber der sich steigernde Rhythmus der Tablas und der stetig raunende basso continuo der Tamboura sind wichtige weitere “Stimmen”. (Die einsamen einzelnen Stimme irgendwo,. die ein Lied trällert, ist etwas ganz anderes.)

Vielleicht sieht es in den “neuronalen Netzen” des Gehirns ähnlich aus? wer weiß.)

MultiChronie der Zeitschichten (JvS 12. Sep 1967: Wachsmalkreiden und Tusche: “Am Anfang war Musik”)

(Schöner Zufall, dass ich diese Zeichnung vor nunmehr 53 Jahren hingekritzelt habe, einfach so aus Lust am Malen, ohne mir viel dabei zu denken – zum Beispiel, dass mein ZukunftsSelbst sie am 21. Januar 2021 gut zur Illustration des Themas MultiChronie verwenden würde.)

Es sind auch drei und mehr Ebenen gleichzeitig möglich

Füge ich zu obigem Beispiel noch hinzu, dass ich mich beim Notieren des Telefonats daran erinnere, dass ich mit meiner Gesprächspartnerin vor einigen Jahren ein sehr schönes Erlebnis bei einem gemeinsamen Abendessen hatte – kommt bereits eine dritte Ebene ins Spiel.
Das kann man noch toppen durch eine weitere Ergänzung: Ich notiere mir, dass ich diese Frau gleich noch einmal anrufen sollte, um sie ins Theater einzuladen. Vor meinem geistigen Auge male ich mir sogar aus, wie dieser Abend verlaufen könnte – in der Zukunft.
Damit sind wir schon bei Zeitschicht fünf. In einem Roman mit vielen Rück- und Vorblenden kann dies dann leicht so ähnlich aussehen wie oben in der Graphik.

Beim Lesen eines Romans – oder beim Mitfiebern in einem spannenden Film – wechseln wir immer wieder die Zeitebene – durch Rückblenden, parallele Erzählstränge, Vorblenden (die das Ergebnis eines Vorgangs ausmalen). Ich vermute sogar, dass eine solche Vielzeitigkeit und entsprechende Vielschichtigkeit die gute Qualität eines literarischen Kunstwerks ausmacht. In der Musik ist dies scheinbar nicht möglich, weil ja Melodie und Rhythmus vorantreiben – aber bringt nicht jede Wiederholung eines Themas, eines Refrains, eine vorangehende Zeitebene ins Spiel – steht nicht Mehrstimmigkeit eines Orchesterstücks auch für “verschiedene Zeitebenen”, vor allem wenn verschiedene Tempi andere Akzente setzten?

Markenkern der Science-Fiction – und dieses Blogs

Solche Mehrzeitlichkeit ist gewissermaßen der “Markenkern” der Science-Fiction: Jemand schreibt
° in der Gegenwart
° über Ereignisse der Zukunft
° die vielleicht mit Überlegungen über die Auswirklungen künftiger Ereignisse (Krieg? Klimawandel) auf noch spätere Generationen und somit Jahre) verknüpft werden.

Stanley Kubricks Verfilmung von Arthur C. Clarkes Roman ist ein weiteres anschauliches Beispiel: Clarke hat diesen Roman
° irgendwann in den 1940er Jahren als Idee phantasiert,
° 1948 die (später in den Roman integrierte) Kurzgeschichte über den Monolithen veröffentlicht (The Sentinel),
° 1950 eine weitere Story “Begegnung im Morgengrauen” konzipiert plus einige weitere Kurzgeschichten, die er
1965? zu einem Roman zusammenfügte. Nach diesem konzipierte Kubrick zusammen mit CClarke Mitte der 60er Jahre das Drehbuch für den
° am 02. April 1968 erwtmals gezeigten Film.
° Diesen sah ich wohl gleich am ersten Tag (Ehrensache für einen SF-Freund!) in der deutschen Version, also dem 11. September 1968 im Arri-Kino in München.
° Dieser Tage (Januar 2021) habe ich mir die restaurierte Fassung auf Blu-ray gekauft und angeschaut. Und fand den Film wie damals ziemlich langfädig – aber doch auch irgendwie faszinierend wegen seines “vast scope“, also der gewaltigen Spannweite seiner Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit – und eben auch wegen der im Film in eindrucksvollen Szenen aneinandergereihten MultiChronie:
° Das beginnt in der Urzeit der Menschheit, in drei weit aus einander liegenden Etappen,
° springt in der berühmten Szene in die Zukunft das Jahres, das den Film seinen Titel gab: (2001): als ein hochgeworfener Knochen aus der Urzeit zu einem im Erdorbit anfliegenden Space Shuttle wird, das die Raumstation ansteuert.
° Kurz darauf landet der Protagonist Dr. Heywood Floyd auf dem Mond, wo man im Krater Clavius einen weiteren schwarzen Monolithen gefunden hat.
° Nächste Zeitschicht ist der Flug von Captain Bowman und seines Begleiters (der ein Opfer des “verrückt” werdenden Computers HAL wird) zum Jupiter – wo man einen dritten Monolithen entdeckt, welcher
° einen weiteren Sprung noch später “Beyond the Infinite” auf einer total fremden Welt initiiert – in einer spektakulären Reise (und Kamerafahrt) durch die psychedelischen Farbspektren eines Wurmlochs oder was immer das ist.
° Aber die Schlussszene machte eine gigantische zeitliche Volte rückwärts: Bowman mutiert zum alten Mann – der gleichzeig (multichron also) sich selbst (?) als neugeborenen Säugling erblickt.

Erst als ich diesen Beitrag formulierte, wurde mir klar: Genau das, diese MultiChronie, ist so etwas wie ein Charakteristikum das Blog. Es geht mir eigentlich immer darum, eigenes Erleben (Autobiographie) mit aktuellen Geschehnissen in einen weiter gefassten Zusammenhang zu bringen – nicht selten ausgelöst durch einen tagesaktuellen Artikel in der Zeitung oder eine Doko im Fernsehen – oder durch das Betrschten einer Blu-ray wie Das siebente Siegel, das mich mit der Pest des Mittelalters ebenso in Kontakt bringt wie mit der Seuche, die Albert Camus in Oran in seinem Roman Die Pest beschreibt – oder natürlich mit der aktuell wütenden Corona-Pandemie.


Autobiographisches

Eigenes Erleben (sicher von meiner langen Beschäftigung mit SF geprägt):
Obwohl ich mich heute schon mitten im Jahr 2021 befinde, “fühlt” sich diese Gegenwart manchmal so seltsam an, als befinde sie sich weit weit vor mir in der Zukunft – irgendwie aus der Perspektive des Jugendlichen von 1957, der gerade in der Arbeit an seinem ersten utopischen Roman steckt, der in wirklich ferner Zukunft spielt: im Jahr 7.812.
Es gibt in diesem utopischen Abenteuer jedoch auch eine Rückblende, in der Ereignisse viele tausend Jahre zuvor berichtet werden: Der Untergang von Atlantis (vor angeblich 12.000 Jahren).

Damals, 1957, war jedenfalls das “Jahr 2000” ein weit entfernter Zeitpunkt, der meine Phantasie sehr beschäftigt hat. Noch weiter darüber hinaus zu denken, zum Beispiel an ein Jahr mit den Ziffern 2021, war nicht vorstellbar. Dann schon wirklich weit weg ins Phantastische (und damit zugleich völlig Unverbindliche) – eben ins Jahr “7812”.

Anderes Beispiel: NN beschreibt das Zimmer, in dem er sich aktuell befindet – als plötzlich vor seinem geistigen Auge sein früheres Zimmer auftaucht, in dem er vor 30 Jahren als Student gewohnt hat.


Schreiben ist eigentlich immer multichron

Eigentlich schreiben wir immer multichron, also auf zwei Ebenen mindestens. Denn schreiben heißt immer: Sich schreibend erinnern. Unser Gedächtnis-Archiv ist vielfach gestaffelt in Zeitschichten angeordnet. Diese sind jedoch keineswegs in irgendwelchen Schubladen für sich aufbewahrt – sondern dynamisch miteinander vernetzt. Diese Vernetzung wird erzeugt durch bestimmte (gute oder schlechte) Gefühle oder durch eine bestimmte Atmosphäre (fröhlich hell, bedrohlich düster usw.). Das ist übrigens auch der Schlüssel, wie man bestimmte “vergessene” Erinnerungen wieder zugänglich machen kann.


Drei Gründe für meine reumütige Rückkehr zum Begriff “MultiChronie'”

(21. Jan 2021) Ich nenne das jetzt doch wieder MultiChronie, und zwar aus drei Gründen:

1. Weil sich mir jedes Mal das “MultiChronie” aufdrängt, wenn ich zu diesem Begriff etwas schreiben oder recherchieren will. Das ist wohl durch vielfache Verwendung tief in mir eingebrannt.

2. Mit dem – sprachlich eigentlich “falschen” – Zusammenfügen eines Begriffsteils aus dem Lateinischen (multi) und dem Griechischen (chronos → Chronie) charakterisiere ich schon im Begriff die Paradoxie, dass da Elemente aus zwei verschiedenen und zeitlich weit auseinanderliegenden Kulturen (Zivilisationen) künstlich zusammengefügt werden – also auch zwei Zeitebenen. Die griechische Welt war zuerst da und hat die römische sehr beeinflusst, wurde dann aber von dem immer mächtiger werdenden Römischen Reich abgelöst.

3. Es erinnert mich wahrscheinlich vor allem an den Multitron – den von mir so phantasierten und benannten Energiespeicher in meinem Roman Sternvogel:

War es Absicht – oder war es eine ungewollte Handlung? Später wusste Dayen es nicht mehr zu sagen. Mit fünf raschen unüberlegten Griffen stellte er die Schaltung für ein neues Sprungfeld zusammen. Für eine unbekannte Greggnor-Schleuse, deren eines Portal noch im irdischen Erfahrungsbereich lag, durch deren zweites Portal jedoch noch nie ein Schiff ausgetreten war. Das Steuergehirn fand in seinen Gedächtnisbänken keinerlei äquivalenten Wert („Sind die Werte richtig, Pilot?“) und verwendete deshalb die angegebenen Zahlen, ohne sie durch irgendwelche zeitliche oder räumliche Koeffizienten zu verändern. Sofort baute es mit Unterstützung der Speicher und des Multitrons die erforderliche Energiesphäre auf.

Und noch etwas: Es zeigt sich inzwischen, dass die “MultiChronie” so etwas wie ein dritter “Faden” meines Blogs (und somit meines Denkens) wird: Nach dem “Roten Faden = Schreiben” und dem “Blauen Faden = Science-Fiction” nun also der gelbe Faden = “MultiChronie der Geschehnisse”.
Das drängt sich schon deshalb auf, weil MultiChronie wohl DAS Charakteristikum der Science-Fiction ist (also meines Blauen Fadens)!

Quellen
Clarke, Arthur C.: 2001 – A Space Odyssee. (London 1968 – nach Kurzgeschichten von 1948, 1950 etc.).
Kubrick, Stanley (Regie) 2001 – Odyssee im Weltraum (nach dem Roman und unter Mitarbeit am Drehbuch von Arthur C. Clarke). Great Britain 1968. Auf Blu-ray in der von Christopher Nolan restaurierten Neufassung von 2020.
Scheidt, Jürgen vom: Sternvogel. Minden 1962 (Bewin).

Nur so nebenbei und ganz am Schluss: So ein Quellennachweis ist doch auch ganz schön multichron: Er reicht in diesem Fall von 1948 (Clarkes erste Story) bis 2020 (Nolans Restaurierung des Kubrick-Films von 1968).

(Aktualisiert: 21. Jan 2021/23:00 Uhr / Posted: 15. Jan 2021)

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Labyrinthiade Science-Fiction Zufall

Bizarre Zufälle – selbst erlebt

In der Neuausgabe meines Romans Männer gegen Raum und Zeit habe ich mir 2015 im Nachwort Gedanken über selbst erlebte Zufälle gemacht. Ich zitiere das hier, samt dem Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung. Ein kleiner Seitenblick auf ein Thema, das mich immer schon fasziniert hat und dessen Beispiele ich sammle wie ein Philatelist seine Briefmarken.

Eigentlich gehören die (sinnvoll erlebten) Zufälle ins Kapitel Religion. Denn sind es nicht letztlich solche wundersamen Ereignisse, die einen zum Grübeln über eine (göttliche) Kraft und Vorsehung bringen und zu Überzeugungen, wonach es „dort oben“ jemanden geben muss, der mein Schicksal lenkt – weil man dieses nicht erklären, sondern nur verblüfft zur Kenntnis nehmen kann?

Mein Innerer Skeptiker meint diesbezüglich allerdings, dass der Göttliche Schachspieler da viel zu tun hätte angesichts von mehr als sieben Milliarden Menschen – und zugleich immer mehrere (wie viele?) Züge vorausdenkend, damit am Schluss bei dieser Schachpartie des Lebens alles einen Sinn ergibt?
So ein Gott müsste ja nicht nur den Überblick über den Verlauf jedes einzelnen Lebens haben, sondern auch über dessen Nachwirkungen in den kommenden Jahrmilliarden bis zum Ende des Universums –

Schwer vorstellbar.

Wenn der Schachspieler allerdings nicht alle Partien spielt, sondern nur solche, die einige ausgewählte Leben betreffen, und alle anderen Partien einfach so zufällig sinnlos ablaufen?

Tja, da kommt man dann rasch ins Grübeln, was die Gerechtigkeit eines solchen Verfahrens angeht. Doch nun zu meinen Zufällen. Eine winzige Auswahl, in Zusammenhang mit Männer gegen Raum und Zeit.

„Man schreibt das Jahr 7218“

Mein Roman spielt weitgehend im Jahr 7218. Meine Firmenstammnummer beim Computerservice, der seit 40 Jahren meine Buchführung erfasst, war 8712. Und eben habe ich in meiner Bücherdatenbank die aktuelle Lektüre von Welt in Angst (State of Fear) von Michael Crichton eingetragen und dabei entdeckt, dass das andere Buch von Crichton, das ich besitze (Prey) – die Nummer 1782 trägt – auch dies ein zufälliger Zahlendreher von 7218. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten mag.

Am Anfang und am Ende der Heßstraße

Als ich den Roman 1957 schrieb, wohnte ich in München in der „Heßstraße Nr. 6“. Als ich das Nachwort verfasste (worin diese Gedanken zum Zufall stehen), wohnte ich – nach vielen anderen Wohnungen in der bayerischen Landeshauptstadt – am anderen Ende der Heßstraße, gleich um die Ecke von der „Nr. 100“.
Ein Kreis hat sich geschlossen. Zufall jedenfalls – denn die neue Wohnung habe ich ja nicht bewusst gesucht und gefunden. sie wurde – wirklich zufällig – frei und mir zugänglich, weil mein zweiter Sohn Maurus seine nicht mehr benötigte

„Raumschiff durch ein Labyrinth manövrieren“

Ich war mitten in der Redaktion der Neuausgabe meines Romans, als ich in einem Sachbuch über Gehirnforschung und verwandte Themen (Birbaumer 2014), das ich während eines Seminars in Österreich in meiner Freizeit in einem Rutsch durchlas, dieses Zitat entdeckte:

Wie schon bei der Behandlung hyperaktiver Kinder kann man das Neurofeedback zudem grafisch in Form eines Spiels gestalten, bei dem der Patient mit Hilfe seiner Hirnaktivitäten beispielsweise versuchen muss, ein Auto oder ein Raumschiff durch ein Labyrinth zu manövrieren. Auf diese Weise wird Neurofeedback nicht als Therapie, sondern wie ein Computerspiel erlebt. (S. 234, Hervorhebung durch mich, JvS)

Ob Birbaumer meinen Roman kannte? Wohl eher nicht. Reiner Zufall. Reiner Zufall auch, dass ich dies las, während (s. oben).

Eine naturwissenschaftliche Erklärung für Zufälle

Es gibt noch weit wichtigere Große Koinzidenzen (wie ich sie nenne): Zum Beispiel, dass der Erdenmond gerade so groß und so weit entfernt ist, dass er die Erdachse stabilisiert und für Jahreszeiten und Meeres-Tiden sorgt. Sonst gäbe es Windgeschwindigkeiten bis zu 400 Stundenkilometer und noch manches menschenfeindliche Ungemach mehr. Oder dass der Jupiter die Kometen einfängt, die sonst auf Terras Oberfläche donnern würden – weit häufiger, als das jetzt der Fall ist.

Nochmal um Größenordnungen unwahrscheinlicher ist die Justierung der Naturkonstanten, welche unser Universum bestimmt und so etwas wie „bewohnbare Welten“ überhaupt erst möglich macht (s. Anthropisches Prinzip). Für solche Zufälle, auch die persönlich erlebten, bietet sich eine ganz einfache naturwissenschaftliche Erklärung an, und zwar, soweit ich das erkennen kann, nur eine einzige: Die String-Theorie mit ihrer Möglichkeit paralleler Universen in einem Multiversum. Wo sich solche Universen, die extrem ähnlich sind, sehr nahekommen, könnten so etwas wie Sinn-Verdichtungsknoten entstehen (irgendwelche mysteriösen Felder), und da passiert dann ein Zufall.

Klingt nach Science-Fiction? Ist es auch. Aber wer weiß –

Oder hat jemand eine bessere Idee, die ohne einen Schachspieler-Gott auskommt?

Quellen
Birbaumer, Niels und Jörg Zittlau: Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst. Berlin 2014 (Ullstein).
Scheidt, Jürgen vom: Männer gegen Raum und Zeit. (Balwe 1958). Überarb. und ergänzte Neuaqusgabe
Frankfurt am Main 2015 (vss-Verlag Schladt), S. 283-285.

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Autobiographisches Beruf Labyrinthiade Psychologie Schreiben Schreibseminare Science-Fiction Zufall

Hallo – das bin ich

Hier will ich vorab definieren, worum es mir in diesem neu gestarteten Blog geht. Ich will mich darin mit allem befassen, was das Schreiben betrifft. Begleitende Themen (Kategorien) sind die Labyrinthiade und die Entschleunigung. Das hängt (für mich jedenfalls) alles eng zusammen: Beim Schreiben bewegt man sich entschleunigt durch das Labyrinth des eigenen Lebens (oder des Projekt-Themas, an dem man gerade arbeitet).

Aber zunächst einmal will ich mich mit einem aktuellen Portrait auch optisch vorstellen (weitere Details in → ABOUT) – den Hut habe ich übrigens nur zu diesem Anlass aufgesetzt:

Abb.: Jürgen vom Scheidt, Schriftsteller und Leiter von Schreibseminaren (Foto: GvSch 2019)

Warum dieser Hut? Er tauchte irgendwann in der Familie auf, ein Erbstück. Ich sah ihn und dachte spontan: So einen Hut hat mein Vater immer gerne getragen, ein Borsalino. Deshalb ließ ich mich damit auch spaßeshalber ablichten – s. das Bild oben. Typisch 50er Jahre für seriöse Bürger. Ich habe nie einen Hut getragen (außer im Sommer als Sonnenschutz). Aber als mir das Foto wieder mal zufällig über den Weg lief, dachte ich: Das passt doch gut zu einer Inszenierung.

Inszenierung? Nun, wir spielen immer irgendwelche Rollen, je nach Umgebung sind wir mal so und mal so. Beim Klassentreffen rutschen wir rasch, wie mit einer Zeitmaschine, zurück in die Vergangenheit, als wir gemeinsam die Schulbank drückten. Andertags in der Arbeitssituation sind wir nicht der Klassenclown (der wir am Vorabend und damals in der Schule vielleicht waren), sondern der seriöse, gut beherrschte Was-auch-immer.

Nun also “Mann mit Hut”. Das hat tatsächlich viel mit meinem Vater zu tun (dem ich im Alter zu meiner eigenen Überraschung in mancher Hinsicht ähnlich werde, zumindest innerlich und zeitweise) – nicht zuletzt, weil dieser Blog eine Art Goldwaschanlage für meine Autobiographie sein soll (an der ich seit einem Jahr arbeite) und mein Vater darin in vielerlei – und manchmal sehr widersprechender Weise – eine wesentliche Rolle spielt.

Goldwaschen – darum geht es beim Schreiben immer. Man sammelt und sinniert und recherchiert und erinnert sich – aber nur die wirklich wertvollen Goldnuggets sollten im Endprodukt landen.

Nachdem ich auch parallel dazu an einem Roman arbeite, solte sich neimand wundern, dass hier immer wieder auch Erzählendes zu finden ist.

Doch außer dem “Schreiben und Veröffentlichen” gibt es noch zwei weitere große Themen: Die Labyrinthe und die Entschelunigung.

Unter Labyrinthiade verstehe ich die vielfach verschlungenen Geschichten der griechischen Labyrinth-Sage um Daidalos und Icaros sowie um Theseus und Ariadne (und viele Figuren mehr) sowie um die rätselhaften Strukturen realer Labyrinthe und Irrgärten und das, was ich Yrrinthos nenne – nämlich all jene Labyrinthe, die eigentlich gar keine sind (weil sie nur einen einzigen, wenngleich sehr verschlungenen Gang aufweisen, indem man sich jedoch nicht verirren kann), die aber meistens keine Gärten sind, sondern lediglich sehr verwirrende Strukturen – etwa wie eine fremde Großstadt, in der man sich nicht zurechtfindet (oder so kompliziert wie dieser Satz hier).
Das Labyrinth und die Bewegung durch diesen einen Gang hin zum Kern der Struktur ist für mich aueßerdem die Metapher schlechthin für den Vorgang des Schreibens
– bei dem man ja auch ein Ziel hat (z.B. eine spannende Kurzgeschichte mit einer überraschenden Pointe), aber dann auf dem Weg zu diesem Ziel oft ziemlich lange und irritierende Umwege machen muss, bis der Text so ist, wie man ihn haben möchte (oder wie dieser Text sein will – Texte können rasch ein verblüffendes Eigenleben entwickeln).
 
° Das dritte Thema, die Entschleunigung ist ebenfalls ein wesentliches Unterthema des Schreibens. Denn das schriftliche Festhalten verlangsamt den meist recht freien und rasch umherschwirrenden Gedankenflug – weil die schreibende Hand eben weit langsamer arbeitet als das denkende und fühlende Gehirn.
Keine Frage ist es für mich, dass mindestens so wichtig das Gegenteil ist: die Beschleunigung. Auch sie spielt beim Denken und Schreiben eine wesentliche Rolle:
° Zum einen, weil unser Gehirn mit seinen unglaublichen 100 Milliarden Neuronen mit 100 Billionen synaptischen Verbindungen rasend schnell arbeitet – wovon in unserem Bewusstsein aufgrund seiner “Enge” jedoch nur winzige Bruchstücke ankommen.
° Zum anderen, weil wir im Schreiben beliebig “schnell” sein können: Beispielsweise mit einem Wimpernschlag von Sekundenbruchteilen irrsinnige “Tausende von Lichtjahren” in einer SF-Story überwinden, weil unsere Phantasie keinerlei Grenzen in Raum und Zeit setzt – zumindest nicht in der Science-Fiction.
Aber auch sonst lebt Literatur vom “Zeitrafferverfahren” der Szenenwechsel und der Veränderungen des Blickwinkels – und von der Komprimierung. So verdichtete beispielsweise James Joyce in seinem bizarren Roman Ulysses einen einzigen Tag in Dublin zu gerade mal 800 Seiten, obwohl er jedes noch so winzige Detail in Raum und Zeit vor den Leser hinstellte, samt Nebengedanken nach allen sechs Himmelsrichtungen (eben auch nach oben und unten). Was sind da schon 800 Seiten!

*

Dieser Blog wird sich mit der Gegenwart befassen, was unvermeidlich auch zum Thema “Corona-Pandemie” führt (meine Kategorie hierzu: CAN-Blog).
Er wird sich auch mit der Vergangenheit befassen – nicht zuletzt, weil ich hier auch Erinnerungen für meine Autobiographie sammle (Kategorie: AutoBio).
Und dann ist da noch so manches, was mit der Zukunft zu tun haben wird (z.B. in der Kategorie: Science-Fiction).

*

Falls Sie zufällig das Datum dieses Beitrags am Ende dieser Zeilen lesen (das ansonsten immer rechts am Rand des Blogs steht) wundern Sie sich vielleicht über diesen “13. November 2020”. Eigentlich müsste das Datum lauten: “(Freitag) 13. November 2026” – aber das geht nicht, weil dieser Post dann erst zu jenem Datum veröffentlicht und hier im Blog sichtbar werden würde.
Aber das ist eine Geschichte, die will ich, wie so manches weitere in diesem Blog, “ein andermal erzählen” (wie Michael Endes das so schön zum Running Gag seiner Unendlichen Geschichte gemacht hat). Hier nur so viel:
“Freitag, der 13. November 2026” ist das fiktive Datum, von dem ausgehend sich eine Serie der Zeitschrift Psychologie heute mit der kommenden Welt des Jahres 2050 beschäftigte, veröffentlicht in den 1990er Jahren beschäftigte. Ich verfasste zu dieser Serie einen Essay mit dem Titel “Homo futurus” (der sich mit der Psyche der kommenden Menschen befasstte). Seitdem hat mich dieses Datum nicht mehr losgelassen – das ichpersönlich vielleicht nicht mehr erleben werde.
Obwohl: Hundertjährige gibt es inzwischen schon 16.500 allein in der Bundesrepublik und erklecklich viele davon sind sogar 110 Jahre alt. Fragt sich nur, in welchem geistigen, seelischen und körperlichen Zustand sie sich befinden und ob das für mich unbedingt erstrebenswert ist.

Aber die Medizin macht ja Fortschritte, und seit 50 Jahren mache ich jeden Morgen meine Yoga-Übungen, die mir ein Mann beigebracht hat, der immerhin 90 wurde und einst ein Buch mit diesem Titel schrieb: Die Kunst sich selbst zu verjüngen. Max Kirschner wurde 1900 geboren und hat zwei Weltkriege und viele anderen Entbehrungen durchgemacht – ich wurde 1940 geboren und hatte das große Glück, bisher von Entbehrungen verschont zu sein und wenn ich die Corona-Pandemie überlebe – wer weiß…

Besuchen Sei diesen Blog am 13. November 2026 – und vielleicht wieder im Jahr 2050 – und Sie werden es erfahren.

© Jürgen vom Scheidt – geschrieben 18. Nov 2020 – zur Wiedervorlage am Freitag, den 13. November 2026

 

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50-Jahres-Schritte CoronaPandemie Film Klimawandel Krieg Science-Fiction Vergangenheit Zeitstrahl Zukunft

Besser – oder schlechter?

Viele Menschen der Gegenwart halten es dort nicht aus. Sie sehnen sich
° nach einer Zukunft, in der alles besser sein wird – oder fürchten sich vor kommenden Zeiten, in den alles nur “noch schlimmer” sein wird als heute (nicht nur Leser von Science-Fiction mit ihren positiven Utopien oder negativen Dystopien),
° oder sie wollen in einer ersehnten Vergangenheit leben, in der alles besser war.

Woody Allen hat das wunderbar durchgespielt in seinem Film Midnight in Paris. Da sehnt sich der junge amerikanische Drehbuchautor Gil Pender (der viel lieber Romane schreiben würde) nach den “Roaring Twenties” in Paris – wird auf zauberhafte Weise dorthin versetzt, trifft die von ihm verehrten Autorenvorbilder Ernest Hemingway, Zelda und Scott Fitzgerald, Cole Porter (der gerade seinen Song “Lets Fall in Love” vorstellt), die betörende Tänzerin Mistinguette mit ihrem Bananenschurztanz, die aufstrebenden Maler Pablo Picasso und Salvador Dali – und eine junge Frau (Geliebte von Picasso und Modigliani). Diese Frau verzehrt sich aber in Sehnsucht nach der weiter zurückliegenden Belle Epoque. Als Gil Pender mit ihr in einem weiteren Fantasy-Sprung zurück in eben diese Belle Epoque gerät – treffen sie dort im Moulin Rouge natürlich den Maler Toulouse-Lautrec und Paul Gaugin (der sich wiederum noch weiter zurückwünscht, in die Renaissance mit ihren Vorbildern Tizian und Rembrandt).

Gil Pender schlendert durch das Paris der Gegenwart – und sehnt sich nach den Roaring Twenties (Film – Woody Allen, Midnight in Paris)

Die “bessere” Vergangenheit gibt es nicht

Beides ist Unsinn. Die Vergangenheit war in keiner Hinsicht jemals besser als die heutige Zeit. Man gehe nur einmal mit Zahnschmerzen zum Zahnarzt um die Jahrhundertwende – ohne Turbinenbohrer und Schmerzspritze (ein Abkömmling des Novocain, das wiederum erstmals 1886 als pures Kokain von Sigmund Freud am Auge angewandt wurde – die Geburtsstunde der “lokalen Betäubung).
Und die Zukunft wird wohl niemals das “Paradies” sein, das die heute Unzufriedenen entweder in eine verklärte Vergangenheit projizieren (Belle Epoque, Goldenes Zeitalter, Atlantis) oder nach vorne in einer oft recht kitschige Idylle. Letzteres könnte aber eher eine digital überwachte Variante à la 1984 (von George Orwell) werden – Version Großer Bruder Chinas Kommunistische Partei – oder Version Datenabsauger Facebook und Amazon. Oder auch völlig anders.

In einer Hängemappe, die ich vor vielen Jahren angelegt habe, sammle ich unter dem Titel “Was wurde besser – was wurde schlechter” Beispiel für beide Varianten. Und davon gibt es viele. Wohl nur wenige Menschen haben genügend umfangreiche Vergleichsmaßstäbe –
° weil sie zu jung sind und deshalb nur wenige Jahre persönlich kennen (und das noch dazu in recht engen lokalen Gegebenheiten, auch wenn man im Urlaub schon in aller möglichen Herren Länder war)
° oder schlicht zu ungebildet.

Eine recht heilsame Übung ist es, bestimmte Lebensbereiche aus einer übergeordenten Perspektive quasi “von oben” oder “von außen” zu betrachten und dabei in “50-Jahre-Schritte” der Entwicklung einzuteilen., Zum Beispiel:

° Wie sah die Medizin der Seuchenbekämpfung vor 50 – vor 100 – vor 150 Jahren aus (davor verschwimmt schon alles konturenlos, weil es zu wenige Aufzeichnungen gibt oder man selbst zu wenig weiß.) Und wie ist das damit verglichen heute in Zeiten einer grimmigen Pandemie?

° Wie war das Wetter (in Europa – Deutschland – Bayern – München) vor 50 – 100 – 150 Jahren (davor gibt es kaum verlässliche Aufzeichnungen). Weihnachten 2020 gab es in München an Weihnachten keinen Schnee. 1970 mit ziemlich Sicherheit schon. Und 1920? Ganz sicher.

° Und was war mit der Justiz? Wird heute noch gefoltert – und wo? Wie war das vor 50 Jahren – vor 100 Jahren – im Mittelalter? Wie sind die Gefängnisse in Deutschland, in Frankreich, in den USA – und für wen?

° Wie hoch ist der Anteil der Bevölkerung an Bewohnern von Großstädten – Kleinstädten – Dörfern (“auf dem Land”) – heute – vor 50 – vor 100 – vor 500 Jahren?

Ein geschulter und kritischer Blick zurück offenbart ganz andere Zustände

So manchen “Zahn” zieht einem die Lektüre zweiter Bücher, die sich die Vergangenheit und deren Veränderungen zur Gegenwart genauer anschauen: Hans Rosling in seiner bahnbrechenden (wenngleich auch heftig umstrittenen) Vergleichsstudie Factfulness. Und Giudo Mingels (mit einem Team des Spiegel-Magazins) in den drei Bänden von Früher war alles schlechter – einer Serie mit rund 150 Beispielen aus allen Lebensbereichen, welche sehr drastisch die Veränderung der Zeitläufte aufblättern, mit eindrucksvollen Verlaufsgrafiken – so etwas wie ein praktische Anwendung von Roslings aufklärendem Rundumumschlag sind.

Die provozierende Spiegel-Serie “Früher war alles schlechter” (dva – Stuttgart 1917)

Aber: Sicher ist vieles besser geworden. Aber ebenso sicher nicht alles: Die Atzomkriegsgefahr der 1950er Jahre besteht nach wie vor – Hiroshima und Nagasaki könnten nur schreckliche Vorboten einer noch viel entsetzlicheren Zukunft ein, in deren Varianten die SF geradezu gebadet hat. Die Klimaveränderung ist inzwischen eine Tatsache, die wirklich nur total unwissende Ignoranten leugnen können. Aber vielleicht gelingt der Turnaround? So etwas wie die AfD und andere rechtspopulistische bis rechtextreme Strömungen hat noch vor zehn Jahren kaum jemand auf dem Radar gehabt.
Den geradezu halsbrecherischen Sprung in die Digitalisierung und so viele andere Veränderungen in allen (!) Lebensbereichen hat noch vor genau einem Jahr, also vor Corona – niemand auch nur im Traum geahnt.
Was wird daraus in 50, 100, 150 Jahren geworden sein? Wie sah das 1970 aus? Oder 1920? (Digitalisierung? Globalisierung? Klimawandel? Umweltverschmutzung? – was könnte das sein?)

Quellen
Allen, Woody (Regie): Midnight in Paris. USA 2010.
Mingels, Guido: Früher war alles schlechter. München 2017 (DVA & Spiegel-Buchverlag). Band 1.
Rosling, Hans et al: Factfulness. Berlin 2018 (Ullstein).

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3 (drei) Autobiographisches Science-Fiction Technik

Von “Jim Parker” zum Weltraumschrott

Weihnachten 1948 machte ich mich zum ersten Mal mit einer Weltraumrakete auf die Reise und landete Auf unbekanntem Stern (wie meine erste Zukunftslektüre betitelt war). Richtig zur Sache resp. in den Orbit ging es 1953 mit der Heftchen-Serie Jim Parkers Abenteuer im Weltraum. Das Motto war damals, etwas salopp ausgedrückt: “Eine Raumfahrt, die ist lustig” (frei nach einem Schunkelschlager zur christlichen Seefahrt aus dem Jahr 1935). Erste Stationen ins All waren in allen Raumfahrtträumen zwei Monde:
° Luna, der echte Trabant der Erde,
° und ein künstliche Begleiter, der unseren Planeten im stationären Orbit umkreist, eine Raumstation.

Titelbild von Heft 4 der Heftserie “Jim Parker” (mit anderem Logo des Nachdrucks von 2012 _ Mohlberg-Verlag)

“Lunetta” hat Wernher von Braun letztere schon als 17jähriger Pennäler im Internat “Schloss Bieberstein” in einer Kurzgeschichte genannt und zwar 1930 – fünf Jahre vor dem Schlager “Eine Seefahrt, die ist lustig”. Später, nachdem er in den 40er Jahren mit der V2 London bombardiert hatte und nach Kriegsende als Top-Wissenschaftler in die USA geholt worden war, veröffentlichte er in den 50er Jahren drei großformatige Bildbände, die für seine Weltraumträume als Erwachsener standen:
° Eine sehr viel detaillierter ausgeführte Raumstation samt genauen Konstruktionsplänen (man hat sie allerdings nicht ihm folgend “Lunetta” genannt, also “Möndchen”, sondern technisch-nüchtern “International Space Station (ISS)”);
° der erste bemannte Flug zum Mond
° und als drittes logischerweise den Flug zum Mars, von Brauns eigentliches “großes Ziel”, zu dessen Verwirklichung Raumstation und Mondlandung nur wichtige Zwischenschritte waren.
Die Mondlandung am 21. Juli 1969 hat von Braun (1912-1977) noch erlebt, denn die wurde vorgezogen, weil Kennedy es den Russen zeigen wollte: Wer die wahrhaftigen Weltraumpioniere waren – nämlich nicht die Hündin Laika oder der Erdumkreiser und allererste “Kosmonaut” Gagarin – sondern zwei amerikanische Piloten, die man ab da Astronauten nannte. Die ISS wurde erst ab 1998 gebaut.

Auf der Raumstation lebt man nicht ungefährdet

Auf der Raumstation war ich schon lange vorher mit Jim Parker gewesen – in Heft 4 der Serie mit dem Titel “Auf dem künstlichen Mond”. 1953 war das, und es galt dort allerlei Abenteuer zu bestehen, welche heutige Astronauten in der ISS nur den Kopf schütteln oder (etwa bei Schießereien an Bord zwischen hauchdünnen Stahlwänden) die Haare zu Berge stehen lassen würden.
Für letzteres gibt es ganz andere Gründe: Wenn etwa das Klo verstopft ist. Oder ein winziger Meteorit ein Leck schlägt. Immer wieder sind schwierige Korrekturmanöver nötig, weil ein vergleichsweise dicker Brocken künstlicher Herkunft die Bahn kreuzt: Überreste kleinerer Satelliten und von Raketen ziviler oder militärischer Herkunft, prosaisch, aber sehr treffend als Weltraumschrott bezeichnet.

Das folgende Zitat stammt nicht etwa aus Jim Parkers Abenteuer “Auf dem Künstlichen Mond” – sondern aus der aktuellen Tageszeitung:
Von Männerdomänen lässt Kristina Nikolaus sich nicht abschrecken. “Oft bin ich die einzige Frau am Tisch”, sagt die 26-Jährige, denn die Raumfahrtindustrie sei eben noch immer eine Branche, in der mehr Männer als Frauen arbeiten. Als Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Okapi Orbits trägt Nikolaus bereits Verantwortung für ein elfköpfiges Team, das eine Software entwickelt hat, um Kollisionen im Orbit zu verhindern. Die kommerzielle Raumfahrt wachse rasant und damit auch das Problem mit dem Weltraumschrott.
Immer wieder geraten beispielsweise ausgediente Forschungssatelliten auf Kollisionskurs. Manchmal rasen sie mit nur wenigen Metern Entfernung aneinander vorbei. Kommt es aber zum Crash, hinterlässt der Zusammenprall tonnenweise Weltraumschrott, der unkontrolliert mit zigtausend Stundenkilometern um die Erde kreist.

Nur nebenbei: Es ist typisch, dass zwar Männer diesen Schrott dort oben im Orbit erzeugen und hinterlassen – und dass sich nun eine Frau ans Aufräumen macht. Das ist wie nach jedem Krieg: Die Männer schlagen sich mit “Hurra” (oder auch ängstlich leise) die Köpfe ein – die Krankenschwestern in den Feldlazaretten und Militärhospitälern und dann zuhause die Mütter und Ehefrauen versorgen die Wunden. Wenn überlebt wurde.

Nebenprodukt einer Drogenberatung

Die eingangs erwähnte Story “Lunetta” von Wernher von Braun bekam ich 1970 während einer mehrtägigen Drogenberatung in Schloss Bieberstein stolz von den Lehrern aus dem Archiv des Internats präsentiert. Dank der Vermittlung meines Freundes Jesco von Puttkamer aus der gemeinsamen Zeit im “Science Fiction Club Deutschland” (ab den 60er Jahren Mitarbeiter von Wernher von Braun in Huntsville) bekam ich vom Konstrukteur der Saturn-Mondrakete die Erlaubnis, “Lunetta” in meiner Anthologie Das Monster im Park nachzudrucken. Es geht nichts über gute Beziehungen.

Quellen
Braun, Wernher von: “Lunetta” – s. Scheidt 1971
Kolnberger, Anton F.: Auf unbekanntem Stern. Nürnberg 1948 (Die Egge).
Scheidt, Jürgen vom: (Hrsg.): Das Monster im Park. Erzählungen von Wernher von Braun bis Arthur C.
Clarke. München 1970 (Nymphenburger Verlagshandlung.).
Tjörnsen, Alf: Jim Parkers Abenteuer im Weltraum: Auf dem künstlichen Mond (+ 3 weitere Hefte).
(Rastatt 1953_Pabel-Verlag). Köln 2012 (Mohlberg Verlag).
Seeburg, Carina: “Wilder Westen im Orbit”. In: SZ #02 vom 04. Jan 2021, S. 17 (Wirtschaft: Nahaufnahme).

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Entschleunigung Science-Fiction

Wurmlöcher im Alltag angekommen

Hätte in den 1950er Jahren jemand in der Tageszeitung einen Artikel mit der Überschrift “Im Wurmloch” versehen, hätte auch ich nur “Bahnhof”* verstanden, obwohl ich mich schon als Schüler ganz gut mit Begriffen der Astronomie und Kosmologie auskannte und mit denen der Science-Fiction sowieso. Auch noch vor zehn Jahren hätte ein Redakteur so einen Neologismus kaum in einem Artikel verwendet (und schon gar nicht in der Überschrift), ohne ihn zu erklären.

* Das wäre allerdings gar nicht so falsch gewesen, den Wurmlöcher dienen bekanntlich dem überlichtschnellen Transport zwischen weit voneinander entfernten Gegenden des Weltraums – in der Science-Fiction ist das jedenfalls so.

Aber inzwischen ist wohl eine Generation nachgewachsen, die mit utopischen Abenteuer-Serien wie Star Trek (Raumschiff Enterprise), Krieg der Sterne, Babylon-5 und vielen Kino-Blockbustern wie Avatar und Guardians of the Galaxy aufgewachsen ist und diese Technologie zur ultraschnellen Überbrückung von Raum und Zeit bestens kennt. Eine Generation, die sogar aus Computer-Spielen weiß, das ein Wurmloch eine Art Tunnel zwischen den Dimensionen ist, der Abkürzungen im Hyperraum ermöglicht – so etwas wie ein Schwarzes Loch auf der einen Seite und ein Weißes Loch auf der anderen – nur nicht so gefährlich, irgendwie sanfter. Science-Fiction halt.
Alles klar?
Ob diese neue Generation allerdings den Wirtschaftsteil der SZ liest? Ob sie überhaupt noch liest – außer dem, was in der Schule verlangt wird?

Helmut Martin-Jung verwendet “Wurmloch” so selbstverständlich, als wüsste jedermann (und jede Frau) Bescheid. Und das finde ich so spannend, weil es ein Hinweis darauf ist, dass SF inzwischen mitten im Alltag angekommen ist. In derselben Glosse im Wirtschaftsteil kommt gleich noch ein zweiter Ausdruck vor, den man vor nicht allzu langer Zeit nur in einem utopischen ‘Roman (oder einem sehr speziellen Sachbuch mit futurologischen Themen) verwendet hätte: “Fortbestand der Menschheit“. Es ging in dieser Glosse übrigens, was nicht unwichtig ist, um den Stress vor dem Weihnachtsfest und diese Formulierung sollte das satirisch überhöhen:
“Aufgaben, die schon vor Ewigkeiten hätten erledigt werden können, müssen unbedingt vor diesem Termin getan werden, auch wenn das für besagten Fortbestand der Menschheit wirklich keine Rolle spielt.”

Einen Begriff habe ich allerdings in diesem Text vermisst, denn in der Unterzeile nach dem Titel “Im Wurmloch” geht es so weiter:
“Warum zum Weihnachtsfest Gelassenheit die beste Devise ist.”
Da hätte doch auch das Wort Entschleunigung bestens gepasst, und ich hätte auf meiner privaten Hitliste dieses Begriffs wieder mal ein Strichlein machen können. Aber “Gelassenheit” ist auch okay, als Synonym von Entschleunigung (oder umgekehrt?).

Quelle
Martin-Jung, Helmut: “Im Wurmloch”. In: Südd. Zeitung vom 24. Dez 2020, S. 24 (Wirtschaftsteil).

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Autobiographisches Fiction Kindheit Krieg Psychologie Schreiben Science-Fiction Zukunft

Kriegskinder und Kriegsenkel

Wenn man im Februar 1940 geboren wird, ist man ein Kriegskind. Was das bedeutet, habe ich erst lange nach meinem Studium der Psychologie erfahren und viele Jahre nach zwei Psychoanalysen.

Das Thema Kriegskindheit blubberte erstmals 2003 in mein Bewusstsein nach der Lektüre eines Vortrags von Michael Ermann, der um die Jahrtausendwende (in nicht autorisierter Abschrift) durch die Psycho-Szene geisterte und über eine Freundin einer Freundin meiner Frau Ruth schließlich bei mir landete. Ich habe mir, wie elektrisiert von dem Thema, gleich das Büchlein von Peter Heinl besorgt, das die Grundlage des Vortrags war – und habe es zweimal in einem Zug durchgelesen.

Warum habe ich wohl 1959 (das muss nach dem Abitur in einer schöpferischen Zwischenzeit gewesen sein) diese Tusche-Graphik mit dem Titel “Krieg im Weltenraum” gezeichnet? Nicht etwa, weil ich kriegsbegeistert bin (wie einst mein Großvater Karl Hertel) – ganz im Gegenteil. (Die Antwort folgt weiter unten.)

Krieg im Weltraum. (JvS – Tuschezeichnung Aug 1959)

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Publikationen über Kriegskinder – und längst auch über die Kinder dieser Kriegskinder – die Kriegsenkel. Es fiel mir wie die sprichwörtlichen “Schuppen von den Augen”, als ich Gefühle und Situationen entdeckte, die ich selbst als Kind erlebt hatte – allen voran die Nicht-Existenz eines Vaters. Letzteres war meine Situation zum Glück nur in den ersten fünf Lebensjahren: Mein Vater kehrte im Juli 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft und somit aus dem Krieg zurück, und zwar zumindest körperlich unversehrt (dass es so etwas wie seelische Traumatisierungen gibt, lernte ich auch erst sehr spät). Aber der frühe Mangel ist nun mal prägender als alles, was später kommt.

Erst lange danach fiel mir ein, dass ich mich mit den “abwesenden Vätern” schon vorher in meiner Dissertation Der falsche Weg zum Selbst befasst hatte.

Kriegs-Geschichten – weit weit weg

Aber erst als ich – nochmals fast zwei Jahrzehnte später – 2020 mit der Arbeit an diesem Blog begann, begriff ich, warum das Thema Krieg, wie selbstverständlich, in meinen Erzählungen auftaucht – und zwar von Anfang an. Zwei meiner allerersten Kurzgeschichten (“Nur ein kleiner Fehler”, “Eine unter vielen”) handeln von zukünftigen Kriegen auf fernen Planeten – ja, möglichst weit weg sollte das sein. Auch in meinem ersten Roman Männer gegen Raum und Zeit geht es gegen Ende richtig kriegerisch zur Sache: Mit der Zerstörung des sagenhaften Kontinents Atlantis hier auf der Erde – was nur das Echo eines noch viel gewaltigeren Krieges weit weg im Weltraum ist. (Der Roman spielt in fernster Zukunft – aber der Untergang von Atlantis schlägt eine Brücke viele Jahrtausenden zurück in die Vergangenheit – in der Science-Fiction geht das problemlos.)

In meinem zweiten Roman Sternvogel geht es viel zivilisierter zu: Die “richtigen” Kriege sind dort von Handelskriegen weit friedlicherer Art abgelöst.

Aber in meinem dritten Roman, Der geworfene Stein, geht es wieder richtig zur Sache”: Ein Atomkrieg hat die Erde verwüstet, die Menschen leben in wenigen Rückszugsgebieten unter schützenden Energiekuppeln (München ist eines dieser Reservate). Mongolische Horden durchstreifen den Kontinent, eine ist schon bis nach Starnberg vorgedrungen. Und aus Afrika attackieren feindliche Jets die einstige bayerische Hauptstadt. Aber es gibt eine Art Happy-end: Die Geschichte geht gut aus. Für´s erste. (Möge uns das erspart bleiben – Corona ist lange nicht so schlimm wie Krieg.)

Und was ist mit den Kriegsurenkeln?

Hat man den Mechanismus der (mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur psychischen) Weitergabe von Kriegstraumata an die Nachkommen erst einmal akzeptiert und ist einigermaßen sensibilisiert für die Bedeutung solcher Weitergaben, gibt es eigentlich nur eine richtige Antwort auf die damit verbundenen Fragen und Probleme:
Man muss beginnen, diese Altlasten im eigenen Leben aufzuarbeiten- damit man sie nicht weiter “vererbt”. Als ich 1965 aus ganz anderen Gründen (die an der Oberfläche mit meinem Studium zu tun hatten) eine Psychoanalyse begann, dacht ich nicht daran, dass ich damit auch anfing, diese Altlasten anzuschauen und ihre Narben zu erkennen. Und dass dies eine Möglichkeit war, sie nicht an eigene Kinder weiterzugeben. Damals wollte ich gar keine Kinder haben (eine Art Selbstschutz vor solcher Verantwortung?). Die Psychoanalyse war erfolgreich. Ich traute mir irgendwann sogar drei Kinder zu. Und hoffe, dass ich keine Kriegstraumata an sie weitergegeben habe – was letztlich sogar die noch spätere Generation belasten könnte (das wären dann “Kriegsurenkel”) .

In der Bibel steht viel Unsinn aus vorwissenschaftlichen Zeiten. Aber sie transportiert doch auch einige Urweisheiten, die zeitlos gültig sind. Eine davon hat mich immer schon beeindruckt, was noch verstärkt wurde durch die Beschäftigung mit der “Kriegskinder”-Problematik:
Die Sünden der Väter werden gerächt bis uns dritte und vierte Glied” (und manchmal sogar bis ins “siebte Glied”.
Es gibt dazu inzwischen einen eigenen Forschungsbereich in der Psychologie: Die Transgenerationale Traumaweitergabe. In der Wikipedia findet man dazu noch keinen Artikel (Stand: 11. Jan 2021) – aber wenn man den Begriff googelt, entdeckt man so allerhand.

Quellen
Heinl, Peter: Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg (1994) München 2003 / 3. Aufl. (Kösel).
Scheidt, Jürgen vom: “Nur ein kleiner Fehler“. In: Utopia-Magazin Nr. 6. Rastatt 1956 (Pabel Verlag).
ders.: “Eine unter vielen”. Füller in: Williamson, Jack: Die Zeitlegion.
ders.: Männer gegen Raum und Zeit (Leihbuchausgabe). Wuppertal-Barmen 1958 (Wieba).
ders.: Sternvogel. Minden 1962 (Bewin)..
ders.: Der geworfene Stein. Percha bei München 1975 (R. S. Schulz).
ders.: Der falsche Weg zum Selbst. Studien zur Drogenkarriere. München 1976 (Kindler-Verlag, Geist und
Psyche). Überarbeitete Neuausgabe Frankfurt am Main 1984 (Fischer Taschenbuch).
Williamson, Jack: Die Zeit-Legion – Utopia-Großband Nr. 65. Rastatt 1958 (Pabel-Verlag).

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Fiction Krieg Science-Fiction Zukunft

Nur ein kleiner Fehler (Story)

(So kündigte Walter Ernsting 1956 diese Kurzgeschichte von mir 1956 an:
Die Reihe soll phantasiereichen und schriftstellerisch begabten Lesern der UTOPIA-Reihen die Gelegenheit geben, ihre selbstgeschriebenen Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Wir hoffen, dass die strenge Auswahl der eingehenden Manuskripte auch die Zustimmung der Freunde des UTOPIA-Magazins findet und sie die gleiche Freude an den Geschichten haben werden wie wir.)

Es war meine erste richtige Veröffentlichung. 10.00 Mark gab es dafür – vom Postboten an der Wohnungstür ausgehändigt Und dies war das Titelbild des Magazins:

Erforschung des Planeten Mars – Utopia-Magazin Heft 6 (Morris Scott Dollens – Pabel-Verlag 1956)

Nur ein kleiner Fehler

Pausenlos fluteten die lebensvernichtenden Strahlenschauer über das zernarbte Antlitz des Planeten. An bestimmten Punkten außerhalb der vergifteten und ionisierten Atmosphäre waren die Transformatorraumkugeln stationiert. Sie zapften die Sonne, einen gelben und verzwergten Typ, mit hochfrequenten Wellenlängen an, wandelten die aus dem positronischen Sonnenpotential gewonnenen Energien und bestrichen damit die gesamte Oberfläche der sterbenden Welt.
In einer der Kugeln, die sich schon durch ihre Größe von den übrigen hundert unterschied, unterhielten sich die beiden Aktionsleiter.
„Unsere Bombenkommandos haben gute Vorarbeit geleistet. Alle größeren Ansiedlungen liegen in Schutt und Asche, zertrümmert von den Platinreaktionsbomben. Alles übrige Leben haben die Strahlen und die verseuchte Atmosphäre vernichtet.“
„Du meinst, wir sollten die Vorbereitungsarbeiten einstellen?“
„Ja. Ich werde einen entsprechenden Befehl gleich durchgeben. Die Landetruppen sollen sich bereitmachen; vorher werden wir beide jedoch einen Erkundungsflug vornehmen.“
Baki drehte sich um und entfaltete den Sprechfächer. Die Verbindung war hergestellt.
„An alle Stationen: Zapfstrahlen sofort unterbrechen. Die Reinigungsschiffe sollen mit dem Abwerfen von Stickstoffbakterien beginnen und die Atmosphäre regenerieren. Landekommandos sind innerhalb der nächsten sieben Stunden aufzustellen und sollen sich auf Abruf bereit halten. Ich wiederhole…”

                                                                                      *

Eine halbe Stunde später löste sich die Admiralskugel aus dem Verband und strebte mit wachsender Beschleunigung der Planetenoberfläche zu. In den tieferen Schichten der Lufthülle setzten mit flimmerndem Toben die Bremsstrahler ein und fingen die Wucht des Sturzes ab, führten sie in ein sanftes Schweben über.
Dann glitten sie in konstanter Höhe über den abrollenden Globus dahin und hielten auf dem Fernseher nach interessanten Objekten Ausschau. Baki und Odindo standen hinter dem Pilotensessel und unterhielten sich über verschiedene Sachen. Dabei kam die Sprache auch auf den Zweck ihres Forschungsfluges.
 „Wie lange sind wir jetzt schon unterwegs?“
“Nach den Kalenderuhren sind es sieben Jahre. Nachdem wir allerdings mit annähernder Lichtgeschwindigkeit geflogen sind, müssen wir die Zeitkontraktion mit einrechnen. Ich schätze, dass wir, nach nimischer Zeit, vor dreiundsiebzig Jahren gestartet sind. Es besteht also bereits eine Differenz von Sechsundsechzig Jahren…“
„… was im Grunde genommen gar nichts ausmacht“, ergänzte Baki Odindos Ausführungen. „Wir besiedeln diesen Planeten und bereiten ihn auf die große Flotte vor, die unsere überbevölkerte Heimat entlasten wird. Sie müssten eigentlich bald eintreffen, nicht wahr?“
„Es dürfte noch zwei Sonnenumläufe dauern. Bei unserer Abfahrt waren schließlich erst drei Siedlungsschiffe im Bau.“
Sie wandten sich wieder dem Fernsehschirm zu. Auf diesem wurde gerade eine gewaltige Stadt sichtbar, die noch von Staubwolken verhüllt war. Ab und zu legte ein Windstoß die Wolken zur Seite und gab den Blick auf abgrundtiefe Atomtrichter frei, deren Ränder noch bösartig glühten. Türme ragten wie mahnende Finger in die Höhe; Türme, von denen nur noch der schlanke und verbogene Stahlkern existierte. Überall Chaos und leblose Schuttwüste. Nur an einer einzigen Stelle waren einige Gebäude verschont geblieben. Einsam und verlassen standen sie im Stadtzentrum; sogar der versengte Teppich eines Pflanzenwuchses hatte den glutigen Sturm der atomaren Explosionen überlebt.
Odindo tippte dem Piloten auf die Schulter und erklärte auf dessen fragenden Blick:
„Lande dort unten, bei den kuppelähnlichen Gebäuden. Wir möchten aussteigen und uns alles anschauen.“
Der Schiffsführer nickte und manipulierte mit der Steuerung. Sanft senkte sich die Raumkugel herunter und setzte auf. Die höllische Hitze des Bremsstrahlers setzte die letzten Reste der kümmerlichen Vegetation in Brand. Für Augenblicke umzüngelten die kleinen Flämmchen den Kugelriesen; es war, als raffe sich der Planet zu einer letzten Lebensäußerung auf. Ein Windstoß wirbelte die warme Asche auf, und der Funkenregen stob davon, setzte sich als schwarzer Belag auf die letzten weißen Stellen der Flachkuppeln.
Die Schleuse öffnete sich, und eine bequeme Treppe wurde ausgefahren. Stolz und sich des historischen Ereignisses vollauf bewusst, schritten Baki und Odindo die breite Rampe hinunter und betraten zum ersten mal das eroberte Land.
Tief bewegt umfassten sich die beiden Flottenkommandanten.
„Wir haben es geschafft!“ jubelten sie. Baki sagte feierlich:
„Das ewige Gesetz des Kosmos war uns günstig gesinnt: Töten oder getötet werden.“
„Ja! Wir leben, haben neuen Raum für unsere Rasse erobert.“
Dann gingen sie, durch kaum sichtbare Hüllen geschützt, auf die weißen Gebäude zu, die jetzt grau waren. Mit dem Fuß stieß Baki die halboffene Eingangstür vollends auf. Aber er sprang mit einem entsetzten Aufschrei zurück.
„Odindo!“ keuchte er und verfärbte sich. „Odindo! Was soll das bedeuten?“
Laut brüllend zeigte er auf den Körper, der ihm entgegengefallen war. Der Gerufene war auf einen anderen Bau zugegangen und drehte sich erstaunt um.
„Was gibt es denn? Eine Leiche? Das ist doch kein Grund zur Aufregung; es werden noch Milliarden davon herumliegen“, rief er zurück.
„Odindo! Du musst sofort hierherkommen. Erinnerst du dich noch, über was wir uns vorhin unterhalten haben? Vor dreiundsiebzig Jahren sind wir von zu Hause gestartet -“
„Ich weiß“, unterbrach ihn Odindo und kam gemächlich näher. „Ich weiß. Und in zwei Jahren wird die Siedlungsflotte eintreffen. Stimmt’s?“
Baki schüttelte den Kopf und sagte dann mit leiser, aber furchtbarer Stimme: „Nein. Nicht in zwei Jahren. Wir haben den technischen Fortschritt übersehen. Die Siedlungsflotte war schon vor uns da!”

ENDE

Quelle
Scheidt, Jürgen vom: “Nur ein kleiner Fehler”. In: Utopia-Magazin Nr. 6. Rastatt 1956 (Pabel Verlag).

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3 (drei) Autobiographisches Haiku Kreativität Lyrik Naturwissenschaft Psychologie Sachliches (Sachtexte) Science-Fiction

GeistQuantenfluktuationen

Achtung – jetzt wird es winzig, richtig multimikroskopisch ultra nanomäßig klein. Und ein wenig science-fiction-artig. Aber es wird zugleich auch immens schreibpraktisch.

Quantenfluktuationen sind die kleinste vorstellbare Einheit der Welt – Manifestationen des Planck´schen Wirkungsquantums. Max Planck hat es sich als Grundlage der von ihm um 1900 begründeten Quantenphysik ausgedacht. Ausgedacht – das ist das Schlüsselwort. Niemand wird jemals ein solches Teilchen beobachten. Es ist ein geistiges Konstrukt, das man in die mathematischen Formeln der Quantenphysik einbauen kann. Das funktioniert bestens.
Harald Lesch stellt dafür in dem Film “10 hoch” eine gute Visualisierung vor: Aus dem Nichts (Vakuum) gemächlich aufblubbernde Bläschen. Sie “blubbern” natürlich nicht – sie geben keinen Ton von sich – “dort unten” im kosmischen Vakuum gibt es keine Töne. Aber das ist eine anschauliche Vorstellung.
Ich liebe dieses Wort “Quantenfluktuation” – das ist pure Poesie. Es ist sehr anschaulich (wenn man weiß, worum es sich handelt und den Film mit Lesch gesehen hat). Es passt bestens in jede Science-Fiction, die ja ihre ganz eigene technische und naturwissenschaftliche Sprache hat und – wenn sie gut ist – auch Poesie. Muss man aber mögen.

Als Jugendlicher zwischen Abitur und erstem Studiensemester habe ich mal während einer “malenden Phase” die folgende Skizze gezeichnet. Sie kommt heute in meiner Vorstellung dem am nächsten, was bei einer Quantenfluktuation geschehen könnte und sich eigentlich nicht beschreiben lässt. Aber man kann sich dem annähern. Als ich im Sommer 1959 das Bild anfertigte, hatte ich keine Ahnung von QF. Oder wie das sein könnte, wenn aus dem Unbewussten etwas in dieser Art aufsteigt und so etwas wie psychische Energie wird – die dann zum Beispiel zu so einem Bild gerinnt, wenn man dem Fluss der Energie folgt.

In vielfacher Vergrößerung: Aus der Schwärze des Vakuums emaniert ein Quant – könnte aber auch was anderes sein (JvS 1959-08-06)

GeistQuantenfluktuationen – was soll das denn sein?

Unter Geist versteht die Philosophie (und heute ihre moderne Tochter, die Psychologie) ein drittes* Element neben Körper und Psyche. Die heutigen Psychologen mögen den Begriff nicht sonderlich – da kann man nichts messen, wiegen, zählen. Aber niemand wird bestreiten, dass es so einen eigenständigen Bereich gibt. Denn Gedanken, als Grundelement des Geistes, sind nun mal nicht körperlicher Natur oder seelischer Art (wie die Gefühle). Beispiel: Das Wort “GeistQuantenfluktuationen”.

* Körper, Seele und Geist – das ist ein sehr schönes Beispiel für die Bedeutung der Zahl “3” – nicht nur in der Philosophie. Deshalb habe ich dafür eine eigene Kategorie eingerichtet: “3 (drei)”.

Ich habe mir diesen Begriff heute früh ausgedacht – nein: das Wort ist mir eingefallen. Es “fiel” buchstäblich in mein Bewusstsein ein, als ich nach etwas suchte, das den Vorgang beschreibt, der jeden Morgen bei mir abläuft, wenn ich nach dem Aufwachen erst einmal im Dunkeln sitze. Das ist meistens so gegen 05:00 Uhr, also im Übergang von der Nacht in den Tag, wo manchmal ein Traum nachschimmert (oder heftig nachhallt, wenn es ein Albtraum war), aber auf jeden Fall irgendwelche Gedanken, Ideen, Einfälle hochblubbern. Woher kommt das? Aus der Nacht- und Traumwelt. Aus dem seelischen Urgrund. Aus dem Unbewussten (wie Freud das nannte), oder aus dem Vorbewussten (wie ebenfalls Freud jenen anderen, bewusstseinsnäheren Bereich nannte, der schon einmal bewusst war, aber wieder vergessen wurde und so etwas wie die Quelle der Kreativität ist)
Inspiration nannte man das früher – vom griechischen Wort für “einhauchen”. Etwas wird eingehaucht. Etwas blubbert hoch – so wie die Quantenfluktuationen aus dem kosmischen Urgrund des Vakuums hochblubbern, sich zu Quarks und immer höheren, komplexeren Elementarteilchen zusammenfinden, Atome bilden daraus Moleküle, diese schließen sich zu Zellen zusammen – Leben beginnt – und auf der höchsten beobachtbaren Ebene: Menschen wie Sie und ich. Das kann man sich doch gut vorstellen, oder*?

* Was man sich nicht mehr vorstellen kann: Woher sollen denn diese Quantenfluktuationen kommen – wenn es “da unten” weder Raum noch Zeit noch sonst irgendetwas gibt? Eine Frage, auf die es niemals eine Antwort geben wird – genau wie auf diese Frage: “Was war vor dem Urknall?” – wo kommt diese ultrawinzige Materieballung her, in welcher das gesamte Universum enthalten ist und aus der es sich entfaltet, Raum und Zeit bildet –
Lassen wir das. Sonst landen wir noch im Irrenhaus, pardon: in der Landesnervenheilanstalt – so heißt das heute euphemistisch. Meint aber dasselbe: An der Welt irre werden – sich verlieren im Yrrinthos der Welt. (Zum “Yrrinthos” an dieser Stelle mehr.)

Continuos creation des Geistes: auch Kreativität genannt

Der Begriff “Quantenfluktuationen” ist wiederum ein sehr gutes Beispiel für das, was ich “GeistQuantenfluktuationen” nenne – ein Gedanke, der um 1899 in Max Planck hochgeblubbert ist, sich erst in Texten und Formeln des Gelehrten manifestierte und irgendwann Bestandteil des modernen naturwissenschaftlichen Denkens wurde. Er ist – obwohl niemand ihn je gesehen und beobachtet hat und dies niemals der Fall sein wird – ein Element der Wirklichkeit geworden.
Und vielleicht wird sogar, wenn andere diesen meinen Begriff aufnehmen und verwenden, die “GeistQuantenfluktuationen” ebenfalls zu einem Element der Wirklichkeit – obwohl dies nichts anderes als eine “GeistQuantenfluktuationen” ist, die heute früh in mir hochgeblubbert ist. Und selbst wenn sonst niemand den Begriff übernimmt – in meiner Wirklichkeit ist er nun da und macht mir anschaulich, was Kreativität ist (und auch Phantasie): Einfälle (die von irgendwo aus einem geheimnisvollen “oben” einfallen) – oder eben von “unten”, ebenso geheimnisvoll hochblubbern, aus den Archiven meines Gedächtnisses oder woher sonst sie entstehen mögen.
Continuos creation – das war in der Kosmologie lange die Beschreibung dessen, was im Kosmos ständig passiert. Einstein glaubte noch an dieses ständige Weiterfließen von Raum, Zeit, Materie und Energie “von irgendwoher”. Bis Hubble mit der Idee des Big Bang, des Urknalls daherkam. Die Kontinuierliche Schöpfung (die ja eigentlich keine war, oder? Wer soll den das “geschaffen haben?) lebt aber paradoxerweise immer noch weiter – eben als Konzept der – genau: der Quantenfluktuationen! Die ja unaufhörlich aus dem Vakuum, dem Nichts entstehen und neue Materie/Energie bilden…

Rätselhafte Welt, diese Physik. In der es allerdings auch andere Paradoxien gibt, wie die “Welle-Korpuskel-Dualität” des Lichts. Mit dem wunderbaren Nebeneffekt, dass Heisenberg mit seinem Unschärfe-Theorem die Psychologie in die Physik hineingeschmuggelt hat: Den Beobachter. Es liegt “im Auge des Betrachters” (so ungefähr hat das Shakespeare dies mal in Bezug auf die Schönheit formuliert), ob das Licht als Welle beobachtet wird – oder als Korpuskel.
Und es liegt “im Wollen des Handelnden”, ob er aus einem Blubber-Gedanken einen Song komponiert, eine Statue aus einem Stein haut, ein Gemälde gestaltet, einen Aphorismus kreïert, vielleicht sogar einen ganzen Roman mit tausend Seiten – oder vielleicht nur ein winziges Haiku.

“I bombed Munich”

Ein anschauliches Beispiel für eine GeistQuantenfluktuation habe ich dieser Tage Anfang Janaur 2021 erlebt, als irgend etwas (keine Ahnung mehr, was das war) eine Erinnerung an ein Erlebnis 1992 in Brig im Kanton Wallis auslöste. Ich habe es hier im Blog beschrieben. Das war natürlich nicht ich, der da bombte – aber vielleicht lesen Sie es hier im Blog nach: “I bombed Munich” .-

Und hier noch ein Haiku (eben in mir hochgebubbelt)

Geist Quan ten fluk tua tion – sechs Silben. Könnte man da vielleicht ein Haiku draus machen? Wie wär´s damit:

Quan ten fluk tua tion
So blub bert der Geist em por
Aus Rät sel tie fen

Zählen Sie es ruhig nach: 5- 7 – 5 Silben. Guten Morgen, allerseits.

Quelle
Windorfer, Gerhard und Lenz, Herbert (und Harald Lesch als Sprecher und Moderator): 10 hoch 26 bis -35: Universum und Quanten. Deutschland 2010 (Komplett Media).

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Autobiographisches Beruf Fiction München Schreiben Schreibseminare Science-Fiction Traum Träume Zukunft

Der metallene Traum

Die ursprüngliche Geschichte mit diesem Titel habe ich 1963 geschrieben. (Es gibt einen Tagebuch-Eintrag: “1963-10-19: ca. 70 Seiten “M.T.” fertig.”) Dieses Manuskript hatte etwa fünf Seiten und erschien erstmals in dem Fan-Magazin Munich Round Up (MRU) der Münchner Ortsgruppe des SFCD*, wo SF-Begeisterte sich regelmäßig zum gemeinsamen Schreiben bei Waldemar Kumming in der Herzogspitalstraße trafen – gewissermaßen meine erste Erfahrung mit einem Schreibseminar. Damals (1959) konnte ich nicht ahnen, dass dies zwei Jahrzehnte später einer meiner drei Brotberufe werden würde: Schreibseminare leiten.

* SFCD = “Science Fiction Club Deutschland. Dort war ich, mit kurzer Unterbrechung, von 1955-1959 ordentliches Mitglied.

Titelbild “Der metallene Traum” (1964, Tuschezeichnung von Willi Johanns)

Ich veröffentlichte diesen Kurzroman 1964 mit eben dem Titel Der metallene Traum in drei Teilen, ebenfalls in MRU. Daraus wurde 1975 mein richtiger gedruckter Roman #3: Der geworfene Stein. “Der metallene Traum” ist darin der zentraler Teil.
Worum geht es dabei?
Der Student Schrödinger lässt sich in einem Zustand großer Verzweiflung auf ein wissenschaftliches Experiment ein, bei dem er in eine Art Kälteschlaf-Koma versetzt wird. Aber es geht etwas schief – und man kann ihn erst 100 Jahre später wieder ins Leben zurückholen. München hat sich sehr verändert, ist zu einer voll kybernetisierten Stadt geworden. Schrödinger tritt in einem Schlüsselkapitel in direkten Kontakt mit dem “Kyberneten”, einer riesigen Rechenmaschine unter dem Englischen Garten, welche die Geschicke der Stadt steuert. Diese (heute würde man sagen: virtuelle) Begegnung nannte ich den “metallenen Traum”.

Der Graphiker Willi Johanns zeichnete zu meiner Erzählung in MRU fünf Tusche-Bilder. Oben davon das Titelbild. Hier eine Schlüsselszene, in der Schrödinger in der Nähe von Starnberg, einer im Jahr 2064 gefährlichen “wilden” Gegend, auf eine Gruppe mongolischer Eindringliche trifft:

Seltsame Begegnung mit Mongolen nahe Starnberg – im Jahr 2064 (Tuschezeichnung: Willi Johanns 1964)

Zu einer anderen bizarren Begegnung kommt es später im Park des Nymphenburger Schlosses mit einem wild gewordenen Roboter:

He Robot im Nymphenburger Schlosspark (Tuschezeichnung: Willi Johanns 1964)

Eine kleine Story macht große Karriere

1971 übernahm Wolfgang Jeschke (Herausgeber-Pseudonym: Herbert W. Maly) die Story in seine Anthologie mit eben diesem Titel Der metallene Traum.
1974 erschien eine Taschenbuchausgabe davon bei Heyne.
1975 mache ich die Story zum zentralen Teil meines Romans Der geworfene Stein.
1977 druckte Ruth J. Kilchemann den Text in einer anderen Anthologie (Schlaue Kisten machen Geschichten) für die Computer-Weltfirma IBM.
1980 übernimmt Thomas LeBlanc die fünf Seiten in seine Anthologie Start zu neuen Welten.

Habe ich den Cyberspace erfunden?

Dies könnte gut die erste CyberSpace-Geschichte gewesen sein – lange ehe William Gibson 1982 diesen Begriff prägte (s. unten Auszug aus der Wikipedia). Aber es gab davor schon andere Phantasien in dieser Richtung:
° Isaac Asimov schrieb eine Story, in der jemand mit technischen Mitteln in die Träume eines anderen Menschen eindringt. Asimov hat so viele Erzählungen publiziert, dass diese kaum ausfindig zu machen ist. Es könnte sich um “”Robot Dreams” aus dem Jahr 1986 handeln – aber in meiner Erinnerung veröffentlichte er schon viel früher etwas in der Richtung (es könnte sich um “Dreamworld” handeln, November 1955 in The Magazine of Fantasy and Science Fiction).
° Roger Zelazny schrieb erst 1965 die Story “Dream Master”, aus der im Jahr darauf der Roman He who shapes entstand, worin jemand in die Träume anderer Menschen eindringt.
Als Film hat diese Idee Christopher Nolan in Inception realisiert – eine furiose Achterbahnfahrt in ein Traum-Labyrinth mit mehreren Etagen. Hier ist das Medium zwar nicht wie bei Gibson das Internet, sondern ein Computer – und ist das Internet denn etwas anderes als ein weltumspannendes Netzwerk von Computern? Die “virtuellen Begegnungen” finden ja nicht in den verbindenden Kabeln statt – sondern in den Mikroprozessoren.
Ersetzt man “Traum eines anderen Menschen” mit “virtuelle Welt im Internet oder Computer” – landet man beim Koncept des Cyberspace.
Meine Geschichte vom “Metallenen Traum” ist – wie schon der Titel andeutet – zwischen diesen beiden Konzepten des “fremden Traums” und der “Internet-Virtualität” angesiedelt. Das Internet gab es 1964 noch nicht, als ich meine Geschichte ersonnen habe – als Arpanet wurde es vom amerikanischen Militär (US Air Force) erst ab 1968 gestartet.

(Wikipedia:) Die erste ernstzunehmende Ausformulierung des Konzepts findet sich bereits 1964 in Stanislaw Lems Summa technologiae, worin das Konzept des Cyberspace unter der Bezeichnung Periphere Phantomatik beschrieben wird. Eine weitere frühe Darstellung findet sich in Oswald Wieners Roman die Verbesserung von Mitteleuropa von 1969, in den Abschnitten notizen zum konzept des bio-adapters und appendix A. der bio-adapter.
In der Kurzgeschichte
True Names and Other Dangers (1987) führte Vernor Vinge die Ideen weiter. Seine Protagonisten wandern in einer virtuellen Welt und interagieren mit virtuellen Gegenständen. Manche haben sich in Gruppen zusammengeschlossen und verstecken sich in abgetrennten Teilen, genannt „Walled Garden“.
Wörtlich ist von Cyberspace erst 1982 in der Kurzgeschichte
“Burning Chrome” des amerikanischen Science-Fiction-Autors William Gibson die Rede, der allgemein zur Cyberpunk-Literatur gezählt wird. Gibson beschreibt den Cyberspace als konsensuelle Halluzination eines von Computern erzeugten grafischen Raums…

Lesefutter
Asimov, Isaac: Dreamworld (in: The Magazine of Fantasy and Science Fiction, November 1955). Deutsch: Dafür plage ich mich? In: Isaac Asimov, Martin H. Greenberg und Joseph D. Olander (Hrsg.): Feuerwerk der SF. Goldmann (Edition ’84: Die positiven Utopien #8), 1984, ISBN 3-442-08408-3. Auch als: Traumwelt. In: Hans Joachim Alpers und Harald Pusch (Hrsg.): Isaac Asimov — der Tausendjahresplaner. Corian (Edition Futurum #2), 1984, ISBN 3-89048-202-3.
ders: “Robot Dreams” (veröffentlichte in einer Anthologie gleichen Titels: Isaac Asimov: Robot Dreams). Deutsch: Roboterträume. In: Friedel Wahren (Hrsg.): Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 30. Folge. Heyne SF&F).
Gibson, William: “Burning Chrome”. In: in Omni (Juli 1982)
Kilchemann, Ruth (Hrsg.) Schlaue Kisten machen Geschichten. Nördlingen 1977 (IBM).
LeBlanc, Thomas (Hrsg.): Start zu neuen Welten. Science-Fiction-Erzählungen aus Deutschland. Freiburg 1980 (Herder Hardcover)
Maly, Herbert W. (d.i. Herbert W. Franke oder Wolfgang Jeschke): Der metallene Traum. München 1971 (Lichtenberg).
Nolan, Christopher (Regie): Inception. Nolan. USA 2010 ( Warner Brothers).
Scheidt, Jürgen vom: “Der metallene Traum”. München 1963 (Munich Round Up – als Manuskript gedruckt).
ders.: “Der metallene Traum” in Maly, Herbert W. (Hrsg:) und in Kilchemann, Ruth (Hrsg.)
Zelazny, Roger: The Dream Master, 1966, dt. Herr der Träume, Pabel, 1976, ohne ISBN (Terra TB 270); und Ein Spiel von Traum und Tod, Bastei-Lübbe, 1986, ISBN 3-404-23052-3 (basiert auf der Erzählung “He who shapes” aus dem Jahr 1965). Vollständige dt. Fassung von “He who shapes”: Der Former. Übers. Hans Maeter. In: Damon Knight Hg.: Computer streiken nicht. SF-Stories. Heyne TB 3360, München 1973 ISBN 3-453-30237-0 S. 61–156. Zuerst engl. in: Nebula Award Stories 1, 1965
Jahr 1965)