Respekt vor dem „Schwarm“

Der Verriss von Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung war heftig, ja geradezu bösartig – schon im billigen bayrischen Wortspiel mit dem Titel: „Der Schmarrn“. An der Serie gibt es gewiss mancherlei auszusetzen – aber sie verdient auch Lob und vor allem: Respekt. Das mit dem „Respekt“ ist im doppelten Wortsinn gemeint:
° Respekt vor dieser achtteiligen TV-Serie, die eine sehr schwierige Gratwanderung zwischen Werktreue (zum Roman) und heutigen Fernseh-Gewohnheiten recht passabel bewältigt,
° und vor dem, was Der Schwarm im Roman-Original von Frank Schätzing verkörpert – nämlich eine ungeheure Bedrohung der Menschheit durch die selbstverschuldete Umweltverschmutzung allüberall.

Abb. 1: Trailer-Collage zu der achtteiligen #TV-Serie Der Schwarm – vielversprechend und doch enttäuschend: Zweite Figur von links: Leon Anawak, fünfte von links: Charlie Wagner. (Quelle: ZDF)

Wie soll man allerdings einen Roman von genau 1001 (in Worten: tausendundeine) Druckseiten einigermaßen überzeugend in das Fernsehformat einer achtteiligen Serie übertragen?
Ich finde das Resultat insgesamt gelungen und sehenswert, obwohl Showrunner Luke Watson und die Regisseure sich beträchtliche Abweichungen vom Buch erlaubt haben: Zum Beispiel wurde aus der ursprünglichen Hauptfigur, dem indigenen Walforscher Leon Anawak, eine Nebenfigur, während eine junge Frau, die Meeresbiologin Charlie Wagner, in den Mittelpunkt rückte. Nette Verbeugung vor den veränderten Gender-Realitäten (die mir ansonsten durchaus sehr gefallen) – aber doch eine kräftige Verfälschung der ursprünglichen Geschichte.
Hingegen hat das „Pilchern“ (nämlich in der Art der Schmonzetten nach Rosamunde Pilcher), wie Schätzing das abschätzig bewertet, der Serie gut getan: Zwischenmenschliche Beziehungen (und Beziehungs-Kisten) sind nun mal wichtig im Leben. Erst wenn es richtig „menschelt“, ist man als Nicht-Fachfrau und –Fachmann bereit, solche kräftigen Prisen von naturwissenschaftlichem Tobak (noch dazu in der verfremdeten Form von doch recht verrückter Science-Fiction) zu akzeptieren. Da haben die TV-Macher durchaus richtig gehandelt, denke ich.
Wenn Schätzing so etwas missfällt –  dann hätte er dir Rechte nicht verkaufen dürfen. Mit so etwas musste er, der gewiefte Medienprofi, rechnen. Das im Nachhinein in Interviews mies zu machen (immerhin hat ihm das ZDF dafür sogar fairerweise eine Plattform geboten in Gestalt eines eigenen begleitenden Beitrags) zeugt nicht von Souveränität, sondern ist kleinliches Nachtreten.

Aber an der Serie selbst habe ich schon auch etwas auszusetzen: Es ist kein Wunder, dass bei jeder Folge etwa eine Million Zuschauer mehr ausgestiegen ist. Die einzelnen Kapitel bringen keine richtige Steigerung, und irgendwie ist da – trotz beachtlicher CGI – nicht das inspirierende Flair, das andere Serien (nicht nur aus der SF-Welt) durchaus haben. Weshalb man sie sich gerne noch einmal anschaut: Dieses Bedürfnis habe ich beim Schwarm überhaupt nicht. Gesehen, Neugier befriedigt – und abgehakt. Was schade ist. Denn das Thema der Umweltbedrohung in den Weltmeeren hätte, wie gesagt, etwas anderes verdient: Etwas Unvergessliches.

Heftiges Happyend

Was das total unglaubwürdige Hammer-Happyend angeht (religiöser Kitsch vom Tod durch Ertrinken und wundersamer Auferstehung): Die arme Charlie würde dort in der Arktis in der nassen Kleidung trotz Wiedererweckung binnen kurzem erfrieren.
Aber man kann das auch als tröstliches Happyend sehen. Kann man.

Frank Schätzing sollte sich mit seiner Kritik an der Serie allerdings lieber zurückhalten: Mit dem Schwarm hat er zwar bewiesen, dass auch in Deutschland eine doch recht voluminöse SF-Erzählung ein enormer Bestseller-Erfolg werden kann – keine geringe Leistung, wenn man bedenkt, dass nach der allmählichen Steigerung in den ersten beiden Dritteln, die sich jedoch in vertrauten Leseerfahrungen bewegen, das letzte Drittel zu einer wirklich yrren SF-Story mutiert, die jeden Nicht-SF-Fan eigentlich überfordern muss. Aber Schätzing hat dieses publizistische Wunder geschafft und damit der SF in Deutschland vielleicht viele neue Freunde zugeführt. Und das schon vor fast 20 Jahren, also bevor all diese SF-Blockbuster wie Avatar die Kinos stürmten.
Leider haben sowohl sein Folgeroman Limit wie der nächste Buch-Ziegelstein, Die Tyrannei des Schmetterlings (ein beliebiger Thriller im Multiversum, verwirrende wilde Zeitsprünge inklusive) längst nicht mehr das gehalten, was der Schwarm so überzeugend geliefert hat: Spannende SF-Unterhaltung, also Fiction, mit solidem Science-Hintergrund. Stattdessen langweilt der Autor in seinen späteren Werken passagenweise mit Informationen, die eitel seine Bildung beweisen – aber den Fortgang der Handlung mehr stören als antreiben. Da hätte eine kritischer Lektor hilfreich eingreifen müssen: Über die genaueren Hintergründe einer Revolution in Afrika muss ich wirklich keine Details erfahren, wenn ich wissen möchte, was mit einem futuristischen Weltraumaufzug und auf dem Mond passiert (s. Limit).

Meine Kritik an Schätzings Grundidee der Yrr in seiner Schwarm-Welt: Wie soll das funktionieren? Schon eine einzige Qualle, die im Ozean durch den Yrr-Schwarm treibt, würde die Kommunikation in diesem Pseudo-Gehirn aus Einzellern stören. Oder gibt es da so etwas wie urtümliche Telepathie? Ein typischer Logik-Fehler wie oft in der SF: Seelenwanderung bei Avatar, die „Macht“ und die Laser-Schwerter und Ritterrüstungen im Star Wars-Universum: keine Science-Fiction, sondern magischer Märchen-Mist.

Abb. 2: Umschlag der Romanfassung Der Schwarm von 2004 (Kiepenheuer & Witsch)

Quellen
Matzig, Gerhard: „Der Schmarrn“. In: Südd. Zeitung Nr. 42 vom 20. Feb 2023 (Feuilleton), S. 16.
Schätzing, Frank: Der Schwarm. (2004) Köln 2005 / 25. Aufl. (Kiepenheuer & Witsch).
Watson, Luke (Regie): The Swarm. ZDF März 2023.

294 _ #1503 _ 2023-03-24/20:25

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