Kategorien
Autobiographisches Blogging / Tagebuch Drittes Reich Kindheit Krieg MultiChronie Schreiben Vergangenheit

Frisch in die Welt geworfen

Was man beim Stöbern im Familienarchiv so alles entdeckt: Das folgende Foto zeigt mich mit Mutter und Vater. Was ist daran so Besonderes – dass man es in einem Blog der Welt präsentieren muss?
Solche Fotos gibt es doch von jedem Kind!

J-ein. Aus zweierlei Gründen:
° Dieses Bild wurde kurz nach meiner Geburt am 07. Februar 1940 aufgenommen. Da befand sich Deutschland seit einem halben Jahr (01. September Überfall auf Polen) in einem Krieg, in den bald so ziemlich alle Ländern der übrigen Welt hineingezogen wurden – daher die Bezeichnung Zweiter Weltkrieg (der Erste Weltkrieg war dagegen ein relativ lokaler Konflikt). Da kam nicht jeder Neugeborene in den Genuss eines Fototermins.
° Wäre ich kein Bub gewesen (und damit der “Stammhalter”, wie das im Erbgut-besessenen Dritten Reich und in wohl jeder patriarchalen Gesellschaft hieß), sondern “nur” ein Mädchen, dann hätte mein Vater kaum Heimaturlaub bekommen. Der befand sich nämlich gerade im Auftrag eines Psychopathen namens A. H. und seiner Mörderbande irgendwo im Krieg in Europa.

Diese Karriere meines Vaters als “Angehöriger der deutschen Wehrmacht” habe ich in seinem Nachlass gefunden (s. unten). Zusammen mit den kargen anderen Informationen über seine Zeit vor dem Krieg (Kennenlernen meiner Eltern 1936 in Riezlern) und nach dem Krieg (erste Arbeitsmöglichkeiten irgendwo in Deutschland) kann man auch mit viel Phantasie nur ahnen, in welche Welt ich da hineingeboren wurde – und wie es meiner jungen Mutter zumute gewesen sein mag, deren Mann als Soldat ständig in Lebensgefahr war (und deren Bruder Karl und sogar ihr Vater ja ebenfalls “im Krieg” waren) – und welcher der Krieg durch die zunehmend heftiger Bombardierungen auch von Leipzig immer näher ans eigene Leben rückte und an das ihres ersten Kindes?
Und wie mag sich das wohl auf diesen neugeborenen Säugling ausgewirkt haben?

Friedliche Idylle am 07. Feb 1940 in Leipzig: Vater , Mutter, Kind (von r. n. l..) – man beachte die Uniform (Archiv JvS)

Schon die Uniform, die mein Vater auf diesem so friedlichen Bild trägt, deutet etwas ganz anderes an: Da ist jemand für einige Tage von mörderischem Kampfgetümmel in die Heimat zurückgekehrt. Es lohnt sich, diese gar nicht “heile” Welt aus seiner Sicht, in nüchternem Stenogrammstil anzudeuten: Da marschierte jemand durch halb Europa – ich will gar nicht wissen, was er dabei alles erlebt und erlitten – und anderen an Leid zugefügt hat. Darüber wurde nie gesprochen, von wenigen Andeutungen abgesehen.

(Helmut vom Scheidt) Kurzfassung meines Lebenslaufes seit 1936

Weihnachten u. Sylvester 1936 in Riezlern/Walsertal.
Briefwechsel mit meiner Frau 01.-31.03 v. 02.04.1937-27.06.1938
Hochzeit: 02.07.1938. Hochzeitsreise v. 02.07. – Ende Juli 1938 nach Westerland-Kopenhagen-Bremerhaven. Hier Besichtigung der Dampfer “Bremen” u. “Columbus” (meine Weltreise 1929).
Wohnung in Leipzig-Gohlis, Wangerooger Weg 6a.
August 1938: 14-tägige Einberufung zur Le.Flakabt.73 in Leipzig-Schönau.
Sept./Okt. 1938 = 7 Wochen Sudetenland. (Entlassung: 22.10.1938)
01. September 1939) Beginn des 2. Weltkrieges.
1. Urlaub anl. Jürgens Geburt (07.02.1940).
Frühjahr 1940: Holland – Belgien – Frankreich – Rumänien – Bulgarien – Griechenland* – Kreta** (bis – 1944) –Wien – Berlin – Einsatz in Holland mit der 2. Fallschirmjägerdivision, die neu zus.gestellt, in Oldenburg?
(Abstecher nach Leipzig, Weinbesorgung, über Quedlinburg zurück zum Einsatz in Holland). Gefangenschaft im Ruhrkessel. Mönchengladbach als Dolmetscher bei den Amis mit Josef (Sepp) Wirth.

Rehau Rückkehr im Juli 1945.

* Details, die oben fehlen und von mir (JvS) ergänzt wurden (rot markierter Bereich = Kriegseinsätze):
1940 in Holland ertrank Vater beinahe, als er in einem Bombentrichter sprang, um bei einem Angriff Deckung zu suchen.
1943 etwa in Heraklion/Kreta wurde bei der Explosion eines bombardierten Munitionsschiffes ein etwa drei Meter langes Teil des Schiffsrumpfes über dem Bett meines Vaters in die Wand von dessen Zimmer geschleudert – wo er zum Glück nicht anwesend war.
1944 nachts bei Athen schwerer Anfall: Wegen Verdunkelung keine Beleuchtung des LKW, auf dem Vater u.a. Soldaten saßen – Zusammenstoß mit unbeleuchtetem Güterzug – Vater war einer der wenigen Überlebenden, wurde auf ein Feld geschleudert, zunächst Verdacht auch “gebrochenes Rückgrat” mit Todesrisiko – zum Glück nur starke Prellungen.
** Als Feldwebel Sprachenlehrer Englisch und Französisch für die Kompanie.

Was machen Soldaten, wenn sie nicht Krieg führen? Sie bilden sich weiter: Mein Vater als Lehrer für Französisch und Englisch (Kreta 1942)

Und nun noch ein Stück Kriegsrealität: Mein Vater am Steuerknüppel eines Flugzeugs. Das Bild ist jedoch nur ein “Souvenir” (Selfie, würde man heute sagen). Er war zwar bei den Fallschirmjägern (das waren alle auf Kreta stationierten deutschen Soldaten mehr oder minder, weil die Insel von Fallschirmjägern erobert worden war.) Er war aber kein Pilot. Seine wichtigste Aufgabe bei diesem Heimaturlaubsflug, von dem er später nicht ohne Stolz und Augenzwinkern (ja, “eine Kriegsfahrt, die ist lustig…”) erzählte, war es, einige Kanister mit wertvollem Olivenöl zu schmuggeln (was streng verboten war).
Davon diente ein Kanister der Bestechung des Bodenpersonals in Heraklion, einen bekam sicher die Besatzung des Flugzeugs und einen weiteren das Bodenpersonal am Leipziger Flughafen oder wo auch immer die Maschine in Deutschland niederging. Ein oder zwei Kanister gelangten schließlich bis nach Rehau, wo die dort in der Bahnhofstraße 15 wohnenden Familien sich über diese Mangelware sehr gefreut haben werden.

Selfie aus dem Jahr 1943: Gut, wenn man einige Kanister Olivenöl dabei hat. (Archiv JvS)

Mein Vater und das Schreiben

Ich werde das andernorts näher ausführen. Jedenfalls hat mein Vater mir nicht nur die ersten englischen Vokabeln beigebracht (1947 auf Sylt), sondern mich auch 1954 zum Führen eines Tagebuchs angeregt. Er selbst schrieb Tagebuch – das ging aber während des Kriegs verloren; viele Briefe aus dieser Zeit sind jedoch erhalten. Die Tagebücher seines Großvaters (ab 1886) Ferdinand Naumann schätzte er sehr – er vererbte sie an mich.
Meine Vater ist also u.a. auch Initiator meines Schreibens, wenn man so will (was nicht ganz so konfliktfrei verlief, wie es hier steht.)

MultiChronie
1936-1939 (Vorkriegszeit) 1940-1945 (Krieg) – 1946 (Nachkriegszeit)
1992 etwa: Vater Helmut vom Scheidt* notiert seine Lebensdaten.
2021 – erinnernde Gegenwart: ich recherchiere und schreibe diesen Blog-Eintrag.

* 01.03.1907 in Hagen, gest. 27.01.1995 in Marthashofen bei Fürstenfeldbruck im Pflegeheim – 88 Jahre

Kategorien
3 (drei) Autobiographisches Drehbuch Film MultiChronie Musik Science-Fiction Vergangenheit Zeichnen

MultiChronie oder Mehrzeitlichkeit

MultiChronie – das ist mein* neuer Begriff (lateinisch schlau: Neologismus) für ein Phänomen, das jeder Mensch kennt – und selten jemand sich in seiner großen Bedeutung für das menschliche Leben bewusst macht: Dass wir eigentlich immer in – mindestens – zwei Zeitebenen leben und handeln. Beispiel:

Ich habe eben mit jemandem telefoniert und schreibe mir nach Beendigung des Gesprächs kurz den Inhalt auf, um ihn nicht zu vergessen. Die beiden Zeitebenen hierbei:
° In der Gegenwart (Beispiel: Jetzt um 19:07 Uhr) notiere ich mir den Inhalt des Telefonats
° das ich fünf Minuten zuvor geführt habe (von 18:55 bis 19:02 Uhr).

* Wenn man den Begriff “MultiChronie” googelt, findet man magere zehn Einträge – das ist sehr selten. Aber immerhin, der Begriff existiert im Internet. Es ist damit jedoch etwas anderes gemeint als wie ich den Terminus verstehe. Und es fehlt das – für mich – charakteristische Binnenversalie – das große “C”, gewissermaßen mein Markenzeichen (oder meine Marotte, wie man auch sagen könnte).

Auch dieser Begriff hat bei mir eine – gewissermaßen multichrone – Geschichte: Ursprünglich (erstmals 1992) nannte ich das Phänomen der Gleichzeitigkeit, das mir irgendwann einmal aufgefallen war, MultiChronie (die Binnenversalie war von Anfang an dabei, um auf das doch etwas Exotische des Begriffs hinzuweisen). Irgendwann merkte ich dann, dass das sprachlich nicht korrekt ist: “multi” ist ein lateinischer Begriff – “chronos” ein griechischer. Also ersetzte ich brav das “multi” durch ein mir korrekter erscheinendes griechisches “poly” (was ja ebenfalls “viel” heißt).
Doch als ich heute diesen Beitrag schrieb, kehrte ich reumütig zum “MultiChronie” zurück. Den dreifachen Grund dafür erläutere ich unten, am Schluss dieses Beitrags.


Am Anfang war Musik?

Und so könnte man graphisch sichtbar machen, was gemeint ist: Mehrere, manchmal sogar viele Schickten (von Zeitlichkeit) übereinander – und beim Betrachten “von außen”, gewissermaßen, gleichzeitig präsent. Es passt, dass ich diese Zeichnung ursprünglich “Am Anfang war Musik” betitelt habe. Denn ist nicht Musik von eben solcher “Vielschichtigkeit in der Gleichzeitigkeit” gekennzeichnet: Mehrere Instrumente spielen zur selben Zeit, zum Beispiel bei einer Jazz-Jamsession wie “Olé” des John Coltrane Quartetts, oder in einem Symphonieorchester bei der Aufführung von “Mahlers Siebter”. In der indischen Musik dominiert zwar die Sitar oder die Sheenai – aber der sich steigernde Rhythmus der Tablas und der stetig raunende basso continuo der Tamboura sind wichtige weitere “Stimmen”. (Die einsamen einzelnen Stimme irgendwo,. die ein Lied trällert, ist etwas ganz anderes.)

Vielleicht sieht es in den “neuronalen Netzen” des Gehirns ähnlich aus? wer weiß.)

MultiChronie der Zeitschichten (JvS 12. Sep 1967: Wachsmalkreiden und Tusche: “Am Anfang war Musik”)

(Schöner Zufall, dass ich diese Zeichnung vor nunmehr 53 Jahren hingekritzelt habe, einfach so aus Lust am Malen, ohne mir viel dabei zu denken – zum Beispiel, dass mein ZukunftsSelbst sie am 21. Januar 2021 gut zur Illustration des Themas MultiChronie verwenden würde.)

Es sind auch drei und mehr Ebenen gleichzeitig möglich

Füge ich zu obigem Beispiel noch hinzu, dass ich mich beim Notieren des Telefonats daran erinnere, dass ich mit meiner Gesprächspartnerin vor einigen Jahren ein sehr schönes Erlebnis bei einem gemeinsamen Abendessen hatte – kommt bereits eine dritte Ebene ins Spiel.
Das kann man noch toppen durch eine weitere Ergänzung: Ich notiere mir, dass ich diese Frau gleich noch einmal anrufen sollte, um sie ins Theater einzuladen. Vor meinem geistigen Auge male ich mir sogar aus, wie dieser Abend verlaufen könnte – in der Zukunft.
Damit sind wir schon bei Zeitschicht fünf. In einem Roman mit vielen Rück- und Vorblenden kann dies dann leicht so ähnlich aussehen wie oben in der Graphik.

Beim Lesen eines Romans – oder beim Mitfiebern in einem spannenden Film – wechseln wir immer wieder die Zeitebene – durch Rückblenden, parallele Erzählstränge, Vorblenden (die das Ergebnis eines Vorgangs ausmalen). Ich vermute sogar, dass eine solche Vielzeitigkeit und entsprechende Vielschichtigkeit die gute Qualität eines literarischen Kunstwerks ausmacht. In der Musik ist dies scheinbar nicht möglich, weil ja Melodie und Rhythmus vorantreiben – aber bringt nicht jede Wiederholung eines Themas, eines Refrains, eine vorangehende Zeitebene ins Spiel – steht nicht Mehrstimmigkeit eines Orchesterstücks auch für “verschiedene Zeitebenen”, vor allem wenn verschiedene Tempi andere Akzente setzten?

Markenkern der Science-Fiction – und dieses Blogs

Solche Mehrzeitlichkeit ist gewissermaßen der “Markenkern” der Science-Fiction: Jemand schreibt
° in der Gegenwart
° über Ereignisse der Zukunft
° die vielleicht mit Überlegungen über die Auswirklungen künftiger Ereignisse (Krieg? Klimawandel) auf noch spätere Generationen und somit Jahre) verknüpft werden.

Stanley Kubricks Verfilmung von Arthur C. Clarkes Roman ist ein weiteres anschauliches Beispiel: Clarke hat diesen Roman
° irgendwann in den 1940er Jahren als Idee phantasiert,
° 1948 die (später in den Roman integrierte) Kurzgeschichte über den Monolithen veröffentlicht (The Sentinel),
° 1950 eine weitere Story “Begegnung im Morgengrauen” konzipiert plus einige weitere Kurzgeschichten, die er
1965? zu einem Roman zusammenfügte. Nach diesem konzipierte Kubrick zusammen mit CClarke Mitte der 60er Jahre das Drehbuch für den
° am 02. April 1968 erwtmals gezeigten Film.
° Diesen sah ich wohl gleich am ersten Tag (Ehrensache für einen SF-Freund!) in der deutschen Version, also dem 11. September 1968 im Arri-Kino in München.
° Dieser Tage (Januar 2021) habe ich mir die restaurierte Fassung auf Blu-ray gekauft und angeschaut. Und fand den Film wie damals ziemlich langfädig – aber doch auch irgendwie faszinierend wegen seines “vast scope“, also der gewaltigen Spannweite seiner Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit – und eben auch wegen der im Film in eindrucksvollen Szenen aneinandergereihten MultiChronie:
° Das beginnt in der Urzeit der Menschheit, in drei weit aus einander liegenden Etappen,
° springt in der berühmten Szene in die Zukunft das Jahres, das den Film seinen Titel gab: (2001): als ein hochgeworfener Knochen aus der Urzeit zu einem im Erdorbit anfliegenden Space Shuttle wird, das die Raumstation ansteuert.
° Kurz darauf landet der Protagonist Dr. Heywood Floyd auf dem Mond, wo man im Krater Clavius einen weiteren schwarzen Monolithen gefunden hat.
° Nächste Zeitschicht ist der Flug von Captain Bowman und seines Begleiters (der ein Opfer des “verrückt” werdenden Computers HAL wird) zum Jupiter – wo man einen dritten Monolithen entdeckt, welcher
° einen weiteren Sprung noch später “Beyond the Infinite” auf einer total fremden Welt initiiert – in einer spektakulären Reise (und Kamerafahrt) durch die psychedelischen Farbspektren eines Wurmlochs oder was immer das ist.
° Aber die Schlussszene machte eine gigantische zeitliche Volte rückwärts: Bowman mutiert zum alten Mann – der gleichzeig (multichron also) sich selbst (?) als neugeborenen Säugling erblickt.

Erst als ich diesen Beitrag formulierte, wurde mir klar: Genau das, diese MultiChronie, ist so etwas wie ein Charakteristikum das Blog. Es geht mir eigentlich immer darum, eigenes Erleben (Autobiographie) mit aktuellen Geschehnissen in einen weiter gefassten Zusammenhang zu bringen – nicht selten ausgelöst durch einen tagesaktuellen Artikel in der Zeitung oder eine Doko im Fernsehen – oder durch das Betrschten einer Blu-ray wie Das siebente Siegel, das mich mit der Pest des Mittelalters ebenso in Kontakt bringt wie mit der Seuche, die Albert Camus in Oran in seinem Roman Die Pest beschreibt – oder natürlich mit der aktuell wütenden Corona-Pandemie.


Autobiographisches

Eigenes Erleben (sicher von meiner langen Beschäftigung mit SF geprägt):
Obwohl ich mich heute schon mitten im Jahr 2021 befinde, “fühlt” sich diese Gegenwart manchmal so seltsam an, als befinde sie sich weit weit vor mir in der Zukunft – irgendwie aus der Perspektive des Jugendlichen von 1957, der gerade in der Arbeit an seinem ersten utopischen Roman steckt, der in wirklich ferner Zukunft spielt: im Jahr 7.812.
Es gibt in diesem utopischen Abenteuer jedoch auch eine Rückblende, in der Ereignisse viele tausend Jahre zuvor berichtet werden: Der Untergang von Atlantis (vor angeblich 12.000 Jahren).

Damals, 1957, war jedenfalls das “Jahr 2000” ein weit entfernter Zeitpunkt, der meine Phantasie sehr beschäftigt hat. Noch weiter darüber hinaus zu denken, zum Beispiel an ein Jahr mit den Ziffern 2021, war nicht vorstellbar. Dann schon wirklich weit weg ins Phantastische (und damit zugleich völlig Unverbindliche) – eben ins Jahr “7812”.

Anderes Beispiel: NN beschreibt das Zimmer, in dem er sich aktuell befindet – als plötzlich vor seinem geistigen Auge sein früheres Zimmer auftaucht, in dem er vor 30 Jahren als Student gewohnt hat.


Schreiben ist eigentlich immer multichron

Eigentlich schreiben wir immer multichron, also auf zwei Ebenen mindestens. Denn schreiben heißt immer: Sich schreibend erinnern. Unser Gedächtnis-Archiv ist vielfach gestaffelt in Zeitschichten angeordnet. Diese sind jedoch keineswegs in irgendwelchen Schubladen für sich aufbewahrt – sondern dynamisch miteinander vernetzt. Diese Vernetzung wird erzeugt durch bestimmte (gute oder schlechte) Gefühle oder durch eine bestimmte Atmosphäre (fröhlich hell, bedrohlich düster usw.). Das ist übrigens auch der Schlüssel, wie man bestimmte “vergessene” Erinnerungen wieder zugänglich machen kann.


Drei Gründe für meine reumütige Rückkehr zum Begriff “MultiChronie'”

(21. Jan 2021) Ich nenne das jetzt doch wieder MultiChronie, und zwar aus drei Gründen:

1. Weil sich mir jedes Mal das “MultiChronie” aufdrängt, wenn ich zu diesem Begriff etwas schreiben oder recherchieren will. Das ist wohl durch vielfache Verwendung tief in mir eingebrannt.

2. Mit dem – sprachlich eigentlich “falschen” – Zusammenfügen eines Begriffsteils aus dem Lateinischen (multi) und dem Griechischen (chronos → Chronie) charakterisiere ich schon im Begriff die Paradoxie, dass da Elemente aus zwei verschiedenen und zeitlich weit auseinanderliegenden Kulturen (Zivilisationen) künstlich zusammengefügt werden – also auch zwei Zeitebenen. Die griechische Welt war zuerst da und hat die römische sehr beeinflusst, wurde dann aber von dem immer mächtiger werdenden Römischen Reich abgelöst.

3. Es erinnert mich wahrscheinlich vor allem an den Multitron – den von mir so phantasierten und benannten Energiespeicher in meinem Roman Sternvogel:

War es Absicht – oder war es eine ungewollte Handlung? Später wusste Dayen es nicht mehr zu sagen. Mit fünf raschen unüberlegten Griffen stellte er die Schaltung für ein neues Sprungfeld zusammen. Für eine unbekannte Greggnor-Schleuse, deren eines Portal noch im irdischen Erfahrungsbereich lag, durch deren zweites Portal jedoch noch nie ein Schiff ausgetreten war. Das Steuergehirn fand in seinen Gedächtnisbänken keinerlei äquivalenten Wert („Sind die Werte richtig, Pilot?“) und verwendete deshalb die angegebenen Zahlen, ohne sie durch irgendwelche zeitliche oder räumliche Koeffizienten zu verändern. Sofort baute es mit Unterstützung der Speicher und des Multitrons die erforderliche Energiesphäre auf.

Und noch etwas: Es zeigt sich inzwischen, dass die “MultiChronie” so etwas wie ein dritter “Faden” meines Blogs (und somit meines Denkens) wird: Nach dem “Roten Faden = Schreiben” und dem “Blauen Faden = Science-Fiction” nun also der gelbe Faden = “MultiChronie der Geschehnisse”.
Das drängt sich schon deshalb auf, weil MultiChronie wohl DAS Charakteristikum der Science-Fiction ist (also meines Blauen Fadens)!

Quellen
Clarke, Arthur C.: 2001 – A Space Odyssee. (London 1968 – nach Kurzgeschichten von 1948, 1950 etc.).
Kubrick, Stanley (Regie) 2001 – Odyssee im Weltraum (nach dem Roman und unter Mitarbeit am Drehbuch von Arthur C. Clarke). Great Britain 1968. Auf Blu-ray in der von Christopher Nolan restaurierten Neufassung von 2020.
Scheidt, Jürgen vom: Sternvogel. Minden 1962 (Bewin).

Nur so nebenbei und ganz am Schluss: So ein Quellennachweis ist doch auch ganz schön multichron: Er reicht in diesem Fall von 1948 (Clarkes erste Story) bis 2020 (Nolans Restaurierung des Kubrick-Films von 1968).

(Aktualisiert: 21. Jan 2021/23:00 Uhr / Posted: 15. Jan 2021)

Kategorien
50-Jahres-Schritte CoronaPandemie Film Klimawandel Krieg Science-Fiction Vergangenheit Zeitstrahl Zukunft

Besser – oder schlechter?

Viele Menschen der Gegenwart halten es dort nicht aus. Sie sehnen sich
° nach einer Zukunft, in der alles besser sein wird – oder fürchten sich vor kommenden Zeiten, in den alles nur “noch schlimmer” sein wird als heute (nicht nur Leser von Science-Fiction mit ihren positiven Utopien oder negativen Dystopien),
° oder sie wollen in einer ersehnten Vergangenheit leben, in der alles besser war.

Woody Allen hat das wunderbar durchgespielt in seinem Film Midnight in Paris. Da sehnt sich der junge amerikanische Drehbuchautor Gil Pender (der viel lieber Romane schreiben würde) nach den “Roaring Twenties” in Paris – wird auf zauberhafte Weise dorthin versetzt, trifft die von ihm verehrten Autorenvorbilder Ernest Hemingway, Zelda und Scott Fitzgerald, Cole Porter (der gerade seinen Song “Lets Fall in Love” vorstellt), die betörende Tänzerin Mistinguette mit ihrem Bananenschurztanz, die aufstrebenden Maler Pablo Picasso und Salvador Dali – und eine junge Frau (Geliebte von Picasso und Modigliani). Diese Frau verzehrt sich aber in Sehnsucht nach der weiter zurückliegenden Belle Epoque. Als Gil Pender mit ihr in einem weiteren Fantasy-Sprung zurück in eben diese Belle Epoque gerät – treffen sie dort im Moulin Rouge natürlich den Maler Toulouse-Lautrec und Paul Gaugin (der sich wiederum noch weiter zurückwünscht, in die Renaissance mit ihren Vorbildern Tizian und Rembrandt).

Gil Pender schlendert durch das Paris der Gegenwart – und sehnt sich nach den Roaring Twenties (Film – Woody Allen, Midnight in Paris)

Die “bessere” Vergangenheit gibt es nicht

Beides ist Unsinn. Die Vergangenheit war in keiner Hinsicht jemals besser als die heutige Zeit. Man gehe nur einmal mit Zahnschmerzen zum Zahnarzt um die Jahrhundertwende – ohne Turbinenbohrer und Schmerzspritze (ein Abkömmling des Novocain, das wiederum erstmals 1886 als pures Kokain von Sigmund Freud am Auge angewandt wurde – die Geburtsstunde der “lokalen Betäubung).
Und die Zukunft wird wohl niemals das “Paradies” sein, das die heute Unzufriedenen entweder in eine verklärte Vergangenheit projizieren (Belle Epoque, Goldenes Zeitalter, Atlantis) oder nach vorne in einer oft recht kitschige Idylle. Letzteres könnte aber eher eine digital überwachte Variante à la 1984 (von George Orwell) werden – Version Großer Bruder Chinas Kommunistische Partei – oder Version Datenabsauger Facebook und Amazon. Oder auch völlig anders.

In einer Hängemappe, die ich vor vielen Jahren angelegt habe, sammle ich unter dem Titel “Was wurde besser – was wurde schlechter” Beispiel für beide Varianten. Und davon gibt es viele. Wohl nur wenige Menschen haben genügend umfangreiche Vergleichsmaßstäbe –
° weil sie zu jung sind und deshalb nur wenige Jahre persönlich kennen (und das noch dazu in recht engen lokalen Gegebenheiten, auch wenn man im Urlaub schon in aller möglichen Herren Länder war)
° oder schlicht zu ungebildet.

Eine recht heilsame Übung ist es, bestimmte Lebensbereiche aus einer übergeordenten Perspektive quasi “von oben” oder “von außen” zu betrachten und dabei in “50-Jahre-Schritte” der Entwicklung einzuteilen., Zum Beispiel:

° Wie sah die Medizin der Seuchenbekämpfung vor 50 – vor 100 – vor 150 Jahren aus (davor verschwimmt schon alles konturenlos, weil es zu wenige Aufzeichnungen gibt oder man selbst zu wenig weiß.) Und wie ist das damit verglichen heute in Zeiten einer grimmigen Pandemie?

° Wie war das Wetter (in Europa – Deutschland – Bayern – München) vor 50 – 100 – 150 Jahren (davor gibt es kaum verlässliche Aufzeichnungen). Weihnachten 2020 gab es in München an Weihnachten keinen Schnee. 1970 mit ziemlich Sicherheit schon. Und 1920? Ganz sicher.

° Und was war mit der Justiz? Wird heute noch gefoltert – und wo? Wie war das vor 50 Jahren – vor 100 Jahren – im Mittelalter? Wie sind die Gefängnisse in Deutschland, in Frankreich, in den USA – und für wen?

° Wie hoch ist der Anteil der Bevölkerung an Bewohnern von Großstädten – Kleinstädten – Dörfern (“auf dem Land”) – heute – vor 50 – vor 100 – vor 500 Jahren?

Ein geschulter und kritischer Blick zurück offenbart ganz andere Zustände

So manchen “Zahn” zieht einem die Lektüre zweiter Bücher, die sich die Vergangenheit und deren Veränderungen zur Gegenwart genauer anschauen: Hans Rosling in seiner bahnbrechenden (wenngleich auch heftig umstrittenen) Vergleichsstudie Factfulness. Und Giudo Mingels (mit einem Team des Spiegel-Magazins) in den drei Bänden von Früher war alles schlechter – einer Serie mit rund 150 Beispielen aus allen Lebensbereichen, welche sehr drastisch die Veränderung der Zeitläufte aufblättern, mit eindrucksvollen Verlaufsgrafiken – so etwas wie ein praktische Anwendung von Roslings aufklärendem Rundumumschlag sind.

Die provozierende Spiegel-Serie “Früher war alles schlechter” (dva – Stuttgart 1917)

Aber: Sicher ist vieles besser geworden. Aber ebenso sicher nicht alles: Die Atzomkriegsgefahr der 1950er Jahre besteht nach wie vor – Hiroshima und Nagasaki könnten nur schreckliche Vorboten einer noch viel entsetzlicheren Zukunft ein, in deren Varianten die SF geradezu gebadet hat. Die Klimaveränderung ist inzwischen eine Tatsache, die wirklich nur total unwissende Ignoranten leugnen können. Aber vielleicht gelingt der Turnaround? So etwas wie die AfD und andere rechtspopulistische bis rechtextreme Strömungen hat noch vor zehn Jahren kaum jemand auf dem Radar gehabt.
Den geradezu halsbrecherischen Sprung in die Digitalisierung und so viele andere Veränderungen in allen (!) Lebensbereichen hat noch vor genau einem Jahr, also vor Corona – niemand auch nur im Traum geahnt.
Was wird daraus in 50, 100, 150 Jahren geworden sein? Wie sah das 1970 aus? Oder 1920? (Digitalisierung? Globalisierung? Klimawandel? Umweltverschmutzung? – was könnte das sein?)

Quellen
Allen, Woody (Regie): Midnight in Paris. USA 2010.
Mingels, Guido: Früher war alles schlechter. München 2017 (DVA & Spiegel-Buchverlag). Band 1.
Rosling, Hans et al: Factfulness. Berlin 2018 (Ullstein).

Kategorien
Krieg Labyrinthiade Zeitstrahl

1943: Der Tod rückt näher

Vermutlich in Rehau wurde das folgende Foto gemacht: Da trommle ich vor einem Haus, das allerdings anders aussieht als der Eingang zur Bahnhofstraße 15, wo wir in Rehau wohnten, im Haus meines Großvaters Karl Hertel sen. (erbaut von dessen Schwiegervater Eduard Kropf, meinem Urgroßvater auf der mütterlichen Linie).

Abb.: Jürgen vom Scheidt – etwa dreijährig (Foto: vermutlich die Mutter – Marie vom Scheidt – 1943)

Warum ich dieses idyllische Bild hier präsentiere? Weil es die schein-friedliche Oberfläche von etwas völlig anderem darstellen. 1942 war der Zweite Weltkrieg in vollem Gange, angezettelt von Diktator Adolf Hitler und seinen nationalsozialistischen Mörderbanden. Ich bin in Rehau aufgewachsen in einem Haus, in dem sieben Frauen lebten und das Leben am Laufen hielten: Im Ersten Stockwerk meine Mutter Marie, deren Schwester Elisabeth, beider gemeinsame Mutter Betty Hertel (geb. Kropf). Im zweiten Stock die Frau Annemie von Onkel Karl (dem Bruder meiner Mutter und von Tante Lis) und Annemies Mutter, die “Omi Unglaub”. Unten im Hauseingang hatte das Dienstmädchen Else ihr Zimmer und ab und zu kam ein Kindermädchen (?), das mich spazieren fuhr. Und dann lebte im Erdgeschoss. neben dem Architekturbüro des Großvaters, noch die Frau Funke, ähnlich alt wie Großmutter. Ich liebte sie sehr und wollte immer bei ihr sein, rief “Unke, Unke”, wenn ich zu ihr wollte – einmal zu schnell, denn ich stolperte und stürzte kopfüber die Treppe aus hellgrauem Granit hinunter – hat meinem biegsamen Kinderkörper und meinem Kopf aber wohl nichts geschadet. Ich habe also schon sehr früh das “Fallen” gelernt und konnte da als Student dann im Judotraining bei den Fallübungen von Judoka Aigner gut anknüpfen – was mir noch später bei diversen Stürzen mit dem Fahrrad sehr geholfen hat – zuletzt vor zwei Monaten, da war ich schon achtzig – aber das Fallen kann ich offenbar immer noch recht geschickt…

Und wo waren all die Männer? Natürlich waren sie “im Krieg” zu jener Zeit – oder sollte ich besser schreiben: “unnatürlich”? Mein Vater, Onkel Karl und sogar mein Großvater (der schon im Ersten Weltkrieg in der größten Scheiße gekämpft hatte: in Douaumont bei Verdun) waren irgendwo dort draußen “an der Front”. Mein Vater kämpfte damals vermutlich in Holland, Onkel Karl und Großvater in der Ukraine.
WAS HATTEN DIESE DEUTSCHEN SOLDATEN DORT ZU SUCHEN?

Mein Großvater, Jahrgang 1880, meldete sich als aktiver Offizier im Majorsrang 1941/42 freiwillig erneut zum “Dienst an der Waffe”. Er mochte diesen “Anstreicher” nicht, diesen Gefreiten Adolf Hitler (im Gegensatz zu meinem Vater, der als junger Mann ein “glühender Nazi” gewesen ist). Aber er war loyaler Bürger. Und er war

° zum einen lieber Soldat als Architekt und er war als Offizier der Reserve und als Mitglied des deutschnationalen Stahlhelm ein echter Untertan, der tat, was man ihm befahl;

° und zum anderen ertrug er nicht das schreckliche Sterben seiner todkranken Frau Betty, die an Magen, Brust- und Kehlkopfkrebs litt .

Dann schon lieber das Sterben an der russisch-ukrainischen Front (wie mir Tante Lis Jahrzehnte später einmal als den wahren, tieferen Grund seiner Teilnahme an diesem zweiten Weltkrieg plausibel machte).

Seltsam: Der Großvater läuft vor dem Sterben seiner Frau davon – der Enkel (ich) muss das miterleben. Ich habe an Sterben und Tod meiner Großmutter keinerlei Erinnerungen. Sie starb Ende 1942 qualvoll, weil es kaum schmerzlindernde Medikamente gab (es war ja Krieg mit Mangelwirtschaft), gepflegt von ihren Töchtern. In ihrem Schlafzimmer in der selben Wohnung, wo ich im Zimmer nebenan spielte.
An Sylvester 1942 starb noch jemand in diesem Haus: mein Cousin Heinz Hertel, mein bester Freund “Heinzele”. Er starb, weil die Frauen irgendwoher echten Bohnenkaffee aufgetrieben hatten und den zum Jahreswechsel unbedingt trinken wollten. Heinzele wollte auch “Kaffee” und bekam ihn. Eine rätselhafte Reaktion seines Blutes reagierte tödlich auf das Coffein – er starb in den nächsten Tagen.

Ja, der Tod war sehr präsent im Haus Bahnhofstraße 15 in Rehau in meinem zweiten Lebensjahr. Indirekt war er zudem sicher ständig gegenwärtig in der Sorge und den Ängsten der Frauen um ihre Männer draußen irgendwo in Europa im Krieg.

Habe ich die Bombenangriffe in Leipzig miterlebt? Wenn später, in den 50er Jahren, am Mittwoch um 12:00 Probealarm war, fuhr mir das immer durch und durch. Ich habe den Fliegeralarm während des Krieges sicher auch in Rehau immer wieder mit erlebt. Dort wurde nie bombardiert – aber die Bomberschwärme der Alliierten flogen hoch oben am Himmel über den Ort – Richtung Berlin, Dresden. Leipzig – oder nach München.

Rehau war den ganzen Krieg über eine Idylle. Wäre nicht im Mai 1945 noch im letzten Augenblick von einem amerikanischen Panzer die Roth´sche Holzwollfabrik am Hofer Berg in Brand geschossen worden – Rehau hätte keinen einzigen Kratzer in diesem Krieg abbekommen.

Aber in meinen Träumen jener Kriegstage in Rehau muss ich mitten drin gewesen sein. Meine Mutter ging gerne ins Kino, in “Lichtspieltheater” vom Otto Strobel. Doch einmal musste man sie mitten aus der Vorstellung nachhause holen, weil ich vom Kindermädchen nicht zu beruhigen war und nicht aufzuwecken aus einem Albtraum, in dem ich von brennenden Häusern und von den “Fiechern” phantasierte – meinem Kinderwort für die Flieger, die ihre schreckliche Fracht oben am Nachthimmel transportierten.

Weil ich gerade beim Thema “Krieg” bin: Der Trommler, als der ich oben posiere, hatte ein lautstarkes Vorbild: Die Begleitmusik, die den Hitlerjungen vorwegmarschierte, wenn sie “mit klingendem Spiel” durch Rehau zogen – wie überall in Deutschland. Hitler brauchte ständig Nachschub an Soldaten, die millionenfach für ihn “im Kampf fielen” (wie man das damals schönfärberisch nannte) – die Hitlerjugend war genau das, angeleitet vom Hilfs-Verführer Baldur von Schirach.
(Günther Grass hat mit seinem Roman Die Blechtrommel diesem Instrument und seiner Bedeutung in der Nazizeit 1959 ein buchstäblich lautstarkes Denkmal gesetzt.)
Einmal zog so ein Fähnlein vor unserem Haus in der Bahnhofstraße vorbei. Ich nicht faul, rannte hinunter auf die Straße und schloss mich dem Zug an. Man ließ mich auch mitmarschieren (wahrscheinlich amüsiert über diesen frühreifen Jungdeutschen). Bis zum “Lichtspieltheater”, dem Rehauer Kino. Die Pimpfe marschierten hinein. Und mir schlug man brüsk die Tür vor der Nase zu – das war noch nichts für einen Dreikäsehoch.
Ob ich deshalb später so ein Kinonarr wurde – weil man mich damals von diesem Vergnügen ausgeschlossen hat? Aber näherliegend ist, dass ich diese Leidenschaft von meiner Mutter übernommen habe. Und mein Sohn Maurus wurde vielleicht deshalb Filmregisseur, weil er dass von mir übernommen hat? Wer weiß. Die Wege der “familiären Delegation”* sind manchmal wundersam.
* Zur “familiären Delegation” ein andermal mehr.