Atemnot

Als Kind litt ich unter Nasenpolypen, die mir ab dem zweiten Lebensjahr zunehmend das Atmen erschwerten. Im März 1943 war dann eine Operation unumgänglich. Sie wurde in Eger (heute Cheb, in Tschechien) durchgeführt, das nicht weit von Rehau entfernt liegt. Auf der Zugfahrt dorthin schaute ich mit meiner Mutter einen Prospekt des Ozeanriesen Bremen des Norddeutschen Lloyd an. Auf diesem Pott (wie die Hamburger sagen) war mein Vater als junger Mann zur See gefahren – als Steward und Tennislehrer, dem seine Englisch- und Französischkenntnisse und sein weltmännisches Verhalten sehr zugutekamen. (Über seine ganz andere Rolle auf der Bremen an anderer Stelle mehr – Rudolf Hess lässt grüßen). So erklärt sich ganz einfach, wie meine Mutter in den Besitz dieses Prospekts gekommen war.

Ansonsten erinnere ich lebhaft noch drei Details dieses Arztbesuchs: Die gelbe Farbe des Wartezimmers. Die Chlorformmaske zur Anästhesie samt „rückwärts zählen“ (was ich mit drei Jahren offenbar schon konnte oder in diese Situation rasch gelernt habe). Und dass ich – wohl nach dem Eingriff – entsetzt jammerte: „Ich mecht net ster´m“ (aus dem Rehauerischen Dialekt übersetzt: „Ich möchte nicht sterben“).

Letzteres erklärt ganz einfach, warum ich heute in diesen Corona-Zeiten solche Atemnot bekomme, dass ich mir die so oft erforderliche Schutzmaske am liebsten gleich wieder herunterreißen würde. Zum Glück habe ich in fünfzig Jahren Yoga gelernt, ganz gelassen zu atmen und mich dadurch ruhig zu stellen, wenn es nötig ist. Zum Beispiel im Magnetresonanztomographen, wenn er mit höllischem Lärm um meinen Kopf kreist, tief drinnen in der Röhre: Ausatmen- Einatmen – Ausatmen – Einatmen… (Zuletzt erlebt als Begleitmusik zur Entfernung meiner Gallenblase im August 2019).

Die Atemnot wurde dann 1943 nach der PolyOp sicher noch gefördert durch meine Erkrankung an Keuchhusten. Was mir und meiner Mutter zu einer Reise nach Oberstdorf zur Familie von Tante Lucie, der Schwester meines Vaters, verhalf – für eine Heilbehandlung in der Keuchhustenstation auf dem Gipfel des Nebelhorn. Bei dieser Gelegenheit lernte ich von Cousin Peter Josam,
° wie man mit Makkaroni Tomatensoße aufschlürfen kann
° und wie eine Schildkröte aussieht und sich bewegt: gaaaaanz laaaaangsaaaaam. (Ob von daher eine frühe Prägung meines späteren Interesses am Thema „Entschleunigung“ rührt?)

Peters Schildkröte war trotz ihrer Langsamkeit aus dem Garten ausbebüxt gewesen und es war nun ein großes Ereignis, dass jemand sie entdeckt und zurückgebracht hatte. Als ich viele Jahre später meinen Patenonkel Julius (der Bruder meines Vaters) in Garmisch besuchte und dieser mich, schon 94 Jahre alt und sich auf den Tod vorbereitend, aufforderte, irgend etwas von seinem Besitz mitzunehmen („den ich ja bald nicht mehr brauchen werde“) war ich sehr beeindruckt von dieser Gelassenheit, dem Annehmen der eigenen Endlichkeit und dem Loslassen der irdischen Dinge.
Ich stutzte zunächst, weil ich in dieser spießigen und schon recht vernachlässigten Wohnung partout nichts entdecken konnte, was ein Gewinn für meine Besitztümer gewesen wäre. Da entdeckte ich in einem Regal eine kleine Schildkröte aus Bronze. Und wusste sofort, dass ich die gerne hätte (und ich weiß noch genau, dass ich mich dabei an die Schildkröte seines Neffen Peter Josam in Oberstdorf erinnerte).
„Ja, nimm sie mit“, sagte der Onkel, ganz erleichtert, wieder ein wenig Ballast losgeworden zu sein. Und ich nahm die neue Bürde gerne mit.

Schildkröte aus Bronze – Länge 14 cm, Breite 11 cm, Höhe 5 cm (Nachlass Julius vom Scheidt, 1901-1995)

Dass die Schildkröte, die jetzt in der Diele meiner Wohnung in einer Ecke still vor sich hin ruht, das Symbol schlechthin für Entschleunigung ist – das war mir damals nicht klar. Obwohl ich das Buch Singles – Alleinsein als Chance (1979) schon veröffentlicht hatte, worin ich erstmals den Begriff „Entschleunigung“ verwendet und wohl überhaupt als Erster publik gemacht habe.

Das beeindruckende Verhalten von Onkel Julius im Alter ändert allerdings nichts daran, dass er ein übler Antisemit war. Aber ich kann Menschen gut in (mindestens) zwei verschiedenen Schubladen meines „Archivs der Erinnerung“ parken. Bei seinem jüngeren Bruder, meinem Vater, musste ich das auch lernen – was nicht einfach war.

Zurück nach Oberstdorf 1943: Auf der Hin- oder Rückfahrt (oder beide Male) machten wir Zwischenhalt bei Mutters Tante Frieda Harrach in der Agnesstraße in München, das ziemlich genau in der Mitte auf der Strecke Rehau – Oberstdorf liegt – damals sicher mehr als eine Tagesreise mit der Bahn und nicht ungefährlich wegen der immer heftiger werdenden Bombenangriffe auf die deutschen Großstädte. Was mich bei Einbruch der Dunkelheit dann tief beeindruckte, war das Loch im Dach über dem Treppenhaus, das mir Onkel Karl Harrach nicht ohne Stolz zeigte: „Das hat eine Brandbombe geschlagen – aber das Feuer haben wir rasch gelöscht“ (oder so ähnlich lautete die Erklärung). Wir blieben wohl einige Nächte zu Besuch, denn ich äußerte mehrmals begeistert den Wunsch „Sternele sehn“.
(Dass ich mir von diesem Besuch sonst nur noch den Spülkasten der Toilette mit der Zugkette merkte – lag wohl daran, dass wir damals in Rehau so etwas Exotisches wie ein Klo mit Spülkasten in der Wohnung noch nicht kannten – in der Bahnhofstraße 15 befand sich die Toilette im Zwischenstock und von wegen Wasserspülung – niente.)
Gut möglich, dass mein Faible für Astronomie hier beim „Sternele seh´n“ seine erste Quelle hat. Später, da war ich schon zehn, förderte mein Vater diese Faszination nachhaltig, indem er (von seinen Jahren bei der „Christlichen Seefahrt“ geprägt) mir in einer eiskalt klaren Winternacht den Sternhimmel erklärte. Prof. Harald Lesch könnte es heute nicht besser machen. Das wurde noch verstärkt durch das Buch Aus fernen Welten von Bruno H. Bürgel, das Vater mir 1952 zu Weihnachten schenkte. Was für ein Lesefutter für einen aufgeweckten Jungen! Der hatte zuvor schon ein spannendes Abenteuer aus diesen „fernen Welten“ des Weltraums mit glühenden Wangen verschlungen: Den Zukunftsroman Auf unbekanntem Stern von Anton M. Kolnberger, 1948 in der Buchhandlung Kolb entdeckt und gleich auf den Weihnachtstisch gewünscht – und dort auch gelandet.

Der blaue Faden meines Lebens

All dies zusammen begann das zu knüpfen, was ich vor einem Jahr den „Blauen Faden“ meines Lebens nannte: Das Interesse nicht nur an der Astronomie und anderen Naturwissenschaften, sondern an den Erzählungen, die dieses Sachwissen so lebendig machen können: die abenteuerliche, exotische, bizarre (und nicht selten auch ziemlich ver-rückte) Welt der Science Fiction.

(Ja, erstaunlich, nicht wahr, was hinter so einer atemberaubenden Stoffmaske in Corona-Zeiten alles zum Vorschein kommen kann.)

018 _ aut #845 _ 2020-12-20/15:28

1943: Der Tod rückt näher

Vermutlich in Rehau wurde das folgende Foto gemacht: Da trommle ich vor einem Haus, das allerdings anders aussieht als der Eingang zur Bahnhofstraße 15, wo wir in Rehau wohnten, im Haus meines Großvaters Karl Hertel senior (erbaut von dessen Schwiegervater Eduard Kropf, meinem Urgroßvater auf der mütterlichen Linie).

Abb.: Jürgen vom Scheidt – etwa dreijährig (Foto: vermutlich die Mutter – Marie vom Scheidt – 1943)

Warum ich dieses idyllische Bild hier präsentiere? Weil es die schein-friedliche Oberfläche von etwas völlig anderem darstellen. 1942 war der Zweite Weltkrieg in vollem Gange, angezettelt von Diktator Adolf Hitler und seinen nationalsozialistischen Mörderbanden.
Ich bin in Rehau aufgewachsen in einem Haus, in dem sieben Frauen lebten und das Leben am Laufen hielten: Im Ersten Stockwerk meine Mutter Marie, deren Schwester Elisabeth, beider gemeinsame Mutter Betty Hertel (geb. Kropf). Im zweiten Stock die Frau Annemie von Onkel Karl (dem Bruder meiner Mutter und von Tante Lis) und Annemies Mutter, die „Omi Unglaub“. Unten im Hauseingang hatte das Dienstmädchen Else ihr Zimmer und ab und zu kam ein Kindermädchen (?), das mich spazieren fuhr.
Und dann lebte im Erdgeschoss. neben dem Architekturbüro des Großvaters, noch die Frau Funke, ähnlich alt wie Großmutter. Ich liebte sie sehr und wollte immer bei ihr sein, rief „Unke, Unke“, wenn ich zu ihr wollte – einmal zu schnell, denn ich stolperte und stürzte kopfüber die Treppe aus hellgrauem Granit hinunter – hat meinem biegsamen Kinderkörper und meinem Kopf aber wohl nichts geschadet. Ich habe also schon sehr früh das „Fallen“ gelernt und konnte daran als Student dann 1961 im Judotraining bei den Fallübungen von Judoka Aigner gut anknüpfen – was mir noch später bei diversen Stürzen mit dem Fahrrad sehr geholfen hat – zuletzt vor zwei Monaten, da war ich schon achtzig – aber das Fallen kann ich offenbar immer noch recht geschickt…

Und wo waren all die Männer? Natürlich waren sie „im Krieg“ zu jener Zeit – oder sollte ich besser schreiben: „unnatürlich“? Mein Vater, Onkel Karl und sogar mein Großvater (der schon im Ersten Weltkrieg in der größten Scheiße gekämpft hatte: in Douaumont bei Verdun) waren irgendwo dort draußen „an der Front“. Mein Vater kämpfte damals vermutlich in Holland, Onkel Karl und Großvater in der Ukraine.
WAS HATTEN DIESE DEUTSCHEN SOLDATEN DORT ZU SUCHEN?

Mein Großvater, Jahrgang 1880, meldete sich als aktiver Offizier im Majorsrang 1941/42 freiwillig erneut zum „Dienst an der Waffe“. Er mochte diesen „Anstreicher“ nicht, diesen Gefreiten Adolf Hitler (im Gegensatz zu meinem Vater, der als junger Mann ein „glühender Nazi“ gewesen ist). Aber Großvater war loyaler Bürger. Und er war

° zum einen lieber Soldat als Architekt und er war als Offizier der Reserve und als Mitglied des deutschnationalen Stahlhelm ein echter Untertan, der tat, was man ihm befahl (schließlich hatte er ja, wie alle bei der Wehrmacht, den „Eid auf den Führer“ geschworen);

° und zum anderen ertrug er nicht das schreckliche Sterben seiner todkranken Frau Betty, die an Magen, Brust- und Kehlkopfkrebs litt .

Dann schon lieber das Sterben an der russisch-ukrainischen Front (wie mir Tante Lis Jahrzehnte später einmal als den wahren, tieferen Grund seiner Teilnahme an diesem Zweiten Weltkrieg plausibel machte).

Seltsam: Der Großvater läuft vor dem Sterben seiner Frau davon – der Enkel (ich) muss dieses Sterben miterleben. Ich habe an Sterben und Tod meiner Großmutter keinerlei Erinnerungen. Sie starb Ende 1942 qualvoll, weil es kaum schmerzlindernde Medikamente gab (es war ja Krieg mit Mangelwirtschaft), gepflegt von ihren Töchtern. In ihrem Schlafzimmer in der selben Wohnung, wo ich im Zimmer nebenan spielte.
An Sylvester 1942 starb noch jemand in diesem Haus: mein Cousin Heinz Hertel, mein bester Freund „Heinzele“. Er starb, weil die Frauen irgendwoher echten Bohnenkaffee aufgetrieben hatten und den zum Jahreswechsel unbedingt trinken wollten. Heinzele wollte auch „Kaffee“ und bekam ihn. Eine rätselhafte Reaktion seines Blutes reagierte tödlich auf das Coffein – er starb in den nächsten Tagen.

Ja, der Tod war sehr präsent im Haus Bahnhofstraße 15 in Rehau in meinem zweiten Lebensjahr. Indirekt war er zudem sicher ständig gegenwärtig in der Sorge und den Ängsten der Frauen um ihre Männer draußen irgendwo in Europa im Krieg.

Habe ich die Bombenangriffe in Leipzig miterlebt? Wenn später, in den 50er Jahren, am Mittwoch um 12:00 Probealarm war, fuhr mir das immer durch und durch. Ich habe den Fliegeralarm während des Krieges sicher auch in Rehau immer wieder mit „gehört“. Dort am nordöstlichen Rand des Fichtelgebirges wurde nie bombardiert – aber die Bomberschwärme der Alliierten flogen hoch oben am Himmel über den Ort – Richtung Berlin, Dresden, Leipzig – oder nach München.

Rehau war den ganzen Krieg über eine Idylle. Wäre nicht im Mai 1945 noch im letzten Augenblick von einem amerikanischen Panzer die Roth´sche Holzwollfabrik am Hofer Berg in Brand geschossen worden – Rehau hätte keinen einzigen Kratzer in diesem Krieg abbekommen.

Aber in meinen Träumen jener Kriegstage in Rehau muss ich mitten drin gewesen sein. Meine Mutter ging gerne ins Kino, in „Lichtspieltheater“ vom Otto Strobel. Doch einmal musste man sie mitten aus der Vorstellung nachhause holen, weil ich vom Kindermädchen nicht zu beruhigen war und nicht aufzuwecken aus einem Albtraum, in dem ich von brennenden Häusern und von den „Fiechern“ phantasierte – meinem Kinderwort für die Flieger, die ihre schreckliche Fracht oben am Nachthimmel transportierten.

Weil ich gerade beim Thema „Krieg“ bin: Der Trommler*, als der ich oben posiere, hatte ein lautstarkes Vorbild: Die Begleitmusik, die den Hitlerjungen vorwegmarschierte, wenn sie „mit klingendem Spiel“ durch Rehau zogen – wie überall in Deutschland. Hitler brauchte ständig Nachschub an Soldaten, die millionenfach für „den Führer im Kampf fielen“ (wie man das damals schönfärberisch nannte) – die Hitlerjugend war genau das, angeleitet vom Hilfs-Verführer Baldur von Schirach.

Einmal zog so ein Fähnlein vor unserem Haus in der Bahnhofstraße vorbei. Ich nicht faul, rannte hinunter auf die Straße und schloss mich dem Zug an. Man ließ mich auch mitmarschieren (wahrscheinlich amüsiert über diesen frühreifen Jungdeutschen). Bis zum „Lichtspieltheater“, dem Rehauer Kino. Die Pimpfe marschierten hinein. Und mir schlug man brüsk die Tür vor der Nase zu – das war noch nichts für einen Dreikäsehoch.
Ob ich deshalb später so ein Kinonarr wurde – weil man mich damals von diesem Vergnügen ausgeschlossen hat? Aber näherliegend ist, dass ich diese Leidenschaft von meiner Mutter übernommen habe. Und mein Sohn Maurus wurde vielleicht deshalb Filmregisseur, weil er dass von mir übernommen hat? Die Wege der „familiären Delegation“** sind manchmal wundersam.

* Günther Grass hat mit seinem Roman Die Blechtrommel diesem Instrument und seiner Bedeutung in der Nazizeit 1959 ein buchstäblich lautstarkes Denkmal gesetzt.)
** Zur „familiären Delegation“ ein andermal mehr.

017 _ aut #846 _ 2020-12-10/20:54

Hörgeräte sind was Feines, aber…


… in Zeiten von Corona kommt man damit leicht an Grenzen der Verständlichkeit. Schreib-Seminare sind derzeit nur online mit Video-Konferenzen zu bewältigen. Dazu muss man nicht nur freundlich in eine Kamera schauen und klar artikuliert sprechen – sondern auch aufmerksam zuhören. Wenn man jedoch, wie ich, Hörgeräte braucht, können diese noch so gut sein – aber mit Headset oder Kopfhörern gibt das leicht Probleme. Zum Beispiel unerwünschte Rückkopplungseffekte.

Die technische Lösung dafür existiert: Neuartige Geräte mit kabelloser Bluetooth-Verbindung. Die man noch dazu – state of the art – via Akku aufladen kann, wodurch man nicht mehr unzählige Mikro-Batterien vergeuden muss.

Als drittes imponiert die rundumerneuerte Software, mit der man nun wirklich in einem Lokal alle störenden Nebengeräusche ausblenden und die Menschen am Tisch sehr gut verstehen kann, mit denen man sich unterhalten möchte.

So sehen sie aus – so winzig – aber mit je zwei Prozessoren, die so leistungsstark sind, dass man früher dafür gemordet hätte – und dazu noch Bluetooth für das „Internet der Dinge“ (Archiv JvS)

Und jetzt komme ich zur einzigen Werbung, die es auf diesem Blog je geben wird:

Ich empfehle die neuartigen, supermodernen Hörgeräte von NuEar /StarKey, die das Arbeiten in Webinaren mit Videokonferenzen nicht länger zu einem anstrengenden Balanceakt zwischen Schwerverstehen und Kaumverstehen und Garnichtverstehen machen – sondern zu einem ungetrübten Hörvergnügen. Denn dank kabelloser Bluetooth-Verbindung braucht man keinen Kopfhörer und sogar den Ton von Fernsehsendungen und aus dem Telefonhörer kann ich nun direkt empfangen – und die Musik vom CD-Player und aus dem I-Pod.

Voraussetzung: Dass dies alles so klappt wie versprochen. Das muss noch getestet werden. Ist in Arbeit. Wenn es klappt, will ich gerne Werbung dafür machen.

016 _ aut #774 _ 2020-11-20/20:34

„Dröhnende Stille“ wegen Corona

Buchmesse Frankfurt am Main im Oktober 2020: Geisterhafte Leere in den Gängen wegen Corona

Ein schönes Oxymoron: „Dröhnende Stille“. So betitelt die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar zur diesjährigen Buchmesse, die im Oktober dieses Jahres wegen der Corona-Pandemie weitgehend in leeren Räumen und online stattfand. Das weckte in mir zwei Erinnerungen an meine früheren Tätigkeiten als Lektor und Autor:

° Meine Anfänge mit dem Buchmarkt 1969 in der Nymphenburger Verlagshandlung, wo ich als wissenschaftlicher Lektor begonnen habe. Das war meine zweite Arbeitsstelle (nach der Illustrierten Jasmin im Jahr zuvor). Unvergesslich das erste Gespräch mit Verleger Bertold Spangenberg mit diesen beiden Sentenzen:
° Auf meinen vorangehenden Job bei Jasmin anspielend (der ihm wichtig war wegen der Pressekontakte, die er sich von mir versprach) meinte er: „Jasmin – dieser Duft wird von denselben Substanzen erzeugt, die auch in den menschlichen Fäkalien enthalten sind.“
Da sprach sowohl der Chemiker, der er von Haus aus gewesen war als auch sein etwas zwanghafter Charakter“ – wie ein Psychoanalytiker das beschreiben würde. Er war wirklich sehr pedantisch, etwa indem er ständig die vielen Projekt-Mäppchen auf seinem Schreibtisch umschichtete. Aber er war trotzdem ein sehr guter und sehr kreativer Verleger – oder gerade deswegen. Ich habe viel von ihm gelernt und traf ihn später immer wieder bei der VG WORT, wo er eine wichtige Stimme der Verleger war.
° Spangenbergs zweite Bemerkung verblüffte mich noch mehr: „Bücher sind durch Druck entwertetes Papier.“
Damit meinte er, dass die noch frischen, nicht bedruckten Rohbogen, auf denen die Texte der Bücher entstehen, so lange handelbares Gut und somit wertvoll sind – wie sie eben nicht bedruckt wurden. Der Druck machte zwar ein neues Handelsgut daraus, eben ein Buch – aber dieses ist ab da den ganz anderen Gesetzmäßigkeiten des Buchmarktes unterworfen und wirklich rasch „entwertet“, sobald das Buch kein Bestseller oder einigermaßen erfolgreich ist, sondern ein Flop, der schlimmstenfalls im billigen „Ramsch“ landet oder wie Blei im Lager rumliegt.

° 1973 dann meine erste eigene Präsenz bei der Buchmesse – am Stand des Droemer-Verlags (wo gerade mein Sachbuch Innenwelt-Verschmutzung erschienen war und ich neben anderen den Bestsellerautor Johannes Mario Simmel als Autorenkollegen beim selben Verlagshaus kennenlernte).

Noch ein Gedanke zu dem eingangs erwähnten Begriff „Oxymoron„. Damit ist der sprachliche Kunstgriff gemeint, in einem einzigen Wort zwei total gegensätzliche Begriffe zusammenzufügen. „Dröhnende Stille“ war oben das Beispiel. Mindestens so eindrucksvoll ist für mich „Rasender Stillstand“, ein Essay von Paul Virilio mit dem Untertitel: „Ein Versuch über Beschleunigung in der Moderne“.
Aber der Begriff „Stillstand“ im Titel zielt eben auch auf das Gegenteil – die Entschleunigung.

Quelle
Virilio, Paul: Rasender Stillstand (Paris 1990). (München 1997, Hanser). Frankfurt am Main 2015, 5. Aufl. (Fischer Taschenbuch).

015 _ aut #294 _ 2020-11-18/16:45
(Timeline 1: Der aktuelle Eintrag zum Datum 2020-10-17 / Timeline 2: historisches Datum 1969 bzw. 1973)

Entschleunigung in Zeiten der Pandemie

Als ich 1979 in meinem Ratgeber Singles – Alleinsein als Chance den Begriff „Entschleunigung“ einführte, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, welche Furore dieser Begriff im Lauf der Jahre machen würde.  Seit dem Jahr 2000 ist er sogar im Duden präsent.

Die Corona-Pandemie mit dem ersten Lockdown in diesem Frühjahr hat alle Abläufe extrem verlangsamt – der Begriff „Entschleunigung“ tauchte deshalb plötzlich überall auf.

Aber Corona hat auch das Gegenteil forciert, die Beschleunigung – zum Beispiel, was die Digitalisierung des modernen Lebens angeht. Oder wie der Bundestag an einem einzigen Tag alle drei – vorgeschriebenen – Lesungen eines neuen Gesetz über das Kurzarbeitergeld buchstäblich durchpeitschte, und zwar mit der Zustimmung aller im Parlament vertretenen Parteien, sogar mit der sonst immer opponierenden AfD.

Mein Symbol für Entschleunigung (Bronze, unbekannter Künstler, unbekanntes Jahr – Archiv JvS).

aut #301 _ 2020-11-18/16:45

Mein CAN-Blog

(Am 08. April 2020 habe ich meinen ersten Anlauf zu diesem Blog unternommen. Und das begann so:)
Danke, dass Sie meinen CAN-Blog besuchen!
Hier notiere ich alle zwei, drei Tage, was mich im Verlauf der der Corona-Krise privat und beruflich bewegt.
Wieso dieser Name CAN-Blog?
CAN – das ist ein Akronym. Es steht für:
Corona
Attacke
Nützen

– nämlich nützen für Chancen im eigenen Leben angesichts der weltweiten und leider allzu nahen Virus-Katastrophe.

Schon im griechischen Urwort „krisis“ ist ja beides enthalten: Gefahr und Chance.

Welches Kulturwerkzeug wäre besser geeignet, bei der Bewältigung der aktuellen Krise zu helfen – als das #Schreiben – dieses vielseitige „Wunderwerkzeug“!

Aber es wird in diesem Blog noch weitere wichtige Themen geben: Die #Labyrinthiade, die #Entschleunigung, #München – Stadt der Zukunft“ (als Hintergrund für mein aktuelles Roman-Projekt) – and many many more.

Das wird dann also so etwas wie „Kraut & Rüben“ – wer soll das denn lesen? (denken Sie jetzt vielleicht).
Nun – zunächst einmal lese (und schreibe) ich das selbst. Da Sie das jetzt auch lesen – sind wir schon zu zweit. Und vielleicht gefällt Ihnen dieser Blog und sie lesen weiter darin und empfehlen ihn weiter?

Dieser Blog so etwas wie mein Grabstein zu Lebzeiten werden. Das ist aber nur symbolisch gemeint – denn wenn ich etwas nicht will, dann einen Grabstein. Ich will verbrannt und in einer Urne bestattet werden. Oder jemand verstreut meine Asche bei Sylt im Meer – würde mir auch gefallen – dieser Gedanke.
Ist aber nur so ein Gedanke, wie gesagt, denn leibhaftig werde ich ja nicht dabei sein können. Doch die Vorstellung, dass dieser hier notierte (Anfangs-)Gedanke und viele weitere Gedanken und Erlebnisse von mir in Form von Texten meinen Tod eine Weile überdauern könnten – eben als (virtueller) „Grabstein im Internet“- dieser Gedanke gefällt mir.
Ich schmökere ja auch gerne in den Tagebüchern meines Urgroßvaters Ferdinand Naumann aus dem Jahr 1886 folgende, die ich von meinem Vater geerbt habe und an meine Kinder und Enkel weitergeben werde.

Und los geht´s.

013 _ aut #830 _ 2020-04-08 / 10:31

Hallo – das bin ich

Hier will ich vorab definieren, worum es mir in diesem neu gestarteten Blog geht. Ich will mich darin mit allem befassen, was das Schreiben betrifft. Begleitende Themen (Kategorien) sind die Labyrinthiade und die Entschleunigung. Das hängt (für mich jedenfalls) alles eng zusammen: Beim Schreiben bewegt man sich entschleunigt durch das Labyrinth des eigenen Lebens (oder des Projekt-Themas, an dem man gerade arbeitet).

Aber zunächst einmal will ich mich mit einem aktuellen Portrait auch optisch vorstellen (weitere Details in → ABOUT) – den Hut habe ich übrigens nur zu diesem Anlass aufgesetzt:

Abb.: Jürgen vom Scheidt, Schriftsteller und Leiter von Schreibseminaren (Foto: GvSch 2019)

Warum dieser Hut? Er tauchte irgendwann in der Familie auf, ein Erbstück. Ich sah ihn und dachte spontan: So einen Hut hat mein Vater immer gerne getragen, ein Borsalino. Deshalb ließ ich mich damit auch spaßeshalber ablichten – s. das Bild oben. Typisch 50er Jahre für seriöse Bürger. Ich habe nie einen Hut getragen (außer im Sommer als Sonnenschutz). Aber als mir das Foto wieder mal zufällig in die Hände kam, dachte ich: Das passt doch gut zu einer Inszenierung.

Inszenierung? Nun, wir spielen immer irgendwelche Rollen, je nach Umgebung sind wir mal so und mal so. Beim Klassentreffen rutschen wir rasch, wie mit einer Zeitmaschine, zurück in die Vergangenheit, als wir gemeinsam die Schulbank drückten. Andertags in der Arbeitssituation sind wir nicht der Klassenclown (der wir am Vorabend und damals in der Schule vielleicht waren), sondern der seriöse, gut beherrschte Was-auch-immer.

Nun also „Mann mit Hut“. Das hat tatsächlich viel mit meinem Vater zu tun (dem ich im Alter zu meiner eigenen Überraschung in mancher Hinsicht ähnlich werde, zumindest innerlich und zeitweise) – nicht zuletzt, weil dieser Blog eine Art Goldwaschanlage für meine Autobiographie sein soll (an der ich seit einem Jahr arbeite) und mein Vater darin in vielerlei – und manchmal sehr widersprechender Weise – eine wesentliche Rolle spielt.

Goldwaschen – darum geht es beim Schreiben immer. Man sammelt und sinniert und recherchiert und erinnert sich – aber nur die wirklich wertvollen Goldnuggets sollten im Endprodukt landen.

Nachdem ich auch parallel dazu an einem Roman arbeite, solte sich neimand wundern, dass hier immer wieder auch Erzählendes zu finden ist.

Doch außer dem „Schreiben und Veröffentlichen“ gibt es noch zwei weitere große Themen: Die Labyrinthe und die Entschleunigung.

Unter Labyrinthiade verstehe ich die vielfach verschlungenen Geschichten der griechischen Labyrinth-Sage um Daidalos und Icaros sowie um Theseus und Ariadne (und viele Figuren mehr) sowie um die rätselhaften Strukturen realer Labyrinthe und Irrgärten und das, was ich Yrrinthos nenne – nämlich all jene Labyrinthe, die eigentlich gar keine sind (weil sie nur einen einzigen, wenngleich sehr verschlungenen Gang aufweisen, indem man sich jedoch gar nicht verirren kann), die aber meistens keine Gärten sind, sondern lediglich sehr verwirrende Strukturen – etwa wie eine fremde Großstadt, in der man sich nicht zurechtfindet (oder so kompliziert wie dieser Satz hier).
Das Labyrinth und die Bewegung durch diesen einen Gang hin zum Kern der Struktur ist für mich außerdem die Metapher schlechthin für den Vorgang des Schreibens
– bei dem man ja auch ein Ziel hat (z.B. eine spannende Kurzgeschichte mit einer überraschenden Pointe), aber dann auf dem Weg zu diesem Ziel oft ziemlich lange und irritierende Umwege machen muss, bis der Text so ist, wie man ihn haben möchte (oder wie dieser Text sein will – Texte können rasch ein verblüffendes Eigenleben entwickeln).
 
° Das dritte Thema, die Entschleunigung ist ebenfalls ein wesentliches Unterthema des Schreibens. Denn das schriftliche Festhalten verlangsamt den meist recht freien und rasch umherschwirrenden Gedankenflug – weil die schreibende Hand eben weit langsamer arbeitet als das denkende und fühlende Gehirn.
Keine Frage ist es für mich, dass mindestens so wichtig das Gegenteil ist: die Beschleunigung. Auch sie spielt beim Denken und Schreiben eine wesentliche Rolle:
° Zum einen, weil unser Gehirn mit seinen unglaublichen 100 Milliarden Neuronen mit 100 Billionen synaptischen Verbindungen rasend schnell arbeitet – wovon in unserem Bewusstsein aufgrund seiner „Enge“ jedoch nur winzige Bruchstücke ankommen.
° Zum anderen, weil wir im Schreiben beliebig „schnell“ sein können: Beispielsweise mit einem Wimpernschlag von Sekundenbruchteilen irrsinnige „Tausende von Lichtjahren“ in einer SF-Story überwinden, weil unsere Phantasie keinerlei Grenzen in Raum und Zeit setzt – zumindest nicht in der Science-Fiction.
Aber auch sonst lebt Literatur vom „Zeitrafferverfahren“ der Szenenwechsel und der Veränderungen des Blickwinkels – und von der Komprimierung. So verdichtete beispielsweise James Joyce in seinem bizarren Roman Ulysses einen einzigen Tag in Dublin zu gerade mal 800 Seiten, obwohl er jedes noch so winzige Detail in Raum und Zeit vor den Leser hinstellte, samt Nebengedanken nach allen sechs Himmelsrichtungen (eben auch nach oben und unten). Was sind da schon 800 Seiten!

*

Dieser Blog wird sich mit der Gegenwart befassen, was unvermeidlich auch zum Thema „Corona-Pandemie“ führt (meine Kategorie hierzu: CAN-Blog).
Er wird sich auch mit der Vergangenheit befassen – nicht zuletzt, weil ich hier auch Erinnerungen für meine Autobiographie sammle (Kategorie: AutoBio).
Und dann ist da noch so manches, was mit der Zukunft zu tun haben wird (z.B. in der Kategorie: Science-Fiction).

*

Falls Sie zufällig das Datum dieses Beitrags am Ende dieser Zeilen lesen (das ansonsten immer rechts am Rand des Blogs steht) wundern Sie sich vielleicht über diesen „13. November 2020“. Eigentlich müsste das Datum lauten: „(Freitag) 13. November 2026“ – aber das geht nicht, weil dieser Post dann erst zu jenem Datum veröffentlicht und hier im Blog sichtbar werden würde.
Aber das ist eine Geschichte, die will ich, wie so manches weitere in diesem Blog, „ein andermal erzählen“ (wie Michael Endes das so schön zum Running Gag seiner Unendlichen Geschichte gemacht hat). Hier nur so viel:
„Freitag, der 13. November 2026“ ist das fiktive Datum, von dem ausgehend sich eine Serie der Zeitschrift Psychologie heute mit der kommenden Welt des Jahres 2050 beschäftigte, veröffentlicht in den 1990er Jahren beschäftigte. Ich verfasste zu dieser Serie einen Essay mit dem Titel „Homo futurus“ (der sich mit der Psyche der kommenden Menschen befasste). Seitdem hat mich dieses Datum nicht mehr losgelassen – das ich persönlich vielleicht nicht mehr erleben werde.
Obwohl: Hundertjährige gibt es inzwischen schon 16.500 allein in der Bundesrepublik und erklecklich viele davon sind sogar 110 Jahre alt. Fragt sich nur, in welchem geistigen, seelischen und körperlichen Zustand sie sich befinden und ob das für mich unbedingt erstrebenswert ist.

Aber die Medizin macht ja Fortschritte, und seit 50 Jahren mache ich jeden Morgen meine Yoga-Übungen, die mir ein Mann beigebracht hat, der immerhin 90 wurde und einst ein Buch mit diesem Titel schrieb: Die Kunst sich selbst zu verjüngen. Max Kirschner wurde 1900 geboren und hat zwei Weltkriege und viele anderen Entbehrungen durchgemacht – ich wurde 1940 geboren und hatte das große Glück, bisher von Entbehrungen verschont zu sein und wenn ich die Corona-Pandemie überlebe – wer weiß…

Besuchen Sei diesen Blog am 13. November 2026 – und vielleicht wieder im Jahr 2050 – und Sie werden es erfahren.

© Jürgen vom Scheidt – geschrieben 18. Nov 2020 – zur Wiedervorlage am Freitag, den 13. November 2026

011 aut #309 (1940-02-09 / 09:18)

 

– – – Anhang – – –

(Work in Progress) Dieser Beitrag sammelt alle Listen, die eine Reihe von Blog-Beiträgen nach verschiedenen Kriterien erschließen und miteinander vernetzen. Bisher sind dies bzw. sollen es werden (in alphabetischer Folge):

01 ABC meines Lebens (Glossar meiner wichtigsten Themen – s. auch die Kategorien-Wolke)
02 Artikel hier im Blog (recycelt aus früheren Veröffentlichungen von mir)
03 Begegnungen mit Menschen (Liste von Interviews etc. hier im Blog)
04 Berufe
05 Buchveröffentlichungen (eigene) (Liste)
06 Entschleunigung (Liste von aktuellen Beispielen)
07 Filme (Liste von Empfehlungen durch mich hier im Blog)
08 Glossar aller besonders wichtigen Themen (die mich interessieren)
09 Graphiken (eigene) (Liste hier im Blog)
10 Kurzgeschichten (Liste eigener Stories hier im Blog)
11 Labyrinthiade (zum Teil recycelt aus meinem einstigen Labyrinth-Blog
12 Lyrik (Liste eigener Gedichte hier im Blog)
13 Medien, in denen ich publiziert habe
14 Mini-Lektionen (aus den Schreib-Seminaren und -Webinaren)
15 MultiChronie (Sammlung besonders markanter Beispiele)
16 Musik-Beispiele (z.B. Ravi Shankar) (Liste hier im Blog)
17 Orte (LISTE)
18 Reisen
19 Schlüsseljahre (Liste von wichtigen Ereignissen hier im Blog)
20 Seminar-Berichte
21 Schreib-Tipps
22 Schlüssseljahre
23 Träume (LISTE eigener T.)
24 Wohnungen
25 Zeittafel HyperWriting
26 Zeittafel Schreiben allg. (Ergänzungen)
27 Zufälle

00 _ aut #819 _ aktualisiert 2021-05-02 (2021-02-31/17:18

Filme hier im Blog (LISTE)

Ich bin ein Kino-Fan von Kindheit an gewesen. Meine allererste Erinnerung dieser Art war etwa 1946 ein Kinobesuch, bei dem eine (abgefilmte) Aufführung der Hohensteiner Puppenbühne gezeigt wurde – irgendein Abenteuer von Kasperle und dem Seppl, es gab einen Kampf mit dem bösen Krokodil, ordentlich Haue mit der Pritsche vom Kasperle und die Großmutter musste gerettet werden. So ungefähr war das – in meinem sechsten Lebensjahr.
Das nächste Leinwand-Abenteuer, an das ich mich noch sehr lebhaft erinnern kann, mit vielen Szenen und Details, war Der Zauberer von Oz. Der Film entstand zwar schon 1939 inden USA – aber in Deutschland kam er kriegsbedingt erst im April 1951 in die Kinos. Das das Heer der fliegenden Affen war unglaublich eindrucksvoll – und dann gleich zu Beginn dieser Wirbelsturm, der das kleine Mädchen Dorothy samt dem Holzhaus in den Luft saugt – und der plötzliche Wechsel von Schwarz-weiß in qietschbuntes Technicolor!

Es verging jedenfalls kein Wochenendende, an dem ich nicht im Rehauer Lichtspieltheater der Familie Strobel saß. Wobei es kein Schaden war, dass ich mit Klaus Strobel in dieselbe Volksschulklasse ging, ich auch mit seinem etwas jüngeren Bruder Gerd viel spielte und wir fast Haus an Haus wohnten. Auf diese Weise konnte ich leicht einen der (teureren und begehrten) Sitzplätzre auf dem Balkon ergattern – oder mich gelegentlich auch kostenlos hinten über die Feuerleiter und durch den Vorführraum schleichen, wo zwei Rehauer Originale mit den Filmrollen hantierten: der bucklige Vorführer Michel und der Herr Meurer, der die Bruchstücke ganzer Biergläser schlucken konnte – selbst also geradezu filmreif war.
Damals gab es zu jedem Film die Illustrierte Filmbühne – ein gefaltetes Doppelblatt mit einer Beschreibung des Inhalts, der Besetzung und anderen Details. Ich muss weit über hundert davon besessen haben – leider haben sie die verschiedenen Umzüge meines Lebens nicht überstanden – bis auf fünf, darunter (mit dem Thema „Pest“ zufällig bestens zur aktuellen Corona-Pandemie passend):

Illustrierte Filmbühne zu Das siebente Siegel von Ingmar Bergmann (Filmbühne – Archiv JvS)

Die folgenden Filme habe ich alle während der Arbeit am Blog (wieder) gesehen oder mich bei der Arbeit an den einen oder anderen Beitrag daran erinnert. Die Reihenfolge ist alphabetisch.
Wer sich dafür interessiert, welche Rolle speziell das Schreiben in Filmen spielt, findet in meinen Kurz-Rezensionen eine beachtlich große Anzahl (und das sind nur die, welche ich selbst kenne – es müssen noch weit mehr ein) auf der parallelen Seminar-Website iak-talente.de im Newsletter-Archiv: die sechs Folgen meiner Serie Filme rund ums Schreiben.

Filme hier im Blog

~Bin ich schön?

~Die WonderBoys

Grasgeflüster (demnächst)

~Rossini oder: Die mörderische Frage, wer mit wem schlief


Vernetzt – Johnny Mnemonic (demnächst)

Filme rund ums Schreiben (Sampler im Newsletter)

(Work in progress )


-06 _ aut #773 _ aktualisiert 2021-05-02 (2021-02-25/20:20)

Kurzgeschichten hier im Blog (LISTE)

Meine erste Story habe ich 1955 geschrieben, irgendetwas mit Aufhebung der Schwerkraft und einem genialen Professor, der damit auf einem Asteroiden irgendwo im Sonnensystem experimentiert. Titel: „Antigravitation“. Sie wurde nie veröffentlicht, das Manuskript ist verschollen und ich kann mich nur noch sehr verschwommen daran erinnern – gerade mal an diese drei typischen Ingredienzien für eine (technische) SF-Geschichte: Professor (genial – also mindesten hochbegabt) + Antigravitation + Asteroid .
Mit der zweiten Story lief es schon besser. Ich verfasste sie 1956, Walter Ernsting veröffentlichte sie im Vereins-Fanzine ANDROmeda des Science-Fiction Club Deutschland unter dem Titel „… und sie bewegt sich doch“. Honorar gab es dafür noch keines.
Mit Story Nr. 3 gelang mir gewissermaßen der Durchbruch als Autor. Sie wurde im UTOPIA-Magazin Nr. 6 des Pabel-Verlags veröffentlicht (Herausgeber: Walter Ernsting – der allmählich zu einer Art Mentor in Sachen SF für mich wurde). Und es gab ein Honorar: 10.00 DM. Ich habe sie hier im Blog recycelt (Link s. unten).

Abb: Mein erstes Honorar für eine Kurzgeschichte: 10,00 DM, vom Briefträger ein halbes Jahr später bar ausgehändigt für „Nur ein kleiner Fehler“ (1956 im Utopia-Magazin Nr. 6) (Archiv JvS)

Nur ein kleiner Fehler
(1956) Hätten sie geahnt, dass der technische Fortschritt sie buchstäblich überholen würde – die Kommandeure der Invasionsflotte hätten den Befehl zur Ausrottung dieser Aliens nicht gegeben.

Herzstillstand mit Semele
(1985) War das nun das Ende? Oder fing etwas Neues an?

Abschied von Utopia
(1986) Der Übergang in eine andere Welt war zu verlockend. Wenn da nur nicht das Problem mit dem Wachsen und Erwachsenwerden gewesen wäre.

Der Schnitt
(1987) Mit einem herzhaften Luftröhrenschnitt rettet der verliebte Assistenzarzt der Tochter des Klinik-Chefs das Leben.

Der Archivar der Zukunft
(1990) Er hatte sich so viel Mühe gegeben, sie alle nach ihren Bedürfnissen gefüttert – und nun dieser schreckliche Sturm…

Conga Joe
(1991) Dass man die Leute in dieser verrauchten Kneipe so verzaubern konnte!

Der Mann von der Lottozentrale
(1997) Seltsam – er hatte doch gar nicht gespielt – und nun sollte er plötzlich gewonnen haben – wie denn das?

Die Wunderheilung
(2007) Sie wollte sich heilen lassen – aber der Analytiker gab ihr weit mehr.

Der kleinste Weihnachtsmann der Welt
(2007) Kaum zu glauben, was während der Feiertage am Jahresende alles möglich ist!

Die letzte Menschin
(2021) Sie war das Ende – und zugleich der neue Anfang.

Ich bin der glücklichste Mensch der Welt
(2021 / 2005) Dumm gelaufen, kann man da nur sagen – je nach Blickwinkel.

-09 aut #827 _ aktualisiert 2021-07-30 (2021-03-02)