Intertemporale Freiheitssicherung

Jetzt wird es interessant: Das höchste deutsche Gericht hat sich eingemischt und dem Begriff MultiChronie nicht nur eine neue Variante hinzugefügt – sondern dies gleich noch juristisch festgeschrieben und quasi über Nacht staatsstreichartig dem Grundgesetz hinzugefügt:

Die heute Verantwortung tragenden Generationen (also die „Älteren“ und die „Alten“, die wählen dürfen) habe nicht nur eine so dahingesagte „Verantwortung für die nachfolgenden Generationen“ (und letztlich auch für sich selbst im höheren Alter, so in dreißig, vierzig, fünfzig Jahren) – sie müssen im Heute aktiv das Morgen mitdenken und juristisch festzurren. Dies der überdeutliche Auftrag an die deutsche Politik.

„Intertemporal“ ist das neue juristische „multiChronal“ (Archiv JvS)

Das Bundesverfassungsgericht hat dies in den etwas sperrigen Begriff „intertemporale Freiheitssicherung“ gegossen.

Das ist nicht mehr nur ein Spielen mit „Was wäre wenn“ wie in der Science-Fiction – das ist ein: So wird es wahrscheinlich kommen – und das müsst ihr ab sofort in euren heutigen Entscheidungen und Weichenstellungen mit bedenken!

Also Ausstieg jetzt aus der Kohle und aus anderen fossilen Energien (und auch aus der für unzähligen nachfolgenden Generationen so hochgefährlichen Atomenergie!) und aus der Technologie der Verbrenner-Autos nicht erst „im Jahr 2030“ oder 2040 oder gar ( weil die entsprechenden Industrien noch länger schonend) im Jahr 2050 – also am Sankt-Nimmerleins-Tag, für den wir ja keine besondere Verantwortung haben –

– sondern heute und hier Einstieg in umweltschonende, ressourcenschonende, nachhaltige Energien und Technologien!

Hätte man das bei der Technikfolgenabschätzung zur Atomenergie schon in den 1950er Jahre bedacht – oder bei der Einführung der Benzin- und später der Diesel-Technologie um 1900 – oder bei welcher Technologie auch immer, die unsere Zivilisation so dramatisch vorangebracht hat –
– dann müssten wir uns heute wohl nicht solche Sorgen um die anlaufende Klimakatastrophe machen.

Reiner Zufall, bestens zum Thema passend: Gestern war es am 10. Mai 2021, einem Frühlingstag, hochsommerliche 35° heiß (wie ich beim Vorbeiradeln an einer Apotheke angezeigt sah) – so extrem warm, dass ich nach einmal heimgefahren bin und meine dunkelbraunen Cordhose gegen eine leichte helle Sommerhose umtauschte und das viel zu dichte langärmlige Hemd gegen ein luftiges kurzärmliges. Klar, heute ist das Thermometer schon wieder 20° Grad (!) tiefer gefallen, auf frische 15 Frühlings-Grad – heute, das ist das Gewohnt-normale – gestern, das war das, was uns in der Zukunft immer häufiger blüht – auch wenn dieser April 2021 seltsamerweise der kühlste seit 40 Jahren war.

Aufwachen, Leute! Die vom Bundesverfassungsgericht sind es endlich auch: aufgewacht. Und die CDU-CSU und ihr Anhängsel SPD in der „Großen Koalition“ wollen das Klima-Thema aus dem Wahlkampf der kommenden Monate am liebsten heraushalten („Klima-Konsens!“ mahnen sie) – weil ihnen die Erfolge der Grünen Muffensausen machen – endlich!

Das nenne ich MultiChronie pur: die heutige ZeitSchicht und die erst noch kommenden ZeitSchichten mit zu bedenken, sogar nahezu in eins zu denken. Und nicht so tun, als gehe uns das nichts an, was für eine Zukunft wir den heute Fünfjährigen oder Zehnjährigen bereiten – bei denen uns schon das Schulschicksal in Corona-Zeiten am Arsch vorbeigeht, nicht wahr?

Umso eindrucksvoller finde ich es, dass mir der oben zitierte Begriff „intertemporale Freiheitssicherung“ zum ersten Mal – rein zufällig (sonst lese ich dort nur die Witze) – in der Kinder-Beilage der Süddeutschen Zeitung begegnet ist (Cadeggianini 2021).

Quellen
Cadeggianini, Georg: „Weitersehen“. In: Südd. Zeitung für Kinder vom 08./09. Mai 2021.
Ladeur, Karl-Heinz: „Freiheit als Anspruch auf staatliche Lenkung?“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung online vom 05. Mai 2021.

aut #962 _ 2021-05-11/13:02

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