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MultiChronie: Glossar

Um die verschiedenen Beiträge über MultiChronie hier im Blog zusammenzufassen, abzurunden, zu vertiefen und zu erweitern, stelle ich im folgenden Glossar alle Begriffe zusammen, die für dieses Thema relevant sind. Wäre doch eine schöne Grundlage für ein (Achtung, jetzt wird´s zur Science-Fiction) noch zu gründendes „Institut zur Erforschung der MultiChronie und ihrer praktischen Anwendung in Privatleben und Beruf“ an einer renommierten Universität.
(Man darf ja träumen.)

Abb. 1: So ungefähr geht es beim Denken in unserem Gehirn zu: In den neuronalen Netzwerken verbinden sich ZeitFäden und ZeitSchichten zu immer neuen multiChronalen Variationen unserer Innenwelt (Pexel.com – Artist vision.)

Ich ordne die verschiedenen Begriffe (s. unten alphabetische Reihung) zunächst thematisch, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit zum Verständnis dessen, was ich als „MultiChronie“ bezeichne:

a) Da sind zunächst einige grundsätzliche psychologische Termini, die gewissermaßen den Hintergrund des Themas erhellen

Bewusstsein: Das Erleben der Wirklichkeit außen (Außenwelt) und innen (Innenwelt).
Enge des Bewusstseins: Die Zeiteinheit (etwa 300 Millisekunden), die wir als „jetzt“ erleben. Man könnte sie als → MultiChron bezeichnen – denn schon in diesem winzigen (buchstäblichen) Augenblick wird nicht nur Gegenwärtiges realisiert, sondern auch mit vergangenen Eindrücken (Erinnerungen) verglichen und werden Entscheidung über „Wie weiter?“ getroffen:
Wenn die Verkehrsampel vor mir auf gelb, dann rot schaltet: Halte ich an – oder fahre/gehe ich weiter?
Von der Fülle der Informationen, die in jeder Zeiteinheit über alle Sinnesorgane auf das Gehirn einstürmen, wird jedoch nur ein winziger Ausschnitt bewusst wahrgenommen, bewertet, abgespeichert – oder vergessen. Dieses → A-MultiChron muss physiologisch immer schon mit vergangenen Informationen (→ V-MultiChron) verbunden sein, oft mit ganzen Ketten davon (→ ZeitFäden).

Gedächtnis
Die Psychologie und die Hirnphysiologie unterscheiden verschiedene Abschnitte des Gedächtnisses, je nach Aktualität. Sie sind unterschiedlich gespeichert (weitere Details, zum Teil abweichend in der Wikipedia):
° Augenblick (bewusst erlebt: 300 Millisekunden – mit ähnlich langem Rückgriff auf Vergangenheit und Vorgriff auf Zukunft – mit Abschätzung der möglichen Folgen – insgesamt schätzungsweise 1.000 Millisekunden = eine Sekunde).
° Ultrakurzzeit-Gedächtnis (wenige Sekunden: neuroelektrisch gespeichert).
° Kurzzeit-Gedächtnis (Minuten, Stunden, Tage – kritisch bearbeitet und bewertet: neuroelektrisch, vielleicht zum Teil auch schon biochemisch gespeichert).
° Mittelzeit-Gedächtnis (vielleicht Wochen. Monate).
° Langzeit-Gedächtnis (Monate, Jahre – wenn als überlebenswichtig oder emotional sehr intensiv bewertet: lebenslang biochemisch gespeichert – die Grundlage der Persönlichkeit – weitgehend unbewusst, aber bis auf die etwa drei ersten Jahre vor der Kindheitsamnesie in den wichtigsten Details bewusster Erinnerung zugänglich – falls nicht psychodynamisch verdrängt, wie Sigmund Freud das zutreffend beobachtet und bezeichnet hat).

Innere Gestalten: Größere Einheiten der Persönlichkeit (über mehrere Jahre hinweg) kann man psychologisch als Innere Gestalten verstehen, die auch später weiter existieren, obwohl man längst zu einer neuen Inneren Gestalt geworden ist: Der Erwachsene kann sich noch gut an Situationen seiner Jugend (Innerer Jugendlicher) und sogar seiner Kindheit (Inneres Kind) erinnern – wenn er/sie sich darum bemüht. Dies ist eines der wesentlichen Geschehnisse in einer Psychoanalyse: Die Verbindung (oft auch nötig: Versöhnung) mit solchen Inneren Gestalten. Das Ziel sollte ein → Kohärentes Selbst sein. Die Gesamtheit dieser Inneren Gestalten nenne ich → MultiPersonalität.

Innenwelt-Vernetzung: Die gesamte neuronale Vernetzung aller → ZeitFäden und → ZeitSchichten in einem Individuum.

Kindheitserinnerungen: Sie reichen bei den meisten Menschen allenfalls ins dritte Lebensjahr zurück alle Ereignisse vor dieser Kindheitsamnesie sind vermutlich in einem anderen Bewusstseinsmodus (→ Früheste Kindheit) abgespeichert und deshalb für den erinnernden Erwachsene nicht mehr zugänglich.

MultiChronalia = verschiedene → ZeitSchichten bzw. Erlebnisse, die sich um einen bestimmten Text anordnen (s. oben die Tabelle zum Thema „MultiChronie“).

MultiPersonalität: Die Gesamtheit der → Inneren Gestalten.

Selbstbewusstsein: So etwas wie „Bewusstsein“ entstand sehr spät in der Evolution des Lebens auf der Erde und entsteht auch in der Entwicklung des Individuums vergleichsweise spät (in frühesten Rudimenten während der ersten Monaten im Mutterleib, vielleicht deutlich ab den sechsten vorgeburtlichen Monat, wenn der Fötus auf Geräusche der Umgebung reagieren kann, etwa den Herzschlag der Mutter).

b) Eine ganz spezielle Rolle spielen in meinem Konzept die Zeit-Linien oder Themen-Linien:

ZeitFäden sind gewissermaßen die einfachsten und „dünnsten“ Themen-Linien. Beispiel: Ich lese in der Zeitung eine Bericht über die Technische Universität München und erinnere mich an die sechs Wochen meines ersten Studiums der Mathematik/Physik Ende 1959 an eben dieser Institution. Der „dickere“ → ZeitStrang wäre dann die Zeit meines Studiums insgesamt, von 1959 bis 1967 (Abschluss als Diplompsychologe). Das Verfassen der Dissertation wäre ein parallel zur praktischen Tätigkeit laufender separater ZeitFaden, während das Thema „Rauschdrogen“ der Dissertation wegen seiner Komplexität und Wichtigkeit schon eher so etwas wie ein → ZeitStrang oder gar ein → ZeitSeil war.
ZeitStrang: Ein ZeitStrang besteht aus mehreren → ZeitFäden.
ZeitSeil: Mehrere → ZeitStränge bilden ein → ZeitSeil und mehrere ZeitSeile sind verknüpft zu einer → ZeitTrosse. Beispiel für ein ZeitSeil: Musik  besteht bei mir aus mehreren ZeitSträngen wie Jazz, Indische Musik, Klassische europäische Musik. Der ZeitStrang Jazz (→ Zeitanker: 1954 erste Füllschriftplatte „Whoddin´ with Woodie: Woody Herman and his Herd“) wiederum besteht bei mir aus mehreren ZeitFäden: Lokaler Band-Jazz mit Münchner Gruppen wie der Riverboat Seven, Rhythm´n´Blues schwarzer Gruppen, New Orleans Jazz à la Louis Armstrong, Bigband Jazz von Count Basie, Duke Ellington und Benny Goodman (Zeitanker: Carnegie Hall Concert von 1936 – erstmals gehört 1957 bei Walter Ernsting in Irschenberg), Modern Jazz à Ornette Coleman und John Coltrane.
ZeitTrosse: Eine ZeitTrosse ist ein ganz besonders wichtiger und somit „dicker“ Themen-Komplex im Leben eines Menschen. So eine Trosse (Beispiele: Mutter, Vater, Heimat) besteht aus mehreren → ZeitSeilen, diese aus mehreren Zeit-Strängen und diese wiederum aus mehreren ZeitFäden.

ZeitAnker: Frühestes Ereignis einer Kette thematisch und / oder emotional zusammenhängender Erinnerung, die zum → ZeitFaden wird.
ZeitSchichten: Die horizontale Verbindung vieler Themen innerhalb einer bestimmten Zeitebene.

ZeitFäden und ZeitSchichten ergeben in ihrer Gesamtheit die → Innenwelt-Vernetzung oder das neuronale Netzwerk aller Erinnerungen im Gehirn – das Fundament der Persönlichkeit, auch als → Selbst bezeichnet (mit dem „Ich“ als aktuellem Bewusstsein von Gegenwart und unmittelbar zugänglichen Erinnerungen).

c) Dann sind da die verschiedenen Lebensabschnitte, die zugleich ZeitSchichten bedeuten:

Früheste Kindheit: Die ersten zwei, drei Lebensjahre – die Zeit vor der → Kindheits-Amnesie, aus der kaum jemand Erinnerungen abrufen kann. In dieser Zeit ist das Kind noch ganz in der Einheit mit der Mutter befangen und von ihr total abhängig ist, nimmt Kontakt mit Vater und Geschwistern) auf und entwickelt sein Bewusstsein allmählich auch in der Verbindung mit anderen Menschen weiter. Erst wenn (um das dritte Lebensjahr) → Selbstbewusstsein entsteht macht das Kind einen gewaltigen nächsten Schritt in seiner Entwicklung, die sich sehr treffend im Kinderlied widerspiegelt: „Hänschen klein / geht allein / in die weite Welt hinein…“

Schulkind
Jugendlicher
Junger Erwachsener (Phase des Übergangs vom Jugendlichen zum selbständigen Erwachsenen – z.B. als Student, der „experimentell lebt“).
Erwachsener in verschiedenen Ausprägungen (Single, Familienmensch, Alter Mensch)

d) Ich unterscheide außerdem verschiedene Grundelemente (MultiChronalia):

MultiChron = einzelner multichronaler Moment im Bewusstsein.

Augenblick → A-MultiChron

A-MultiChron = Augenblick : Aktueller Bewusstseins-Moment und –Inhalt → Enge des Bewusstseins.

GVZ-MultiChron = beliebiger Gegenwartsmoment mit seinen Bezügen:
G (= Inhalt des Bewusstseins: 333 Millisekunden),
V (= relevante Erinnerungen an abgespeicherte Ereignisse der Vergangenheit)
Z (= Zukunftswahrscheinlichkeiten: dorthin könnte dieser Gegenwarts-Moment führen).

Proto-MultiChron = Moment der Zeugung, als sich die DNS von Vater und Mutter vereinen – gewissermaßen der Beginn aller sich ab da entwickelnden → ZeitFäden und → ZeitSchichten.

Ur-MultiChron = Moment der Geburt, ab dem ein Kind Eindrücke aus der Umgebung abnimmt und verarbeitet.

V-MultiChron = früheres Ereignis, das zu einem bestimmten Thema eingespeichert ist (→ Kindheitserinnerungen).

Z-MultiChron = Ziel- oder Zukunftsmoment, zu dem dieses Ereignis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hinführt.

ZeitAnker: Frühestes Ereignis einer Kette thematisch und / oder emotional zusammenhängender Erinnerung, die zum → ZeitFaden wird.

Zeit-Linien: → Abschnitt b: ZeitFäden, ZeitStränge, → ZeitSeile, → ZeitTrossen

Abb. 2: So könnte man sich das Innere des eigenen Gehirns in seiner gewaltigen Komplexität vorstellen: an die 100 Milliarden Neuronen, die durch etwa 100 Billionen Ganglien miteinander verbunden sind: unzähligen ZeitFäden und ZeitSchichten in einer dynamischen Innenwelt-Vernetzung. (Pexel.com – artist vision)

MultiChronie-Terminologie
– ein Alphabet zum besseren Verständnis

Ich ordne nun alle Begriffe von oben alphabetisch ein und ergänze sie durch weitere Details:

A-MultiChron: Aktuelles MultiChron als der Bewusstseins-Moment und –Inhalt (Vergl. → Enge des Bewusstseins).
Aha-Erlebnis:Erleben eines → Glücksmoments (als intensiver Zustand von Zufriedenheit mit → Endorphin-Ausschüttung), wenn ein neuartiger Zusammenhang bewusst wird, also etwa wenn beim → MultiChronieren in einer → MultiChronalen Matrix verschiedene → ZeitFäden und / oder → ZeitSchichten sichtbar werden und / oder zusammenwachsen. Auch → Heureka-Moment.
Anker von ZeitFäden: Beginn eines → ZeitFadens (ZeitStrangs, ZeitSeils, ZeitTrosse) in der Vergangenheit → ZeitAnker.
Augenblick: Buchstäblich die Zeiteinheit eines Augenblicks von etwa einer Sekunde (vergl. → B-MultiChron).
Autobiographischer Text → Autobiographisches Schreiben → MultiChronieren in Tagebuch oder Blog.
Autobiographisches Schreiben: → MultiChronieren in Tagebuch oder Blog – idealerweise ergänzt mit multiChronalen Matrizen (Tabellen) → MaMM und → MiMM, → MultiChronales Logbuch.
B-MultiChron: Basis-MultiChron als theoretisches Konzept eines → MultiChrons (je ein drittel Sekunde je Zeitschicht: je 333 Millisekunden Gegenwart / Vergangenheit [Rückkopplung] / Zukunft [→ Entscheidungsfolgenabschätzung]. Ein B-Multi entspricht einer einfachen Aneinanderreihung mehrerer Ereignisse im Verlauf eines Themen-Fadens (= → ZeitFaden), die ich auch als → MultiChronalia bezeichne und als zusammenfassendes Abstrakt am Schluss eines längeren Sachtextes empfehle. Dazu ein Beispiel (aus meinem grundlegenden Text über MultiChronie hier im Blog):
° 1961 Während meines Studiums der Psychologie beginne ich mit einem Traum-Tagebuch, in dem ich verschiedene Assoziationen zu den Träumen notiere, die in verschieden Zeitabschnitte meines Lebens führen.
° 1973 Ich zeige in meiner Studie Freud und das Kokain, dass die von Freud vorgestellten und analysierten eigenen Träume in dem Buch Traumdeutung eine Aufarbeitung seiner Kokain-Experimente von 1884-86 sind und damit ein wichtiger Anstoß zur Entwicklung der Psychoanalyse. Das mache ich in einer umfangreichen → Zeittafel sichtbar.
° 1977/78: In einem Ausbildungs-Seminar (Transaktionale Analyse)  erhalten wir vom Kursleiter die Aufgabe, in der Mittagspause einen kurzen Lebenslauf zu schreiben. Einem plötzlichen Einfall folgend, lege ich zum ersten Mal eine kleine Tabelle an, die in der Spalte 1 meine wichtigsten Lebensdaten enthält und in der Spalte 2 daneben relevante weltgeschichtliche Daten (z.B. den Zweiten Weltkrieg, in den ich ja im Februar 1940 buchstäblich hineingeboren wurde). Das war für mich das erste Mal, dass ich persönliche Ereignisse und historische Daten miteinander in dieser tabellarischen Form in Relation setzte – ein echtes „Aha-Erlebnis“, bei dem mir viel klar wurde.
° 1991 verwende ich in meinen Notizen erstmals den Begriff MultiChronie für das Auftreten mehrerer → ZeitSchichten im selben Kontext: Die Taliban in Afghanistan stecken mit ihrem Konzept eines „Gottesstaates“ noch tief im Mittelalter – und bedienen sich gleichzeitig modernster Waffen- und Kommunikationstechnik wie Stinger-Raketen und Smartphones plus Internet).
Bewusstsein: Auch → Enge des Bewusstseins, → Gedächtnis.
Düster-Momente: Sie sind der (depressive) Gegenspieler der → Glücksmomente. Freud unterschied Lebenstriebe und Todestrieb – wie das die Balance finden?
Düster-Momente: Sie sind der (depressive) Gegenspieler der → Glücksmomente. Freud unterschied Lebenstriebe und Todestrieb – wie das die Balance finden?
Endorphin-Ausschüttung beim Entstehen eines → Glücksmoments nach einem zusammenfassenden Schreibvorgang (→ MultiChronale Matrix), den ich als → MultiChronieren bezeichne.
Enge des Bewusstsein: Die Zeiteinheit (etwa 300 Millisekunden), die wir als „jetzt“ erleben. Man könnte sie als → MultiChron bezeichnen, denn schon in diesem winzigen (buchstäblichen) Augenblick wird nicht nur Gegenwärtiges realisiert, sondern auch mit vergangenen Eindrücken (Erinnerungen) verglichen und werden Entscheidung über „Wie weiter?“ getroffen:
Wenn die Verkehrsampel vor mir auf gelb, dann rot schaltet: Halte ich an – oder fahre/gehe ich weiter?
Von der Fülle der Informationen, die in jeder Zeiteinheit über alle Sinnesorgane auf das Gehirn einstürmen, wird jedoch nur ein winziger Ausschnitt bewusst wahrgenommen, bewertet, abgespeichert – oder vergessen. Dieses → A-MultiChron muss physiologisch immer schon mit vergangenen Informationen (→ V-MultiChron) verbunden sein, oft mit ganzen Ketten davon (→ ZeitFäden).
Entscheidungsfolgenabschätzung (EVA): Wenn ich aufgrund eines momentanen Ereignisses (nach Rückkopplung mit ähnlichen früheren Ereignissen), eine Entscheidung für die Zukunft treffen Wir treffen täglich vermutlich Hunderte solcher EFAen.
Früheste Kindheit: Die ersten zwei, drei Lebensjahre und somit die Epoche vor der → Kindheits-Amnesie, aus der kaum jemand Erinnerungen abrufen kann. In dieser Zeit ist das Kind noch ganz in der Einheit mit der Mutter befangen und von ihr total abhängig ist, nimmt Kontakt mit Vater und Geschwistern) auf und entwickelt sein Bewusstsein allmählich auch in der Verbindung mit anderen Menschen weiter. Erst wenn (um das dritte Lebensjahr) → Selbstbewusstsein entsteht macht das Kind einen gewaltigen nächsten Schritt in seiner Entwicklung, die sich sehr treffend im Kinderlied widerspiegelt: „Hänschen klein / geht allein / in die weite Welt hinein…“
Geburt → Ur-MultiChron.
Geburtstrauma → Zangengeburt
Gedächtnis: Die Psychologie und die Hirnphysiologie unterscheiden verschiedene Abschnitte des Gedächtnisses, je nach Aktualität. Sie sind unterschiedlich gespeichert (weitere Details, zum Teil abweichend in der Wikipedia):
° Augenblick (bewusst erlebt: 300 Millisekunden – mit ähnlich langem Rückgriff auf Vergangenheit und Vorgriff auf Zukunft – mit Abschätzung der möglichen Folgen – insgesamt schätzungsweise 1.000 Millisekunden = eine Sekunde).
° Ultrakurzzeit-Gedächtnis (wenige Sekunden: neuroelektrisch gespeichert).
° Kurzzeit-Gedächtnis (Minuten, Stunden, Tage – kritisch bearbeitet und bewertet: neuroelektrisch, vielleicht zum Teil auch schon biochemisch gespeichert).
° Mittelzeit-Gedächtnis (vielleicht Wochen. Monate).
° Langzeit-Gedächtnis (Monate, Jahre – wenn als überlebenswichtig oder emotional sehr intensiv bewertet: lebenslang biochemisch gespeichert – die Grundlage der Persönlichkeit – weitgehend unbewusst, aber bis auf die etwa drei ersten Jahre vor der Kindheitsamnesie in den wichtigsten Details bewusster Erinnerung zugänglich – falls nicht psychodynamisch verdrängt, wie Sigmund Freud das zutreffend beobachtet und bezeichnet hat).
Glücksmomente: intensiver Zustand von Zufriedenheit mit → Endorphin-Ausschüttung, wenn beim → MultiChronieren in einer MultiChronalen Matrix verschiedene → ZeitFäden und / oder → ZeitSchichten sichtbar werden und / oder zusammenwachsen. Auch → Heureka-Moment und → Aha-Erlebnis. Auch → Düster-Momente.
GVZ-MultiChron = beliebiger Gegenwartsmoment mit seinen Bezügen zu
   G (= Inhalt des Bewusstseins: 333 Millisekunden),
   V (= relevante Erinnerungen an abgespeicherte Ereignisse der Vergangenheit),
   Z (= Zukunftswahrscheinlichkeiten: dorthin könnte dieser Gegenwarts-Moment führen).
Heureka-Moment: Ähnlich wie das → Aha-Erlebnis, nur intensiver: DasErleben eines → Glücksmoments (als intensiver Zustand von Zufriedenheit mit → Endorphin-Ausschüttung), wenn einem ein neuartiger Zusammenhang bewusst wird. Der Überlieferung nach rief der griechische Philosoph und Wissenschaftler Archimedes „Heureka!“ (auch: „Eureka“: „Ich habe [es] gefunden!“), als ihm die physikalische Bedeutung der Wasserverdrängung beim Baden in einer Wanne bewusst wurde („Archimedisches Prinzip“) – so konnte er das Gewicht eines goldenen Gegenstands berechnen und seine Echtheit nachweisen.
Etwas ähnliches kann man erleben, wenn beim → MultiChronieren in einer → MultiChronalen Matrix verschiedene → ZeitFäden und / oder → ZeitSchichten sichtbar werden und / oder auf überraschende Weise zusammenwachsen und einem dadurch neue autobiographische Erkenntnisse erwachsen. So muss sich Sigmund Freud 1895 gefühlt haben, als er seinen „Traum von Irmas Injektion“ entschlüsselte und dadurch tiefe Einsichten in die Entstehung und Bedeutung von Träumen gewann.
Innenwelt-Vernetzung: Die gesamte neuronale Vernetzung aller → ZeitFäden und → ZeitSchichten in einem Individuum.
Innere Gestalten: Größere Einheiten (über mehrere Jahre hinweg) kann man psychologisch als Innere Gestalten verstehen, die auch später weiter existieren, obwohl man längst zu einer neuen Inneren Gestalt geworden ist: Erwachsene kann sich manchmal noch gut an seine Jugend (Innerer Jugendlicher) und seine Kindheit (Inneres Kind) erinnern – wenn er/sie sich darum bemüht. Dies ist eines der wesentlichen Geschehnisse in einer Psychoanalyse: Die Verbindung (oft auch nötig: Versöhnung) mit solchen Inneren Gestalten. Das Ziel sollte ein → Kohärentes Selbst sein. Vergl. → MultiPersonalität.
Innerer Jugendlicher: Virtuelles Konzept des neuronalen Netz-Bereiches, in dem alle Erinnerungen an die Jugend abgespeichert sind (kann einem im Traum begegnen und in Phantasien) – vergl. → Inneres Kind.
Inneres Kind: Virtuelles Konzept des neuronalen Netzes, in dem alle Erinnerungen an die Kindheit abgespeichert sind (kann einem im Traum begegnen und in Phantasien) – vergl. → Innerer Jugendlicher.
Kindheitsamnesie: In der frühen Lebenszeit etwa der ersten zwei, drei Lebensjahre gibt es noch kein richtiges Selbstbewusstsein. Offenbar werden diese Ereignisse vom Gehirn in einem anderen Modus abgespeichert (kodiert), der später nicht mehr „entschlüsselt“ werden kann. Deshalb gibt es kaum Kindheitserinnerungen aus der Zeit vor dem dritten Lebensjahr. Dieses Phänomen bezeichnet man in der Psychologie als Kindheits-Amnesie.
Kindheitserinnerungen: Sie reichen bei den meisten Menschen allenfalls ins dritte Lebensjahr zurück. Alle Ereignisse vor der Erinnerungsschranke der  → Kindheitsamnesie sind vermutlich in einem anderen Bewusstseinsmodus (→ Früheste Kindheit) abgespeichert und deshalb für den erinnernden Erwachsene nicht mehr zugänglich.
MaMM: Maximale MultiChronie Matrix mit mindestens 3 Spalten und mindestens 3 Feldern.
MiMM: Minimale MultiChronie Matrix mit 3 Spalten und 3 Feldern. Dies lässt sdich auch noch weiter ausdifferenzieren:
MaMMa:_ (Maximale MultiChronie Matrix außenwelt-bezogen): Die größte Variante einer MultiChronalen Matrix mit vier Spalten (Jahr / Persönliche Ereignisse / Familiäre Ereignisse / Historische Ereignisse) und vier oder mehr Zeilen (für Vergangenheit / Gegenwart / Zukunft).
MiMMi: (Minimale MultiChronie Matrix ich-bezogen oder intern): Die kleinste Variante einer MultiChronalen Matrix mit drei Spalten (Jahr / Persönliche Ereignisse / Historische Ereignisse) und drei Zeilen (für Vergangenheit / Gegenwart / Zukunft).
MaMMi (ich-zentrierte maximale Variante mit vier Spalten (Jahr / Persönliche Ereignisse / Familiäre Ereignisse / Historische Ereignisse) und vielen Zeilen bzw. MiMMa (außen-zentrierte minimale Variante) sind weitere Möglichkeiten.
Die einfachste Variante ist die Aneinanderreihung einiger Daten in Form von → MultiChronalia als Abstrakt am Schluss eines Sachtextes (s. oben im Glossar → Basis-MultiChron).
MultiChron = einzelner multiChronaler Moment im Bewusstsein.
MultiChronale Matrix: Tabelle mit mindestens drei Spalten und drei Zeilen, die mindestens je einen Eintrag zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Thema oder Ereignisses enthalten.
MultiChronale Struktur: Eine Tabelle oder Matrix, die einen → autobiographischen Text zusammenfasst oder ergänzt.
MultiChronale Triade: Eine Tabelle mit mindestens drei Spalten und Zeilen (→ MultiChronale Matrix), in der zu einem Thema jeweils ein Ereignis aus der Gegenwart mit einem entsprechenden Erlebnis in der Vergangenheit und – möglichst – auch mit einem daraus resultierenden Ereignis in der Zukunft in Zusammenhang gebracht wird.
MultiChronales Logbuch: Ein Tagebuch oder Blog das überwiegend aus kurzen Texten (im Idealfall mit einer ergänzenden → MiMM). Strukturiertes Erinnern. Autobiographisches Schreiben mit multiChronaler Struktur.
MultiChronalia = verschiedene → ZeitSchichten bzw. Erlebnisse, die wie ein Abstrakt um Schluss eins Sachtextes ein bestimmtes Thema zusammenfassen (s. oben im Glossar → Basis-MultiChron).
MultiChronieren: Das Erstellen einer → MultiChronalen Matrix oder von → MultiChronalia im Verlauf eines Textes (etwa in meinem Blog). Anschauliche Vergleiche: Gehirnjogging – Radfahren für die Seele [→ SZ-Artikel] – Herumwandern im Labyrinth des eigenen Lebens. Meine Antwort auf die Herausforderungen der KI.
MultiChronist: Das ist jemand der das eigene Leben immer wieder neu synchronisiert und mit der übrigen Welt in Einklang bringt – mit der Familiengeschichte als verbindender Realität. Salopp könnte man das als „eierlegende WollMilchSau“ bezeichnen, denn beim → MultiChronieren werden alle drei Textsorten verwendet:
° autobiographisch (Tagebucheinträge, Blog-Posts, Erlebnisberichte),
° erzählend (Geschichten, Lyrik, Anekdoten),
° sachlich (Essais, Berichte).
MultiPersonalität: Die Gesamtheit der → Inneren Gestalten. Theoretisches Konzept, demzufolge frühere Erlebniswelten der eigenen Vergangenheit als Virtuelle Teilpersönlichkeiten weiterexistieren – vergl. → Innere Gestalten, → Innerer Jugendlicher, → Inneres Kind.
Proto-MultiChron = Moment der Zeugung, als sich die DNS von Vater und Mutter vereinen – gewissermaßen der Beginn aller sich ab da entwickelnden → ZeitFäden und → ZeitSchichten, zuerst ohne Bewusstsein, in rein organischer Form.
Schreiben: Wichtigstes Werkzeug der → MultiChronie.
Selbstbewusstsein: So etwas wie „Bewusstsein“ entstand sehr spät in der Evolution des Lebens auf der Erde und entsteht auch in der Entwicklung des Individuums vergleichsweise spät (in frühesten Rudimenten während der ersten Monaten im Mutterleib, vielleicht deutlich ab den sechsten vorgeburtlichen Monat, wenn der Fötus auf Geräusche der Umgebung reagieren kann, etwa den Herzschlag der Mutter).
Teilpersönlichkeiten → MultiPersonalität.
Themen-Faden → ZeitFaden.
TraumEntfaltung: Basierend auf Freuds Analyse seines „Irma-Traums“ und Schultz-Henckes „Vokabelheft“-Konzept (mit zwei Spalten) zur Analyse von Träumen habe ich eine Tabelle mit vier Spalten entwickelt, in denen die Freien Assoziationen zu einem Traum notiert und weiterentwickelt werden.
Ur-MultiChron = Moment der Geburt, ab dem ein Kind Eindrücke aus der Umgebung abnimmt und verarbeitet.
V-MultiChron = früheres Ereignis der Vergangenheit, das zu einem bestimmten Thema eingespeichert ist (→ Kindheitserinnerungen).
Virtuelle Teilpersönlichkeiten → MultiPersonalität.
Z-MultiChron = Ziel- oder Zukunftsmoment, zu dem dieses Ereignis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hinführt.
Zangengeburt: Meine eigene ZG als Beispiel eines → Geburtstraumas. Der Arzt, der mir das Leben gleich zuz Beginn gerettet hat, war: Prof. Schröder https://research.uni-leipzig.de/catalogus-professorum-lipsiensium/leipzig/Schroeder_536.html (wegen seiner Nazi-Vergangenheit zugleich Beispiel für die im Dritten Reich unvermeidbare Verstrickung der Schicksale).
ZeitAnker: Frühestes Ereignis einer Kette thematisch und / oder emotional zusammenhängender Erinnerung, die zum → ZeitFaden wird. Der Anfang eines → ZeitFadens im Leben eines Individuums = früheste Erinnerung oder Datierung eines Erlebnisses.  Beispiel: 1945-06 bringt mein Vater mir das Lesen der Uhrzeit bei (ambivalente Erinnerung).
ZeitFaden: Die vertikale psychische Verbindung (und physische Abspeicherung im Gedächtnis) vieler Ereignisse und Erinnerung zu einem bestimmten Thema (auch Themen-Faden).
ZeitHarfe: Die Summe aller → ZeitFäden, → ZeitStränge etc., die einen mit der eigenen Vergangenheit verbinden.
Zeitreise: Topos der Science-Fiction (erstmals von H.G. Wells 1895 in seinem Roman Die Zeitmaschine formuliert – realiter nicht möglich, aber als Erinnerungsarbeit in der Psychoanalyse und ähnlichen aufdeckenden Formen der Psychotherapie sehr wirksam.).
ZeitSchichten: Die horizontale Verbindung vieler Themen innerhalb einer bestimmten Zeitebene.
ZeitSeil: Mehrere → ZeitFäden bilden einen → ZeitStrang, mehrere ZeitStränge bilden ein → ZeitSeil und mehrere ZeitSeile sind verknüpft zu einer → ZeitTrosse. Beispiel für ein ZeitSeil: Musik – besteht bei mir aus mehreren ZeitSträngen wie Jazz, Indische Musik, Klassische europäische Musik. Der ZeitStrang Jazz (→ Zeitanker: 1954 erste Füllschriftplatte „Whoddin´ with Woodie: Woody Herman and his Herd“) wiederum besteht bei mir aus mehreren ZeitFäden: Lokaler Band-Jazz mit Münchner Gruppen wie der Riverboat Seven, Rhythm´n´Blues schwarzer Gruppen, New Orleans Jazz à la Louis Armstrong, Bigband Jazz von Count Basie, Duke Ellington und Benny Goodman (Zeitanker: Carnegie Hall Concert von 1936 – erstmals gehört 1957 bei Walter Ernsting in Irschenberg), Modern Jazz à Ornette Coleman und John Coltrane.
ZeitStrang: Ein ZeitStrang besteht aus mehreren → ZeitFäden, mehrere ZeitStränge bilden ein → ZeitSeil und mehrere ZeitSeile sind verknüpft zu einer → ZeitTrosse. Beispiel  → ZeitSeil.
Zeittafel: Die einfachste Möglichkeit, ein Thema in seiner chronologischen Abfolge darzustellen. Man muss dann nur eine weitere Spalte mit „Persönlichen Ereignissen“ danebenstellen – und schon hat man eine einfache MultiChronale Matrix wie die → MiMMa (s. oben).
ZeitTrosse: Eine ZeitTrosse ist ein ganz besonders wichtiger und somit „dicker“ Themen-Komplex im Leben eines Menschen. So eine Trosse (Beispiele: Mutter, Vater, Heimat) besteht aus mehreren → ZeitSeilen, diese aus mehreren Zeit-Strängen und diese wiederum aus mehreren ZeitFäden.
ZeitZiel: In der Zukunft liegendes (mögliches) Ergebnis einer Entscheidung in der Gegenwart und zugleich Ende eines → ZeitFadens.
Zeugung → Proto-MultiChron.

305 _ #1637 _ aktualisiert: 24. Mai 2023/16:23 (14. Mai 2023/14:12)

BrainSpotting: Hochbegabung „von außen“ erspähen

Dies ist der erste Beitrag einer Serie zum Thema „Hochbegabung“ hier im Blog (s. auch die SEITE Hochbegabt? Selbsttest).

Abb.: Wenn es so leicht wäre, Hochbegabte ausfindig zu machen… (Photo by cottonbro on Pexels.com)

Wie erkennt man Hochbegabung?
Der sicherste Weg, Hochbegabung zu erkennen, ist ein standardisierter Intelligenz-Test wie der Hamburg Wechsler Intelligenztest für Erwachsene (HaWIE) oder die Variante für Kinder (HaWIK). Aber es gibt eine Reihe von Anzeichen, anhand derer man gewissermaßen „von außen“ abschätzen kann, ob jemand überdurchschnittlich intelligent oder begabt ist (was nicht unbedingt dasselbe ist). Ich bezeichne diese Ferndiagnostik als BrainSpotting – analog zum beliebten Trainspotting, mit dem Eisenbahn-Fans Lokomotiven und Züge zu erkennen versuchen – oder Flugzeug-Fans mittels Planespotting ihre fliegenden Lieblinge. Solche Ferndiagnosen sind bei den wissenschaftlichen Psychologen nicht sehr beliebt. Aber ich musste, wie jeder praktizierende Psychologe, ein Gespür dafür entwickeln, mit welcher intellektuellen Kapazität ich es bei jemanden zu tun hatte, der meinen psychologischen Rat suchte (bei der Dogenberatung, bei der Single-Beratung, später auch bei der Arbeit mit Hochbegabten und in meinen Schreib-Workshops). Dabei war ich mir jedoch stets bewusst, dass so eine Einschätzung „von außen“ genau dies ist: Eine Schätzung. Wenn man auf „Nummer sicher“ gehen will, kommt man um einen Intelligenz-Test nicht herum.
Der von mir entwickelte Selbst-Test entstand bei der Arbeit an meinem Sachbuch Das Drama der Hochbegabten. Er besteht aus einer Reihe von ehr zuverlässigen Merkmalen, die typisch für Hochbegabte sind, und soll jemandem, der sich Klarheit über die eigene intellektuelle Kapazität verschaffen will, eine erste Annäherung ermöglichen.
Wie gesagt: Mit Vorsicht zu genießen – aber ein (hoffentlich) hilfreicher erster Schritt. Wenn man genaueres wissen will, sollte man einen zertifizierten Testpsychologen konsultieren . Man findet welche über bei dem Hochbegabten-Verein mensa, an einem der dafür eingerichteten Hochschul-Institute oder bei extra qualifizierten Test-Psychologen und -Psychologinnen des „Berufsverbands Deutscher Psychologen (BDP)“→ Die Hochbegabung .

Hochbegabt“ ist nicht gleich „erfolgreich“
Vorab Hinweise zu drei Kardinalfehlern, die gerne beim Thema „Hochbegabung“ gemacht werden:
1. Hochbegabte können zwar aufgrund ihrer Talente sehr erfolgreich werden, auch finanziell. Aber das ist keineswegs bei allen der Fall (man nennt diese „Minderleister“ oder Underachiever).
2. Hochbegabte sind mitnichten ethisch oder moralisch besonders hochstehend. Bei vielen ist dies wirklich der Fall – aber es gibt auch hb Kriminelle und Soziopathen, die ungemein zerstörerisch für ihre Umgebung sind. (Solche Figuren sind beliebt bei Krimi-Autoren und ihren Lesern – die Mad Scientists wie der berüchtigte und weltberühmte „Dr. Viktor Frankenstein“ oder der Wegbereiter der Mondlandung Wernher von Braun mit seiner Nazi-Vergangenheit sind es eher bei der Science-Fiction).
3. Hochbegabte (mit einem IQ über 130 in einer Standard-Testbatterie) sind keineswegs Genies. Einige von ihnen gelten als „Höchstbegabte“ und ganz wenige sind richtige Genies (zum Beispiel Sigmund Freud oder Albert Einstein).

Ein besonders krasses Beispiel für Erfolglosigkeit ist Vincent van Gogh. Zumindest zu seinen Lebzeiten blieb ihm fast jede Anerkennung als bahnbrechender Maler und schon gar finanzieller Erfolg total versagt. Wir als seine späten Nachkommen wissen, dass seine Bilder heute mit gigantischen Summen gehandelt werden – wenn sie überhaupt käuflich sind. Er selbst nagte buchstäblich „am Hungertuch“ und starb unter ganz elenden Umständen, nicht zuletzt, weil er sich für gescheitert hielt. Dabei war er nur seiner Zeit zu weit voraus.

Gleich zu gleich gesellt sich gern
Nicht nur nach meiner Beobachtung sind Hochbegabte gerne unter sich. Das ist verständlich, denn wenn man selbst überdurchschnittlich intelligent ist und (in den meisten Fällen, jedenfalls in unserem Kulturkreis) entsprechend gebildet, fühlt man sich unter Seinesgleichen und Ihresgleichen wohler. So entstehen Eliten, so erhalten sie sich und so entwickeln sie sich weiter. Das lässt sich zumindest in den schriftlich dokumentierten fünf Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte sauber belegen (Details hierzu in meinem Sachbuch Zeittafel zur Psychologie von…. Hochbegabung).

Lesen und Schreiben als Supermerkmale
Grundsätzlich kann man sagen, dass das Gehirn von Hochbegabten deshalb bessere Leistungen ermöglicht als das von durchschnittlich Begabten (IQ 90 bis 129), weil Ihr Gehirn schneller arbeitet und komplexere Zusammenhänge zu erfassen vermag. Entsprechend dem Konzept der Informationspsychologie und der Kybernetik kann man dementsprechend die Merkmale für Hochbegabung in vier große Bereich unterteilen:
° Aufnahme von Informationen (Wahrnehmung – z.B. Lesen).
° Verarbeitung von Informationen (Denken und Lernen – z.B. beim Schreiben und Rechnen).
° Speicherung von Informationen (Gedächtnis – ergänzt durch schriftliche Dokumentation).
° Abgabe von Informationen (z.B. in schriftlicher Form).

Von daher ist leicht ersichtlich, dass sehr frühes, selbstbestimmtes (intrinsisches) und intensives Lesen ein sehr guter Hinweis auf Hochbegabung ist – und entsprechend die noch weit aktivere Variante des Schreibens (früh, intrinsisch und intensiv).
Mit Lesen und Schreiben (und Rechnen!) beginnt der Aufstieg der Hochkulturen in den Stadtzivilisationen – der ohne die Hochbegabten undenkbar ist. In den vorschriftlichen Kulturen der Jäger und Sammler gab es eigentlich nur zwei Positionen, die Hochbegabung verlangt und gefördert haben: Der Schamane (Medizinmann) und der Häuptling (Anführer des Clans oder Stammes).
„Schreiben“ kann auch sein: Programmieren, Zeichnen und Malen (als künstlerisch konzentriertes „Notieren“ von Farben und Formen), Komponieren – also im Grunde jede kreative künstlerische Aktivität.
Vielleicht war in diesem Sinn
° nach der Zähmung des Feuers und der Herstellung von Werkzeugen und Waffen
° die Höhlenmalerei und die Schaffung von Kunstgegenständen vor etwa 40.000 Jahren das erste Sichtbarwerden von hochbegabten Menschen?

Viele weitere Merkmale, die auf Hochbegabung hinweisen können, stelle ich analog zum oben Ausgeführten in diesen vier weiterführenden Beiträgen vor:

° Aufnahme von Informationen (Wahrnehmung).
° Verarbeitung von Informationen (Denken und Lernen).
° Speicherung von Informationen (Gedächtnis).
° Abgabe von Informationen.
Im SelbstTest „Bin ich hochbegabt?“ habe ich das hier im Blog zu einer Sammlung von Merkmalen zusammengefasst, anhand derer man schon ganz gut einschätzen kann, ob man selbst hochbegabt sein könnte. Genaueres erfährt man, es sei noch einmal betont, aber erst durch Absolvieren eines richtigen Intelligenz-Tests.

(Dies ist die überarbeitete und ergänzte Version eines Kapitels aus meinem Buch Das Drama der Hochbegabten von 2004, das leider vergriffen und nur noch antiquarisch lieferbar ist.)

Quellen
Brackmann, Andrea: Ganz normal hochbegabt. Stuttgart 2006 (Klett-Cotta).
Dies.: Extrem begabt. Stuttgart 2020 (Klett-Cotta). ISBN 978-3-60889258 _ 281 S. – 28,00 €.
Scheidt, Jürgen vom: Das Drama der Hochbegabten. München. Feb 2004 (Kösel) ISBN 3-466-30635-3/ 360 Seiten. München Okt 2005 (Piper TB). – 19,50 €.
Ders.: Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Hochbegabung und Kreativität. München März 2004 (Allitera) 176 Seiten – 18,00 € / ISBN 386520-043-5.

Nr. 311 / aut #1138 / 10. Juni 2023 (2022-09-11/10:00 / 2004)

Kondratieff–Zyklus Nr. 6 oder 7 oder 8?

1990 hatte ich bei der Vorstellung eines Buches über „500 Jahre Thurn und Taxis“ (Behringer) die Gelegenheit, in Schloss Emmeram in Regensburg dem damals noch lebenden Fürsten Johannes eine Frage zu stellen, die mich angesichts der langen Existenz dieser Dynastie (und zugleich Firma) beschäftigte:
„Wie lange müssen Sie bei Ihren wirtschaftlichen Plänen vorausdenken?“
Die Antwort kam prompt: „Fünfzig Jahre“.

Das entspricht ziemlich genau zwei Generationen. Daran erinnerte ich mich, als 1996 das hier zu erwähnende Buch über die Kondratieff-Zyklen in der Süddeutschen Zeitung vorgestellt wurde. Vertraut mit Isaac Asimovs Spekulationen in seinem Science-Fiction-Epos über die Foundation (bei der es allerdings um eine Zukunft von vielen Jahrtausenden geht), besorgte ich mir das Buch von Leo A. Nefiodow. Und dabei blieb es. Ich kam einfach nicht dazu, das Buch zu lesen – „stolperte“ aber immer wieder mal darüber, bildlich gesprochen. Zum Beispiel als Erik Händeler es 2013 im Wirtschaftsteil der SZ erwähnte.

Abb.1: Was wird der nächste (sechste) Kondratieff-Zyklus sein? Ausschnitt aus dem Buch-Cover (s. unten)

Als in diesem Frühjahr 2023 der Hype um das Thema „Künstliche Intelligenz“ begann, war es, als würde das mit diesen „Kondratieff-Zyklen“ da irgendwie dazu passen. Aber wo war das Buch? Es war verschwunden. Schade. Dachte ich.
Bis es irgendwann „klick“ machte und mir einfiel: In meinen Bücherregalen habe ich doch eine Ecke reserviert für Bücher, die mich sehr interessieren – aber für die einfach die Zeit noch nicht reif ist. Genau dort, in der Diele der Wohnung, fand ich dann den Sechsten Kondratieff. Und las ihn endlich, fast ein einem Rutsch und zunehmend fasziniert von seinem Inhalt.
Der Wirtschaftsforscher Nefiodow, Spezialist für diese „Langen Wellen“ der wirtschaftlichen Entwicklung, stellt zunächst die ersten fünf dieser Zyklen vor (s. oben Grafik aus dem Buch), mit der „Informationstechnik“ als Zyklus Nr. 5, in dem wir uns bei Erscheinen des Buches (1996) noch sehr deutlich mittendrin befanden. Aber wie hat sich das weiterentwickelt? Sind wir aktuell tatsachlich mit dem „sechsen Kondratieff“ jetzt in den Auswirkungen der Basisinnovation „Psychosoziale Gesundheit“?
Weit gefehlt!
Leider hat dieses Werk, wie so viele Sachbücher, weder Register noch Zeittafel, was das Recherchieren sehr erschwert. Um den kurzen Abschnitt über das „Internet“ zu finden (S. 25 – Stand 1996, wohlgemerkt), musste ich wirklich alles lesen. Das tat ich zwar gern, weil es sich um ein äußerst spannendes Thema handelt; aber es wäre schon hilfreich gewesen, mal gezielt nach einigen Themen zu fahnden. Jedenfalls hat Nefiodow zum Thema „Internet“ nichts weiter zu bemerken, als dass es wichtig für die Vernetzung in der Informationswelt ist. Aber welche ungeheure Brisanz das World Wide Web durch
° das Aufkommen der Sozialen Medien (Twitter, Facebook etc.) bekommen hat – wie ein Manipulator vom Schlag eines Donald Trump in den USA oder – brandaktuell – Wladimir Putin in Russland auf äußerst negative Weise sichtbar gemacht hat,
° oder wie im Gefolge der Corona-Pandemie der Online-Handel noch viel wichtiger geworden ist,
° oder welche unglaublich intensive Bedeutung durch Apples bahnbrechende Erfindung des I-Phone (vorgestellt 2007) die Smartphone-Geräte als „eierlegende Wollmilchsau“ für große Teile der Menschheit bekommen würde –
– all dies würde ich heute, also 27 Jahre (eine Generation!) nach Nefiodows Buch als „Globale digitale Vernetzung“ bezeichnen und mit dem prognostizierten „Sechsten Kondratieff“ gleichsetzen.
Was jedoch die von ihm favorisierte Bedeutung der „Psychosozialen Gesundheit“ als nächster Basisinnovation angeht, so sind wir davon ganz offensichtlich noch sehr weit entfernt, auch wenn die Anzeichen dafür an allen Ecken und Enden sichtbar werden – wenn man die Augen und Ohren und den Verstand entsprechend offen hat dafür. Aber die zunehmende Polarisierung und Brutalisierung in den Medien sieht eher nach etwas anderem aus.
Und was ist mit dem aktuellen Hype um „Künstliche Intelligenz“ und vor allem um „Künstliche Kreativität“, wie sie Algorythmen vom Schlage der Chat GPT versprechen?
Im Jahr 2035 werde es keinen Job mehr geben, der nichts mit KI zu tun habe, sagt Arbeitsminister Hubertus Heil Anfang Juni (Preuß 2023).
Das alles müsste in einer neuen Fortzählung ja eigentlich der „K7“ sein!
Ich fasse Nefiodows Aussagen und Prognosen in der folgenden Tabelle zusammen und ergänze sie mit meinen Überlegungen:

KondratieffEpocheBasis-InnovationFührendes Produkt
11800-1850DampfmaschineBaumwolle
21850-1900StahlherstellungEisenbahn
31900-1950ElektrotechnikChemie
41950-1990PetrochemieAutomobil
51990-2005InformationstechnikComputer in Institutionen und Firmen (Mainframes), vereinzelt bei Individuen (Personal Computer)
62005-2021Globale digitale Vernetzung (Internet für jeden, I-Phone, spezialisierte KI)Personal Computer als Standard in Beruf und Privatleben / Rasante Verbreitung der Social Media / 1,8 Milliarden Websites und Blogs / Online-Handel und Home-Office werden immer wichtiger (nicht zuletzt infolge der Corona-Pandemie)
72022-KI wird zugänglich für jedermannKI wie Chat GPT erzeugen Exposees, Drehbücher und vieles mehr – rasche Adaption der neuen Technologie in allen Bereichen
82025-Psychosoziale Gesundheit (bei Nefiodow: K6)Die für jedermann zugänglichen KI stärken die Position der Individuen und fördern deren Kreativität und die Möglichkeiten, sich in kleinen Teams dynamisch zu vernetzen
Abb. 2: Tabellarische Übersicht zu den verschiedenen Kondratieff-Zyklen (nach Nefiodow und eigenen Überlegungen)

Beschleunigt sich die Abfolge der Zyklen?

Wenn man sich die zeitliche Dynamik der Kondratieff-Zyklen anschaut, fällt auf, dass sie zur Gegenwart hin an Tempo zunehmen. Waren es zwischen 1800 und 2000 jeweils ungefähr 50 Jahre, also zwei Generationen (interessanterweise ähnlich dem eingangs erwähnten Zeithorizont der Planung von Fürst Johannes von Thurn und Taxis), so spielen sich die tiefgreifenden Veränderungen inzwischen etwa in 25 Jahren ab, also innerhalb einer (!) Generation.
Auch wenn die Kondratieff-Zyklen in der Wirtschaftstheorie nicht unumstritten sind, bieten sie doch ein erstaunlich überzeugendes Abbild der Dynamik.

Ist also „Psychosoziale Gesundheit“ der sehnsüchtig erwartete „K 8“?

Im aktuellen Juni-Heft von brand eins fragt Anabelle Körbel:
„Ist der hohe Wert, den wir der Erwerbsarbeit zusprechen, noch angemessen?“
Sie zitiert in diesem Zusammenhang ein Modell der Soziologin Frigga Haug:
° vier Stunden Erwerbsarbeit pro Tag,
° vier Stunden Sorgearbeit (für Kinder und Pflegebedürftige),
° vier Stunden kulturelle Arbeit,
° vier Stunden politische Arbeit.

In diesem Modell fehlt mir noch etwas ganz wesentliches, was immer noch total unterschätzt wird. Ich würde das so benennen: Arbeit am Selbst, also an der eigenen Person. Was ist darunter zu verstehen?
° Das Aufarbeiten von Defiziten im Rahmen einer Psychotherapie,
° Fortbildung mit hohem Selbsterfahrungsanteil (TZI*-Gruppen – meine eigenen Schreib-Seminare bis 2020).
° Alles, was die eigene psychische (und damit auch die somatische) Gesundheit fördert und zugleich immer auch die Kreativität.

Was die eigene Verfassung verbessert, wirkt sich immer auch positiv auf die nähere Umgebung (Familie, Freundschaften, Nachbarschaft) aus und damit letztlich auch auf die Arbeit und den Beruf, also im weitesten Sinne auf die Wirtschaft.
Das Titelbild des Dezember-Hefts 2021 vom Wirtschafts-Magazin brand eins (s. unten) betont mit den verfremdenden und übertreibenden Mitteln der Karikatur, wie wichtig das Persönliche (und die Aufarbeitung seiner/ihrer Defizite) auch für die Wirtschaft sind: Sigmund Freud als Ikone einer Erweiterung des Menschenbilds auch für die scheinbar so menschenferne Welt de Arbeit und der Berufe (die ja, genau genommen, ohne produzierende und konsumierende Individuen gar nicht existieren würde).

* „ThemenZentrierte Interaktion (TZI)“ nach Ruth C. Cohn.

Die „leise Stimme der Vernunft“

Sind die in der Tat ja sehr beeindruckenden – Möglichkeiten der KI vielleicht so etwas wie das dringend nötige „Unterfutter“ für die Stärkung der persönlichen Intelligenz und Kreativität, das Super-Tool, das die Individuen in einer Weise stärkt, dass sogar auch eine humanere Zukunft – vielleicht sogar ohne Kriege – denkbarer wird?
Die Science-Fiction macht uns da erstaunlicherweise kaum Hoffnung. Asimovs Foundation verspricht uns viel mehr tyrannische, ja sadistische Kaiser und unglaubliche Weltraum-Kriege (ähnlich wie die Star Wars-Märchen von George Lucas und manchem anderen SF-Visionär). Oder hat Sigmund Freud am Ende doch recht mit seiner hoffnungsvollen Beschwörung der „Leisen Stimme der Vernunft“, von der er 1927 trotz allem Pessimismus schrieb:
„Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, bis sie sich Gehör geschafft hat.“

Bald danach kam der schreckliche Zweite Weltkrieg, der Freud scheinbar Lügen strafte. Doch ab Mai 1945 war tatsächlich Frieden in Mitteleuropa, fast drei Generationen – vorher unvorstellbar. Bis, wie wir leider alle wissen, Putin Ende Februar vergangenen Jahres die „Pforten der Hölle“ mutwillig und seinen ganz persönlichen psychopathischen Dämonen folgend wieder aufgerissen hat.
Aber vielleicht bringt ja eine KI demnächst die globale Wende (denn es gibt viele Kriege und bürgerkriegsähnliche Unruhe, nicht nur den gegen die Ukraine) – vielleicht hat Bertha von Suttners Mahnung von 1889 endlich Erfolg: „Die Waffen nieder!“

(Zum Thema „KI“ → auch meinen Beitrag hier im Blog: KI kocht Buch: Das ferne Donnergrollen sowie Chat GPT schreibt (m) Buch. )

Abb. 3/4: Cover Leo A. Nefiodow: Der sechste Kondratieff (1996). Das Cover von brand eins (Dez 2021) betont mit den Mitteln der Karikatur, wie wichtig das Persönliche und die Aufarbeitung seiner Defizite auch für die Wirtschaft sind.

Quellen
anon: Wikipedia: Kondratiew-Zyklus .
Asimov, Isaac: Foundation. In: Astounding Science Fiction., May 1942.
Ders.: Foundation. New York 1950. Deutsch: Terminus, der letzte Planet (übersetzt von Lothar Heinecke), München 1959
(Moewig Terra). Der Tausend-Jahre-Plan (übersetzt von Wulf Bergner). München 1966 (Heyne TB).
Behringer, Wolfgang: Thurn und Taxis. Die Geschichte ihrer Post und ihrer Unternehmen. München 1990 (Piper).
Freud, Sigmund: „Die Zukunft einer Illusion“. (Wien 1927). Gesammelte Werke XIV, S. 377.
Händeler, Erik: „Wenn der Zyklus die Krise erklärt“. In: Südd. Zeitung Nr. 215 vom 17. Sep 2013, S. 21 (Wirtschaft).
Heil, Hubertus →Bericht von Preuß, Roland.
Körbel, Anabelle: „Ich arbeite, also bin ich?“. Brand eins Nr. 6 Juni-Heft 2023, S. 86-92.
Nefiodow, Leo A.: Der Sechste Kondratieff. St. Augustin 1996 (Rhein-Sieg-Verlag).
Preuß, Roland: „Wenn die KI vor sich selber warnt“. In: Südd. Zeitung Nr.127 vom 05. Juni 2013, S.5 (Politik).

310 _ aut #1554 _ aktualisiert 08. Juni 2023 (06. Juni 2023/21:46)

Pfingstwunder – mal ganz anders

Ich habe mich hier im Blog vor zwei Jahren schon einmal mit dem Pfingstwunder und seiner Bedeutung als altertümlicher Metapher für Kreativität befasst. Daran ließe sich auch gut zeigen, was MultiChronie in diesem Fall bedeutet: Das Nebeneinander von
° antikem Wissen bzw. Unwissen um das Jahr Null von den neuro-physiologischen und psychologischen Wurzeln der Kreativität
° verglichen mit dem was wir seit Sigmund Freud (etwa ab 1895) über die Rolle des Unbewussten und Vorbewussten wissen, wenn neue Ideen entstehen.

Ich weiß, dass die biblische Geschichte von der „Ausgießung des Heiligen Geistes“ mehr bedeutet: nämlich die Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Menschen einander besser verstehen. Genau hier setzt eine – wie ich zugebe – ziemlich verrückte Idee an, die mir heute Morgen kam, als ich in den Feuilletons der Süddeutschen Zeitung und der Zeit allerlei kluge Sonntags-Reden über Pfingsten und seien Bedeutung las. Gleichzeitig war ein anderer Teil meines Gehirns mit dem aktuellen Hype „KI“ beschäftigt – und plötzlich schoss beides zusammen zu einem Gedanken:
° Muss KI unbedingt Arbeitsplätze vernichten und eine immer größere Bedrohung werden –
° oder kann so ein sich selbst verstärkender und verbessernder Algorythmus wie Chat-GPT nicht auch im Endeffekt etwas ähnliches wie der „Heilige Geist“ bewirken?

Schöpft die KI doch ihre verblüffenden Antworten und „Kenntnisse“ aus dem publizierten Gesamtwissen der Menschheit, seit der Einbindung von Chat-GPT in die Microsoft-Suchmaschine Bing auch aus dem Internet mit seinen Milliarden von Websites und Blogs.

Abb.: Vielleicht suchen wir in der falschen Richtung – vielleicht ist nicht die „Taube“ das moderne Symbol für den „Heiligen Geist“ – sondern etwas Technisches wie ein Flugzeug – oder eine KI? ( Photo by Austin Zhang on Pexels.com)

Eine alte Sehnsucht aus den 1940er Jahren: KI als Beendigung aller Kriege

1947 veröffentlichte Jack Williamson seinen SF-Roman The Humanoids; 1952 erschien auch eine deutsche Übersetzung mit dem Titel Wing 4. Ich bin hier im Blog schon einige Male darauf eingegangen, weil es im Grunde die Vorwegnahme dessen ist, was mit den KI gerade mit Höllentempo auf uns zukommt. Die Frage bei alledem ist:
° Wird das für die Menschheit übel ausgehen – wie in den dystopischen Filmen Matrix und Terminator, in denen KI-gesteuerte Roboter die Menschheit versklaven und in den Untergang führen
° oder könnte das auch etwas Gutes haben?

In Williamsons Roman wird schon vor 80 Jahren (also vor fast drei Generationen) eine positive Antwort angedeutet:

Ironsmith schüttelte den Kopf:
„Ich kann nicht verstehen, warum eigentlich die Humanoiden so schlimm sind“, widersprach er milde. „Bestimmt kann ich’s nicht aus irgendetwas schließen, das Sie gesagt haben. Schließlich und endlich sind sie ja nichts als Maschinen, die genau das tun, wofür man sie geschaffen hat. Wenn sie tatsächlich den Krieg abschaffen können, so begrüße ich sogar ihr Kommen.“

Der Plot des Romans ist vielschichtiger – aber im Grunde genommen geht es darum, dass ein genialer Wissenschaftler Roboter (die Humanoiden) geschaffen hat, die den Menschen helfen sollen, ein besseres Leben zu führen – was ja die Grundidee auch bei allen anderen Maschinen davor war. Nur sind die Humanoiden (heute würde man sie als Androiden bezeichnen) wesentlich höher entwickelt und sehr menschenähnlich und werden von einem zentralen Gehirn gesteuert, das man heute KI nennen würde. Diese Menschmaschinen steuern nun einen bewohnten Planeten der Milchstraße nach dem anderen an, um ihre Dienste anzubieten und vor allem Kriege abzuschaffen. Das gefällt nicht allen Menschen und daraus bezieht der Roman sein Konfliktpotenzial. Die ganze Geschichte eskaliert, weil seit geraumer Zeit ein interplanetarer Krieg wütet – den die Humanoiden schlagartig beenden könnten. Die Menschen müssen nur einverstanden sein.
Hier die Szene, in welcher sich einer dieser Androiden (wie wir heute sagen würden), den Menschen in seiner wahren Gestalt zeigt – denn bisher war Major Steel der persönliche Assistent des amtierenden Präsidenten auf einem der Planeten und von einem richtigen Menschen nicht zu unterscheiden:

Forester wusste, dass er eigentlich keine Überraschung hätte empfinden sollen. Mark White hatte versucht, ihn auf diesen Augenblick vorzubereiten, und er selbst hatte von jeher der übermenschlichen Energie und Tüchtigkeit des Adjutanten misstraut. Dennoch ging ein Schauder über seinen Rücken, als er nun dieses menschlich scheinende Ding am anderen Ende des langen grünen Tisches beobachtete. Etwas schien ihn mit kalten Fingern zu berühren. Er hatte Mühe, Atem zu schöpfen.
„Zu Ihren Diensten, meine Herren.“ Der menschliche Klang war plötzlich aus Steels Stimme verschwunden. Ihr Ton hatte etwas von einem weichen silbrigen Surren. „Bitte entschuldigen Sie einen Augenblick! Sie sollen uns sehen, wie wir wirklich sind. Die Notwendigkeit für diese Verkleidung ist ja nun in Wegfall gekommen.“ Das Ding schlüpfte aus seiner Uniform, holte Kontaktlinsen aus seinen Augen, riss an der Umhüllung seines Inneren, die bisher wie seine Haut ausgesehen hatte, und begann dann, eine Art plastischen Materials in langen fleischfarbenen Spiralen von seinen Gliedmaßen und seinem Körper abzuwickeln.
Forester sah hilflos zu. Er sah die Gesichter um den Tisch herum steif und grau werden und hörte Männer von Entsetzen gepackt keuchen. Er selbst stieß fast einen Schrei aus, als ein Stuhl mit erschreckendem Krach umfiel. Dennoch war, was unter der Verkleidung zum Vorschein kam, nichts wirklich Grauenhaftes. Eigentlich war es sogar wunderschön. Die Form war fast menschlich, aber sehr dünn und graziös und ohne jegliche mechanische Schwerfälligkeit oder Eckigkeit. Es war etwa einen halben Kopf kleiner als Forester und stand nun nackt und geschlechtslos da. Seine glatte Haut war von leuchtendem Schwarz, in dem sich die Lichter des Raumes bronzefarben und bläulich spiegelten. Auf seiner Brust waren folgende Worte in gelben Buchstaben eingestanzt:
HUMANOID
Seriennummer M 8—B 3 ZZ
„Zu dienen und zu gehorchen und Menschen vor Leid zu bewahren.“

Einen Augenblick lang stand es, nachdem es die letzten Hüllen abgelegt hatte, völlig still neben dem Präsidenten. Seine Augen schienen jetzt wie leere Höhlen, die das Licht gleich poliertem Stahl auffingen. Sein schmales Gesicht mit den vorstehenden Backenknochen machte einen wohlwollenden Eindruck. Nach der regen und geschickten Tätigkeit seiner Hände schien diese eingefrorene Haltung ebenso unheimlich wie seine unmenschliche Stimme.
„Ihr augenblicklicher Schreck ist unnötig, meine Herren“, schnurrte es musikalisch, „da wir niemals einen Menschen verletzen. Major Steel war nichts als eine nützliche Täuschung, die wir zu Ihrem eigenen Vorteil anwandten. Meine Verkleidung setzte uns in die Lage, die sich hier entwickelnde technologische Krise aus nächster Nähe zu beobachten und unsere Dienste rechtzeitig anzubieten und damit drohendes Unglück abzuwenden.“
„Aber — Herr Präsident!“ Noch immer keuchend, war der Verteidigungsminister aufgesprungen. „Ich kann diese ganze eigenartige Vorstellung hier nicht begreifen“, protestierte er erschüttert. „Ich muss Sie daran erinnern, dass sehr weise Gesetze existieren, die unsere Arbeiterklasse gerade gegen solche mehrzweckige menschenartige Automaten wie diesen hier schützen, und ich hoffe, Sie vergessen nicht, dass unsere Partei versprochen hat, diese Gesetze radikal durchzuführen. Nachdem Wahlen bevorstehen ..

Der Präsident antwortete nicht. Er schaute lediglich die Maschine an.
„Sie brauchen sich wegen der Stimmen Ihrer Wähler keine Sorgen zu machen“, sagte die Maschine geschäftsmäßig. „Wir bringen nicht für einen einzigen Arbeiter Not und Leid. Ganz im Gegenteil. Unser einziger Zweck ist es, das menschliche Wohlergehen zu fördern. Ist unser Dienstsystem einmal richtig im Gang, so werden alle Klassenunterschiede verschwinden. Genau wie die anderen Ursachen von Unglück und Leid – wie Schmerz, Krieg, Armut, Not und verbrechen. Es wird keine Klassen von Schwerarbeitern mehr geben, weil es keine Schwerarbeit mehr gibt.“

Wer dies hier im Blog liest (und vielleicht Filme wie Bladerunner oder Colossus kennt), kann in Gedanken mal durchspielen, wie man sich selbst in dieser Situation fühlen und entscheiden würde. Sie zeigt in typischer SF-Manier zugespitzt etwas, was schon sehr bald auf viele von uns zukommen wird: Wie entscheide ich mich angesichts immer mächtiger werdender KI? Werde ich sie als Werkzeug sinnvoll nützen – oder werde ich sie fürchten und bekämpfen wie einen modernen Teufel?

Das hängt natürlich auch davon ab, ob Großkonzerne wie Microsoft und Meta/Facebook und Tesla und Apple und Amazon ungeniert die Möglichkeiten von KI zur noch perfekteren Gewinnmaximierung, Steuervermeidung und Gegenseitigen-aus-dem-Markt-Drängung nützen (und da habe ich China und andere autokratische Staaten noch gar nicht erwähnt) – oder ob andere, für den einzelnen Menschen freundlichere Gedanken die Oberhand gewinnen. Die KIs (es gibt ja schon mehrere) sollten zumindest auch diese anderen Varianten vorfinden, wenn sie durchs Internet surfen. So wie Chat-GPT meine Blog-Beiträge zum Thema MultiChronie gefunden und berücksichtig hat.

Meine Phantasie war an diesem Pfingstmontagsmorgen jedenfalls, ob da nicht tatsächlich so etwas wie ein [Heiliger] Geist in Algorythmus-Form uns eine Chance bietet, uns als Menschen einander besser zu verstehen.
Es gibt ja das seltsame Phänomen der Serendipität: dass jemand etwas Bestimmtes sucht – und etwas völlig anderes, viel Wertvolleres findet. Vielleicht geht es den Schöpfern der KI ebenso? Lassen wir uns überraschen. Und treten wir die Politiker gleichzeitig ordentlich in den Arsch, damit sie das Richtige tun: zum Beispiel ordentliche Gesetze zur Zähmung des Wildwuchses um die KI, zu einer gerechteren Besteuerung dieser Großkonzerne und manches mehr. Das geht auch ohne Segnung „von oben“ durch den Heiligen Geist.

Mein Angebot an positiven Gedanken habe ich hiermit jedenfalls gemacht. Und in der aktuellen Ausgabe von brand eins findet sich im Themenschwerpunkt „Neue Werte“ noch mehr Bedenkenswertes: Zum Beispiel, ob man nicht schleunigst anfangen sollte, den wahren Wert von „Natur“ zu ermitteln und einzupreisen, wenn es um wirtschaftliche Bewertungen geht. Frederic Vester hat sich schon 1985 darüber Gedanken gemacht und kommt für den ökologischen Wert eines Baums auf jährlich 5.300 Mark – was in 100 Jahren Baumleben stattliche 530.000 Mark ergibt. Und der Wert eines Vogels? Ähnlich erstaunlich.
Das ist nicht nur für durchs Internet streifende KI eine interessante Lektüre.

Quellen
Böhme, Johannes: „Naturmarkt“. brand ein Nr. 6 Juni 2023, S. 34-41.
Cameron, James (Regie). Terminator I. USA 1984 (Orion).
Dick, Philip K.: Do Androids dream of electric sheep“ . USA 1968.
Mostow, Jonathan (Regie). Terminator III: Rebellion der Maschinen. USA 2003).
Sargent, Joseph (Regie): Colossus: The Forbin Project. USA 1970 (Universal Studios).
Scott, Ridley (Regie): Blade Runner. USA 1982. – nach dem Roman „Do Androids dream of electric sheep“ von Philip K. Dick.
Vester, Frederic: Der Wert eines Vogels. München 1983 (Studiengruppe für Biologie und Umwelt).
Vester, Frederic: Ein Baum ist mehr als ein Baum. München 1985 (Kösel).
Wachowsky Brothers (Regie): Matrix. USA 1999 (Village Roadshow Movies).
Williamson, Jack: Wing 4 (The Humanoids). (USA 1947, 1949). Düsseldorf 1952 (Rauchs Weltraumbücher)

309 _ #1676 / 29. Mai 2023/21:26

Tribute to Tina Turner

Was für eine großartige Künstlerin! Und was für ein schwieriger Weg, sich aus der dreifachen Unterdrückung freizumachen:
° erst durch ihre Herkunft aus ärmlichsten Verhältnissen schwarzer Farmer im Süden der USA,
° dann durch ihren gewalttätigen Mann Ike Turner
° und schließlich durch die Aufgabe ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft für die schweizerische, um dem alltäglichen Rassismus der USA den Stinkefinger zu zeigen.

Abb. 1: Tina Turner als Wüstenkönigin (1985 Kennedy Miller Prod.) und (Abb.2) als Königin des Rock´n´Roll auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: 1996 in Amsterdam vor 150.000 Fans (Eagle Rock Entertainment)

Gestern, am 24. Mai 2023, ist sie in Küsnacht am Zürichsee, ihrer zweiten Heimat, nach langer Krankheit gestorben. Das Cover vom Film Mad Max: Jenseits der Donnerkuppel ist verräterisch: Obwohl die stärkste Figur des Films, muss sie hinter Mel „Mad Max“ Gibson zurücktreten. Aber wenn etwas von diesem Doomsday-Film bleibt, dann ihr dramatischer Song „We don´t need another hero“.

Auf der DVD vom Amsterdam-Konzert September 1996 tritt sie mit drei Tänzerinnen und Begleitsängerinnen auf, die sie – obwohl gut dreimal älter – locker an die Wand spielt mit ihrer unglaublich intensiven Performance und Songs, welche alle weit oben oder an der Spitze der internationalen Charts standen und wegen ihrer Qualität lange überdauern werden:

„Whatever you want“
„River Deep, Mountain high“
„Undercover Agent of the Blues“
„What´s love got to do with it“
„Private Dancer“
– und nochmal der Titelsong „We don´t need another hero“ aus dem Donnerkuppel-Film. Unglaublich intensive Songs, mit denen sie aus dem Ghetto des nachtschwarzen Rhythm´n´Blues“ herausgetreten ist und ein riesiges weltweites Publikum jenseits aller Farb-Schranken erobert hat: Zum Beispiel bei ihrem Amsterdam-Konzert, das obige DVD großartig dokumentiert.
Bei dieser Europa-Tour 1996 gab sie 150 Shows vor drei Millionen begeisterten Fans – das muss man erst einmal körperlich und emotional durchstehen! Das muss man sich erst einmal trauen: in diese gewaltige wogende Menschenmenge auf der Rampe hineinzulaufen und dann auch noch treffsicher zu singen!
Dazu die vielen kleinen berührenden Szenen, etwa wenn sie auf der Bühne mit ihrem Saxophonisten-Macho turtelt und ihm plötzlich vergnügt einen Klaps auf den strammen Hintern gibt. Oder die kleinen Duette mit den Gitarristen, das perfekte Zusammenspiel mit ihren wilden Gogo-Girls.

Die DVD enthält außerdem als Bonus-Track ein Interview mit ihr, bei dem man sie von einer sehr privaten Seite kennenlernt. Sie war eben nicht nur eine brillante Entertainerin, die alles geschafft hat, was man in der Welt der Unterhaltungsmusik auf die Bühne stellen kann. Sie zeigte zudem in einigen herausragenden Songs wie „Addicted for Love“ ihre verletzliche Seite hinter der wildmähnigen Rampensau. Sollte es einmal so etwas wie ein „World Song Book“ geben, wird so mancher Titel von ihr darin einen Ehrenplatz finden.
In einem Nachruf der Süddeutschen Zeitung von Tanja Rest fand ich den Hinweis, dass sich unter Tina Turners Vorfahren nicht nur Afroamerikaner, sondern auch Ureinwohner Amerikas (früher sagte man „Indianer“) befanden – denen die Künstlerin mit dem Namen ihrer Villa am Zürichsee Achtung zollte: „Villa Algonquin“.

Abb. 3/4: Booklet und Doppel-CD von Tina Turners Europa-Tour 1985 – mit allen großen Hits ihrer Karriere (Capitol Records 1988).

Was für eine tolle Frau, in jeder Hinsicht. Sie verkörperte in der großartigen Welt des Jazz eine ganz spezielle Variante, die mehr in Tanzkneipen passt als in rauchige Jazz-Keller oder auf Konzertbühnen, aber nicht weniger ausdrucksstark sein kann als ein Saxophon-Solo von John Coltrane. Wäre ich jetzt noch der bluesbegeisterte Jugendliche von 1958/59, der sich den Rhythm´n´Blues in mancher amerikanischen Soldatenkneipe in München wie dem „Schmuckkast´l“ am Rosenheimer Platz mühsam erobern musste, würde ich jetzt gerührt rufen:

„We miss you, Tina!“

Aber warum nicht auch mit 83 einer gleichaltrigen Sängerin denselben begeisterten und zugleich traurigen Abschied geben.

308 _ #1672 / 29. Mai 2023 (Überarbeitung) / 25. Mai 2023/19:47

ZeitHarfe: Spiel dir das Lied vom Leben

Bei der Suche nach einem passenden Symbol für das, was ich im Rahmen des Konzepts der MultiChronie als ZeitLinien bezeichne, fielen mir sofort die Saiteninstrumente ein. Aber die klassische Gitarre hat nur fünf Seiten – ein bisschen wenig für die Themenvielfalt eines ganzen Lebens. Dann dachte ich an eine Zither: Die hat immerhin 32 bis 42 Saiten, ist mir aber zu folkloristisch.
Wie wäre es mit der Sitar, die ich sehr schätze? Sie hat 7 Melodiesaiten und 13 Resonanzsaiten – also insgesamt 20 Saiten. Also auch etwas wenig „Themenvielfalt“ – so virtuos ein Meister wie Ravi Shankar oder seine Tochter Anoushka Shankar darauf zu spielen wissen.
Dann fiel mir die Harfe ein: 48 Saiten! Das ist doch was, mehr dürfte es kaum geben. Außerdem gefällt mir gut, dass sie eigentlich nur von Frauen gespielt wird. Gestört hat mich allerdings ihre typische Zugehörigkeit zu Klassik, wo sie nach meiner Beobachtung eine eher „ätherische“ Nebenrolle spielt, gezupft von einem engelhaften Wesen in wallendem Gewand – nicht so recht meine Welt.
Aber hallo! gibt es nicht einige ganz verwegene Harfinistinnen, die dieses großräumige Instrument für eine ganz andere Musikwelt entdeckt haben, die mir näher ist: den Jazz?

Eine Google-Recherche hat mich überzeugt: Es gibt in der Tat etliche kühne Frauen, die mit der Harfe im Jazz experimentieren – in einer Liga mit den männlichen (und weiblichen) Dudelsackspielern, Akkordeonspielern und Virtuosen auf der Mundharmonika in diesem Genre. Das hat mich überzeugt:

Die Harfe als Symbol für die verschiedenen ZeitLinien im Leben: ZeitFäden, ZeitStränge, ZeitSeile und ZeitTrossen (Photo by Rafael Fonseca Almazu00e1n on Pexels.com)

Die Harfe ist also ab jetzt mein Symbol für die ZeitLinien, von denen ich im einzelnen unterscheide:

ZeitFaden: Die vertikale psychische Verbindung (und physische Abspeicherung im Gedächtnis) vieler Ereignisse und Erinnerungen zu einem bestimmten Thema. Wichtige Themen wie das „Schreiben“ bekommen von mir sogar eine Farbe zugeordnet (Schreiben = roter Faden, Science-Fiction = blauer Faden, Geld-Themen brauner Faden und so weiter).
Mehrere ZeitFäden sind (emotional psychisch wie physiologisch abgespeichert) verbunden zu einem ZeitStrang.
Mehrere ZeitStränge bilden ein → ZeitSeil und mehrere ZeitSeile sind verknüpft zu einer → ZeitTrosse. Ein Beispiel für letzteres:
Eine ZeitTrosse ist ein ganz besonders wichtiger und somit „dicker“ Themen-Komplex im Leben eines Menschen. So eine Trosse (Beispiele: Mutter, Vater, Heimat) besteht aus mehreren ZeitSeilen, diese aus mehreren Zeit-Strängen und diese wiederum aus mehreren ZeitFäden.

Beispiel für ein ZeitSeil: Musik. Diese besteht bei mir aus mehreren ZeitSträngen wie
° Jazz,
° Indische Musik,
° Klassische europäische Musik
° und als besonders exotische Variante die Klänge der Didgeridoo der australischen Ureinwohner.

Der ZeitStrang Jazz wiederum (Zeitanker: 1954 erste Füllschriftplatte „Whoddin´ with Woodie: Woody Herman and his Herd“, vorgespielt von dem ein Jahr älteren Klaus Schenk, Sohn vom Rechtsanwalt Schenk) besteht bei mir aus mehreren ZeitFäden:
° Lokaler Band-Jazz mit Münchner Gruppen wie der Riverboat Seven,
° Rhythm´n´Blues schwarzer Gruppen (den ich viele Jahre gesammelt habe),
° New Orleans Jazz à la Louis Armstrong,
° Bigband Jazz von Count Basie, Duke Ellington und Benny Goodman (Zeitanker: Das „Carnegie Hall Concert von 1936“ – erstmals gehört von den gerade aufgekommene Longplays 1957 bei Walter Ernsting in Irschenberg),
° Modern Jazz des Modern Jazz Quartett (mit dem mich etwa 1959 Lothar Heinecke vom Science-Fiction-Club vertraut machte),
° noch moderner bis hin zum Free Jazz Ornette Coleman und John Coltrane.

Ein ZeitAnker ist jeweils der Anfang einer ZeitLinie im Leben eines Individuums – die früheste Erinnerung oder Datierung eines Erlebnisses.
Persönliches Beispiel: Nachdem ich (im Februar 1940 geboren) in den ersten fünf Jahre kriegsbedingt keinen Vater hatte, tauchte dieser im Juni 1945 unverhofft bei uns in Rehau auf, geflohen aus amerikanischer Gefangenschaft. Etwa um diese Zeit im Sommer brachte er mir das Lesen der Uhrzeit bei. Meine erste bewusste Erinnerung an ihn – und eine sehr ambivalente dazu. Denn weil ich nach seiner Anleitung nicht gleich „wie aus der Pistole geschossen“ (ja, der Krieg mit seinen Metaphern!) die korrekte Zeit auf der Küchenuhr nennen konnte – bekam ich zur Ermunterung eine Ohrfeige. Ein mieses Stück Schwarzer Pädagogik und kein guter Start in eine Vater-Sohn-Beziehung, schon gar nicht, wenn man bereits fünf Jahre alt ist und bis dahin neben dem Großvater Karl die männliche Hauptperson im Haus war.
Aber so ist das nun mal im Leben: Nicht alles fängt gut an. Ich habe sogar, seit mir das bewusst geworden ist, den Verdacht, dass mein „Kampf“ während der gesamten Schulzeit bei gleichzeitigem großen Interesse an dieser geheimnisvollen abstrakten Welt der Zahlen mit dieser Schlüsselszene aus dem Sommer 1945 zusammenhängt – eine Ambivalenz, die mich 14 Jahre später, 1959, beinahe das Abitur gekostet hätte. Aber das ist eine andere Geschichte, die dort erzählt werden soll: → Abitur als Heldenreise .

Was den Titel dieses Beitrags angeht: Die meisten Leser werden verstanden haben, worauf ich mich mit diesem „Spiel dir das Lied vom Leben“ beziehe: der Western-Klassiker Spiel mir das Lied vom Tod – mit Charles Bronson in der Hauptrolle des harmonikaspielenden Rächers.
Ich denke, man kann gar nicht früh genug damit anfangen, die eigene ZeitHarfe immer wieder mal zu zupfen und sich zu erinnern, aus welche Fäden, Strängen, Seilen und Trossen das eigene Leben besteht.

Diese Bezeichnungen stammen übrigens aus der Welt der Schifffahrt (was bei mir wiederum einen dicken Tampen bewusst macht, der mit meinem Vater und unserem Segelboot auf dem Starnberger See von 1957 bis 1974 zu tun hat -. und damit, dass mein Vater etliche Jahre als Steward zur See gefahren ist, auf so großen Pötten wie dem Columbus und der Bremen des Norddeutschen Lloyd in den Jahren 1929 bis etwa 1934. Man kommt ihnen einfach nicht aus diesen Erinnerungs-Fäden.

Und ist, um dies abzuschließen, das nicht auch ein schöne Metapher, sich vorzustellen, dass die eigene Persönlichkeit mit ihrer kostbaren Fracht der Erinnerungen auf dem Meer des (weitgehend) Unbewussten dahingleitet, von dem eben diese Fäden, Stränge, Seile und Trossen herabhängen…

Gute Reise! Und sei es nur auf den Seiten eines „Logbuchs der Erinnerungen“.

307 _ aut #1670 _ 2023-05-24/21:10 Mit

KI kocht Buch: Das ferne Donnergrollen

(Leider notwendige Vorbemerkung: Dieser Beitrag wurde nicht von einer KI generiert, sondern von Jürgen vom Scheidt himself.)

Große Aufregung dieser Tage: Der Burda-Verlag hat einer KI die Erstellung eines kleinen Magazins mit Kochrezepten überlassen – und alle regen sich zu Recht auf:
° weil die Redaktion im Impressum diese Tatsache nicht vermerkt hat (und wohl glaubte, sie komme ungeschoren davon),
° und weil viele Journalisten und Fotographen nun zu Recht fürchten, dass dies Schule machen und der Anfang von einer für sie sehr fatalen Entwicklung sein könnte.
Wer dieser Aufregung nachspüren möchte, muss nur bei Google eingeben: „Burda KI Lisa 99 Pasta-Rezepte“ – und schon rappelt es im Karton – pardon: auf dem Bildschirm.

Abb.: Nicht nur für Hausfrauen und Hobby-Köche interessant – sondern auch für alle von KI bedrohten Berufe (Cover: Burda Verlag)

Die KI wird scheinbar immer intelligenter – wird sie auch kreativer?

Seit März dieses Jahres 2023 ist die verbesserte Version „4“der KI Chat GPT auf dem Markt, seit April auch die (etwas ältere) Variante „3“, die aber bei Microsofts Suchmaschine Bing integriert ist und dadurch das komplette Internet zum Spielfeld der KI macht (was vorher nicht möglich war).
Ich habe das selbst schon ausprobiert und mir das Exposee für ein Sachbuch zum Thema „MultiChronie“ entwerfen lassen, mit erstaunlichen Ergebnissen. Und ich würde mich nicht wundern, wenn demnächst eine Flut von Sachbüchern und bald wohl auch Romanen aus der „Feder“ einer KI auf den eh schon wegen „books on demand“ im Selbstverlag heftig überschwemmten Buchmarkt drängen würde.
Interessant war auch das Experiment, bei dem ich im September 2022 eine andere KI mit eigene Haiku „gefüttert“ habe – was ganz erstaunliche Illustrationen für meinen Blog generiert hat.

Wer Bücher schreibt (oder dies vorhat) ist jedenfalls gut beraten, sich mit diesem bei aller Umstrittenheit doch großartigen neuartigen Werkzeug vertraut zu machen* – aber es dann als Hilfs-Werkzeug einzusetzen und nicht als eigentlichen Autor. Denn so eine KI kann nur eines:
° Nach alten Vorbildern (die sie in der digitalisierten Welt und ab jetzt eben auch im Internet vorfindet) neue Werke zusammenmixen und dabei ganz ungeniert die Intelligenz und Kreativität dieser Vorbilder plündern – ohne ihre Quellen zu nennen. Wenn ich es recht sehe, nennt man dies: Plagiat.
Leider hat die gesamte Entwicklung des Internet und der digitalen Welt diese Mentalität von Anfang an gefördert: Alles soll kostenlos sein (dass es mit den persönlichen Daten „bezahlt“ wird, nimmt man leichtsinnig in Kauf). Wer gewohnt ist, sich bei YouTube unzählige Filme und bei Spotify fast jedes Musikstück kostenlos oder zumindest extrem billig herunterzuladen, dem oder der ist es auch egal, woher eine KI ihre angebliche „Intelligenz“ und „Kreativität“ herhat – nämlich von den ursprünglichen Autoren und Komponisten, von den Entwicklern des Algorythmus für die KI, von den unzähligen schlecht bezahlten Click-Workern in der Dritten und Vierten Welt (die die „Minen“ mit Material füttern, in denen die KI dann ihr „Data Mining“ betreibt).*

* Jonas Zenhäusern bietet Beratung zur Verwendung von KI an: Meine Schreibseminare .

Das ist ja alles nicht neu

Vor kurzem haben zwei der größten deutschen Verlagskonglomerate (Springer und Burda) angekündigt, demnächst Zehntausende (!) Journalisten „freizustellen“ – also sie auf die Straße zu setzen, vor allem wieder die Frauen. Und was machen die dann? Schreiben Bücher (mit Hilfe einer KI, vermutlich) oder bieten Schreib-Seminare an – so wie das schon bei der ersten Journalisten-Freistellung vor zwei Jahrzehnten war, als das mit der Digitalisierung und dem Internet in die Verlage zu kriechen begann.
Und der aktuelle Streik der Drehbuchautoren in Hollywood hat genau diesen Hintergrund: Die sehr realistische Befürchtung, dass die Produzenten von Serien und Filmen demnächst mit Brachialgewalt KI einsetzen werden, wo immer es nur geht.

Als ich vor etwa 20 Jahren begann, mit Hilfe der DRAGON-Software meine Texte selbst zu diktieren – nahm dies der Sekretärin die Arbeit weg, die damals für mich nebenbei Diktate oder handschriftliche Texte abtippte und in WORD-Dateien verwandelte, mit denen ich weiterarbeiten konnte.
Vor einem Jahrzehnt begann ich, meine Buchführung selbst mit Hilfe einer Datenbank zu erfassen, gab die Daten nur noch zur Auswertung an den Computer-Service weiter (der sie vorher auch erfasst hatte). Dann empfahl mir meine Schwiegertochter, die WiSo-Software – und bald machte ich meine Buchführung nicht nur komplett selbst, sondern verzichtete vor einigen Jahren auch auf den Steuerberater, dessen Dienste ich bis dahin in Anspruch genommen hatte. Die Software kostete damals 25 €uro – der Steuerberater pro Jahr etwa 1.400 € (und vorbereiten musste ich ihm meine Daten ja ohnehin).
Text-Schnipsel aus der Süddeutschen Zeitung als Zitat digitalisieren? Machte ich früher mühsam von Hand – seit einigen Jahren macht das für mich in Sekunden der ABBYY Fine Reader.
Fotos? Früher brachte man den belichteten Film in den Foto-Laden, der ihn entwickelte und Abzüge herstellte, aus denen ich dann meine Bilder auswählte und entweder als Abzüge auf Papier oder als Dias herstellen ließ. Von meiner Indienreise brachte ich 800 (achthundert!) solcher Fotos auf rund 30 „Filmen“ mit und bezahlte dafür ein Wahnsinnsgeld – heute würde ich das alles mit dem Smartphone aufnehmen und per E-Mail an meine Adresse oder in eine Cloud schicken, nahezu kostenlos. Als ich begann, in meinem Blog ältere Bilder zu verwenden, musste ich diese Bilder aus dem Archiv von den Papierabzügen einscannen und digitalisieren. Heute mache ich das allen in einem Arbeitsgang mit meinem Telefon – pardon: meinem I-Phone. Das auch sonst noch alles mögliche kann: „Bild-Telefonie“ zum Beispiel (wie früher in Science-Fiction-Geschichten) mit FaceTime. (1957 nannte ich das in meinem ersten Roman, der im Jahr 7812 spielt, kühn „Visiphon“). Wo ist das „Fräulein vom Amt“ geblieben, das noch in den 1950er Jahren in Rehau die Verbindung stöpselte, wenn mein Großvater aus dem Architekturbüro mit einem Kunden telefonieren wollte?

… aber neu ist das Tempo, mit dem sich alles verändert

Oh ja, die KI (Mehrzahl) werden die Welt auf den Kopf stellen – in einem so rasantem Tempo, dass wir nur noch ungläubig staunen werden – wenn wir uns nicht aus Angst vor unseren Jobs in die Hosen machen. Denn in der digitalen Welt wird ab Chat-GPT kein Stein auf dem anderen bleiben – zumindest bei den Menschen in anspruchsvollen Berufen. Ein Handwerker, der eine neue Heizung mit Wärmepumpe einbaut, muss sich da keine Sorgen machen – der Architekt, das das Haus entwirft, hingegen schon.

Einem Professor als „studentische Hilfskraft“ für einen Hungerlohn zuarbeiten? Das braucht der Professor nicht mehr – kann er alles selber machen und muss er wohl auch selber machen, weil um ihn herum vieles wegbrechen wird, worauf er sich bisher gemütlich stützen konnte.

Steuerberater – Rechtsanwälte – Ärzte – sind allesamt gut beraten, sich JETZT mit KI vertraut zu machen, wenn sie in ihrer beruflichen Suppe „oben“ schwimmen wollen. Vor allem aber: Wenn sie sich in Zukunft mehr auf das verständnisvolle Gespräch mit ihrem Gegenüber einstellen. Das ist das große Plus gegenüber jeder KI, das enorm an Wert gewinnen wird.

Auch wer Schreib-Seminare anbietet und dabei einfühlsam und kreativ ist, muss sich keine Sorgen machen – das ist die Art von Berufen, die eine große Zukunft hat, weil sie das fördern, was keine KI je können wird: Etwas erleben (zum Beispiel einen „ersten Kuss“), das Erlebte notieren und ausgestalten, es mit anderen austauschen. Alles Autobiographische und somit Authentische wird enorm an Wert gewinnen – auch wenn man kein Vincent van Gogh oder Albert Einstein oder Sigmund Freud ist. Auch im Kleinen lässt sich unendlich viel Neues entdecken.

Und noch ein kleiner Tipp: Die KI, gleich welcher Art, setzen eine weitere rasante Beschleunigung der Menschenwelt in Gang – ein Grund mehr, sich um Entschleunigung zu bemühen, die das genuin Menschliche bewahrt. Um einen Exoplaneten weit außerhalb unsers Sonnensystems zu erreichen, bräuchten wir Überlichtgeschwindigkeit. Um uns selbst zu erreichen, genügt es zu Fuß zu gehen oder still irgendwo sitzen zu bleiben.

Stell dich an den Bug
Hör das Knat tern der Se gel
Glücks mo men te satt

Quellen
Ernst, Anna: „Unterhöhlt das Vertrauen“. In: Südd. Zeitung Nr. 112 vom 16. Mai 2023, S. 19 (Medien).
KI et al: Lisa: 99 Pasta-Rezepte. München Mai 2023 (Burda-Verlag).

306 _ #1654 _ 18. Mai 2023/20:15

Glücksmoment: A rose is a rose

Hier haben einst Soldaten für den Krieg geübt, auf dem ehemaligen Kasernenareal an der Schweren-Reiter-Straße / Infanteriestraße. Vor einigen Jahren, als ich in dieser neu aufblühenden Ecke der Stadt im Combinat 56 erst 2011 einen Co-Working-Platz und dann (bis Sommer 2020) Seminarräume mietete, erzählte uns mal ein Seminarteilnehmer (und deutete dabei nach draußen), „hier bin ich noch als Rekrut im Schlamm herumgerobbt“.
Nach Mauerfall und Wende und Wiedervereinigung 1989/90 wurden unzählige Kasernen und Truppenübungsplätze aufgelöst und auch dieses ganze Areal. So entstand hier im Münchner Ortsteil „Schwabing West“ am Ackermannbogen ein großartiger neuer Wohnbereich. Hier gibt es seit diesem Neuanfang 2005 das Café „Rigoletto“ – mein Lieblingscafé (das nur ab und zu Konkurrenz vom „Café Klenze“ in der Alten Pinakothek und dem kleinen Café im Innenhof der Glyptothek bekommt – wenn ich mich mit jemanden näher am Stadtzentrum treffen möchte).
Hier, im „Rigo“, habe ich schon oft während der Seminare mit den Teilnehmern gegessen, Kaffee getrunken, geschrieben. Oder unter der Woche allein oder mit einem anderen Besucher geratscht. Weil ich mich hier so wohl fühle und fast so etwas wie ein „zweites Wohnzimmer“ habe. Hier bekomme ich vom Kellner Antonio die aktuelle Süddeutsche und am Morgen zwei „Zimti“ zum „großen Cappuccino“ – oder am Nachmittag statt den Zimtbrötchen eine dieser wunderbaren (und für das Körpergewicht höchst gefährlichen) Torten: Mascarpone Limette, Dreifach-Schokolade , Weiße Trüffelschokolade oder das herrlich pinkfarbene Mascarpone Himbeer. Antonio und seine Kolleginnen wissen, was einem mundet (oder was am Morgen die noch „dramhapperten“ Lebensgeister weckt). So wusste in den bekannten Wiener Literaten-Cafés wie dem „Hawelka“ das Personal (und weiß es auch heute noch), was die Stammgäste brauchen, um sich wohl zu fühlen. Aber das gibt es auch in München – wenn man weiß, wo.

Abb. 1 Rosenblüte der Art, aus der (Abb. 2) dieser Strauch entstanden ist, der sich um die Säule im Vordergrund am Café Rigoletto“ emporrankt und demnächst hoffentlich wieder solche Blüten tragen wird (Archiv: JvS 2023)

Glücksmoment mit Rosenstrauch

Aber bleiben wir beim „Rigoletto“. Vergangenen Freitag (ich hab´s mir notiert: 12. Mai 2023, 10:00 Uhr) hat mir die Chefin, Frau Sabine Pour, einen echten Glücksmoment beschert. „Kommen Sie bitte mal mit“, sagte sie geheimnisvoll, „ich will Ihnen etwas zeigen.“ Und dann deutete sie außen vor dem Café zu einer Säule, an der sich ein Rosenstrauch emporrankt. Er trägt noch keine Blüten – aber links (oben im Bild) sieht man so ein Prachtexemplar der Art, die es demnächst hier zu bestaunen sein wird. Aus so einer Rose ist nämlich dieser Strauch entstanden:
„Vor drei Jahren haben Sie mir eine Rose geschenkt. Die habe ich eingepflanzt und jetzt hierher versetzt.“
„Vor drei Jahren? Das muss an meinem 80. Geburtstag gewesen sein, den wir Anfang Februar hier gefeiert haben.“
Ein echter Glücksmoment, wie gesagt.

Auch andere Mütter haben schöne Töchter

In München gibt es Hunderte von Cafés. Man kann nicht alle kennen – aber einige sollte man doch einmal besucht haben: Das Jasmin in der Augustenstraße, bei der U-Bahn-Haltestelle „Theresienstraße“. Gleich dort, beim Ausstieg aus der U-2, befindet sich auch das Höflinger. Dort lese ich gerne die Zeitung, wenn die Zeit mal knapp ist. Es wird von denselben freundlichen Pächtern betrieben wie das Höflinger bei der Uni in der Schellingstraße, gleich bei der Amalienstraße – früher das „Antiquariat Hauser“ (von dem man Reste als Ambiente gerettet hat).
Am Sendlinger Torplatz, beim Beginn der Pettenkoferstraße, ist das gemütliche Café Mozart.
Unbedingt mal besucht haben sollte man auch das Café Vorhoelzer Forum auf dem Dach der Technischen Universität – mit einem grandiosen „Blick von oben“ auf ganz München. Letzteres bietet natürlich unübertrefflich das Restaurant mit Café hoch oben auf dem Olympiaturm – das sich auch noch ständig dreht und so (wenn das Wetter günstig ist) den Blick öffnet mal auf die Alpen im Süden, den Schuttberg im Norden mit der Allianz Fußball-Arena und im Osten dem sehenswerten Vier-Zylinder des BMW-Werks (gleich gegenüber übrigens in der BMW-Welt auch mit einem sehenswerten Café).
Ganz speziell war früher auch das Café Rischart an der Leopoldstraße. Als wir noch in der Seestraße am Englischen Garten wohnten, war das oft unser Treffpunkt – ähnlich wie das Café Münchner Freiheit. Leider wurde das Rischart zunehmend dezimiert – erst verschwand oben im ersten Stock der Balkon mit dem Blick auf die quirlige Straße, dann die ganze erste Etage und unten wurde es auch immer ungemütlicher. Tempi passati – aber immer noch mit schönen Erinnerungen verbunden: Ich habe dort sogar mal eine Lesung veranstaltet, mit Geschichten aus meiner Collection Blues für Fagott und zersägte Jungfrau.

Am Rilke-Grab und bei Gertrude Stein

Zurück zur Rose. Das löst Erinnerungen aus an die Seminare „Wandern und Schreiben“, die ich viele Jahre in Bürchen im Schweizer Kanton Oberwallis durchgeführt habe. Eine der Wanderungen, die wir mit jedem Workshop machten, um Eindrücke für das Schreiben zu sammeln, führte auf die andere Seite des Rhone-Tals, nach Raron. Dort besuchten wir oben bei der alten Kirche mit den grusligen Höllen-Fresken das Grab von Rainer Maria Rilke, der dieses geheimnisvolle letzte Gedicht genau für diesen Platz und sein Grab verfasst hat:

Rose, oh reiner Widerspruch,
Lust,
Niemandes Schlaf zu sein
Unter so viel

Lidern.“

Im Internet hat jemand dazu assoziiert: „Wer sich in das aus 12 Wörtern bestehende Labyrinth begibt, sieht zunächst die rätselhafte Rose in verschiedenen Schattierungen. Bald scheint sie ein Bekenntnis zur Lebensfreude und Sinnenlust zu sein, bald radikale Absage und Verneinung. Mancher Betrachter sieht in ihr die Verkörperung des reinen Widerspruchs, anderen erscheint das ganze Versgebilde wie eine schlafende Schönheit, die nicht zu wecken ist“. (Schmoll)
Ich habe meinen Seminarteilnehmern empfohlen, sich das Gedicht Wort für Wort zu eigen zu machen, vielleicht mit einem Cluster erst jedem der Begriffe nachzuspüren – und daraus ein eigenes Gedicht zu gestalten – etwa ein Haiku (dem Rilkes Original schon sehr ähnlich ist) oder auch was ganz anderes.
Vielleicht etwas in dieser Art – von Gertrude Stein, ihr wohl berühmtestes Poem „to kill all poems“:
A rose is a rose is a rose is a rose

ZeitFaden Rosenranke

Und hier beim Café Rigoletto, zu dem ich nun zurückkehren möchte. wächst sie hoffentlich demnächst wieder, eine Rose aus einer Geburtstagserinnerung, die sich durch drei Jahre rankt und nun hier darauf wartet, demnächst neue Blüten zu öffnen. Hier entsteht am „Rigoletto“ buchstäblich das, was ich im Rahmen meiner Überlegungen zur MultiChronie einen ZeitFaden nenne – eine ZeitRosenranke in diesem Fall. Das verführt zum Dichten:

Rankt eine Rose empor
Streichelt mit Blüten mein Ohr
Farbe und Duft betören den Tor


Ist kein Haiku, kein Limerick nicht
Trotzdem ist es ein echtes Gedicht
Damit schleich ich mich fort

als reimender Wicht

Quelle
Schmoll, Renate – file:///C:/Users/User/Downloads/_journals_zrgg_37_4_article-p355_7-preview%20(4).pdf

305 _ #1615 _ 15. Mai 2023/18:20

Chat GPT schreibt (m)ein Buch

Wer meinen Newsletter hyperWriter erhält, kennt vermutlich den folgenden Beitrag bereits in den wesentlichen Elementen. Ich übernehme ihn hierher in meinen Blog anlässlich eines Vortrags, den ich am 08. Mai beim literarischen Stammtisch der Phantasten gehalten habe und den Teilnehmern nun auch schriftlich zugänglich machen will.
Ich möchte anhand eines praktischen Beispiels zeigen, wozu eine KI heute bereits imstande ist. Die von mir verwendete Chat GPT-3 ist nicht due alleraktuellste Version (das ist GPT-4) – aber sie hat den großen Vorteil, dass sie mit einer Suchmaschine gekoppelt ist (Microsoft Bing) – was man am Schluss des Beitrags erkennt, wo ich die KI auffordere, mir Quellen zum Thema „MultiChronie“ zu nennen – das geht nämlich nur mit einem Internet-Zugang.

Abb.: Ganz so einfach ist es noch nicht, sich von Chat GPT mittels Smartphone ein Buch schreiben zu lassen: Man muss ziemlich genaue Vorgaben in den Prompt schreiben, um sinnvolle Ergebnisse zu erhalten (Photo by Sanket Mishra on Pexels.com)

Das Procedere ist im Grunde ganz einfach

Wie geht man praktisch vor? Das ist recht simpel: Die KI bietet ein Fenster an (Prompt genannt), in dem man sein Projekt als Aufforderung formuliert, beispielsweise: „Entwickle mir das Konzept für eine Fantasy-Kurzgeschichte, die in Tolkiens Welt Mittelerde des Romans Der Herr der Ringe spielt“. Allerdings sollte man sich vorher genau überlegen, wohin man die „Gedanken“ der KI lenken möchte, damit sie sinnvolle Ergebnisse, liefert – beispielsweise das Exposee für ein Sachbuch zum Thema „MultiChronie“ (s. unten).
Ich starte also Microsofts Suchmaschine Bing und gebe dort im Fenster der schon erstaunlich leistungsstarken aktuellen Version Chat-GPT (ab März 2023) folgenden Prompt ein:
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MultiChronie ist ein neues psychologisches Konzept, das die parallele Existenz von verschiedenen ZeitSchichten zum Thema hat.
Es werden zwei Aspekte unterschieden:
° Soziokulturell kann eine Gesellschaft wie die afghanische gleichzeitig im Mittelalter verhaftet sein (Beispiel: Utopie eines archaischen Gottesstaates) und in der Gegenwart (Verwendung modernster Waffen wie Stinger-Raketen für den Krieg gegen andersgläubige und Smartphones für die Kommunikation untereinander).
° Individualpsychologisch können in ein und derselben Person verschiedene ZeitSchichten konkurrieren: zum Beispiel das Erwachsenen-Ich und das Kind-Ich.
Entwickle das Exposee für ein Sachbuch, in dem
° zum einen dieses neuartige Konzept der „MultiChronie“ anschaulich dargestellt wird
° und speziell beschrieben wird, was es für das Selbstverständnis des einzelnen Menschen bedeuten könnte, solche verschiedenen ZeitSchichten in sich konkurrierend oder zusammenarbeitend zu erleben.

Wie könnte man dieses Konzept speziell im Rahmen einer Psychotherapie einsetzen?
° Wie könnte man mit Hilfe dieses Konzepts eine Autobiographie schreiben?

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Chat GPT antwortet umgehend mit diesem recht zutreffenden Titel:

MultiChronie: Wie wir in verschiedenen ZeitSchichten leben

Dazu liefert die KI folgenden Text:

Das Buch „MultiChronie: Wie wir in verschiedenen ZeitSchichten leben“ ist eine Einführung in ein neues psychologisches Konzept, das die parallele Existenz von verschiedenen ZeitSchichten zum Thema hat. Es zeigt auf, wie wir sowohl soziokulturell als auch individualpsychologisch in verschiedenen ZeitSchichten leben und wie diese unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen.

Im ersten Teil des Buches wird das Konzept der MultiChronie anschaulich dargestellt. Es werden zwei Aspekte unterschieden:
– Soziokulturell kann eine Gesellschaft wie die afghanische gleichzeitig im Mittelalter verhaftet sein (Beispiel: Utopie eines archaischen Gottesstaates) und in der Gegenwart (Verwendung modernster Waffen wie Stinger-Raketen für den Krieg gegen andersgläubige und Smartphones für die Kommunikation untereinander).
– Individualpsychologisch können in ein und derselben Person verschiedene ZeitSchichten konkurrieren: zum Beispiel das Erwachsenen-Ich und das Kind-Ich.
Im zweiten Teil des Buches wird beschrieben, was es für das Selbstverständnis des einzelnen Menschen bedeuten könnte, solche verschiedenen ZeitSchichten in sich konkurrierend oder zusammenarbeitend zu erleben. Es werden folgende Fragen beantwortet:
– Wie können wir uns unserer eigenen ZeitSchichten bewusst werden und sie akzeptieren?
– Wie können wir mit den Konflikten und Spannungen umgehen, die aus den unterschiedlichen ZeitSchichten entstehen?
– Wie können wir die Potenziale und Ressourcen nutzen, die aus den verschiedenen ZeitSchichten hervorgehen?
– Wie können wir unsere ZeitSchichten harmonisieren und integrieren?
Im dritten Teil des Buches wird erläutert, wie man dieses Konzept speziell im Rahmen einer Psychotherapie einsetzen kann. Es werden folgende Themen behandelt:
– Wie kann man mit Hilfe der MultiChronie die Lebensgeschichte eines Klienten verstehen und deuten?
– Wie kann man mit Hilfe der MultiChronie die aktuellen Probleme und Ziele eines Klienten analysieren und bearbeiten?
– Wie kann man mit Hilfe der MultiChronie die therapeutische Beziehung gestalten und fördern?
– Wie kann man mit Hilfe der MultiChronie die Veränderungsprozesse unterstützen und begleiten?
Im vierten Teil des Buches wird gezeigt, wie man mit Hilfe dieses Konzepts eine Autobiographie schreiben kann. Es werden folgende Schritte vorgeschlagen:
– Sich einen Überblick über die eigenen ZeitSchichten verschaffen und sie benennen.
– Sich an die prägenden Ereignisse und Erfahrungen erinnern, die zu den verschiedenen ZeitSchichten geführt haben.
– Sich mit den Gefühlen, Gedanken und Bedeutungen auseinandersetzen, die mit den verschiedenen ZeitSchichten verbunden sind.
– Sich mit den Widersprüchen, Herausforderungen und Chancen beschäftigen, die aus den verschiedenen ZeitSchichten resultieren.
– Sich eine persönliche Vision entwickeln, wie man seine ZeitSchichten in Zukunft leben möchte.

Das Buch richtet sich an alle, die sich für das Thema Zeit interessieren und mehr über sich selbst und andere erfahren möchten. Es bietet sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Anregungen für eine bewusste und kreative Gestaltung des eigenen Lebens.

Zusätzlich verlange ich, JvS, anschließend noch:

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Gib Quellen an (Buchveröffentlichungen, Artikel, Paper), in denen das Konzept „MultiChronie“ oder eine Methode „MultiChronie“ dargestellt wird.
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Wiederum dauert es nur wenige Sekunden, bis ich diese Auskunft erhalte:

Das Konzept „MultiChronie“ oder die Methode „MultiChronie“ wurde von Jürgen vom Scheidt entwickelt und beschreibt das Phänomen, dass wir immer in mehreren Zeitebenen leben und handeln. Er hat dieses Konzept in seinem Blog HyperWriting ausführlich erläutert und an verschiedenen Beispielen illustriert. Er nennt Ereignisse und Erinnerungen, die sowohl einen persönlichen Anteil haben (Persönliche MultiChronie) wie einen historischen Bezug aufweisen (Historische MultiChronie). Er verwendet auch eine Binnenversalie (das große C) als Markenzeichen für seinen Neologismus.

Quellen, in denen das Konzept oder die Methode „MultiChronie“ dargestellt wird, sind:

MultiChronalia [auf der Website „HyperWriting.de“]. In diesem Beitrag stellt der Autor verschiedene Beispiele für MultiChronalia vor, wie das Oktoberfest, die Queen oder der Putinsche Angriffskrieg auf die Ukraine.
MultiChronie oder Mehrzeitlichkeit [auf „HyperWriting.de“]. In diesem Beitrag erklärt der Autor den Ursprung und die Bedeutung seines Begriffs und zeigt, wie Musik ein Beispiel für MultiChronie ist.
MultiChronie als Methode der Erforschung von sich selbst und… [auf „HyperWriting.de“] In diesem Beitrag beschreibt der Autor, wie er seinen Blog als ein Instrument für MultiChronie nutzt und wie HyperWriting eine geeignete Methode dafür ist.

Mein Fazit: Wirklich erstaunlich, was die KI aus meinen im Internet zu findenden Informationen macht (andere gibt es noch nicht). Offensichtlich bin ich bisher der erste und einzige, der zum Thema „MultiChronie“ bisher publiziert hat. Daraus bastelt die KI einen doch recht eindrucksvollen und überzeugenden Text. Überrascht hat mich noch sehr, dass sie das mit der BinnenVersalie bemerkt hat und zitiert:

“ Er verwendet auch eine Binnenversalie (das große C) als Markenzeichen für seinen Neologismus.

Etwa viel wichtigeres aus meinem Konzept hat Chat GPT-4 allerdings nicht erkannt und auch nicht in seiner Bedeutung „verstanden“: Die Funktion der kleinen Tabellen (Matrizen) als Werkzeug, um multiChronal zu arbeiten. Beispiel:

Jahr                        Persönliche Ereignisse Historische Ereignisse
 Vergangenheit: „Woher komme ich?“ 
1961Während meines Studiums der Psychologie beginne ich mit einem Traum-Tagebuch, in dem ich verschiedene Assoziationen zu den Träumen notiere, die in verschieden Zeitabschnitte meines Lebens führen(1895: Sigmund Freud arbeitet an seinem Buch Die Traumdeutung. Ab Kap. 3 („Der Traum von Irmas Injektion“) beschäftigt er sich darin autobiographisch mit eigenen Träumen. Er führt dabei das Konzept der „Freien Assoziation“ ein, mit dem er verschiedene zeitliche Schichten des Traums freilegt und zu einander in Beziehung setzt – für mich so etwas wie eine erste Form „multiChronalen Denkens“.)
1973Ich zeige in meiner Studie Freud und das Kokain, dass die von Freud vorgestellten und analysierten eigenen Träume in dem Buch Traumdeutung eine Aufarbeitung seiner Kokain-Experimente von 1884-86 sind und damit ein wichtiger Anstoß zur Entwicklung der Psychoanalyse.In Gestalt des Novocain und seiner chemischen Abkömmlinge ist heute noch Freuds lokalanästhetische Anwendung des Kokains segensreich in Gebrauch. Dass dies nicht ihm zugeschrieben wird, hat damit zu tun, dass er diese Experimente aufgab und sie seinen Kollege Karl Koller fortsetzen ließ, der den Ruhm einheimste.
1980Ich kaufe den Roman Frankenstein – lese ihn aber erst 2003.Eine der vielen Verfilmungen ist Mary Shelleys Frankenstein von 1994 (Regie: Kenneth Brannagh).                 
1991Als Reaktion auf einen TV-Bericht über  H.M. Enzensberger (→) verwende ich in einer Notiz erstmals diesen Begriff:
„Die MultiChronie ist eine der typischen Friktionen innerhalb der multikulturellen Gesellschaft und zwischen den vielen Staaten der Erde. Sie ist, auf der Selbst-Ebene auch Bedingung für Kreativität: schnelles und langsames, ja fast zeitloses Denken müssen synchronisiert werden und wirken aufeinander ein.“
„Der Begriff der Ungleichzeitigkeit“ (Portrait H.M. Enzensberger in Südd. Zeitung vom 09. Feb 1991)
1996Ich beginne Meldungen und Artikel über das Phänomen der MultiChronie zu sammeln →„Hochmut mit Bart: Für glatt rasierte Männer will die streng islamische Taliban-Miliz in Afghanistan allenfalls eine Arbeit als Straßenkehrer erlauben. Die Gesichtsrasur, so die Begründung, verstoße gegen den Islam, Bartlose könnten keine ehrenhafte Tätigkeit ausüben.“  [Das zielt wohl in erster Linie gegen die Frauen und die Jugendlichen.] (Abendzeitung München vom 08. Jan1996). „Diese Pilger … An der Schwelle zum 21. Jahrhundert steht der Mensch mit einem Fuß im Mittelalter.“
(Südd. Zeitung Magazin 26. Jan 1996)
 Gegenwart: „Wer bin ich jetzt?“ 
2023Ich arbeite an einer Studie über MultiChronie in Zusammenhang mit meiner Autobiographie.Wenn man genau hinsieht, kann man überall MultiChronie entdecken: In Zeitungsartikeln, Fernsehberichten – und im eigenen Wahrnehmen und Denken.
 Zukunft: „Wohin gehe ich?“ 
(2030)Ich habe mich in meinen Science-Fiction-Erzählungen viel mit der Beziehung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschäftigt (s. 1957). Die  →→ aktuellen technischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen (Künstliche Intelligenz, Robotik, Digitalisierung, Raumfahrt, Energiewende) realisieren vieles davon in atemberaubender Geschwindigkeit – mit der drohenden Klimakatastrophe als Menetekel („Schrift an der Wand“) für die, welche es sehen wollen. MultiChronie pur: Denn in der jeweiligen Gegenwart werden die Tendenzen aus der Vergangenheit zu Weichen für die Zukunft.
Abb. 2: Kleine Matrix (Tabelle) mit drei Spalten (Archiv JvS)

Trotzdem ist dieses Experiment mit Chat GPT eine interessante Erfahrung – auch dass die KI keine fiktiven Quellen „halluziniert“ hat (wie sie es gelegentlich macht), sondern die drei im Internet (in meinem Blog „hyperwriting.de“) vorgefundenen Quellen korrekt erkennt und sauber zitiert: Respekt!

Meine Geschichte mit Kybernetik, Automatisierung und „Künstlicher Intelligenz (KI)“

Mit KI habe ich mich auch in einigen meiner utopischen Geschichten befasst – so in meinem zweiten Roman Sternvogel (1958 / 1962), worin sich am Schluss herausstellt, dass die abenteuerliche Heldenreise der Hauptperson durch die Milchstraße von einer gewaltigen Rechenmaschine inszeniert wurde.
In meinem dritten Roman Der geworfene Stein (1975) wird der künftige Stadtstaat München im Jahr 2075 vom Kyberneten regiert wird – einer KI tief unter dem Englischen Garten. Ein Kapitel daraus, in dem sich der Hauptfigur Jochen Schrödinger mit diesem Kyberneten verbindet (heute würde man sagen: in den virtuellen Cyberspace eintritt), habe ich hier im Blog unter dem Titel „Der metallene Traum“ erneut veröffentlicht, dazu die Vorgeschichte – als Anschauungsmaterial, wie ich Science-Fiction schreibe bzw. geschrieben habe, diesem wichtigen Teil meines Lebens und somit auch meiner Autobiographie.

303 _ # 1500 _ 12. Mai 2023/15:22

Post # 302: Veränderungen durch KI

Jetzt habe ich doch glatt den Jubiläums-Beitrag „Nr. 300″ verpasst. Aber dieser Blog-Post “ 300″ über meine Erfahrungen mit ADHS und Ritalin passt ganz gut zu so einem Jubiläum.
Als ich am 08. April 2020 meinen ersten Beitrag in diesem Blog veröffentlichte, nannte ich das „Mein CAN-Blog“ und bezog mich damit auf die gerade explodierende Corona-Pandemie:
„… Hier notiere ich alle zwei, drei Tage, was mich im Verlauf der der Corona-Krise privat und beruflich bewegt. Wieso dieser Name CAN-Blog? CAN – das ist ein Akronym. Es steht für: CoronaAttackeNützen – nämlich nützen für Chancen…

Jetzt sind zwei Jahre vorbei. Corona hat sich beruhigt (ich stelle mir das wie einen freilaufenden Tiger oder Bären vor, der irgendwo im Gebüsch im Dunkeln schnurrt oder brummt und auf das nächste Opfer wartet). Der viel bedrohlichere Klimawandel wird noch immer nur halbherzig von der Verbrenner-Auto-Fans der FDP wahrgenommen, die verzweifelten Aktionen der jungen Leute, die sich auf Straßen festkleben, werden kriminalisiert. Dynamische, exponentielle Entwicklungen kommen auf uns zu, die noch immer den meisten Menschen in höchster Ignoranz „am Arsch vorbeigehen“, wie man so treffend sagt.

Abb. 1: Schon 1949 warnte Jack Williamson (Abb. 2) vor den Folgen „Künstlicher Intelligenz“ in seinem Roman The Humanoids, in dem Roboter die Herrschaft über die Menschen übernehmen.

Aber „Hallo!, Leute“: Die neueste Veränderung, die unser aller Leben auf den Kopf stellen wird, „schnurrt“ und „brummt“ gerade auf den Seiten der Gazetten und im Fernsehen:

KI ist ihr Name

Wer Science-Fiction liest, konnte schon in den 1940er Jahren andenken, was da auf uns zukommt – zum Beispiel in Isaac Asimovs I Robot (2004 mit Will Smith in der Titelrolle sehr frei verfilmt im Kino) oder in Jack Williamsons The Humanoids (deutsch: Wing 4 – noch nicht verfilmt). Die Grusel-Filme Matrix und Terminator (mit Arnold Schwarzenegger als Brachial-Roboter) haben schon mal die Apokalypse angedacht: Was passiert, wenn eine KI intelligenter und mächtiger wird als ihre menschlichen Erschaffer?

Wer mit Chat GPT-4 experimentiert (oder mit dem noch nicht ganz so „starken“ Chatbot GPT-3,5), bekommt eine leise Ahnung davon, was da auf uns zukommt – zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt. Es geht schon los: Die Drehbuchautoren in Hollywood streiken aktuell auch mit dem Argument, dass KI ihre Arbeitsplätze gefährdet. Mit ähnlichen Argumenten entlassen bei uns in Deutschland die führenden Medienhäuser Springer und Burda derzeit mehr als 10.000 (!) Journalisten – die dann Bücher schreiben (mit Hilfe von KI, vermutlich) und Schreib-Seminare anbieten – oder was?

Die Pessimisten prophezeien, dass es nur anderthalb Jahre (!) dauern wird, bis die stärkste KI die Herrschaft übernimmt und schlimmstenfalls die Menschheit eliminiert. Und was machen wir dagegen? „Don´t look up“ rufen (wie im Film mit diesem Titel) und hoffen, dass der Komet resp. die KI nicht herniederfährt, wie die apokalyptischen Reiter in Zeiten von Armageddon und Ragnarök?

Oder werden die Optimisten (zu denen ich mich manchmal zähle) Recht haben und wir eine Menge Vorteile vom Siegeszug so einer KI haben?

Im nächsten Beitrag stelle ich ein Experiment vor, bei dem ich Chat GPT benützt habe, um ein Sachbuch zum Thema „MultiChronie“ zu entwickeln – hat gerade mal drei Minuten gedauert und erstaunlich effektive Ergebnisse geliefert. (Wer meinen Newsletter hyperWriter abonniert hat, konnte das schon vorab lesen).

Als Jack Williams 1965 bei mir in München zu Besuch war, bat ich ihn, mir eine Widmung in die deutsche Ausgabe Wing 4 seines Romans The Humanoids zu schreiben (s. Abb. 3). Er endete diese Widmung mit: “ – trusting that his cybernetic researches will not bring forth the humanoids!“ Muss man, glaube ich, nicht übersetzen.

Er bezog sich auf ein Seminar, das ich 1962 im Soziologischen Institut der Münchner Universität LMU durchführte, bei dem wir, etwa ein Dutzend Studenten aus verschiedenen Disziplinen, über neue Bücher zur Kybernetik diskutierten. Ich habe das damals nur in Form von Erzählungen weiterverfolgt, etwa in meinem Roman Der geworfene Stein. (s. daraus hier im Blog das Kapitel „Der metallene Traum„). Aber andere haben das in Form immer raffinierterer Experimente auch technisch wirksam weitergetrieben. Und heute sind wir genau bei dem Zustand der „cybernetik researches“, vor dem Williamson 1949 schon sehr anschaulich gewarnt hat. Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung kann man fast täglich darüber lesen. Und es ist kein Zufall, dass Themen wie das Bedingungslose Grundeinkommen und Forderungen der Gewerkschaft Verdi nach einer „32-Stunden-Woche“ immer lauter werden. Die Schrift steht groß und deutlich an der Wand (und die Wikipedia übersetzt das gerne):

Menetekel

Man sollte sie besser zur Kenntnis nehmen.

Abb. 3: Widmung von Jack Williamson in mein Exemplar von The Humanoids / Wing 4 (Archiv JvS)

Quellen
Asimov, Isaac: Ich der Robot. (1940 ff) Düsseldorf 1952 (Rauchs Weltraumbücher).
Cameron, James (Regie). Terminator I. USA 1984 (Orion).
Proyas, Alex (Regie): I Robot. USA 2004 ( Twentieth Century Fox).
Scheidt, Jürgen vom: Der geworfene Stein. Percha bei München 1975 (R.S. Schulz).
Wachowsky Brothers (Regie): Matrix. USA 1999 (Village Roadshow Movies).
Williamson, Jack: Wing 4 (The Humanoids). (USA 1949). Düsseldorf 1952 (Rauchs Weltraumbücher).

302 _ #1607 _ 11. Mai 2023/14:55