Na endlich: Panzer für die Ukraine

Vorab: Ich verstehe mich als Pazifisten – mag weder Panzer noch andere Waffen und schon gar keinen Krieg – wirklich nicht. Als Kriegskind weiß ich recht gut, wie es derzeit in der Ukraine zugeht.
Genau deshalb verstehe ich jedoch den verzweifelten Wunsch von Selenski nach wehrhafter Unterstützung – er braucht diese Panzer wirklich dringend. Und er sollte sie endlich auch bekommen.

Abb. 1: Sieht schon gruslig aus, so ein Panzer – selbst wenn er nur in einem Museum steht (Photo by Skitterphoto on Pexels.com)

Das war ja nicht mehr mit anzusehen, wie unser Kanzler Scholz sich vor dieser Entscheidung „gewunden“ hat. Das ist auch verständlich, weil es vermutlich weittragende Folgen haben könnte, der russischen Invasion ein weiteres mächtiges Hindernis in den Weg zu legen – auch wenn es noch Monate dauern dürfte, bis da wirklich „Panzer rollen“.
Dazu noch dieser logistische Albtraum: Demnächst vier verschiedene Versionen dieser wohl stärksten Panzer-Typen: Leopard II aus Deutschland (und aus anderen NATO-Ländern zusammengeklaubt),  amerikanische Abrams, britische Challenger und französische LeClerc.
Das muss alles transportiert, gewartet, daran muss ausgebildet werden…
Und schon kommt der neue Wunsch (ebenfalls sehr verständlich) nach Kampf-Jets.
Kein Wunder, dass viele Menschen bei uns Putins Drohung mit der Atombombe ernst nehmen oder gar einen Dritten Weltkrieg fürchten.
Ich verstehe diese Ängste und dass man sie mit anderen Menschen teilen möchte. Aber ich vertraue gerade wenn das martialische Gebrüll aus dem Krem immer lauter wird, nach wie vor auf die „leise Stimme der Vernunft“, von der Sigmund Freud 1927 trotz seiner pessimistischen Grundstimmung geschrieben hat:
… die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, bis sie sich Gehör geschafft hat.“ 

Ich habe schon 1965 einen Artikel mit diesem Titel verfasst: 

Abb. 2: Schon in den 1950 und 1960er Jahren hatte man Angst vor dem Atomkrieg. (Archiv JvS, Selecta 1965)

Diese Hoffnung hat bis heute (Stand: 27. Januar 2023) gehalten – also 57 Jahre. Warum sollte die russische Führung an dieser stillen Übereinkunft rütteln? Putin mag ja Psychopath genug sein, um auf den „Atomknopf“ zu drücken. Aber die Generäle und sonstigen „Mächtigen“ in seiner Umgebung haben viel zu viel zu verlieren, um so ein Risiko einzugehen. Sie wissen doch: Wenn Putin Kiew mit einer Atomrakete zerstört, werden die Amerikaner die russische Schwarzmeerflotte versenken. Und so weiter. Nein, das Gerede vom „Atomschlag“ ist nur ein Zeichen, dass Putin in seinem „Köcher“ nicht mehr viel hat und probiert es immer wieder mit „psychologischer Kriegsführung“. Lassen wir uns deshalb also keine Angst machen.

Abb. 3: Wer mal sehr realistisch miterleben will, wie es mit und in so einem Panzer zugeht, kann Brad Pitt als Kommandeur so eines Metallmonsters durch den Zweiten Weltkrieg begleiten – in einem Sherman (Columbia Pictures).

Quellen
Freud, Sigmund (1927): „Die Zukunft einer Illusion“, GW XIV, S. 377.
Scheidt, Jürgen vom: „Der atomare Krieg findet nicht statt“. In: Selecta Nr. 34 / Sep 1965


290 _ #1497 vom 27. Jan 2023/21:15

°Nuklearer Winter (Story)

(Es gibt so Tage, an denen mich der Zustand der Welt, genauer: der Menschheit, sehr pessimistisch bis misanthropisch stimmt. Heute war so ein Tag. All die frustrierenden Diskussionen, ob man der Ukraine Leopard-Panzer liefern dürfe – oder ob man dieses ganze Volk besser gleich verrecken lassen solle. Bloß nicht Herrn Putin verärgern…)

Abb.: Rein symbolisch: Muslimischer Friedhof in Istanbul – eine von unzähligen Grabanlagen dieser Erde (JvS: April 1964)

Er hatte nichts mehr zu verlieren. Aber er konnte der Menschheit eine gute Zukunft ermöglichen – mit gewissen Abstrichen.

Von Honolulu auf Hawaii nach Sumbawa in Indonesien sind es schlappe 3.000 Kilometer. Ist auch mit meinem modernen Jet eine ziemliche Entfernung, vor allem wenn man den Ko-Piloten und die ganze andere Besatzung vorher von Bord schickt und alleine am Steuer sitzen wird. Aber meine kostbare Ladung will ich mit niemandem teilen. Auf Hawaii hätte es auch tolle Vulkane gegeben. Oder auf Island. Aber der Tambora soll es sein.

Also die andere Variante. Von Jakarta nach Sumbawa sind es mit dem Flugzeug Luftlinie nur noch 1.275 km. Ich wäre lieber von Honolulu auf Hawaii gestartet, weil da der nächste aktive Vulkan, der Kilauea, quasi um die Ecke liegt. Aber der Tambora ist mir wichtiger wegen seiner früheren Auswirkungen auf das Weltwetter. Er brach im April 1815 aus und verursachte weltweite Missernten und Hungersnöte: Das berüchtigte „Jahr ohne Sommer“. In den Vereinigten Staaten bekam es den Spitznamen „Eighteen hundred and froze to death“, und in Deutschland (von dort sind meine Urgroßeltern in die USA ausgewandert) wurde es als das Elendsjahr „Achtzehnhundertunderfroren“ berüchtigt.

Kann man alles in der Wikipedia nachlesen.

Was mich mehr interessiert, ist eine ganz spezielle Auswirkung, die dazu führte, dass Mary Godwin den Sommer 1816 nicht genießen konnte, den sie mit ihrem späteren Mann Percy Bysshe Shelley sowie Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori und ihrer Stiefschwester Claire Clairmont in der Villa Diodati in der Nähe des Genfer Sees verbrachte. Was alles nicht so wichtig ist, denn weit eindrucksvoller – und bestimmend für mein eigenes Leben – war, dass diese erlauchte Gesellschaft das Haus kaum mehr verließ und stattdessen Schauergeschichten schrieb – eine erste Schreib-Werkstatt, wenn man so will. Ich hab als Student an einigen solchen Writer´s Workshops bei bekannten Autoren teilgenommen, als mich Science-Fiction noch sehr fasziniert hat, bis ich mein Geschäft gründete und ab da war für solche Extravaganzen keine Zeit mehr – sonst wird nichts aus dem Start-Up und Milliardär wird man dann auch nicht mehr.

Doch zur Sache: Mary Shelley, und nun komme ich zum Punkt und zu mir, verfasste damals ihren Roman Frankenstein oder der moderne Prometheus – die Geschichte jenes genialen Arztes, der aus Leichenteilen einen Menschen neu zusammensetzt und mit der Kraft der himmlischen Elektrizität eines Blitzes zum grusligen Monster-Leben erweckt.

Alles Blödsinn, das würde in der Realität nie funktionieren. Aber im Ergebnis sehr es sehr beeindruckend, gewissermaßen als Virtual Reality. Ein Welterfolg bis heute, mit unzähligen Verfilmungen. Und vor allem durch die Lektüre etwa mit acht für mein eigenes Leben bestimmend. Der Roman gilt als Geburtsstunde der Science-Fiction–Literatur. Mein älterer Bruder las dieses Zeug und so kam es mir in die Finger, als ich gerade selbständig zu lesen begann. Keine leicht Kost für einen Achtjährigen (ich hab die Schwarte auch nie zu Ende gelesen) – aber Dr. Viktor Frankenstein, dieser Urvater aller Mad Scientists, hat es mir damals angetan.

Nachdem diese Zeilen meine letzten sein werden und niemand außer mir sie je zu Gesicht bekommen wird, möchte ich hier vermerken, dass ich zwar kein Genie bin, aber auf jeden Fall ein Hochbegabter, der es in seinem Leben zu etwas gebracht hat. Ja. Hektor Gondwan ist einer dieser Startup-Milliardäre, die es in die erste Liga der Weltwirtschaft geschafft haben mit ihrem Einhorn-Unternehmen.

Kann man das sprachlich irgendwie besser ausdrücken: „… Weltwirtschaft geschafft“ – das klingt nicht gut. Aber ist ja auch egal, ich bin kein Schriftsteller, sondern Unternehmer – und wie erwähnt: Lesen wird das ohnehin nie jemand außer mir.

Nun sitze ich also hier in der Vip-Lounge des Flughafens von Jakarta und genieße mein Essen: Tandoori  Chicken (wirklich lecker), dazu Walldorf-Salat und zum Nachtisch eine Panna cotta mit Erdbeersauce und ein edler Rotwein (keine Ahnung, wo der herkommt – ist auch egal, ich bin kein Feinschmecker). Meine Crew habe ich mit je tausend Dollar beglückt und auf Sightseeing-and-Shopping-Tour in die Stadt geschickt. Meinen letzten Flug werde ich alleine meistern und damit dass Überleben der Menschheit sichern.

Es gibt nur ein Mittel, den Klimawandel sofort und nachhaltig zu bremsen: Den Krebs Menschheit stoppen, und zwar sofort! Ja, ich weiß, wovon ich rede. Mit Krebs kenne ich mich aus. Bauchspeicheldrüsenkrebs ist mein Schicksal. Die Medikamente bändigen den noch ein wenig. Aber mehr ist beim aktuellen Stand der Dinge auch für einen Selfmade-Milliardär nicht drin, auch nicht für einen hochbegabten. Mir bleiben also nur noch wenige Wochen, vielleicht Tage.

Doch das ist genug Zeit, um die Menschheit zu retten. Es werden unter all den Normalos sicher auch etliche Hochbegabte sein, die den Laden wieder zum Laufen bringen. Rein statistisch gesehen (Gauß´sche Normalverteilung heißt das) haben ja 2,42 Prozent einer Bevölkerung einen IQ über 130 und gelten als hochbegabt. (Mein IQ wurde mal bei mensa mit 129 getestet, weshalb sie mich in ihren edlen Club nicht aufgenommen haben, war ein Punkt zu wenig – aber an dem Tag war ich nicht gut drauf und scheiß auf diesen einen Prozentpunkt! Ich weiß, was ich bin).

Gut, manche werden mich als Herostrat verfluchen – aber ist es nicht besser, drei von den acht Milliarden Menschen überleben den nuklearen Winter, für den ich sorgen werde – als dass demnächst zehn Milliarden langsam zu Tode geröstet werden oder in den Fluten der schmelzenden Polkappen ersaufen?

Niemand weiß, dass Dr. Frankenstein mein Vorbild ist – dass auch ich, wenngleich nur im übertragenen Sinn, aus Leichenteilen einen neuen Menschen schaffen werde: Aus den Überlebenden des kommenden „Sommers ohne Sonne“. Nun ja, mit einem einzigen dieser schrecklichen Sommer wird es nicht getan sein. Ich rechne mit drei davon. Passt doch gut: Drei ist eh meine Lieblinsgzahl. Drei Sommer – drei Milliarden Menschen. Wenn es ganz schrecklich wird, nur drei Millionen. Aber auf jeden Fall genug, um gaaaanz laaaaangsam das „Projekt Menschheit“ wieder neu anzuschieben. Als Startup-Unternehmen gewissermaßen.

„Waiter – the bill please!“

Zeit, das ich mich auf den Weg mache und die Fat Lady im Frachtraum ans Ziel bringe. Hat dort gerade so reingepasst. War nicht einfach, eine dieser neuen Mini-Nukes auf dem internationalen Schwarzmarkt der Waffenhändler zu besorgen. Aber wie erwähnt: Dem Milliardär ist nichts zu schwer…

Kleiner Scherz, über den zum Glück nicht einmal ich lachen kann. Die Fat Lady also rein in den Tambora. Und – rumms!

Sollte ich vielleicht den Zettel mit diesen handschriftlichen Notizen irgendwo liegenlassen? Wäre schon schön, wenn jemand das finden würde und die Welt – Quatsch: die Menschheit VON MIR gerettet wurde (die Welt muss niemand retten).

Aber nein! wenn der Zettel zu früh gefunden und entsprechend reagiert wird, kann ich meine Mission vielleicht gar nicht erfüllen. Pfeif auf Eitelkeit und Narzissmus. Ich weiß, was ich getan habe. Also diese Notizen im Klo runterspülen. Und die Einsamkeit hat dann endlich auch ein

ENDE

289 _ #1426 _ 24. Jan 2023/19:16

Der Weltgeist als Spottdrossel

Zufälle gibt´s, die sehen aus, als würde da irgendwo im Universum eine rätselhafte Instanz antworten (Weltgeist, nannte Hegel das). Und manchmal, wenn auch sehr selten, ist diese Antwort regelrecht spöttisch. So war es jedenfalls, als eine gute Bekannte aus Schreibseminar-Tagen mich aufgrund meiner Meinung zum Krieg gegen die Ukraine (zum Beispiel dass man die kräftig mit Waffen unterstützen müsse) und speziell meines zornigen Blog-Eintrags Rohe Weihnacht – für Putin auf eine „andere Meinung“ zum Krieg hinwies von einem ehemaligen Brigadegeneral namens Erich Vad.

Der Mann war mir kein Begriff. Wer begreift also mein Erstaunen, als ich am Tag nach Erhalt dieser E-Mail (also heute) im Streiflicht der Süddeutschen Zeitung sehr ausführliche Auskunft über diesen General bekomme:

Abb.: 1 War dieser Zeitreisende in Wirklichkeit General Vad – oder (Abb. 2) nahm er diese Gestalt an? (Copyright s. Quellen)

„Der ehemalige Brigadegeneral der Bundeswehr Erich Vad, gern gesehener TV-Gast, darf als führend gelten in der Kunst der Fehlanalyse. Er sagte den Untergang der Ukraine in den ersten Kriegstagen voraus („Militärisch gesehen ist die Sache gelaufen“), das Scheitern ihrer Gegenoffensiven, den Fall der Stadt Odessa und manche weitere Entwicklung, deren Gegenteil sich umgehend einstellte. Wie Historiker wissen, haben verblüffend ähnliche Expertisen den Gang der Weltgeschichte geprägt. Es kann daher nicht länger ausgeschlossen werden, dass es sich bei Erich Vad um einen zeitreisenden Experten handelt: Gekleidet in Spanische Tracht sagt er 1618 dem Kaiser, der Dreißigjährige Krieg werde binnen weniger Tage enden, da die Eskalationsmacht der Katholischen Liga überwältigend sei. Erich Vad, nun in Toga, belehrt 216 v. Chr. den römischen Senat, man müsse den Karthager Hannibal bei Cannae durch die Masse der Legionen einfach erdrücken, Erich Vad 1812 am Kaminfeuer im Chateau de Malmaison zu Napoleon: Seid Ihr erst in Moskau, gehört Euch die Welt. Nachzuweisen ist immerhin: Erich Vad war in seiner aktiven Zeit beratend in Angela Merkels Kanzleramt tätig.“

Der manchmal subtile und gelegentlich (s. oben) auch deftige Spott ist das Markenzeichen des Streiflichts. Aber da ist nicht nur dieser – wie immer sehr seltsame und rätselhafte – einfache Zufall im Spiel, diesmal in gewissermaßen „dialogischer Form“ (hier meine Frage – da die Antwort der Kolumne) – sondern es gibt gleich noch einen zweiten Zufall in diesem Zusammenhang:

Am Vortag (Montag der 16. Jan 2023) traf sich der Stammtisch der Phantasten, bestehend aus Freunden der Science-Fiction und der Fantasy. Das Thema war, diesmal ohne Vortrag, eine offene Diskussion darüber, was die immer „stärker“ werdenden Varianten von Künstlicher Intelligenz (KI) mit uns machen,: „“Wie halte ich es mit der Künstlichen Intelligenz?“
Spätestens seit Jack Williamsons The Humanoids ist das Wirken solcher potenzieller, dem Menschen überlegener Super-Intelligenz (eventuell sogar mit Bewusstsein) Thema der SF, in jüngster Zeit immer intensiver. Im Gespräch kamen wir auch auf die „Sandkasten-Spiele“ der Militärs zu sprechen – eine Urform der KI-Simulation von kriegerischen Auseinandersetzungen (ähnlich wie das Schach), mit dem angehende Offiziere lernen, Gefechte darzustellen und durchzuspielen. Ein wunderbares Beispiel ist die SF-Story War Games“ von Christopher Anvil. Und womit beginnt die oben zitierte Kolumne ?

„In dieser Zeit der Wirren bildet das Expertentum den Leuchtturm des Wissens und der Übersicht. Expertinnen und Experten erklären den Menschen dann zum Beispiel, warum Deutschland ein unrettbarer Fall ist oder einfach nicht unterzukriegen sei. Eine Unterart bilden die Militärfachleute. Sie gelten in der Expertenfamilie als zwielichtige Onkel, die in ihrem Keller mit Plastikpanzern die Schlacht von Kursk 1943 nachspielten.“

Danke, Zeitgeist, auch für diesen subtilen Hinweis. Aber das ist noch nicht alles. Denn die in diesem Teil des Streiflichts erwähnte „Schlacht von Kursk“ im Sandkastenspiel war gewissermaßen der Anfang vom Ende des „Unternehmens Barbarossa“, mit dem Adolf Hitler die Sowjetunion zermalmen wollte und die Ukraine zur „Kornkammer Deutschlands“ machen samt ihrem gesamten Volk als Sklavenarbeitern für die Deutschen.

Am Anfang dieses Krieges 1941-1945, der ja wie eine Blaupause ist für Putins Überfall auf die Ukraine Ende Februar 2022 (wobei Putin dummerweise das desaströse Ende von Hitlers Überfall leider nicht auf sein Kriegsabenteuer bezieht) – am Anfang also dieser deutschen Barbarei sah ja alles sehr siegreich aus. Dies war wohl einer der Gründe, weshalb mein Großvater, damals Regimentskommandeur in Dnipropetrowsk, mir bei einem Urlaub (?) vom Kriegsabenteuer etwa 1943 diese Zungenbrecher-Wörter beibrachte: „Dnepr, Dnestr, Dnjepropetrowsk.“

Und was sehe ich gestern Abend, nach dem Phantasten-Treffen, in den Fernsehnachrichten? Schreckliche Bilder aus „Dnistr“ (eine andere Schreibweise von „Djestr“), das Putin mit Raketen beschießen lässt. So tolle Waffen hatten die Nazis und mein Großvater nicht – aber ihre Waffen waren schrecklich genug.

Ach ja, noch etwas nach diesem dreifachen Zufall: In den Romanen und Filmen der Science-Fiction sind Zeitreisen immer wieder ein beliebter Topos, auch bei unseren Diskussionen. Und was unterstellt das Streiflicht dem General Vad? Ich zitiere aus dem Zitat oben:

„Es kann daher nicht länger ausgeschlossen werden, dass es sich bei Erich Vad um einen zeitreisenden Experten handelt.“

Na bitte. Und vielen Dank, Weltgeist!

PS:
Eben fällt mir noch ein weiterer Zufall auf, nun allerdings „um einige Ecken entfernt“: In meiner Anthologie Das Monster im Park habe ich auch die Geschichte eines russischen Autors veröffentlicht, der in der heutigen Ukraine geboren wurde: in Dnjepropetrowsk. Er nannte sich seinem Heimatort entsprechend Anatolij Dneprow. Damals, 1941, wurde dieser Ort zum Standort meines Großvaters, des Regimentskommandeurs Major Karl Hertel. Als im Mai 1945 Deutschland kapitulierte, war Anatolij Dneprow (richtiger Name: Anatoliy Petrovych Mitskevitch) der Dolmetscher des sowjetischen Oberkommandierenden in Berlin. Seine Story „Die Insel der Krebse“ gilt als eine der besten und frühesten Visionen über Kybernetik und Künstliche Intelligenz.

Quellen
Anon: „Streiflicht“ (über General Vad). In: SZ Nr. 13 vom 17. Jan 2023, S. 01
Anvil, Christopher: Ware Games (Kriegsspiele). (1963 in Astounding SF). In: vom Scheidt 1970.
Dneprov, Anatolij: „Die Insel der Krebse“. (1958). In: vom Scheidt 1970.
Scheidt; Jürgen vom (Hrsg.): Das Monster im Park. München 1970 (Nymphenburger).
Pal, George (Regie): Die Zeitmaschine. USA 1960 (Metro Goldwyn Mayer).
Zemeckis, Robert (Regie): Zurück in die Zukunft II (Back to the Future II). USA 1985 (Universal).

287 _ #1486 _ 17. Jan 2023 / 19:46

Science-Fiction & Western – eine schräge Kombination

Zwischen den Jahren, also der „staaden Zeit“ zwischen Weihnachten und Heilig Drei König, empfiehlt man ja gerne, mal ganz entspannt alle Viere von sich zu strecken und zu tun, wozu man Lust hat. Für mich, der ich Filme über alles liebe, eine Gelegenheit, mal in eher versteckte Kammern der Kinowelten zu schauen. So sind die beiden folgenden Empfehlungen entstanden – denn diese Filme sind nicht nur jeweils als Western und als utopische Vision sehr gelungen, sondern außerdem in der Kombination beider sonst doch thematisch galaxienweit weit voneinander entfernten Genres.
Die Autoren und Regisseure sind ständig auf der Suche nach Neuem. So ist wohl auch die sehr „schräge“ Kombination vom ultramodernen, der Zukunft zugewandten Genre Science-Fiction mit dem doch recht betagten, aber immer noch sehr beliebten Genre des Western-Films zustande gekommen.

Abb 1: Cover zu Cowboys & Aliens (Blu-ray – DreamWorks Pictures) – Abb.2: Cover zu Prey (Disney+ Stream)

Schon länger kannte ich den ungemein spannenden Streifen Cowboys & Aliens, mit Daniel „James Bond“ Craig in einer Rolle der völlig anderen Art: Er spielt darin einen Cowboy, der im Jahr 1860 von Aliens entführt und gequält wird, dem es jedoch gelingt zu entkommen, allerdings um den Preis des Gedächtnisverlusts. Auf für einen Western typischen verwickelten Wegen gelingt es diesem Jake Lonergan, sich mit dem bärbeißigen Großgrundbesitzer Woodrow Dolarhyde (gespielt von Harrison Ford) zusammenzutun und dazu noch eine Bande früherer Banditenkollegen als Helfer zu gewinnen sowie einen ebenfalls von den Aliens heimgesuchten Stamm von Indigenen (früher hießen sie Indianer). Schon diese wüste Kombination von Ingredienzen macht das Ganze zu einer echten „Schau“.
Die Aliens wollen das Gold der Gegend und bereiten unseren Planeten wohl auch für eine spätere Übernahme vor. Genau das gilt es zu verhindern. Das ist alles sehr spannend gemacht und ergibt eine sehr gelungene Mischung der beiden Genres. (Weitere Details in der Wikipedia.)

Prey ist von der Grundidee des Genre-Mixes sehr ähnlich, ist aber völlig anders aufgebaut und ebenfalls exzellent inszeniert. Eigentlich ist das ein sog. Prequel zu einer bereits erfolgreich etablierten Film-Serie um die Predators, Aliens übelster Art, die auf anderen Planeten (unserer Erde und auf ihrer eigenen Heimatwelt) auf die Jagd nach Erdenmenschen gehen wie bei uns die einheimischen Jäger auf die Pirsch nach Rehen oder Hasen.
Im ersten Film dieser Reihe musste sich Arnold Schwarzenegger mit so einem Monster durch einen südamerikanischen Urwald prügeln, bis es ihm, dem erfahrenen Söldner, gelang, das eigentlich weit überlegene Ungeheuer aus dem Weltraum zu überlisten und erlegen. Im hier vorzustellenden und sehr zu empfehlenden Film ist es eine völlig andere Figur, die da auf ihre ganz spezielle Heldenreise gezwungen wird: Naru, eine junge Frau vom Stamm der Comanchen (exzellent und sehr anrührend gespielt von Amber Midthunder).
Wie sie zum einen in ihrer eigenen Umgebung darum ringen muss, als einziger weiblicher Jäger akzeptiert zu werden und dann zum anderen ihre ganze bisherige Erfahrung als Spurenleserin und Heilkundige in der Auseinandersetzung mit einem in jeder Hinsicht extrem überlegenen außerirdischen Gegner entwickelt – das ist unglaublich gut und überzeugend dargestellt. (Ich würde Naru ohne Zögern aufgrund ihrer Handlungen als Hochbegabte zu bezeichnen.)
Interessanter Nebeneffekt: Französische Büffeljäger, die ihrer Beute nur das Fell abziehen und – zum Schrecken von Naru – die blutigen Kadaver auf der Prärie liegenlassen, tun nichts andere als der Alien, der auch nur hinter Trophäen her ist.

Dem Regisseur Trachtenberg gelingt es nicht nur, diese junge Amazone und ihre Entwicklung als „Coming of Age“ überzeugend darzustellen, sondern auch ihren Stamm und die unglaublich eindrucksvolle Landschaft, in der diese Comanchen leben. Und ein packender Action-Thriller ist das sowieso.

Filmographie
Favreau, Jon (Regie): Cowboys & Aliens. USA 2011 (MGM ).
Trachtenberg, Dan (Regie): Prey. USA 2022. (Disney+ Stream).

187 _ #1490 _ 31. Dez 2022 / 19:20

Lese-Früchte in der Weihnachtszeit

Wer noch rasch ein empfehlenswertes, interessantes, anregendes Geschenk braucht:
Man kann auch nach Weihnachten noch was schenken! Hier einige Buchempfehlungen in alphabetischer Reihenfolge aus meiner Bibliothek, Abteilung „2022 gelesen: Aktuelles und Curiosa“:

Eschbach, Andreas: Freiheitsgeld. Bergisch-Gladbach 2022 (Lübbe).
Romanhafte Ausgestaltung der SF-typischen Frage: „Was wäre, wenn – das bedingungslose Grundeinkommen Realität würde?“ Durch die politische Diskussion ums Bürgergeld hochaktuell (im Bundestag beschämend ideologisch und uninformiert diskutiert). Vom bekannten Autor spannend, unterhaltsam und fundiert informierend behandelt. Ja, so könnte es kommen (Details verrate ich nicht).

Abb. 1: Bohmeyer / Cornelsen: Was würdest du tun? – Abb. 2: Eschbach: Freiheitsgeld

Franke, Herbert W.: Das Gedankennetz. München 1961 (Goldmann Zukunftsromane).
Ein echter SF-Klassiker -immer wieder neu aufgelegt – und von mir immer wieder mal gelesen. Eine mehrfach ineinander verschachtelte Geschichte, die vor Augen führt, was demnächst mit KI und Virtueller Realität möglich sein wird.

Heer, Hannes und Streit, Christian: Vernichtungskrieg im Osten. Hamburg 2020. (VSA Verlag).
Die ungeheuren Verbrechen der deutschen Wehrmacht anfangs der 1940er Jahre in Russland – von den Konservativen lange bekämpft (Wehrmachtsausstellung!) und inzwischen (außer bei der AfD und noch rechteren Gruppierungen) allgemein akzeptierte Aufarbeitung. Das habe ich auf den Kriegs-Spuren meines eigenen Großvaters Karl zufällig entdeckt und mit wachsendem Entsetzen gelesen. Durch Putins Krieg gegen die Ukraine brandaktuell.

Lockot, Regine: Die Reinigung der Psychoanalyse. Tübingen 1994 (edition discord).
Die Nationalsozialisten haben nicht nur die reale Welt mit Krieg überzogen, sondern auch die geistige, in diesem Fall die Psychoanalyse (weil „jüdisch“), welche während des Dritten Reichs in Deutschland dank williger deutschnationaler Psychotherapeuten nahezu ausgerottet wurde. Eine hoch interessante Spurensuche und zugleich ein Akt der Wiedergutmachung. (Ein Fund im Hauseingang – vielleicht antiquarisch noch erhältlich.)

Matejek (Bilder) und Lempa, Günter (Texte): Behandlungs-[T]Räume. Frankfurt a.M. 2001 (Brandes & Apsel  Edition Deja vue).
Üppig bebilderte satirisch-ironische, aber auch sehr informative und tiefsinnige Gedankenreise durch die Entwicklung der aus der Psychoanalyse Freuds entstandenen „Schulen“ – beginnend mit Freuds klassischer Couch in Wien bis in die heutigen Tage. (Auch dies ein Fund im Hauseingang – vielleicht antiquarisch noch erhältlich.)

Abb. 3: Matejek und Lempa: Behandlungs-(T)Rräume (Edition Déjà-vu)

Reheis, Fritz: Erhalten und Erneuern. Hamburg 2022. (VSA Verlag).
Konzentrierte Analyse der aktuellen Weltkrisen. Fragen und tiefsinnige Antworten, wie eine nachhaltige Welt aussehen müsste – auf der wirtschaftlichen Ebene mit möglichst vollkommenen Warenkreisläufen ebenso wie auf der gesellschaftlichen und der persönlichen Ebene (Entschleunigung!). Schöne Einführung in das kybernetische Denken mit Feedback-Abläufen. Gerade in der vom „Schenken“ und „Beschenktwerden“ besessen Weihnachtszeit ein dringend nötiger „eye opener“.

Abb. 4: Heer und Streit: Vernichtungskrieg im Osten – Abb. 5: Reheis: Erhalten und Erneuern (VSA-Verlag Hamburg)

Risch, Susanne (Hrsg.): Was würdest Du arbeiten, wenn du nicht musst? Hamburg 2018
Vielfältige praktische Antworten aus einem Experiment, das bereits läuft: Der Verein „Grundeinkommen“ hat bereits mehr als 5.000 solcher „bedingungslosen 12.000 €uro“ verlost und untersucht, wie hier im Buch, was die so Beschenkten damit anfangen. Hochinteressant und allen ideologischen Gegnern dieser Idee sehr zu empfehlen. (s. auch oben Eschbachs SF-Roman!)

Schwartz, Susan: Die Einsamen von Halut (= Perry Rhodan Heft 3185). Rastatt 2022-09-02 (Moewig).
Ein Geschenk, das mit seltsamen Zufällen mein Interesse so geweckt hat, dass ich dieses „Schundheft“ tatsächlich gelesen habe – mit großer Freude. Mit noch mehr Perry werde ich meine immer kostbarer werdende „restlichen Lebenszeit“ zwar nicht vergeuden – aber „ein bisschen Spaß muss sein“.

Wadlstein, Franz (d.i. Kindl, Julius): Zeilers Entdeckungen. Grafing 2022 (Privat-Edition Julius Kindl). 116 Seiten.
Frucht etlicher meiner Roman-Werkstätten, deren Einzelteile prächtig zu einem runden Ganzen zusammengewachsen sind. Nachdem ich meine Seminar-Tätigkeit seit Anfang dieses Jahres 2022 eingestellt habe, machen mir solche Publikationen natürlich umso mehr Vergnügen – noch dazu, wo der kleine „Alpenkrimi“ sehr gelungen ist – und ich die dazu sehr passende Vortragsweise des Autors von seinen Lesungen noch immer im Ohr habe. Weiter so!

Abb. 6 Weigand: Paris (von Reeken) – Abb. 7: Wadlstein: Zeilers Entdeckungen (Privatdruck Kindl)

Weigand, Jörg: Paris – Erinnerungen an Monate, die mein Leben veränderten. Lüneburg 2022 (Dieter von Reeken).
Sohn-Vater-Geschichte und gleichzeitig ein aufschlussreiches Coming of Age eines der führenden deutschen SF-Anthologisten und Erforscher der deutschen Science-Fiction und ihrer Szenen seit den 1940er Jahren. Auch über die Sehnsuchtsstadt Paris erfährt man viel Hintergründiges.

Werner, Götz und Goehler, Adrienne: 1000 € für jeden. München 2010 (Econ Paperback).
Auch dieses fundierte Buch über das „Grundeinkommen“ sollte man unbedingt erst lesen, bevor man bei diesem Thema mitreden will.

Williamson, Jack: Wing 4 (The Humanoids).  (USA 1949). Düsseldorf 1952 (Rauchs Weltraumbücher). Vergriffen – aber antiquarisch erhältlich.
Durch die neuesten KI-Fortschritte wieder hochaktuell geworden – was der amerikanische Autor schon vor acht Jahrzehnten visionär in erzählerische Form gebracht hat: Wie würdest du dich entscheiden, wenn eine „Künstliche Superintelligenz“ die Herrschaft über die Welt übernimmt?
Experten versichern, dass wir davon gar nicht so weit entfernt sind – vielleicht nur noch fünf Jahre. Mal wieder die Filme Matrix und Terminator und (aus den 1950 er Jahren) Colossus anschauen – um sich zu gruseln! Oder Her und Ex machina. Aber Williamson wusste in dieser Erzählung, in Gestalt seines Mathematikers Ironsmith, auch eine ganz andere Antwort.

186 _ #1489 _ 23. Dez 2022 / 18:33

xYtrblk

(Noch ein kleiner Nachtrag zu Halloween, der ungeplant einfach so in mein Bewusstsein geploppt ist. Das müssen Sie nicht unbedingt lesen – ist nur ein alberner Spaß – wenngleich mit durchaus ernsthaftem Hintergrund. Der ursprüngliche Text ist irgendwann im Jahr 2000 erschienen und tauchte jetzt im Rahmen der Arbeit an meiner Autobiographie wieder auf, für welche dieser Blog ja eine wichtige Quelle ist.)

xYtrblk ist mein Kunstwort für einen Zustand der Verwirrung und für ein Talent auf der Suche nach sich selbst
Die Suche nach Ordnung ist ein natürliches Bedürfnis des Menschen. Aber viele Hindernisse stellen sich einem in den Weg, bis man das Chaos bewältigt hat. Diesen Zustand der Unordnung nenne ich xYtrblk. Es ist aber auch meine Bezeichnung für jemanden, der sich auf den Weg macht, unentwickelte Talente zu entdecken, anzunehmen und zu verwirklichen.
Dieses xYtrblk ist aber auch ein passendes Wort für den den Buchstaben „X“ im ABC meines Lebens – als jener Teil meiner Autobiographie, der, wie leicht zu erkennen, alphabetisch organisiert ist.

Dieses seltsame Wort hat eine bemerkenswerte Vergangenheit (zurück bis ins Jahr 1959), die hier etwas erhellt wird. Wie das genau vor sich ging, weiß ich nicht mehr in allen Details. Ich erinnere mich nur, dass ich bei meinen ersten Gehversuchen im Internet mit der Website „homo-futurus.com“ (die schon lange nicht mehr existiert) dieses Kunstwort verwendet habe, um es ganz bewusst ins Internet einzuschleusen und zu beobachten, wann die Suchmaschinen (damals, 1998, zunächst Yahoo) den Begriff registrieren und er somit im Internet verfügbar ist. Das ging recht flott: irgendwann im Jahr 2000 gab es ihn und es gibt ihn heute noch.

Abb. 1: Das monstrosische Ungeheuer xtrblk aus der Spezies Kraahk feiert Sylvester (Gottlieb Mährlein in Munich Round Up Nr. 15/1960) – Ausschnitt – die komplette Graphik am Schluss dieses Beitrags.

Auf dieser Seite finden Sie folgende Themen: 
1. Der Mensch in der Unordnung
2. Ein Häppchen Geometrie: Was da alles versteckt ist
3. Die Strukturelemente des Labyrinths
4. Konflikte und ihre Lösung
5. Welt-Formel zur Ordnung des Chaos
6. Der Zauber der Vokale
7. Die seltsame Vor-Geschichte von xYtrblk 
8. Der Planet Monstros und die "Bar zu den dreieinhalb Planeten"
9. Lieblingstrunk Vurguzz
10. Schlappe 18 und 65 Prozent
11. Nach-Geschichte
_Bibliographie
1. Der Mensch in der Unordnung

Mit dem Terminus xYtrblk (das Ypsilon GROSS geschrieben, die sechs anderen Buchstaben klein) bezeichne ich den Zustand eines Menschen „in der Unordnung“ (gr.: chaos). Es ist aber auch unsere Bezeichnung für jemanden, der sich auf den Weg macht, unentwickelte Talente zu entdecken, anzunehmen und zu verwirklichen. So stelle ich mir jemanden vor, der sich verzweifelt den richtigen Weg durch ein Labyrinth bzw. Yrritnthos sucht.

Wir gehen davor aus, dass die Suche nach Ordnung (gr.: kosmos) das natürliche Bedürfnis jedes Menschen ist. Aber viele Hindernisse stellen sich einem dabei in den Weg. Hat man das Chaos bewältigt und den Weg durch das Yrrinthos gefunden – stellt man wahrscheinlich überrascht fest, dass es da immer schon einen ganz klaren Weg gegeben hat (wie durch den einen Gang durch ein LABYRINTH
– man hat diesen einen Weg nur nicht wahrgenommen.

2. Ein Häppchen Geometrie: Was da alles versteckt ist

In der Schule haben wir – im Fach Geometrie – alle gelernt, dass man eine Figur in der Fläche durch die beiden Koordinaten x und y beschreibt. (Bei der farblichen Darstellung auf einem Computermonitor kommt dazu noch ein dritter Wert: die Farbe.)
Diese beiden Koordinaten schaffen gewissermaßen eine Grundordnung. Eine wichtige Voraussetzung also, um den chaotischen Zustand

xYtrblk

zu strukturieren. Gezeichnet ergibt das einen rechten Winkel:
|__
In der Schule haben wir ebenfalls gelernt, dass es eine dritte Dimension gibt. Diese schafft zusammen mit den beiden anderen den Raum. Dafür steht der Buchstabe r. Dieser kann auch Radius bedeuten und Realität (letzteres in unserer persönlichen Geometrie).

Nehmen wir noch die Zeit (= t) als die vierte Dimension hinzu, dann haben wir bereits alles, was es braucht, um im Einstein´schen Raum-Zeit-Kontinuum zurechtzukommen. So viel zu Schule und Wissenschaft (= Science) und zu Science Fiction.
Jetzt kennen wir also schon ein gutes Stück des Geheimnisse von xYtr blk

3. Die Strukturelemente des Labyrinths

Und was ist mit den drei noch fehlenden Buchstaben b l k – wofür stehen sie?
Das b stehe für Basis – nämlich das Basis-Kreuz, aus dem zum Beispiel ein LABYRINTH-Symbol konstruiert wird – unser Symbol für Ordnung.
Das l stehe für Lösung – nämlich die Lösung des Problems (welches der im Kern des Labyrinths lauernde Minotauros symbolisiert).
Eine Lösung finden, bedeutet im Sinne der LABYRINTHIADE*: den Weg durch das Labyrinth finden und die (persönliche) Blockade der Kreativität auflösen, die einen vorher an eben dieser Lösung gehindert hat. Das gilt nicht nur für geometrische (Schul-)Aufgaben – sondern für alles im Leben.

* Labyrinthiade - die Labyrinth-Sage mit all ihren Facetten - demnächst mehr dazu hier im Blog.

Die Grundelemente eines solchen Labyrinths erkennt man leicht, wenn man sich klarmacht, wie man so etwas aufbaut. Man beginnt mit einem Kreuz (rot), an das man Winkel (blau) anfügt, die man dann – leicht versetzt – mit einander verbindet (orange Bögen) – s. nächste Abbildung.

4. Konflikte und ihre Lösung

Und was ist dieses Problem? Es ist stets ein ungelöster Konflikt. Das k steht dem entsprechend für Konflikt.
Die Reihenfolge der sieben Elemente ist nicht ganz korrekt – aber das gehört nun mal zum Wesen des Yrrinthos und dem Weg von dort ins Freie. Die Ordnung (des Labyrinths) entsteht nicht so sehr im Kopf – als im Tun.

5. Welt-Formel zur Ordnung des Chaos

Fassen wir das alles zusammen, so wird xYtrblk zu einer Art Welt-Formel für die (geistige und seelische Evolution), bei der aus der Unordnung des Chaos allmählich die Ordnung des Kosmos entsteht:

x = Breiten-Koordinate (blau)
Y = Längen-Koordinate (blau)
t = Zeit-Koordinate
r = Radius (schafft als dritte Dimension die Realität – dargestellt durch den verbindenden Bogen, welchen man zum Zeichnen der Labyrinth-Figur benötigt)
b = Basis-Kreuz (rot)
l = Lösung
k = Konflikt

Übertragen auf die Konstruktion eines Labyrinths sieht das folgendermaßen aus:

1. Man zeichnet zunächst auf einem großen Blatt in der Mitte des unteren Drittels das (rote) Basiskreuz, in seinen vier Ecken die vier (blauen) rechten Winkel und die vier (grünen) Basispunkte.
2. Dann verbindet man zuerst das obere Ende des Kreuzes (rot) nach links mit dem oberen Ende des linken rechten Winkels (blau).
3. Anschließend wird der linke obere (grüne) Basispunkt nach rechts mit dem oberen Ende des rechten Winkels rechterhand (blau) verbunden.
4. So geht es immer im Wechsel „von links nach rechts“ – „von rechts nach links“, und zwar insgesamt sieben Mal. Die Bogen werden dabei immer weiter und immer tiefer angelegt.
(Für psychologisch Interessierte: so kann man sich die Pendelbewegung bei einem kreativen Prozess vorstellen – zum Beispiel während des Schreibens eines eigenen Textes oder des Komponierens einer Melodie.)

Abb. 2: Der allmähliche Aufbau eines Labyrinths, ausgehend vom roten Kreuz unten in der Mitte (Archiv JvS)

6. Der Zauber der Vokale

Wenn man nur die sechs Konsonanten sieht, wirkt das alles ein wenig dröge. Gut, das Ypsilon hat die angenehme Eigenschaft, dass es sowohl als Konsonant (ähnlich dem jot wie in Yoghurt und Yoga) als auch als Vokal (ähnlich dem ü wie in Zypern und Labyrinth) fungieren kann.

Wenn wir uns, ähnlich wie beim Hebräischen, vorstellen, dass die Vokale zwar nicht hingeschrieben, aber mitgedacht werden, können wir mit ein wenig Phantasie leicht Kunstwörter bilden, in denen sie sichtbar werden. Wie wäre es denn mit:

„Xytaru Boleki“? Was könnte das sein? Vielleicht vergorene Stutenmilch in einer Tartarensprache…

Oder „xyt Arube olik“ – Das ist schon schwieriger. Vielleicht bedeutet das: „Hau dem Arube eine ´runter…“ ?

Oder wenn hier noch ein h einschmuggeln: „Xyre O°Thar Bliku“? Das ist nun wiederum ganz einfach. In der (seit langem ausgestorbenen) Sprache der Kultur des fernen Planeten O°Thar heißt dies: „Der Weg nach [Bliku] O´Thar ist weit [xyre].“ Man muss lediglich wissen, dass die O°Tharier die Satzstellung von Verb und Substantiv gerne (wenn auch nicht immer!) vertauschen.

Alles weitere überlasse ich Ihrer eigenen Phantasie – und dem „Zauber der Vokale“ („Reng kytai usum“ – wie die O°Tharier zu sagen pflegten).

7. Die seltsame Vor-Geschichte von xYtrblk

Das klingt jetzt alles sehr rational. Tatsache ist jedoch, dass dieses Kunstwort xytrblk mehr oder minder zufällig entstanden ist (was unbewusste Einflüsse ganz und gar nicht nicht ausschließt !). Hier deshalb also die Vorgeschichte der Entstehung des Wortes xYtrblk.

Es war im Sommer 1959. Jeden Monat trafen sich einige Münchner Mitglieder des Science Fiction Club Deutschland (SFCD), darunter auch der Autor dieser Zeilen, in der Wohnung des Rundfunkingenieurs Waldemar Kumming in der Herzogspitalstraße (die es schon lange nicht mehr gibt – die Straße schon – aber diese ganz spezielle Wohnung nicht, an deren Wänden die amerikanischen SF-Taschenbücher und -Magazine sich in zwei oder gar drei Reihen hinter einander stapelten – ein Paradies für jeden SF-Fan…)

Dort trafen sich also diese Fans, etwa vier oder fünf, und schrieben und redigierten das satirische Fanzine (neudeutsch für Fan-Magazine) Munich Round Up. Es war gleich nach dem Abitur (von JvS). Völlig erschöpft von diesem blödsinnigen „Initiationsritual mit Mutprobe“ (wie das die Kulturanthropologen nennen), stand mir der Sinn nur nach einem: den einen Wahnsinn durch einen anderen, nun aber selbstbestimmten, Irrsinn zu neutralisieren.

8. Der Planet Monstros und die „Bar zu den dreieinhalb Planeten“

Damals schrieb ich eine Satire auf die Reifeprüfung, die sich allerdings weit in der Zukunft und auf einem fernen Planeten namens Monstros (einer Erfindung von Waldemar Kumming) abspielte. Dort gab es ein bizarres Lebewesen (einen alien also) der Gattung Kraakh. Dieser trug in meinen MRU-Texten den Namen –

– nein: nicht xYtrblk

– sondern Xtrblk (ohne das „Y“, das erst später dazukam) .

Mit dem Pseudonym „Onkel xtrblk“ zeichnete ich ab da – fingierte – Leserbriefe im Stil des amerikanischen Satire-Magazins mad. (Das war eine gute Vorübung für die – ebenfalls weitgehend getürkten -Leserbriefe, die ich Jahre später eine Weile für den Playboy schreiben würde.)

Dieser Onkel xtrblk hatte eine Stammkneipe: die „Bar zu den Dreieinhalb Planeten“. Dort schrieb er [pardon: ich] ab Nr. 10 von MRU das weltbewegende Tagebuch eines Retrotemporariers. Ich habe heute keine Ahnung mehr, was dieser in-der-zeit-rückwärts-Lebende für seltsame Abenteuer erlebt hat. Ich weiß nur noch, dass es eine Wohltat war, diesen höheren Blödsinn im mad-Stil abzusondern – und dadurch Abstand von besagter Reifeprüfung der Gisela-Oberrealschule München zu gewinnen.

Gelegentliche Schlucke von neon-grün-gelbem Vurguzz (s. unten) mögen dabei geholfen haben. (Heute würde man wahrscheinlich kiffen, um noch stärkere Effekte dieser Art zu erzielen. Uns langte jedoch, was uns damals mittels Vurguzz an Einfällen zufiel).

Bald danach – und auf Grund derselben und ähnlicher Einflüsse und des gleichen soziokulturellen Umfeldes SF-Fandom – entstand übrigens auch der ROUND ROBIN-Roman DAS UNLÖSCHBARE FEUER. (Gruppenpseudonym „Munro R. Upton“ – was unschwer die Herkunft in MRU erkennen lässt).

9. Lieblingstrunk Vurguzz

Dieses seltsame Geschöpf Xtrblk hatte auch ein Lieblingsgetränk: Vurguzz. (Dieser Name ist eine Erfindung von Waldemar Kumming – nachzulesen in Nr. 8 vom Mai 1959 des Munich Round Up!). Der Zahnarzt Alfons Ettl aus Unterwössen, ebenfalls Mitglied im SFCD, machte sich einen Jux aus unseren SF-Spinnereien und ließ von einem Bekannten, der sich mit dem Schnapsbrennen auskannte, einen speziellen Kräuterlikör brauen (Alkoholgehalt: 250 %! – davon 165 % im Hyperraum).

Den nannte er ebenfalls Vurguzz.

Wenn man nun heute (05. Nov 2022), also mehr als ein halbes Jahrhundert später, das Schlagwort Vurguzz in die Suchmaschine Google eingibt – erhält man erstaunliche 3.000 Treffer! (Im Mai 2002 waren es erst 424 Treffer – Tendenz also deutlich steigend.)

„Vurguzz – galaktisch grün und gut“ heißt es da zum Beispiel. Über Walter Ernsting alias Clark Darlton ( mit K.H. Scheer einer der beiden Begründer von Perry Rhodan) hat das grauenvolle Gesöff Anfang der 60-er Jahre Eingang in diese Weltraumabenteuer-Heftserie gefunden und damit in die Weltliteratur. Jawohl.

Es gab sogar eine Weile eine eigene Website namens „www.vurguzz.de“. Und wenn man mit Hilfe der einstigen Software „www.visit1.vp.uiuc.edu“ (die Site existiert ebenfalls nicht mehr) das graphische Beziehungsnetz der Websites aufdeckte, die mittels des Stichwortes Vurguzz miteinander verknüpft waren, entstand ein Netz von beachtlichen 29 Sites! (Stand: 25. Feb 2002)

10. Schlappe 18 oder 65 oder 80 Prozent

Wenn man auf der Website von PERRY RHODAN unter „AKTUELL / SUCHEN“ das Stichwort „Vurguzz“ eingibt – erhält man dort 24 Treffer! Den Kräuterschnaps gibt es also – im Jahr 2022 immer noch. Und Waldemar Kumming hat sich 1959 diesen Markennamen nicht schützen lassen. Dennoch gab es eine Vereinbarung mit dem Verlag, wonach WK den Markennamen verwenden durfte. Das führte dazu, dass es eine Weile zwei verschiedene Sorten Vurguzz gab:
° eine 18-prozentige vom Pabel-Verlag bzw. seinem Lizenznehmer,
° eine 65-prozentige von Waldemar Kumming resp. seinem Lizenznehmer Hermann Wolter.

Das ist beides weitaus weniger als der Alkoholgehalt der ursprünglichen Mixtur von Franz Ettl – aber 80 Prozent sind in Deutschland nicht mehr erlaubt.

Um das abzurunden: Hubert Haensel schrieb für die Taschenbuchreihe, die parallel zur Heftserie Perry Rhodan erscheint, in Band 412 sogar eine Erzählung mit dem Titel Das Vurguzz-Imperium. (Willi Diwo hat diese Zusammenhänge 1998 ausführlich in einem Artikel notiert – viel Hintergrundmaterial auch in der Perrypedia.)

11. Nach-Geschichte

Soweit zur Vorgeschichte. Ein – buchstäblich – horrender Ulk also. Wer beschreibt deshalb mein Erstaunen, als ich – wie erwähnt – am 05. November 2022 bei Google das Wort xtrblk eingab – und dafür an die 3.000 Treffer erzielte.

Ein Programmierer namens Kenneth Butenhoff verwendet dieses Wort für ein spezielles Computerprogramm. Was man dort, unter der URL-Adresse
"www.accelrys.com/support/life/scripts/bcl/xtrblk" fand, war Folgendes (Ausschnitt):

#!/bin/perl -w
####################################################################
# xtrblk created 1999.8.29 by Kenneth Butenhof
# PURPOSE:
# General extraction utility. Input lines are buffered to allow some
# pretty flexible and interesting selections.
# See examples below.
# WARNING: as an aid to learning how to use this,many of the debug print
# lines have been left in. These lines must remain commented out
# for bcl scripts which use this script to work properly.
#
# USAGE:
# xtrblk \
# *** From UNIX shell:

Interessant, nicht wahr, welche (Schleich-) Wege die Kollektive Kreativität manchmal geht…
Hatte Butenhoff vielleicht sogar Zugang zu Munich Round Up? Ich kann an so einen Zufall schlecht glauben. Andrerseits gibt es in meinem Archiv so viele Beispiele haarsträubender Koinzidenzen, dass man sich eigentlich über gar nichts mehr dergleichen wundern sollte. Butenhoff hat auf meine diesbezüglichen Fragen in einer E-Mail leider nie geantwortet.

Bibliographie
Darlton, Clark und K.H. Scheer, (Begründer, Herausgeber, Autoren): Perry Rhodan – der Erbe des Universums. München 1961 – 1971 (Moewig), Rastatt ab 1971 (Pabel).
Diwo, Willi: „Das Vurguzz-Imperium – eine verpaßte Chance?“. Manuskript Aug 1998.
Haensel, Hubert: Das Vurguzz-Imperium. Perry Rhodan (Planetenroman) Band 412. Nürnberg 1998 (Burgschmied).
Thadewald, Wolfgang: „Die Geschichte des Vurguzz“. in: SFGH-Chroniken Nr. 181. Dez 1997.
Upton, Munro: Das Unlöschbare Feuer. Menden 1962 (Bewin)

284 _ aut # 1478 _ 2022-11-05/13:28 (2007 / 2000)

Abb. 3: Das monstrosische Ungeheuer xtrblk aus der Spezies Kraahk in seiner ganzen Schönheit (Gottlieb Mährlein in Munich Round Up Nr. 15/1960) – Titelbild

Digitalisierung: MultiChronalia

MultiChronalia nenne ich Ereignisse und Erinnerungen, die sowohl einen persönlichen Anteil haben (Persönliche MultiChronie) wie einen historischen Bezug aufweisen (Historische MultiChronie). Mehr zu meinem Konzept der MultiChronie → hier .
Im Post  → Persönliche Digitalisierung 5.0 habe ich schon in groben Zügen beschrieben, wie die Digitalisierung nach und nach in mein Leben eingedrungen ist. Das fing schon sehr früh rein „virtuell“ an (wie man das heute nennt), und zwar in Form von Science-Fiction-Lektüre ab 1953 und wurde allmählich immer konkreter, weil immer mehr Bereiche meines Lebens sich vom analogen Modus in den digitalen veränderten oder zumindest teilweise ergänzt und/oder ersetzt wurden. Beispiel: Meine Hörgeräte waren anfangs zwar schon elektronisch, funktionierten aber noch analog. Erst ab 2000 etwa wurden sie digital und inzwischen kann ich mich, mit Hilfe eines Zusatz-Geräts, voll digital direkt verbinden mit: Fernseher, CD-Player, Blu-ray-Player, Smartphone und Computer (wichtig für Online-Video-Konferenzen) → Tipps für Hörbehinderte.

Abb.1: Vater und Sohn Gregor (13) beim gemeinsamen Arbeiten am ersten Computer – dokumentiert im p.m.computerheft (Archiv JvS 1984)

Meine „Persönliche Digitalisierung durchlief vier Phasen

(Ab 1953 etwa) Lesen über Roboter, Computer, Kybernetik, Digitalisierung.
1957: Schreiben über Computer in meinen SF-Erzählungen und (ab Okt 1962) Seminar zum Thema „Kybernetik“.
1964: Erleben von Computern: Praktikum bei IBM. Für Herbert W. Franke Übersetzung der Betriebsanleitung für den Minicav 601 von Claude Shannon – ein Lerncomputer, der im Jahr 1961 von der Firma Scientific Development Corporation in Massachusetts produziert wurde. Er bestand aus einer Konsole mit Relais, Schaltern, Steckverbindungen und einem motorisierten Drehschalter zur Ein- und Ausgabe von Dezimalzahlen und wurde zum Preis von 85 Dollar angeboten.
1975: Beginn meiner Digitalisierung mit Nutzung eines Computer-Services (abs) für meine Buchführung – hybride Variante (teils analog, teils digital).
1983: Einstieg in die Voll-Digitalisierung durch Nutzung eines eigenen PC.

Dieses Thema Digitalisierung ist auch ein anschauliches Beispiel dafür, was ich mit MultiChronie meine: Die parallele Entwicklung persönlicher Erlebnisse und historischer Ereignisse. Die zunehmende Digitalisierung ist fraglos eine der beiden gewaltigsten Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte (der Klimawandel ist die andere).
Ich möchte anhand einer Tabelle aufzeigen, wie sich das bei mir vollzogen hat. Genau genommen bräuchte ich außer den beiden Spalten „Datum“ und „(Persönliches) Ereignis“ noch eine dritte Spalte „Historische Ereignisse„, welche den allgemeinen (gesellschaftlichen und politischen) Aspekt der MultiChronie abbildet. Der Einfachheit habe ich beides, persönliche MultiChronalia und historische Ereignisse, in einer Spalte zusammengefasst. Die Inhalte klären das hoffentlich von selbst.

Multichronalia zur Digitalisierung

DatumEreignis
 virtueller Vorlauf
1955Lektüren: Isaac Asimov (Ich – der Robot) und Jack Williamson Wing 4 – The Humanoids).
1957/58Labyrinth-Spiel im Computer des Raumschiffes „Magellan“ in meinem ersten Roman Männer gegen Raum und Zeit.
1958Nach erstem Berufsträumen „Testpilot – Weltraumpilot“, angeregt durch Asimovs „Ich der Robot“ Berufswunsch „Robotpsychologe“ bzw. Kybernetiker.
1959Manipulationen der Hauptfigur „Tes Dayen“ durch den Großrechner „R 01“ in meinem zweiten Roman Sternvogel (erschienen 1962).
 reale Ereignisse
1962Mein Seminar „Kybernetik“ im Soziologischen Institut der Uni München (LMU): Mit 12 Teilnehmern aktuelle Bücher zum Thema bearbeiten und diskutieren. Grundthema: Informationspsychologie – Digitales Denken .
1963Ich beginne die Arbeit an meinem dritten Roman Der geworfene Stein. Darin wird im München des Jahres 2063 nach einem Atomkrieg die Stadt von einer Rechenmaschine regiert (Kybernet genannt). Im Kapitel „Der metallene Traum“, beschreibe ich das, was später von William Gibson als „Cyberspace“ bezeichnet wird (1982 in der Kurzgeschichte „Burning Chrome“): Die direkte Verbindung eines menschlichen Gehirns via Interface mit einem Computer.
1964-03Herbert W. Franke will in Deutschland den programmierbaren Bastel-Minicomputer Minivac 601 von Claude Shannon einführen – ich übersetze für ihn die Betriebsanleitung dazu.
1964-04Psychologisches Praktikum bei IBM: Erster Kontakt mit echten Computern (neu: Mainframe „IBM 360“. Meine Erlebnisse in dieser noch recht archaischen Arbeitswelt (trotz der Computer!) habe ich in einer SF-Novelle verarbeitet: „Psarak abuko – die Manager auf dem Mond“. Damals waren die wirklich riesigen Mainframe-Computer Standard, richtige Arbeits“tiere“, die sich kaum ein Unternehmen leisten und schon gar nicht bedienen kann.
All das ändert sich erst, als IBM und dann tüchtige asiatische Nachahmer in den 1980er Jahren den Personal Computer erfinden und Bill Gates mit seinem Start-Up Microsoft für das nötige Betriebssystem „MS-DOS“ sorgt, das ihn – mit den Nachfolger „Windows“ – viele Jahre zum reichsten Mann der Welt macht. Parallel dazu ersinnen Steve Jobs und Konsorten den Apple-Computer, der nach enormen Anlaufschwierigkeiten zum Vorzeigeprodukt jenes anderen digitalen Weltkonzern wird – heute mehr mit der „eierlegenden Wollmilchsau“ namens I-Phone (Smartphone) verbunden als mit den Mikrocomputern à la IBM.
1964-08Mit Herbert W. Franke und Peter Scheffler beim Ersten Kybernetik-Kongress in Karlsruhe (Organisator: Karl Steinbuch). Franke ist Pionier der Computer-Kunst (die ich bei ihm kennenlerne, als ich für ihn als Student arbeite).
1968-03<TA #0856> Bericht über das „VI. Symposion über Programmierte Instruktion und Lehrmaschinen“ in München. Das Thema interessiert mich zum einen, weil Prof. Schiefele (mein späterer Doktorvater) auf diesem Gebiet arbeitet und zum anderen, weil mein Cousin Uli mit Lehrmaschinen ins Geschäft kommen will.
1969-10Die erste „SYSTEMS“ 1969 ist noch keine Computer-Fachmesse im heutigen Sinn, sondern vor allem ein Futurologen-Kongress. Steinbuch ist damals der große Kybernetik-Papst. (Mein erster Kongress-Bericht für die Selecta hat den Titel „DIE ZUKUNFT WURDE VERTAGT“.)
1970 Nach zwei Berufsjahren als angestellter Redakteur bzw. Lektor mache ich mich als Psychologe in eigener Praxis selbständig. Ab da muss ich auch meine eigene Buchführung für eine Steuererklärung machen. Ist in den ersten drei Jahren sehr umständlich: Handschriftlich in einem großformatigen Kontobuch mit vielen Spalten.
1974Teil-digitalisierte Buchführung: Ich lasse ab diesem Jahr auf Empfehlung meiner Steuerberaterin meine Einnahmen und Ausgaben vom Computer-Service abs erfassen und auswerten – die weitere Verarbeitung der Ergebnisse für die (analoge) Steuererklärung ist weiterhin von Hand, also analog.
1975-01Computer-Service „abs“ verarbeitet digital meine Buchführung (analog ab 1971) und wertet sie aus für die Steuererklärung und die Steuerberaterin.  (Ab 2016 ohne Steuerberater, ab 2019 ohne abs – nur noch mit WiSo und ElStEr.)
1976Vermutlich ab diesem Jahr verwende ich eine (Euro-)Scheckkarte als bargeldloses Zahlungsmittel.
1979Beginn der Arbeit mit Schreib-Seminaren, geleitet von meiner Frau Ruth und mir. Digitalisierung beginnt → 1983 mit eigenem Computer zur Textverarbeitung und ab → 1985 mit eigener Adress-Datenbank und Text-Datenbank.
1982-07Während eines Traum-Seminars in Hamburg wird mir aus dem Zimmer meine Armbanduhr gestohlen. Daraufhin kaufe ich meine erste Digitaluhr.
1983-07-23Bericht für die Südd. Zeitung über Frederik Vesters Spiel Ökolopoly. Er stellt dies zunächst auf der Internationalen Gartenschau in München als traditionelles Brettspiel vor, macht aber dann später ein Computerspiel daraus (Ecopolicy).
1983-03Erster eigener PC – zunächst als Leihgabe „für Journalisten“ von IBM. Ich beginne die Arbeit an meinem Sachbuch Das große Buch der Träume für den Heyne-Verlag., Als ich nach drei Monaten den PC an IBM zurückgeben muss – ist mein Traum-Buch noch lange nicht fertig. Was tun? Klar: Einen eigenen PC kaufen. Samt Drucker kostet er schlappe 11.830 DM. Als im Jahr darauf das Netzteil kaputtgeht – sind allein dafür 800 DM, zu berappen. An solchen Vertriebsfehlern geht IBM fast zugrunde.
Sohn Gregor (12) beginnt mit dem Programmieren. Als Student gründet er 1994 eine eigene Software-Firma (nxn), die Entwicklern von Computer-Spielen hilft, ihre Daten zu organisieren (CMS AlienBrain).
1984-11-20Ich bespreche in der Südd. Zeitung das Buch 100 x Computer des Strafrecht-Professors Fritjof Haft, der sich auf den Einsatz von Computern und die Digitalisierung im Rechtswesen spezialisiert hat (wir haben 1959 zusammen Abitur gemacht). Im Juli 1996 interviewe ich ihn zu dieser Thematik für den Bayrischen Rundfunk.
1984-12„Arbeit am Rechner: Ein Abenteuer für die Seele? – Ausgehend vom Schluss meines Uralt-Romans Sternvogel entwickle ich im P.M.Computerheft einige Gedanken zur Psychologie der Arbeit mit einem PC. (s. Abb. 1 mit Sohn Gregor, der mich anregte, einen PC anzuschaffen.) Der zuständige Redakteur im Ableger vom P.M. Magazin ist Peter Ripota, bekannt aus der SF-Szene.
Mein Traum-Buch ist endlich fertig und erscheint, reich (farbig!) bebildert. Auch die Druckverfahren sind inzwischen längst auf „digital“ umgestellt. Aber noch immer bekommt man ausgedruckte Korrekturfahnen, deren Veränderungen dann im Verlag händisch in die digitale Version übertragen werden müssen.
1985Adress-Datenbank mit R-Base 4000. Später umgezogen nach DataPerfect – dann nach MS-Access (darin habe ich an die 50 DBn selbst programmiert). Bericht über die Arbeit mit Datenbanken → 1988-08-04. Bald darauf auch Einrichtung einer Datenbank für meine Texte (Stand Okt 2022: 5434 Datensätze).
1985-08-15Neuer Musik-Turm mit CD-Player: THE DIGITAL DOMAIN ist meine erste CD, mit verschiedenen Demonstrationen der Möglichkeiten der volldigitalisierten Musik-Speicherung und –Wiedergabe.
1988-08-04Bericht über meine Arbeit mit Datenbanken in der Beilage „Der junge Buchhändler“ des Börsenblatt für den deutschen Buchhandel: „Endlich wiederfinden, was geboren war“.
1991-01-03Meinem jüngsten Sohn Jonas zuliebe organisiere ich ein „Rezensions-Exemplar“ vom GameBoy (auf den er und einige seiner Klassenkameraden ganz wild sind) und den Lynx von Atari zum Testen. So entsteht ein Beitrag für die Südd. Zeitung über Computerspiele.
1996-07-16Interview mit Strafrecht-Professor Fritjof Haft über die Digitalisierung im Rechtswesen (Sendung im Nachstudio des Bayrischen Rundfunks).
1997-11-14(Eintrag in meiner Thesauros-Datenbank:) „HyperWriting ist meine Weiterentwicklung des Creative Writing, ergänzt durch Gruppenarbeit mit „Themenzentrierter Interaktion (TZI)“ und die Verwendung digitaler Medien (PC, Blogs und Websites im Internet – digitales CoWriting). 
1998-03-27Unsere erste Website „homo-futurus.com“ geht online – nach Anregungen und tätiger Hilfe von Sohn Gregor im März 1998 (“ Lern Frontpage und geh online!“).
Thomas Riem (stud. jur.) und Peter Manhart (Psychologiestudent) unterstützen mich dabei und ein hilfreicher Sponsor (der Provider Sebastian G.  Renner von „webside.de“ ) lässt die Website ein Jahr lang kostenlos über seinen Server laufen (dafür aus der „Zukunft von 2022“ nochmal ein großes „Danke schön“!).
1999-12?Wann habe ich erstmals Zugang zum Internet bekommen? Was ich noch weiß: Das funktionierte damals mit Hilfe eines Modems über das (damals voll analoge) Festnetztelefon. Mein erster Provider war AOL –  einst Welt-Konzern, der aber den Internet-Hype nicht überstanden hat. Ich wusste auch noch, dass Boris Becker damals Werbung für AOL machte mit dem flotten Spruch „Ich bin drin“.
2000-04-25Ich beginne mit Online-Bestellungen bei Amazon . Meine allererste Bestellung ist auf einer E-Mail vom 25. April 2000 bestätigt: Zwei amerikanische Bücher, die mit dem Schreiben zu tun haben (20 Master Plots und The Writer´s Journey). Ich ordere nicht viel, aber doch jedes Jahr ab da etwa ein Dutzend Bücher, DVD / Blu-ray, CD und Kleidung wie Handschuhe. Ansonsten gehe ich lieber ganz altmodisch in einen Laden und schau mich dort um.
2001-03Die deutschsprachige Wikipedia wird gestartet (zwei Monate nach der englischsprachigen Version). Ich nütze diese Online-Enzyklopädie in deutscher Sprache von Anfang an für digitale Recherchen. Ich habe selbst einmal einen Beitrag zu „Hyperwriting“ verfasst und gepostet, der aber irgendwann entfernt wurde.
2002Erster Laptop – praktisch zum Mitnehmen in Seminare.
2003-12DVD-Version des Films Alarm im WeltallForbidden Planet als erster Erwerb einer digitalen Version eines Films (1957 im Universum-Kino in München gesehen – dann 1998 als Video-Kassette – 20212-10 als Blu-ray) .
2004-19Unsere Website heißt inzwischen „iak-talente.de“. Ich programmiere sie weitgehend selbst mit html-Code (in der Apache-Version von Matthias Path, unserem Webmaster).
2005-06Der Allitera-Verlag veröffentlicht meine Collection eigener Kurzgeschichten Blues für Fagott und zersägte Jungfrau als Paperback und parallel dazu eine digitale Version – mein erstes E-Book.
Als „Book on Demand“ ist es zugleich ein vom Satz über die Herstellung bis zum Druck und Versand vollständig digitalisiertes Buch.
2005-12-17Irgendjemand (unbekannt) fügt der Wikipedia einen Eintrag zu meiner Person hinzu: „Jürgen vom Scheidt (Schriftsteller“). Etwa ab da nütze ich die Wikipedia regelmäßig für Recherchen.
2006Ich entdecke das Karten-Computer-Spiel Freecell und werde zu einem großen Fan. Andere Spiele sind mir zu zeitraubend.
2006-02-24Vermutlich ab diesem Jahr 2006 habe ich begonnen, mittels Outlook E-Mails zu verschicken. Zumindest legt das der Kauf eines diesbezüglichen Ratgebers Outlook 97 nahe, denn ich informiere mich gerne vorab, wenn ich etwas Neues in mein Leben lasse. Das Buch war sauteuer, wie viele Computer-Ratgeber der Anfangszeit, als die Digitalisierung so richtig begann: 59,80 DM.
2007-01-04Ich eröffne meinen Labyrinth-Blog in der Blogger-Sphäre von SciLogs (Spektrum der Wissenschaften) mit dem Beitrag „Vielschichtiger Mythos (Labyrinthiade)“.
2007-11Diktier-Software Dragon Naturally Speaking von Nuance wird erworben und ist seitdem ständig bei mir im Einsatz.- Bericht von mir darüber im Labyrinth-Blog bei SciLogs “ Mit DRAGON unterwegs in deutscher Sprache“ (Post #100 vom 2008-06-19).
In Ausgabe 3/2009 von TextArt veröffentliche ich einen ähnlichen Artikel „Mit dem Dragon durch die deutsche Sprache“. Dazu schreibt mir die Firma:
Nuance würde gerne diesen Artikel auf http://www.nuance.de veröffentlichen (mit Angabe von Ausgabe und Publikation). Könnten wir von Ihnen da die Zusage erhalten? […] Sven Kersten-Reichherzer, Account Director.“
Diese Zusage habe ich gerne gegeben.
2008-02-07SuperMailer-Programm zum Versand unseres Newsletters (an 550 Abonnenten – Stand 2022-10: 940 Abos).
2008-10 Während wir vorher an die tausend Flyer mit unserem Programm verschickt haben (mit steigenden Druck- und Portokosten und viel Handarbeit) stellen wir nun alles auf E-Mails und Newsletter sowie weiterhin die ständig aktualisierte und erweiterte Website um.
2009-11-18Digitale Medizin: Kernspintomographie (MTR) in der Orthopädischen Klinik Harlaching (Abt. Radiologie) – wg. Problemen mit oberen Rückenwirbeln.
2010Neuer Tintenstrahl-Drucker von Brother. Ermöglicht nun auch Scannen von analogen Bildern und deren Umwandlung in digitale Version (jpg-Format).
2011-08Umzug von der Seestraße in die Winzererstraße. Bei dieser Gelegenheit wird der alte (analoge) Röhren-Fernseher (bei dem nur die Fernbedienung digital war) ersetzt durch ein volldigitalen Flachbildschirm-Fernseher plus DVD-Player. Ab da auch allmähliche Umstellung von den (analogen) Video-Kassetten auf das (digitale) DVD-Format.
Die neue Wohnung verfügt über eine Gastherme, die eine Etagenheizung versorgt; diese wird von einem (digitalen) Thermostaten gesteuert. Waschmaschine und Spülmaschine verfügen über digitale Programmsteuerung.
2012-01-12Umstellung von DVD-Format auf Blu-ray: Danny Boyles Science-Fiction-Film Sunshine ist meine erste Blu-ray.
2013Twitter-Account für kurze Zeit, nur einige Male genutzt, dann abbestellt. Ich nutze weder Facebook oder sonstige Social Media. Auch so ein Gerät wie die gierige Datensaugerin Alexa von Amazon kommt mir nicht ins Haus.
2013-12-07DramaQueen – Software für das Schreiben von Drehbüchern und Romanen anhand des Konzepts der Heldenreise. Ich will das für mein aktuelles Roman-Projekt glü einsetzen.
2014-11-15Steuererklärung für das Jahr „2013“ erstmals selbst mittels Software WiSo Steuer-Ratgeber (25 €) – ab 2016 ElStEr ohne Steuerberater.
2014-09ClipMate 4 – Programm zur umfangreichen Speicherung der Zwischenablage jedes Programms.
2015-01OCR-Software (ABBYY Fine Reader 12) zur Digitalisierung von analogen Texten.
2015Mein erster Roman Männer gegen Raum und Zeit (→ 1958) wird neu aufgelegt. Der Verlag vss in Frankfurt produziert außerdem parallel eine elektronische Version – mein zweites E-Book nach Blues für Fagott… (→ 2005).
2016-09-02Freund Heinz Zwack kauft sich einen neuen Kindle (E-Book-Reader von Amazon) und schenkt mir seine alte Version, samt einigen E-Books, darunter seinen eigenen. Inzwischen habe ich auch meine vier eigenen E-Books darauf kopiert.
2017Ab diesem Jahr (für das Vorjahr 2015) erledige ich alle Tätigkeiten für die Steuererklärung selbst und digital: Buchführung, Verarbeitung mit WiSo-Software sowie Erstellen und Abschicken der Steuererklärung mittels ElStEr – die „Elektronische Steuer-Erklärung“ mit dem köstlichen Akronym.
2017-09-13Von meinem Urgroßvater Ferdinand Naumann (Hotelier im „Hotel Gotha“ auf dem Inselsberg bei Jena) sind drei (von ursprünglich fünf) Tagebücher auf mich gekommen. Sie sind in alter Sütterlin-Schrift verfasst, die ich kaum entziffern kann. Meine Cousine Ursula hat Band II in mühsamer Kärrnerarbeit transkribiert, sodass nun eine digitale Fassung zumindest des Zeitraums „1. März 1886 – 13. Januar 1896“ existiert. Auszüge davon mache ich in meinem Blog zugänglich.
2017-09-20Erwerb einer elektrischen Zahnbürste (Philips SoniCare AirFloss #1 Ultra) – auch so ein kleines digitales Wunder, das sich drei Minuten merken kann und die in vier gleichmäßige Intervalle teilt. Zähneputzen macht endlich Spaß!
2020-04-08Erster Post meines neu gestarteten Blogs „hyperwwriting.de“.
2020-10Wegen Corona-Pandemie reine Online-Kurse „Kreatives Schreiben“ mit Video-Konferenzen, zum Beispiel mit Studierenden der Berufsbegleitenden Akademie Breitenbrunn in Sachsen/Erzgebirge. In 2020 zwei Kurse zu sechs vollen Tagen (montags bzw. dienstags) – im darauffolgenden Jahr 2021 weitere drei Kurse dieser Art. Ein wunderbarer Zufall, dass die Digitalisierung inzwischen soweit fortgeschritten ist, dass diese Video-Konferenzen möglich wurden.
Ich führe auf diesem „digitalen Weg“ auch Einzelberatungen durch – meine Kolleginnen von der Psychotherapeuten-Zunft mussten wegen der Pandemie alle auf diese digitale Lösung umsteigen (Schwinn 2022).
2021-03Wegen Corona braucht man immer wieder mal einen Schnell-Test, zum Beispiel um Zugang zum Fitness-Studio zu erhalten. Da ist es praktisch, das (bisher zum Glück immer „negative“) Ergebnis digital via Smartphone mit  QR-Code präsentieren zu können.
2021-12Fünf technische Neuerwerbungen zeichnen dieses Jahr aus und sie haben alle mit Digitalisierung zu tun:
° Das I-Phone (ermöglicht via FaceTime Videokonferenzen).
° Die neuen Hörgeräte: aufladbar, mit verbesserter Software und via Bluetooth verbindbar mit I-Phone, PC, CD-Player, Fernseher und – zumindest theoretisch – auch mit dem Festnetztelefon.
° Ein neues volldigitales Gigaset-Telefon (für Festnetzverbindung und Internet-Anschluss).
° Das Apple-TV-Gadget, das meinen Fernseher direkt mit dem Internet verbindet und somit Streaming ermöglicht (was zugleich auch ein Problem ist, weil ich seitdem viel zu viel Filme schaue). –
Nicht unwichtig: nach wie vor funktioniert mein PC aus dem Jahr 2012 fehlerlos – es ist inzwischen Computer #12.
2022-05-13Besuch im neuen Zukunfts-Museum in Nürnberg. Ich probiere dort erstmals eine VR-Brille aus und erkunde einen fiktiven „Virtuellen Raum“ – eindrucksvolle Demonstration künftiger Möglichkeiten der digitalisierten Welt. Außerdem wird der eindrucksvolle weiblicher Roboter AMECA vorgeführt, der unglaublich lebensechte Mimik und Gestik und Sprechweise vorführt. Dazu der golden schimmernde Quanten-Computer – wie ein Gerät aus einem Science-Fiction-Film (in der TV-Serie Devs sieht man eine – fiktive – Weiterentwicklung). Verblüffend auch die Gesichtserkennungs-Maschine – machte mich allerdings zehn Jahre jünger (danke!) – und lässt „chinesische Zustände“ der digitalen Überwachung auch bei uns befürchten.
2022-07-21Enkel Nico (15) bekommt einen Ersten Preis bei „Jugend forscht“ und bald darauf noch einen Ersten Preis für die Weiterentwicklung seiner Simulation zur Stadtentwicklung.
2022-09-10Mit Hilfe einer neuartigen Software mit hohen KI-Eigenschaften generiere ich überraschend interessante Bilder aus eigenen Haiku.
2022-10Die Möglichkeiten des (digitalen) Streaming haben mein Medienverhalten total verändert:
° Ich höre fast keine Musik mehr (obwohl ich viele sehr gute CDs habe).
° Ich schaue fast keine Filme mehr auf Blu-ray an oder auf DVD (einige besitze ich  noch) – und das bei einer Sammlung von 350 sehr guten Titeln, denn
° durch das Abo bei Disney+ (das ich mit der Familie teile) ziehe ich mir viele Serien und Einzelfilme rein, die ich sonst nie angeschaut hätte – einfach weil das Streamen so verführerisch leicht ist.
Tabelle: Der Verlauf meiner persönlichen Digitalisierung (Archiv: JvS)
Abb. 2: Mein erster Computer 1983 mit ausklappbarer Tastatur und zwei Floppy-Laufwerken (Archiv JvS)

Manche Details für die obige Tabelle waren nur sehr mühsam zu rekonstruieren. Wann habe ich zum Beispiel erstmals Zugang zum Internet bekommen?
Was ich noch wusste, war, dass dies damals mit Hilfe eines akustischen Modems über das (voll analoge) Festnetztelefon ablief und dass mein erster Provider AOL war – ein Welt-Konzern, der den Internet-Hype nicht überstanden hat. Ich wusste auch noch, dass Boris Becker damals Werbung für AOL machte mit dem flotten Spruch „Ich bin drin“.
Heute lässt sich das ganz einfach recherchieren: Man gibt bei Google in natürlicher Sprache ein „Ich bin drin – Boris Becker“ – und eine Sekunde später wird der betreffende Werbespot bei YouTube präsentiert, mit Datum „1999“.
Die Tabelle mit ihren vielen Informationen war nur möglich, weil die allmähliche Digitalisierung meines Lebens auch gut gefüllte Datenbanken generiert hat, aus denen ich nun leicht „Honig saugen“ kann: Je eine eigene DB zu Büchern, zu Filmen, zu eigenen Texten und der Thesauros, in dem ich seit 1980 mein eigenes Lexikon mit inzwischen mehr als 4.000 Stichwörtern aufgebaut habe. Der erste Eintrag darin (vom 13. August 1980) befasst sich mit „Kugelblitzen“ (ich habe 1953 selbst mal einen erlebt, in den Sommerferien auf Sylt).

Abb.3: Virtual Reality mit VR-Brille im Zukunftsmuseum (Archiv: JvS Nürnberg 2022-05-13)

Persönliche Digitalisierung: MultiChronalia
2022-07-27: Soeben habe ich meinen vorletzten Drucker beim Wertstoffmobil entsorgt, einen Brother Tintenstrahler, den ich seit 2007 verwendet habe und mit dem ich sehr zufrieden war – bis er jetzt „das Zeitliche gesegnet“ hat. (Ich hatte mir damals im Mediamarkt sogar drei Exemplare gekauft, weil der Preis supergünstig war – 65 €, wenn ich mich recht erinnere; ein Exemplar machte irgendwann Probleme und ließ sich nicht mehr reparieren, das dritte schenkte ich nach dem Umzug in die Winzererstraße meinem Sohn Jonas).
Seit zwei Wochen arbeite ich mit meinem ersten Laserdrucker – einem LaserJet. Anlass für einen Blick zurück:
1954-07: Die allererste Schreibmaschine, auf der ich zu tippen begann, war die „Erika“ meines Vaters, eine kleine Reiseschreibmaschine. Auf ihr schrieb ich die Exposees ab, die ich mir für die Heftserie Jim Parkers Abenteuer im Weltraum ausgedacht hatte und zunächst (heimlich) unter der Schulbank auf meinen Knien handschriftlich notierte. Das Ganze im Format DIN A6, also Postkartenformat, einmal gefaltet und von meinem Freund Alfred Hertrich mit einem „Titelbild“ samt Logo Utopia versehen. Leider habe ich von diesen vielen (50?) Exposees nur noch eines, „Der rote Stern“ (über einen Flug zum Mars) – und das ist nur noch in einer schlechten digitalen Kopie vorhanden, das Original derzeit nicht auffindbar. An die nächste, nun eigene, Schreibmaschine kann ich mich nicht mehr erinnern; das war während meines Studiums. Es folgte eine elektronische Variante (meine Frau Ruth hatte zeitweilig eine supermoderne IBM-Kugelkopf) . Und dann kam schon die erste richtig digitale „Schreibmaschine“: 1983 ein Nadeldrucker samt dem dazugehörigen Computer und Bildschirm.
Die Entwicklung der Digitalisierung (auch bei mir selbst) ist also ein gutes Beispiel für das, was ich als MultiChronie bezeichne.

Quellen
Alpers. Hans Jürgen (Hrsg.): Science Fiction Almanach 1983. Rastatt 1982 (Arthur Moewig Verlag).
Scheidt, Jürgen vom: Psarak abukò“. In: Pioneer Nr. 19. Wien 1064. Nachgedruckt in → Alpers 1982.
ders.: Männer gegen Raum und Zeit (Leihbuchausgabe). Wuppertal-Barmen 1958 (Wieba).
ders.: Sternvogel. Minden 1962 (Bewin).
ders,: Der geworfene Stein. Percha bei München 1975 (R.S.Schulz).
ders.: Die stählernen Hände. In: Selecta Nr. 10 vom 08. März 1965. Planegg (Selecta-Verlag).
ders:. „Arbeit am Rechner: ein Abenteuer für die Seele?“. In: p.m.computerheft Nr. 3/Feb 1985, S. 80-82.
Schwinn, Michaela: „Therapie am Küchentisch“ (Digitale Fernberatung). In: Südd. Zeitung Nr. 96 vom 27. April 2022, S. 06.

283 _ aut #1048 _ 2022-10-05/15:08

°Der Augenblick des Vertrauens (Story)

 „Das ist wundervoll“, sagte der junge Mann zu dem Greis, „dass Sie das einzige Archiv aus der Alten Zeit vor der Weltdiktatur gerettet haben, das nicht manipuliert ist.“
Ehrfurchtsvoll betastete er die Kästen mit Hängemappen, voll mit bedrucktem Papier und handgeschriebenen Dokumenten, die der Greis ihm offenbart hatte.
„Und da drin steht die unverfälschte Wahrheit, wie es wirklich war in der Welt, ehe alle Archive vernichtet oder verändert wurden?“
Der Greis nickte bedächtig.
„Und all die schönen Handschriften – heute schreibt ja niemand mehr mit der Hand.“
„Ich schon“, murmelte der Greis, „manchmal. Tagebuch. Briefe, die niemand mehr liest außer mir. Aber es ist mühsam geworden. Die Gelenke, verstehen Sie, die Arthritis -„
„Ich danke Ihnen für das große Vertrauen, mich in Ihr Geheimnis einzuweihen und vor allem keine Angst zu haben vor diesem großen Schritt.“
„Was bleibt mir anderes übrig – in meinem hohen Alter. Meine Tage sind gezählt.“
Der junge Mann nickte verständnisvoll. Dann holte er das Feuerzeug aus der Tasche.

Abb.: All die schönen alten Handschriften und dies gedruckten Dokumente (Photo by Pixabay on Pexels.com)

282 _ aut #1452 / 2022-09-28/11:06 (1996-08-19)

„Ozapft is“ – Oktoberfest 2022

Wer lieber einen Joint raucht, ist empört, dass die CSU heftig gegen die Legalisierung von Cannabis wütet – aber sich enthusiastisch stark macht für „das größte Besäufnis der Welt“, wie es jemand mal kritisch genannt hat. Klar, da geht es ja nicht nur um den Ausschank von 7,85 Millionen Liter Bier (= 471 013 Liter reiner Alkohol) an 6,5 Millionen Menschen (Stand 2019) und somit um einen großen Wirtschaftsfaktor der Stadt München: 448 Millionen Euro Gesamtumsatz auf der Wiesen – mit Übernachtungen etc etc geschätzte eine Milliarde Euro in diesen zwei Wochen. Dafür kann man sich schon stark machen.

Aber die „Wiesn“ ist ja viel mehr – auf jeden Fall „Brot und Spiele“ vom Feinsten – oder vom lautesten, je nach Geschmack. Da haben die Münchner wirklich etwas gelernt von den Römern der Antike und die vielen italienischen Besucher (vier von 100 Wiesn-Besuchern) wissen das sicher auch zu schätzen.

Abb. 1: Das sieht man nur vor Beginn des Rummels: Jede Menge Polizisten, die im Gänsemarsch zu ihrem Einsatz anrücken (Archiv JvS 2013)

Als ich diesen Beitrag Mitte 2021 vorbereitet habe, diskutierte man ernsthaft, ob man auf die „Wies´n“ möglicherweise nur Geimpfte lassen sollte. Der Aufschrei in den Medien war gewaltig. Man wollte sich doch „das größte Besäufnis“ nicht von ein paar Hypochondern vermiesen lassen!
Nun ist der Rummel seit Freitag 16. September 2022, also im Gange wie eh und je seit 1810, also seit nunmehr 210 Jahren (mit ein paar kriegsbedingten Lücken) . Auf mich wird man dort verzichten müssen – nicht nur wegen Corona. Ich mag diesen Höllenlärm und das Geschubse und Gedrängel schon lange nicht mehr.
Aber mir ist auch klar, dass nach den berührungsfeindlichen Lockdowns von 2020 und 2021 ohne Oktoberfest und manche andere Festivität das Bedürfnis vieler Menschen nach ausgelassenem Feiern groß ist. Und wenn man Kinder hat, dann muss man da halt eh mal hin, zumindest als Münchner und mindestens einmal.

Man könnte ja auch den Geldbeutel zulassen und den Verstand einschalten, der einem sagen muss: Sehr sinnvoll ist das nicht. Aber beim Einlass zur Wies´n wird ja kein Intelligenztest verlangt.
Klar, dass sich unzählige der vermutlich wieder 6,5 Millionen Wiesenbesucher mit Corona infizieren werden, das ist unvermeidlich und entspricht der Erfahrung, die man in den beiden vergangenen Jahren noch mit jedem größeren Festgedränge gemacht hat.
Kann man zur Kenntnis nehmen und den Rummel dann meiden – oder man ignoriert die Bedenken mit einem Achselzucken und denkt sich: „Wird schon schiefgehen – was soll´s“ oder ähnlichem Aberglauben. Aber das hat ja auch ein Gutes: Je mehr Menschen sich infizieren (und das einigermaßen gesund überleben), umso besser ist die Durchseuchungsrate. Naturexperiment, nennt man das in der Forschung: Wenn es einfach passiert und man hinterher in aller Ruhe auswerten kann, was geschehen ist.

MultiChronalia

MultiChronie ist eine sehr heilsame Angelegenheit, weil sie einem immer wieder hilft, zu bestimmten Themen frühere Erlebnisse zu erinnern und diesen ganz speziellen Zeitfaden zu aktivieren – was nach meiner Erfahrung der ganzen Persönlichkeit und dem Selbstgefühl gut tut. Nun also das Thema „Oktoberfest“. Was sind meine diesbezüglichen MultiChronalia?

Mein erster Wies´n-Besuch war mit hoher Wahrscheinlichkeit 1956, also bald nachdem wir von der oberfränkischen Kleinstadt Rehau in die bayerische Landeshauptstadt umgezogen waren. Daran habe ich jedoch keinerlei Erinnerungen.
Sehr genau erinnere ich mich daran, wie ich zwei oder drei Jahre später voller Zorn auf die Menschen, egal wer, grimmig entschlossen das Haus verließ und mich auf den Weg zum Oktoberfest machte, um mich dort mit wem auch immer zu prügeln. Daraus wurde dann nichts, vor allem, weil mein Zorn längst verraucht war, als ich endlich die Trambahn nahe der Wies´n verließ (die U-Bahn gab es damals noch nicht).
Sehr klar und zudem recht schmerzhaft sind meine Erinnerungen an einen Besuch des Rummels an einem Abend im Oktober 1961, als ich in eine Schlägerei unter Jugendlichen geriet. Da schlenderte ich geruhsam mit meinem Klassenkameraden Dieter S. durch die Menge. Ich bemerkte, dass vor mir einige Burschen und Mädchen auf einen einzelnen anderen Jugendlichen einschlugen. „Komm, dem helfen wir“, sagte ich spontan zu Dieter und lief zu der johlenden Meute. Dort entdeckte man mich sofort als nächstes potenzielles Opfer. Eines der Mädchen schrie: „Der kunnt a oane braucha“, will sagen: eine Ohrfeige oder was ähnliches. Und schon ließen sie von dem Opfer ab und kamen auf mich zu. (Hier muss ich einschieben, dass ich 1,84 Meter groß bin, damals an die 80 Kilo wog und mit auffällig weißem Wollpullover und Brille wohl den perfekten Blitzableiter für testosterongeladene Burschen abgab. Und mit meine 21 Jahren war ich auch schon ein wenig erwachsener als sie, dachte ich.)
Wo war Dieter, der mir sicher helfen würde? Der war spurlos verschwunden! Einer der Rambos hatte, wie ich deutlich sah, einen Schlagring übergestreift. Da packten mich schon links und rechts zwei Kerle und der mit dem Schlagring stürmte auf mich zu. (Hier muss ich weiterhin einschieben, dass ich damals zweimal die Woche ins Judotraining ging und schon ein wenig Erfahrung damit hatte, wie man Schläge abwehrt und auch selbst welche platzieren kann; sehr effizient ist ein Handkantenschlag aufs Schlüsselbein, das dann schmerzhaft bricht, oder noch besser gegen den Kehlkopf und dann der Tritt ins Gemächte). Ich war wie in Trance, schätzte meine Chancen gegen diese etwa fünf Burschen positiv ein, schüttelte die beiden, die mich von hinten an den Oberarmen festhielten, wie lästiges Ungeziefer ab und war kurz davor, den Anführer mit dem Schlagring einen bösen Tritt und Schlag zu verpassen –
– als mein übriges Gehirn blitzschnell verstand, dass ich da eine ganz üble Verletzung verursachen könnte, eventuell (Kehlkopf!) sogar den Gegner töten würde (wovor uns Judoka Aigner nachdrücklich gewarnt hatte) –
Also Rückzug! Umschalten in Panikmodus, Flucht – unter Zurücklassung eines Halbschuhs, die heruntergestoßene Brille erwischte ich gerade noch, und nichts wie weg. Ich rannte durch die dichte Menge und tauchte buchstäblich darin unter – wie man das in jedem besseren Krimi sehen kann. Irgendwann saß ich, mit nur einem Schuh und ziemlich erschöpft, in der Tram und zockelte nachhause. Ende der Vorstellung.

Aber das Ganze hatte sich gut in mein Gedächtnis eingebrannt und ließ sich 1975 mühelos abrufen, als ich meinen Roman Der geworfene Stein schrieb und dafür genauso eine Szene brauchte: Ein Schlägerei auf dem Oktoberfest. Kann man dort nachlesen, in Kapitel 35. Das kleine Oktoberfest-Abenteuer hatte also auch sein Gutes, letztes Endes. Irgendwas muss man als Autor ja erleben, um es dann auf dem Papier erzählen zu können. Und wohlan – hier im Blog kann ich gleich noch einmal davon berichten. Fühlt sich richtig gut an, diese Erinnerung: Allein gegen fünf Gegner! Vow!

Es dürfte 1977 gewesen sein, als ich mit meinen beiden Kindern auf die Wies´n ging. Das muss man ein paar Mal machen – bis sie alt genug sind und das lieber ohne Eltern unternehmen. Gregor war gerade sieben und Maurus fünf. Vorsorglich schärfte ich den beiden beim Betreten des Festgeländes ein, dass „wir uns genau hier beim  Riesenrad wieder treffen, falls wir uns aus den Augen verlieren“. Das ist am Nachmittag nicht so wild wie am Abend, wenn die Menge wirklich nahezu undurchdringlich ist. Aber meine väterliche Fürsorge löste bei Maurus geradezu Panik aus, und ich hatte Mühe ihn zu beruhigen. Ein paar Fahrten mit einem der Schaugeschäfte lösten dann alles in Wohlgefallen auf – aber diesen Moment des Erschreckens habe ich nicht vergessen.

1985 dann das schreckliche Attentat- bei dem ein Sprengsatz am 26. September beim Haupteingang 12 Menschen tötete und 221 verletzte, 68 davon schwer. Der bisher schwerste Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch in diesem Jahr war ich nicht auf die Wiesn gegangen, vom Anschlag las ich anderntags in der Zeitung. Für viele Jahre nicht nur für mich ein Grund, nicht mehr zu diesem Rummel zu gehen.

Es dürfte so um 1990 gewesen sein, dass ich mal am Abend allein über die Wiesn bummelte, um das einfach wieder mal zu erleben – denn ein Erlebnis ist es auf jeden Fall. Ich verkniff mir Karussellfahrten, gönnte mir aber eine Portion Zuckerwatte, als Gehirnfutter, gewissermaßen, um mich dann aufmerksam beobachtend durch die Menge treiben zu lassen. Eine Menge, die von Viertelstunde zu Viertelstunde immer dichter wurde und mir zuletzt vorkam wie ein zähflüssiger Menschenbrei, durch den kaum mehr ein Vorankommen möglich war. Nichts wie heim! dachte ich nur noch, geriet fast ein wenig in Panik – wenn jetzt irgendwo was passiert – wie fünf Jahre zuvor!! Ging aber gut aus.

2005 war ich mit meinem Freund aus Volksschultagen Dietmar Sammet an einem sommerwarmen Herbstnachmittag zum Hendlessen bei einem der Festzelte. Dietmar hatte Gutscheine von Geschäftsfreunden, und die verzehrten wir nun in Form von halbem Brathendl, Wiesnbrezn und je einer Maß (und dann „noch a Maß“), außen in einem der Biergärten sitzend und froh, nicht drin im auch nachmittags schon recht heftigen Gewühl um Sitzplätze und Essen und Bier kämpfen zu müssen. Von unser Gespräch erinnere ich nichts mehr, aber es war, wie jedes unserer monatlichen Treffen, sicher recht angeregt in einer Mischung an Kindheitstage in Rehau und aktuelle Themen wie der Sicherheit der Öl- und Gasversorgung (er war in dieser Branche tätig – und ja, die Sicherheit der Öl- und Gasversorgung war damals ein sehr akademisches Thema.)

Abb. 8: Dieses „Labyrinth“ ist genau genommen ein Spiegelkabinett. (Archiv JvS)

Dann ging ich erst wieder 2013 zur Eröffnung der Wiesn, weil ich Fotos machen wollte und mir endlich mal am Samstagmittag den Einzug der Wiesnwirte mit ihren festlich geschmückten, von eindrucksvollen Pferdegespannen gezogenen Bierwagen anschauen wollte – einmal im Leben sollte man sich das schon gönnen. Und unbedingt fotografieren wollte ich das Schaugeschäft mit dem lockenden Namen „Labyrinth“ (was ja bekanntermaßen ein sehr verwirrendes Spiegelkabinett ist und mit einem kretischen Labyrinth rein gar nichts zu tun hat). Das gelang mir dann 2016, also drei Jahre später.

Und nun lese ich im Jahr 2022, gemütlich im Café „Rigoletto“ sitzend, im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung, was es über das Oktoberfest in diesem dritten Corona-Jahr zu berichten gibt. Und ich erinnere mich an die Schlägerei vom Jahr 1961, die zum Glück gut ausging. Und an den Besuch im „Labyrinth“ schon lange vorher, den ich 1964 in einer Kurgeschichte mit dem Titel „Im Spiegelkabinett“ verarbeitet habe.

Quellen
Franke, Herbert W. (Hrsg.): Science Fiction Story-Reader Nr. 4. München 1975 (Heyne TB).
Kotteder, Franz: „Die woke Wiesn“. In: Südd. Zeitung Nr. 215 vom 17./18. Sep 2022, S. R 01.
Scheidt, Jürgen vom: „Im Spiegelkabinett“. In Franke 1975.
Ders.: Der geworfene Stein. Pecha 1975 (R.S. Schulz).

283 aut #1156 _ 19. Sep 2022 / 11:35