Erste Wörter: „-eil -itle!“

(Aus aktuellem Anlass: Die Wahl ein Sachsen-Anhalt mit doch recht beunruhigenden Erfolgen der AfD, die immer weiter nach rechts rückt. Was mich motiviert, diesen Beitrag zu recyceln und zum → WanderPost zum machen.)
Versteht man das heute auf Anhieb – dieses „-eil -itle“? Im Dritten Reich hätte jeder sofort gespannt, dass dies nicht „Heil Kräuter“ heißen soll, sondern „Heil Hitler“. Warum ist mir das heute so wichtig, dass ich diesem unseligen Massenmord-Anstifter so viel Platz in meinem Blog einräume?
Ganz einfach: Er wurde mir – gerade über diesen obligatorischen Gruß – gewissermaßen von Geburt an akustisch eingepflanzt. Später sah ich ihn in jeder Wohnung in der Küche oder im Wohnzimmer an der Wand hängen, diesen „A H“, den man mit „H H*“ grüßte – gar nicht gezwungenermaßen in den meisten Fällen, sondern mit echter Begeisterung. Bei den meisten jedenfalls. In Rehau genau wie anderswo in deutschen Landen. (Nicht bei denen allerdings, die darunter gelitten haben und mit diesem Nazi-Gebrüll ermordet wurden.)

* Dass heute noch jemand wie dieser rechtsextreme Vegan-Koch und Querdenker Attila Hildmann die Initialen „AH“ verwendet – bloßer Zufall? Die beliebte, aber in Deutschland nicht mehr gut angesehene Autokennziffer „HH“ für „Hansestadt Hamburg“ wird von Neonazis jedenfalls gerne als eine Art Verehrung für ihren braunen Meister A H zu „Heil Hitler“ umfunktioniert.)

Abb. 1: Welcher Arm denn nun – der rechte oder der linke? Und dann ein strammes „-eil -itle!“ (Archiv JvS – Rehau 1941)

Meine Mutter hat mir einmal lange nach dem Ende des Dritten Reichs und nicht ohne Stolz erzählt, einer meiner ersten Sätze (der allererste Satz?), den ich sprach, sie die Erwiederung des Grußes gewesen, den ich im Kinderwagen von entgegenkommenden Bürgern immer wieder zu hören bekam, den ich aber logischerweise noch nicht verstand und nur automatisch nachplappernd wie ein Papagei so erwiderte: „-eil -itle“.

Heilsamer Exorzismus?

Vielleicht funktioniert dieses „hier im Blog Aufschreiben und Veröffentlichen“ wie ein heilsamer Exorzismus? Um diese uralte nazibraune Scheiße jetzt endlich mal wirklich loszuwerden, gegen die ich schon seit meiner Jugend ankämpfe?!

Oder haben all diese Leute vielleicht in Wahrheit gedacht, dass jener ominöse „A H“ krank sei und ein „Heil Hitler“ ihm wie ein Stoßgebet helfen könnte, „heil“ zu werden? Geholfen hat das jedenfalls endlose zwölf bzw. „tausend“ Jahre nichts. Und wenn ich alle paar Abende im Fernsehen eines dieser „Dokumente“ aus der Nazi-Zeit sehe (rasch weiterzappend, weil mich dieses manische Gegeifere abstößt), dann denke ich: Muss man diesem Monster und seinen Mörderbanden denn wirklich so viel Platz einräumen – seinen geschichtsblinden Nachbetern zur Freude?
Aufklärung, Aufarbeitung, entlarvendes Erinnern – schön und gut. Die Massenmedien haben diese Auftrag. Aber die Länge und Wichtigkeit, die da den schlimmsten Erscheinungen deutscher „Zivilisation“ eingeräumt wird – ist sie nicht nur ein ständiges Freudenfest für „seine“ Verehrer am rechten Rand?


Drückeberger-Gässchen ohne „H H“

Mein Großvater mütterlicherseits war zwar ein Militarist, der sich zweimal für die „deutsche Sache“ in einem Weltkrieg „geschlagen“ hat (und deshalb habe ich in diesem Blog noch manches Hühnchen mit ihm zu rupfen) – aber wenn der Major und Architekt (in dieser Reihenfolge, bitte) Karl Hertel sen. in München geschäftlich zu tun hatte und dazu in die Altstadt musste
° und dabei am Odeonsplatz eigentlich die SS-Ehrenwache vor der Feldherrnhalle zum Gedenken an den Hitlerputsch von 1927 mit nach oben gestoßenen rechten Arm und einem zackigen „Heil Hitler“ hätte grüßen müssen,
° machte er lieber, wie so mancher nazi-kritischer Münchner den Umweg durch die Viscardi-Gasse hinter der Feldherrnhalle, welche die Einheimischen deshalb „Drückeberger-Gässchen“ nannten.

Denn er verabscheute diesen „Anstreicher“ aus Braunau. Was ihn seltamerweise nicht hinderte, meine Nazi-Vater (in jenen braunen Tagen) als Schwiegersohn zu schätzen – und als Major und Regiments-Kommandeur der Deutschen Wehrmacht in der besetzten Ukraine zu tun, was sein oberster Kriegsherr ihm dort zu tun befahl (wovon ich zum Glück keinerlei Ahnung habe – aber mir so manches denken kann und muss).

„-eil -itle“ – oder „Heilt Hitler“?

Er war nicht zu heilen, dieser Fürst der Finsternis – ach was: „Fürst“. Er war ein kleinkarierter Gernegroß mit einer Riesenklappe, mit der er leider allzu viele Menschen besoffen im gemeinsamen Größenwahn machte, dadurch echte „Großmacht“ bekam und sie schändlich missbrauchte. In Wahrheit war er –

Forget it!

Schade um jede Minute, die ich an ihn verschwende, der Sehnsucht manches Kabarettisten zum Trotz. Liebe heile ich mein Inneres Kind von all diesen Antisemiten, indem ich ihnen die Worte eines jüdischen Arztes und Psychologen entgegenhalte, der empfahl: „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“.
„Negermusik“ wie der Jazz und der Rhythm´n´Blues, sind ein gutes Antidot. Und die Science-Fiction, die das Andere, das Fremde (Aliens) feiert – die den Horizont erweitert und nicht einengt wie die rückwärtsgewandte Deutschtümelei der Ewiggestrigen am rechten Rand der Gesellschaft, die keine Ahnung davon haben, wie es damals „wirklich“ war..

Es geht vor allem um das Durcharbeiten. Um das Aufarbeiten. Und dann um das Loslassen. Irgendwann.

Quelle
Freud, Sigmund: „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ (1914). In: Ges. Werke Bd. X.

064 _ aut #096 _ 2021-06-13/19:04 [wandert: 2021-01-19/17:57]

Ein Kommentar zu “Erste Wörter: „-eil -itle!“

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