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Labyrinthiade Science-Fiction Zufall

Bizarre Zufälle – selbst erlebt

In der Neuausgabe meines Romans Männer gegen Raum und Zeit habe ich mir 2015 im Nachwort Gedanken über selbst erlebte Zufälle gemacht. Ich zitiere das hier, samt dem Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung. Ein kleiner Seitenblick auf ein Thema, das mich immer schon fasziniert hat und dessen Beispiele ich sammle wie ein Philatelist seine Briefmarken.

Eigentlich gehören die (sinnvoll erlebten) Zufälle ins Kapitel Religion. Denn sind es nicht letztlich solche wundersamen Ereignisse, die einen zum Grübeln über eine (göttliche) Kraft und Vorsehung bringen und zu Überzeugungen, wonach es „dort oben“ jemanden geben muss, der mein Schicksal lenkt – weil man dieses nicht erklären, sondern nur verblüfft zur Kenntnis nehmen kann?

Mein Innerer Skeptiker meint diesbezüglich allerdings, dass der Göttliche Schachspieler da viel zu tun hätte angesichts von mehr als sieben Milliarden Menschen – und zugleich immer mehrere (wie viele?) Züge vorausdenkend, damit am Schluss bei dieser Schachpartie des Lebens alles einen Sinn ergibt?
So ein Gott müsste ja nicht nur den Überblick über den Verlauf jedes einzelnen Lebens haben, sondern auch über dessen Nachwirkungen in den kommenden Jahrmilliarden bis zum Ende des Universums –

Schwer vorstellbar.

Wenn der Schachspieler allerdings nicht alle Partien spielt, sondern nur solche, die einige ausgewählte Leben betreffen, und alle anderen Partien einfach so zufällig sinnlos ablaufen?

Tja, da kommt man dann rasch ins Grübeln, was die Gerechtigkeit eines solchen Verfahrens angeht. Doch nun zu meinen Zufällen. Eine winzige Auswahl, in Zusammenhang mit Männer gegen Raum und Zeit.

„Man schreibt das Jahr 7218“

Mein Roman spielt weitgehend im Jahr 7218. Meine Firmenstammnummer beim Computerservice, der seit 40 Jahren meine Buchführung erfasst, war 8712. Und eben habe ich in meiner Bücherdatenbank die aktuelle Lektüre von Welt in Angst (State of Fear) von Michael Crichton eingetragen und dabei entdeckt, dass das andere Buch von Crichton, das ich besitze (Prey) – die Nummer 1782 trägt – auch dies ein zufälliger Zahlendreher von 7218. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten mag.

Am Anfang und am Ende der Heßstraße

Als ich den Roman 1957 schrieb, wohnte ich in München in der „Heßstraße Nr. 6“. Als ich das Nachwort verfasste (worin diese Gedanken zum Zufall stehen), wohnte ich – nach vielen anderen Wohnungen in der bayerischen Landeshauptstadt – am anderen Ende der Heßstraße, gleich um die Ecke von der „Nr. 100“.
Ein Kreis hat sich geschlossen. Zufall jedenfalls – denn die neue Wohnung habe ich ja nicht bewusst gesucht und gefunden. sie wurde – wirklich zufällig – frei und mir zugänglich, weil mein zweiter Sohn Maurus seine nicht mehr benötigte

„Raumschiff durch ein Labyrinth manövrieren“

Ich war mitten in der Redaktion der Neuausgabe meines Romans, als ich in einem Sachbuch über Gehirnforschung und verwandte Themen (Birbaumer 2014), das ich während eines Seminars in Österreich in meiner Freizeit in einem Rutsch durchlas, dieses Zitat entdeckte:

Wie schon bei der Behandlung hyperaktiver Kinder kann man das Neurofeedback zudem grafisch in Form eines Spiels gestalten, bei dem der Patient mit Hilfe seiner Hirnaktivitäten beispielsweise versuchen muss, ein Auto oder ein Raumschiff durch ein Labyrinth zu manövrieren. Auf diese Weise wird Neurofeedback nicht als Therapie, sondern wie ein Computerspiel erlebt. (S. 234, Hervorhebung durch mich, JvS)

Ob Birbaumer meinen Roman kannte? Wohl eher nicht. Reiner Zufall. Reiner Zufall auch, dass ich dies las, während (s. oben).

Eine naturwissenschaftliche Erklärung für Zufälle

Es gibt noch weit wichtigere Große Koinzidenzen (wie ich sie nenne): Zum Beispiel, dass der Erdenmond gerade so groß und so weit entfernt ist, dass er die Erdachse stabilisiert und für Jahreszeiten und Meeres-Tiden sorgt. Sonst gäbe es Windgeschwindigkeiten bis zu 400 Stundenkilometer und noch manches menschenfeindliche Ungemach mehr. Oder dass der Jupiter die Kometen einfängt, die sonst auf Terras Oberfläche donnern würden – weit häufiger, als das jetzt der Fall ist.

Nochmal um Größenordnungen unwahrscheinlicher ist die Justierung der Naturkonstanten, welche unser Universum bestimmt und so etwas wie „bewohnbare Welten“ überhaupt erst möglich macht (s. Anthropisches Prinzip). Für solche Zufälle, auch die persönlich erlebten, bietet sich eine ganz einfache naturwissenschaftliche Erklärung an, und zwar, soweit ich das erkennen kann, nur eine einzige: Die String-Theorie mit ihrer Möglichkeit paralleler Universen in einem Multiversum. Wo sich solche Universen, die extrem ähnlich sind, sehr nahekommen, könnten so etwas wie Sinn-Verdichtungsknoten entstehen (irgendwelche mysteriösen Felder), und da passiert dann ein Zufall.

Klingt nach Science-Fiction? Ist es auch. Aber wer weiß –

Oder hat jemand eine bessere Idee, die ohne einen Schachspieler-Gott auskommt?

Quellen
Birbaumer, Niels und Jörg Zittlau: Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst. Berlin 2014 (Ullstein).
Scheidt, Jürgen vom: Männer gegen Raum und Zeit. (Balwe 1958). Überarb. und ergänzte Neuaqusgabe
Frankfurt am Main 2015 (vss-Verlag Schladt), S. 283-285.

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ADHS Autobiographisches Begegnungen Drittes Reich Indien Jazz Musik Reisen Zufall

Trommler in den Tag

Das fing schon früh an – die Lust am Bearbeiten eines Schlagzeugs – oder eben einer kleinen Trommel, wie man sie einem Kind gibt. Ein Schlagzeug hatte ich auch einmal – als Student – angeregt durch einen Studienkollegen und Freund in der Münchner Jazzer-Szene: Dieter Henneberg von der legendären Riverboat Seven. Aber wie bei der Gitarre fehlt mir der richtige Antrieb zum fleißigen Üben – und nur so ein wenig Herumdilletieren macht keinen richtigen Spaß. Rasch verkaufte ich die “Schießbude” (wie die Jazzer das gerne nennen) weiter.

Kein Oskar Matzerath´scher Blechtrommler – aber einer, der schon als Dreijähriger gerne mit der Hitlerjugend marschiert wäre (Archiv JvS – Rehau 1943


Hinter der Hitlerjugend hermarschieren – das wär´s gewesen

Ich muss so drei Jahre alt gewesen sein (also ungefähr so alt wie oben auf dem Foto), als an unserem Haus vorbei die Hitlerjugend marschierte, ein Spielmannszug vorneweg musizierend. Ich nichts wie runter auf die Straße und hinterher – bis vor zum Lichtspieltheater (wo man mich aber nicht reinließ – schade – ich wäre so gerne mit den Pimpfen ins Kino gegangen).
Damals muss irgendwie der Trommel-Impuls in mich reingefahren sein. Oder war es doch schon das ADHS, das mich zum Zappelphilipp machte und für den das Trommeln mit den Fingern eine große Erleichterung = Triebabfuhr war und immer noch ist (mein Vater hat auch alle Welt mit seiner “nervösen Trommelei” genervt, wie meine Mutter das abschätzig bezeichnete – später meine Frau Ruth bei mir).

Auch das Tippen auf der Schreibmaschine muss aus dieser “Trommel-Ecke” rühren – heute auf der Tastatur meines Computers, die gar nicht hart und laut genug sein kann – Triebabfuhr für Zappelphilipps ADHS. Vielleicht bin ich deshalb zum “Schreiber” geworden – als Nachfahre der Hitlerjugend auf dem Weg ins Rehauer Kino?

Indische Tabla-Brillianz

Später lernte ich einen indischen Tablaspieler kennen, der in München studierte: Shankar Chatterjee; der schenkte mir zwei seiner Handtrommeln (Tablas genannt). Mit seinem Kollegen Sunil Banerjee (ein virtuoser Sitarspieler und vom Brotberuf Ingenieur) trat er oft in München bei Konzerten der deutsch-indischen Gesellschaft auf (wo ich eine Zeitlang Mitglied war). Zweimal gaben die beiden ein Hauskonzert bei uns in der großen Altbauwohnung in der Seestraße (1982-2011). Das eine war zur Einweihung der Wohnung – das andere zu einem speziellen Anlass – wahrscheinlich 1990 zu meinem 50. Geburtstag.
Bei meiner Indienreise 1975/76 schloss ich mich einer großen Gruppe in München lebender Inder an (was damals einen Preisnachlass für die Flugtickets ermöglichte), zu denen auch Shankar und Sunil gehörten. Auf diese Weise ereignete sich wieder einer dieser sagenhaften Zufälle meines Lebens:

Während ich (mit zwei anderen Münchnern) erst einmal Delhi erkundete, flogen die Inder weiter in ihre Heimatorte und ich verlor sie aus den Augen. Später nützte ich dann ein 14-Tage-Ticket für eine Rundreise mit dem Flugzeug. Eine Station war Kalkutta. Indien ist ja nun wirklich kein kleines überschaubares Land, wo man sich immer wieder über den Weg läuft, wie in manchen griechischen oder Schweizer (oder auch deutschen) Tourismus-Zentren. Aber in Kalkutta aus dem eben besuchten Indischen Nationalmuseum zu treten – und genau dort Shankar Chatterjee zu treffen, der gerade vorbeiläuft, um Besorgungen zu machen – das ist schon unglaublich!
Auf diese Weise bekam ich, von ihm eingeladen, die wunderbaren Gelegenheit, ihn zuhause in einem Vorort kennenzulernen – so richtig unter Einheimischen und er in einer völlig andern Rolle als Sohn einer großen Familie.

Shankar Lal (Chatterjee) mit Tablas und Sunil Kumar (Banerjee) an der Sitar (München 09. Ok 1982 – Archiv JvS)

Doch zurück zum eigenen Trommeln. Congas – das wäre es gewesen! Ich kaufte mir auch einmal ein gebrauchtes Paar. Immer wieder habe ich darauf geübt. Aber als ich endlich richtig Unterricht nehmen wollte (beim legendären Erich Ferstl), klappte es nie mit dem Termin. Und das eine Mal, als ich mich im Olympia-Park zu einem Conga-Kurs der Volkshochschule anmeldete – wurde das wieder nichts, weil der Depp von Lehrer sich so verspätete (ohne sich zu entschuldigen), dass ich seiner Künstlerallüren überdrüssig frustriert von dannen zog.

Aber irgendwie muss das viele Fingertrommeln und das Hören unzähliger Jazz-Platten und indischer Ragas mit ihren furiosen Tabla-Soli und das viele Tanzen von Boogie-Woogie und Jitterbug – und vielleicht eine gewisse musikalische Begabung – doch etwas in mir geschaffen habe, was sich als Conga-Solisten glänzen ließ. Das ergab sich einfach so während des Abschlussabends bei einer Generalversammlung des “Workshop Instituts of Living Learning (WILL)”, bei dem ich die Ausbildung zum Leiter von Gruppen mit “Themenzentrierter Interaktion” (TZI)” machte – die methodische Basis meiner Schreib-Seminare. Die Band, die den bunten Abend musikalisch belebte, machte gerade Pause. Einige Tänzer, darunter auch ich und Ruth, standen etwas gelangweilt auf der Tanzfläche herum, als es mich buchstäblich in den Finger zu jucken begann; Da standen diese Congas – also nichts wie ran. Keine Ahnung, was mir den Mut verschaffte (wahrscheinlich war es der Wein), mich an die großen Trommeln zu stellen und herumtastend darauf zu klopfen, plötzlich einen Rhythmus spürend, der nicht vom Kopf kam, sondern vom Körper, und wie von einer magischen Kraft geführt war ich ihm Flow und trommelte doch so gekonnt, dass die Tänzer sich dem anvertrauten und sich für zwei, drei Soli meiner “Musik” anvertrauten. So etwas was ist wir nie zuvor gelungen und nie wieder danach.

(Ich muss das “nie” ein wenig relativieren – es stimmt nur für die Trommelei mit den Congas. Aber etwas ähnliches habe ich ein andermal mit einem anderen Instrument erlebt, ebenfalls bei einer WILL-Veranstaltung. Es war dunkel im Saal – Thema “Nächtlicher Dschungel” – sehr beliebt bei WILL – als mich wieder so eine geradezu magische Kraft zum Klavier bugsierte, wo ich dann zweihändig (!) Boogie-Woogie spielte – und zwar so gut, dass man sich am anderen Morgen anerkennend darüber äußerte – ohne zu wissen, dass ich das war – im Dunkeln. Boogie-Woogie – das ist vor allem Rhythmus, mit der linken, der Bass-Hand. Ich hatte als Kind drei Jahre Klavierunterricht – bis ich den genervt abbrach, weil der Lehrer, der Kantor Peter (was man sich alles merkt!) ein so unfreundlicher und pädagogisch völlig unterbelichteter Mensch war. Außerdem hatte ich ja unzählige Jazz- und Blues- und Boogie-Platten gehört, im Münchner Jazzkeller* an der Türkenstraße mir unzählige Nächte bei phantastischer Live-Musik (die Four Duke! Mal Sondock am Saxophon!) um die Ohren geschlagen und in entsprechenden Konzerte im Deutschen Museum mitgefiebert (sensationell am Schlagzeug Elvin Jones mit dem John Coltrane Quartett – oder Lionel Hampton*, der regelrecht in Ekstase auf seine Trommeln sprang, wenn er nicht gerade am Vibraphon brillierte und sang: “Hey! Ba-ba-re-bop”!”


* Nach einem Hampton-Konzert 1961 war ich so angetörnt und von Endorphinen durchpulst, dass ich mich am Stachus, wo ich auf die mitternächtlichen Trambahn meiner “Linie 8” zur Barer-/Theresienstraße wartete, plötzlich irgendwohin setzte und eine Geschichte zu notieren begann. Sie wurde später das erste Kapitel des Ketten-Romans Das unlöschbare Feuer, den ich reihum mit einigen Freunden aus der SF-Szene schrieb, abschloss und sogar als Leihbuch veröffentlichte – Danke, Lionel!

Aus meinen Conga-Erlebnissen ist die Kurzgeschichte → “Conga Joe” entstanden , die ich gerne bei Lesungen vorgetragen habe, vor allem wenn die passende Musik dabei war, wie am 02. Mai 2005 in Weiden bei “Jazz und Poesie” (mit Alfred Hertrichs Trio).

Jazz und Poesie in Weiden am 02. Mai 2005 – v.l.n.r. ? Bauer (Posaune), Wilfried Lichtenberg (Bass), Alfred Hertrich (Gitarre) und JvS (Mikro) CAMERA

Die Geschichte geht weiter

Ob es Papas Wunsch war – oder ob Gregor selbst gerne die Tabla schlug: Hier sitzt er jedenfalls 1972, gerade mal ein Jahr alt und erst seit kurzem zum Sitzen fähig, in der Wohnung in der Gerstäckerstraße (München, Grenzkolonie Trudering) und vergnügt sich. Heute spielt er lieber Cello – aber sein Sohn Nico hat endlich den Dreh und die Begeisterung und vor allem das Durchhaltevermögen gefunden und lernt richtig Schlagzeug. Eine Geschichte über drei Generationen also- und wenn ich die “nervöse Trommelei” meines Vaters als Ur-Ereignis dazunehme, sogar über vier Generationen:

Gregor, gerade mal ein Jahr alt – und gibt schon den Ton an und den Rhythmus vor (Archiv JvS – 1972).

Quellen
Grass, Günter: Die Blechtrommel. Neuwied 1959 (Luchterhand).
Hampton, Lionel: “Hey! Ba-ba-re-bop”. Auf LP HAMP’S BOOGIE WOOGIE (1942-1949).
Scheidt, Jürgen vom: “Conga Joe”. In: JvS: Blues für Fagott und zersägte Jungfrau. München 2005 (Allitera)
Upton, Munro R. (Sammelpseudonym von Jesco von Puttkamer, Jürgen vom Scheidt und fünf anderen SF-Fans): Das unlöschbare Feuer. Balve 1962 (Bewin Verlag).


Kettenroman von JvS, Jesco von Puttkamer etc – ausgelöst von einem Konzert mit Lionel Hampton) (1962 – Bewin-Verlag)
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3 (drei) Autobiographisches CoronaPandemie Zufall

Triage? Das bestimme ich!

Selbst mit Impfung (der ich zustimme) gibt es keine Garantie, dass man eine Infizierung mit Covid-19 unbeschadet übersteht. Deshalb bestimme ich in meiner Patienten-Verfügung, dass ich keine künstliche Beatmung und Ernährung haben möchte, wenn dies nötig sein sollte.
Ich will auch keinen “lebensrettenden Luftröhrenschnitt”.

Das soll dem behandelnden Arzt die Entscheidung (Triage*) erleichtern, wenn die Betten auf den Intensivstationen knapp werden – und das werden sie, weil es so viele rücksichtslose Idioten gibt (“Querdenker” nennen sie sich – obwohl das einmal ein Ehrentitel für originelle und kreative Menschen war), die sich entgegen den sinnvollen Empfehlungen und Vorschriften der Mediziner und der Politiker verhalten – oder sich einer Impfung verweigern.

* Triage – das wird abgeleitet von der Notwendigkeit, im Kampfgetümmel eines Krieges rasch eine medizinische Entscheidung zu treffen. Das Wort wird zwar abgeleitet von französisch triage für Auswahl, Sortieren, Sichten‘ zum Verb trier (sortieren, aussuchen) – aber man kann auch von “tri” = “drei” ableiten – nämlich in welchen dieser drei Bereiche man Verwundete einliefert: leicht verletzt (rasch wieder kampfbereit) – schwer verletzt (aber mit Aussicht auf Heilung) – ohne Aussicht auf Genesung, also dem Tod geweiht und deshalb nicht weiter zu versorgen, von Schmerzlinderung abgesehen.
Die Triage ist höchst aktuell, wenn es während der Pandemie zu viele Schwerkranke gibt und nicht genügend Intensivbetten zur Verfügung stehen. Auf alle Fälle der Horror schlechthin für alle Beteiligten.

Speziell den Impfgegnern empfehle ich – nein, ich fordere von Ihnen: Tragt in eure Patientenverfügung ein, dass ihr keine “künstliche Beatmung” wollt!

Letzteres kann man wohl kaum in Form eines Gesetzes fassen – aber man kann es aus allgemein menschlichen Gründen verlangen, entsprechend der volkstümlichen Abwandlung des Kant´schen Imperativs: “Was du nicht willst, dass man dir tu – das füg auch keinem andren zu.”

Ich bin achtzig Jahre alt und gehöre damit zur höchsten Risikostufe. Aber ich habe ein gutes Leben gelebt und bin damit zufrieden – kann also jederzeit abtreten (obwohl ich gerne noch einige wichtige Projekte abschließen möchte). Ich habe auch keinerlei Vorerkrankungen an Lunge, Herz und Leber, rauche nicht und konsumiere keinen Alkohol, bewege mich viel und bin dementsprechend gelassen.
Aber sollte ich infolge einer Infektion mit einer der Varianten des Corona-Virus (oder mit einer heute noch unbekannten Virusinfektionen, die noch viel schlimmer ist – das ist ja keine Science-Fiction) doch in eine lebensgefährliche Situation kommen, wo Intensivstation und künstliche Beatmung anstehen – dann möchte ich dies ausdrücklich nicht. Ich möchte stattdessen eine “erlösende Spritze” (Überdosis Morphium oder ähnliches).


Perspektivenwechsel

Man kann das Problem aber auch von einer ironischen Seite aus betrachten. Ich bin kein toller Zeichner – für eine Karikatur langt es noch:

Cut! Der lebensrettende Luftröhrenschnitt? (Edding 3000 – JvS 19. Jan 2021)

Makabrer Zufall: 1987 schrieb ich eine Novelle über einen verliebten Assistenzarzt, der in einer ähnlichen Situation der Tochter des Klinikchefs das Leben rettet – mit einem beherzten Schnitt in die Luftröhre. Das ist mir gleich zwei separate Beiträge wert:
→ Atemnot und → Der Schnitt (Anfang der Novelle)

Nachgetreten
Schade, das es keine unentdeckten Kontinente (oder große Inseln) mehr auf unserem Planeten gibt – so wie dereinst Australien, das die Briten zur Sträflingskolonie für ihre missratenen Landsleute verwandelten. Die Antarktis ist denn nun doch zu unwirtlich, um dort all die Impfgegner, Corona-Leugner, Aluhut-Träger und Verschwörungs-Phantasten zu isolieren – und die Leugner des Klimawandels gleich noch dazu.
Auf den Mond schießen, buchstäblich – das wäre die Lösung. Ist aber derzeit technisch leider unmöglich. Vielleicht kann ein Science-Fiction-Autor daraus einen spannenden Plot für einen Zukunftsroman machen?

Nachgedacht
Als Psychologe ist mir natürlich bewusst, dass es so etwas wie “die Impfgegner” und “die Verschwörungstheoretiker” gar nicht gibt. Dass das keine amorphe Masse mit gleichen Un-Qualitäten ist – sondern dass das unzählige Individuen sind, von denen jedes seine / ihre ganz spezielle Persönlichkeit mit ganz speziellen Macken und Ängsten und Sorgen hat, die da jetzt an eine “Meinung” drangehängt werden – in der Regel artikuliert von “Fahnenträgern”, die ihr ganz eigenes Süppchen kochen und – als Soziopathen – die anderen manipulieren.

Quellen
Mühlauer, Alexander: “City of Desaster”. In: SZ #11 vom 15. Jan 2021, S. 03 (Seite Drei).
Scheidt, Jürgen vom: Der Schnitt. CH-Bürchen August 1987 (Manuskript).

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Autobiographisches Beruf Labyrinthiade Psychologie Schreiben Schreibseminare Science-Fiction Zufall

Hallo – das bin ich

Hier will ich vorab definieren, worum es mir in diesem neu gestarteten Blog geht. Ich will mich darin mit allem befassen, was das Schreiben betrifft. Begleitende Themen (Kategorien) sind die Labyrinthiade und die Entschleunigung. Das hängt (für mich jedenfalls) alles eng zusammen: Beim Schreiben bewegt man sich entschleunigt durch das Labyrinth des eigenen Lebens (oder des Projekt-Themas, an dem man gerade arbeitet).

Aber zunächst einmal will ich mich mit einem aktuellen Portrait auch optisch vorstellen (weitere Details in → ABOUT) – den Hut habe ich übrigens nur zu diesem Anlass aufgesetzt:

Abb.: Jürgen vom Scheidt, Schriftsteller und Leiter von Schreibseminaren (Foto: GvSch 2019)

Warum dieser Hut? Er tauchte irgendwann in der Familie auf, ein Erbstück. Ich sah ihn und dachte spontan: So einen Hut hat mein Vater immer gerne getragen, ein Borsalino. Deshalb ließ ich mich damit auch spaßeshalber ablichten – s. das Bild oben. Typisch 50er Jahre für seriöse Bürger. Ich habe nie einen Hut getragen (außer im Sommer als Sonnenschutz). Aber als mir das Foto wieder mal zufällig über den Weg lief, dachte ich: Das passt doch gut zu einer Inszenierung.

Inszenierung? Nun, wir spielen immer irgendwelche Rollen, je nach Umgebung sind wir mal so und mal so. Beim Klassentreffen rutschen wir rasch, wie mit einer Zeitmaschine, zurück in die Vergangenheit, als wir gemeinsam die Schulbank drückten. Andertags in der Arbeitssituation sind wir nicht der Klassenclown (der wir am Vorabend und damals in der Schule vielleicht waren), sondern der seriöse, gut beherrschte Was-auch-immer.

Nun also “Mann mit Hut”. Das hat tatsächlich viel mit meinem Vater zu tun (dem ich im Alter zu meiner eigenen Überraschung in mancher Hinsicht ähnlich werde, zumindest innerlich und zeitweise) – nicht zuletzt, weil dieser Blog eine Art Goldwaschanlage für meine Autobiographie sein soll (an der ich seit einem Jahr arbeite) und mein Vater darin in vielerlei – und manchmal sehr widersprechender Weise – eine wesentliche Rolle spielt.

Goldwaschen – darum geht es beim Schreiben immer. Man sammelt und sinniert und recherchiert und erinnert sich – aber nur die wirklich wertvollen Goldnuggets sollten im Endprodukt landen.

Nachdem ich auch parallel dazu an einem Roman arbeite, solte sich neimand wundern, dass hier immer wieder auch Erzählendes zu finden ist.

Doch außer dem “Schreiben und Veröffentlichen” gibt es noch zwei weitere große Themen: Die Labyrinthe und die Entschelunigung.

Unter Labyrinthiade verstehe ich die vielfach verschlungenen Geschichten der griechischen Labyrinth-Sage um Daidalos und Icaros sowie um Theseus und Ariadne (und viele Figuren mehr) sowie um die rätselhaften Strukturen realer Labyrinthe und Irrgärten und das, was ich Yrrinthos nenne – nämlich all jene Labyrinthe, die eigentlich gar keine sind (weil sie nur einen einzigen, wenngleich sehr verschlungenen Gang aufweisen, indem man sich jedoch nicht verirren kann), die aber meistens keine Gärten sind, sondern lediglich sehr verwirrende Strukturen – etwa wie eine fremde Großstadt, in der man sich nicht zurechtfindet (oder so kompliziert wie dieser Satz hier).
Das Labyrinth und die Bewegung durch diesen einen Gang hin zum Kern der Struktur ist für mich aueßerdem die Metapher schlechthin für den Vorgang des Schreibens
– bei dem man ja auch ein Ziel hat (z.B. eine spannende Kurzgeschichte mit einer überraschenden Pointe), aber dann auf dem Weg zu diesem Ziel oft ziemlich lange und irritierende Umwege machen muss, bis der Text so ist, wie man ihn haben möchte (oder wie dieser Text sein will – Texte können rasch ein verblüffendes Eigenleben entwickeln).
 
° Das dritte Thema, die Entschleunigung ist ebenfalls ein wesentliches Unterthema des Schreibens. Denn das schriftliche Festhalten verlangsamt den meist recht freien und rasch umherschwirrenden Gedankenflug – weil die schreibende Hand eben weit langsamer arbeitet als das denkende und fühlende Gehirn.
Keine Frage ist es für mich, dass mindestens so wichtig das Gegenteil ist: die Beschleunigung. Auch sie spielt beim Denken und Schreiben eine wesentliche Rolle:
° Zum einen, weil unser Gehirn mit seinen unglaublichen 100 Milliarden Neuronen mit 100 Billionen synaptischen Verbindungen rasend schnell arbeitet – wovon in unserem Bewusstsein aufgrund seiner “Enge” jedoch nur winzige Bruchstücke ankommen.
° Zum anderen, weil wir im Schreiben beliebig “schnell” sein können: Beispielsweise mit einem Wimpernschlag von Sekundenbruchteilen irrsinnige “Tausende von Lichtjahren” in einer SF-Story überwinden, weil unsere Phantasie keinerlei Grenzen in Raum und Zeit setzt – zumindest nicht in der Science-Fiction.
Aber auch sonst lebt Literatur vom “Zeitrafferverfahren” der Szenenwechsel und der Veränderungen des Blickwinkels – und von der Komprimierung. So verdichtete beispielsweise James Joyce in seinem bizarren Roman Ulysses einen einzigen Tag in Dublin zu gerade mal 800 Seiten, obwohl er jedes noch so winzige Detail in Raum und Zeit vor den Leser hinstellte, samt Nebengedanken nach allen sechs Himmelsrichtungen (eben auch nach oben und unten). Was sind da schon 800 Seiten!

*

Dieser Blog wird sich mit der Gegenwart befassen, was unvermeidlich auch zum Thema “Corona-Pandemie” führt (meine Kategorie hierzu: CAN-Blog).
Er wird sich auch mit der Vergangenheit befassen – nicht zuletzt, weil ich hier auch Erinnerungen für meine Autobiographie sammle (Kategorie: AutoBio).
Und dann ist da noch so manches, was mit der Zukunft zu tun haben wird (z.B. in der Kategorie: Science-Fiction).

*

Falls Sie zufällig das Datum dieses Beitrags am Ende dieser Zeilen lesen (das ansonsten immer rechts am Rand des Blogs steht) wundern Sie sich vielleicht über diesen “13. November 2020”. Eigentlich müsste das Datum lauten: “(Freitag) 13. November 2026” – aber das geht nicht, weil dieser Post dann erst zu jenem Datum veröffentlicht und hier im Blog sichtbar werden würde.
Aber das ist eine Geschichte, die will ich, wie so manches weitere in diesem Blog, “ein andermal erzählen” (wie Michael Endes das so schön zum Running Gag seiner Unendlichen Geschichte gemacht hat). Hier nur so viel:
“Freitag, der 13. November 2026” ist das fiktive Datum, von dem ausgehend sich eine Serie der Zeitschrift Psychologie heute mit der kommenden Welt des Jahres 2050 beschäftigte, veröffentlicht in den 1990er Jahren beschäftigte. Ich verfasste zu dieser Serie einen Essay mit dem Titel “Homo futurus” (der sich mit der Psyche der kommenden Menschen befasstte). Seitdem hat mich dieses Datum nicht mehr losgelassen – das ichpersönlich vielleicht nicht mehr erleben werde.
Obwohl: Hundertjährige gibt es inzwischen schon 16.500 allein in der Bundesrepublik und erklecklich viele davon sind sogar 110 Jahre alt. Fragt sich nur, in welchem geistigen, seelischen und körperlichen Zustand sie sich befinden und ob das für mich unbedingt erstrebenswert ist.

Aber die Medizin macht ja Fortschritte, und seit 50 Jahren mache ich jeden Morgen meine Yoga-Übungen, die mir ein Mann beigebracht hat, der immerhin 90 wurde und einst ein Buch mit diesem Titel schrieb: Die Kunst sich selbst zu verjüngen. Max Kirschner wurde 1900 geboren und hat zwei Weltkriege und viele anderen Entbehrungen durchgemacht – ich wurde 1940 geboren und hatte das große Glück, bisher von Entbehrungen verschont zu sein und wenn ich die Corona-Pandemie überlebe – wer weiß…

Besuchen Sei diesen Blog am 13. November 2026 – und vielleicht wieder im Jahr 2050 – und Sie werden es erfahren.

© Jürgen vom Scheidt – geschrieben 18. Nov 2020 – zur Wiedervorlage am Freitag, den 13. November 2026

 

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Krieg München Zufall

“I bombed Munich”

Das Paar, das ich im “Hotel Victoria” am Bahnhofsplatz in Brig etwa 1992 beobachtete, hatte sichtlich ein Problem: Die Frau war irgendwie nicht gut zu Fuß. Mir fiel ein, dass man gleich gegenüber in der Gepäckaufbewahrung des Bahnhofs Rollstühle ausleihen konnte. Das hatte ich zufällig einmal mitbekommen, denn in diesem Bahnhof bin ich viele Jahre mehrmals im Jahr bei meinen Wallis-Reisen gewesen.

Ich bot meine Hilfe an und so kamen wir ins Gespräch, das bald eine ungeahnte Wendung nehmen sollte. Das Paar stammte aus Amerika und wollte Urlaub hierin der Gegend machen. Die Frau war gestützt und so wollten die beiden mit dem Zug nach Genf zu einer Klinik – aber wie die Reise dorthin bewältigen? Das technische Problem war rasch geklrt und ein Rollstuhl beschafft. Die Zeit zur Abfahrt ihres Zuges nach Genf nützten wir für ein langes Gespräch auf Englisch – sie dankbar für meine Hilfe und ich dankbar, “to polish up my English”.

Man fragte natürlich auch nach dem “woher”. Den amerikanischen Heimatort der beiden weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, was geschah, als ich im Gegenzug “Munich” als meinen Ort nannte. Plötzlich wurde der Mann (er muss damals so um die 70 gewesen sein) sehr still und sagte schließlich sichtlich beklommen:

“During the war, I was pilot with the Air Force. And I bombed Munich.”

Er war sichtlich erleichtert, als ich ihm erklärte, dass ich zwar heute in München leben würde – aber dorthin erst 1956, also lange nach dem Krieg umgezogen sei.

Seltsam, dass mir das gerade jetzt wieder einfällt, wo in den USA dank Donald Trump alles drunter und drüber geht und Gewalttaten ganz anderer Art die Medien dominieren. Wo die Barbaren in das Capital eindringen und es verwüsten. Für mich war es damals, im “Hotel Victoria”, Anlass gewesen, zu erzählen, wie dankbar ich als Kind war, dass die Amerikaner im Mai 1945 in Rehau auftauchten und der Krieg endlich zu Ende war. Dass wir mit den jungen GI´s, die unseren Ort an den Ausfallstraßen “bewachten”, spielen durften. Dass ein junger GI, der mit meinem Vater im Militär-LKW ins benachbarte tschechische Pilsen fuhr, um dort Bier zu organisieren, und dessen Namen ich nicht kannte, mein großer Freund wurde, den ich “Herr Mister” nannte, nicht wissend, dass das doppelt gemoppelt war (heute würde ich sagen: ein Oxymoron).
Dass ich der von den Amerikanern bald eingerichteten zweisprachigen Bibliothek viele spannende Bücher verdankte…

Dass ich den amerikanischen Piloten, die in diesen unheimlichen Bomberschwärmen während des über unseren Köpfen Richtung München oder Berlin oder Leipzig oder Dresden mit ihrer zerstörerischen Last flogen, auch so manchen Albtraum und den Schrecken der Sirenen verdanke (die mir noch heute reflexartiges Erstarren auslösen) – das erzählte ich nicht. Vielleicht ist es mir da auch gar nicht eingefallen. Rehau wurde ja nie bombardiert. Und Brig 1992- das war eine völlig andere Zeit und ein völlig anderer Ort – und auch die Menschen waren völlig anders. Eine dieser seltsamen Zufallsbegegnungen, die scheinbar Unvereinbares plötzlich in einen Zusammenhang bringen.

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Autobiographisches Psychologie Schreibseminare Zufall

Psychopathen sind unter uns

Donald Trump und seine Anhänger sind wie Spiegelbilder voneinander. Der Präsdent kann seine Abwahl nicht annehmen – er schüttet seinen trotzigen Haas ins Land hinaus, fordert führende Politiker unverblümt am Telefon zum Wahlbetrug auf und hetzt seine Anhänger auf – die dann das Kapitol stürmen. So etwas wie den dieser Tage von ihm sehr offen angezettelten Aufruhr seiner fanatisierten Wähler kann man nicht mehr nur als “kriminell” bezeichnen: das ist offene Aufforderung zum Krieg gegen den politischen Gegner!

So direkt hat sich kaum jemand in der Weltgeschichte selbst ans eigene Messer geliefert.

Heute spricht man in der Psychologie lieber von Soziopathen als von Psychopathen, weil sich ihr zerstörerisches Verhalten sozial auswirkt. Aber der ältere Begriff passt schon: Es handelt sich um eine Persönlichkeitsstörung – wenn man den Großteil der Bevölkerung als “normal” (oder “normal gestört”) kategorisiert.
Alle, die nicht zu seinen glühenden unkritischen Verehrer zählen, sind sich einig, dass ein echter Psychopath derzeit noch immer im Weißen Haus in Washington sitzt. Nicht nur ich haben seine Abwahl deshalb als ausgesprochenen Glücksmoment erlebt. Aber wie er sich noch immer an seinen Sessel klammert, seine Abwahl kategorisch leugnet und egomanisch-narzisstisch seine ganze Nation manipuliert und blockiert – und das in Corona-Zeiten – das ist schon sehr deutlich das Handeln und Wüten eines Psychopathen. Er hat im Dezember, eigentlich schon nicht mehr richtig im Amt, noch zwei extrem wichtige Gesetzesvorhaben durch Veto blockiert und damit sogar seine eigenen Parteianhänger in Kongress und Senat so gegen sich aufgebracht, dass sie sein Veto ignorierten:
° Das eine war die so wichtige Corona-Hilfe für Millionen in der Pandemie verarmte Amerikaner –
° das andere der Militäretat, der vorher kaum je von einem Präsidenten blockiert worden war.
Da kann man wirklich einem Mächtigen zuschauen, der in seiner Egomanie sich das eigene Grab schaufelt, dabei aber möglichst viele andere Menschen mit sich in die Tiefe reißt.

Sieht so ein Psychopath von innen aus? (JvSch 1959)

Aus eigener Anschauung

Ich konnte so jemanden einmal während eines Seminars aus nächster Nähe studieren, noch dazu einen Berufskollegen. (Ja, das ist möglich – auch Psychologen können psychopathisch agieren). Er hat mir dieses Seminar brutal so zerstört, dass nach und nach alle Teilnehmerinnen vorzeitig abreisten. Bezeichnenderweise finde ich ihn auch heute noch irgendwie auch sympathisch, er hatte nämlich ein sehr einnehmendes, charmantes Wesen. Das war seine eine Seite. Aber er hatte auch diese rücksichtslos manipulierende, sehr arrogante andere Seite.
Seine zerstörerische Seite zeigte sich schon darin, dass er, kaum angekommen, auf den Balkon des Seminarhauses trat, ins Tal schaute und dann sich über den Laptop in einen fremden Computer einhackte, um auf Kosten von dessen Besitzer zu telefonieren: “Warum ist der so blöd, sich nicht mit Passwort zu schützen!”, war seine Bemerkung, als ich irritiert nachfragte.. Er kam einen Tag zu spät und fuhr zwei Tage früher ab. Dazwischen verschwand er mit einer der Teilnehmerinnen für einen Tag zu einem Besuch in ein nahegelegenes Thermalbad. Und in einer seiner Geschichte (er konnte brillant schreiben) charakterisierte er eine der im Raum anwesenden Teilnehmerinnen mit ihrem echten Vornamen in einer fast pornographischen Geschichte als Sexsklavin. Als ich ihn bei dieser Lesung irritiert unterbrach und darauf hinwies, dass das so nicht ginge – war er richtig überrascht: “Aber wieso denn nicht?”
Bei anderer Gelegenheit erzählte er mir “unter Kollegen” von seiner Arbeit in einem Assessment-Center, wo er Probanden mit geradezu sadistischem Vergnügen in Fallen laufen ließ.
(Seltsamer Zufall: Ich ich das eben schrieb – meldete sich eine Frau, die damals in diesem Seminar dabei war, für ein aktuelles Seminar in diesen Tagen Anfang 2021 an – nachdem wir jahrelang keinen Kontakt mehr miteinander gehabt hatten. Wirklich sehr seltsam.)

Zu diesem Thema ein Zitat aus dem Jahr 1929

“Die Psychopathen sind immer unter uns. In kühlen Zeiten begutachten wir sie – in heißen Zeiten regieren sie uns.”

Das notierte der deutsche Psychiater Ernst Kretschmer, während er den unaufhaltsamen Aufstieg Adolf Hitlers und seiner Nazi-Horden beobachtete. Seine scharfe und kritische Beobachtungsgabe hat ihn allerdings nicht davor bewahrt, mit Hitler mitzulaufen, der SS beizutreten (wie so viele Ärzte). Nach dem Krieg, 1955, behauptete er als Gutachter in einem Wiedergutmachungsverfahren eines an Depressionen leidenden Naziverfolgten, dass es keine verfolgungsbedingten Neurosen gebe. Hat auch einen irgendwie psychopathischen Touch, diese Psychiaterkarriere.

Quelle
Kretschmer, Ernst, zit.n. Arno Gruen: “Den destruktiven Realismus der Mächtigen abbauen”, in: Scheidt, Jürgen vom: Konzepte für die Zukunft. Bonn 1990, S. 101