Tribute to Tina Turner

Was für eine großartige Künstlerin! Und was für ein schwieriger Weg, sich aus der dreifachen Unterdrückung freizumachen:
° erst durch ihre Herkunft aus ärmlichsten Verhältnissen schwarzer Farmer im Süden der USA,
° dann durch ihren gewalttätigen Mann Ike Turner
° und schließlich durch die Aufgabe ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft für die schweizerische, um dem alltäglichen Rassismus der USA den Stinkefinger zu zeigen.

Abb. 1: Tina Turner als Wüstenkönigin (1985 Kennedy Miller Prod.) und (Abb.2) als Königin des Rock´n´Roll auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: 1996 in Amsterdam vor 150.000 Fans (Eagle Rock Entertainment)

Gestern, am 24. Mai 2023, ist sie in Küsnacht am Zürichsee, ihrer zweiten Heimat, nach langer Krankheit gestorben. Das Cover vom Film Mad Max: Jenseits der Donnerkuppel ist verräterisch: Obwohl die stärkste Figur des Films, muss sie hinter Mel „Mad Max“ Gibson zurücktreten. Aber wenn etwas von diesem Doomsday-Film bleibt, dann ihr dramatischer Song „We don´t need another hero“.

Auf der DVD vom Amsterdam-Konzert September 1996 tritt sie mit drei Tänzerinnen und Begleitsängerinnen auf, die sie – obwohl gut dreimal älter – locker an die Wand spielt mit ihrer unglaublich intensiven Performance und Songs, welche alle weit oben oder an der Spitze der internationalen Charts standen und wegen ihrer Qualität lange überdauern werden:

„Whatever you want“
„River Deep, Mountain high“
„Undercover Agent of the Blues“
„What´s love got to do with it“
„Private Dancer“
– und nochmal der Titelsong „We don´t need another hero“ aus dem Donnerkuppel-Film. Unglaublich intensive Songs, mit denen sie aus dem Ghetto des nachtschwarzen Rhythm´n´Blues“ herausgetreten ist und ein riesiges weltweites Publikum jenseits aller Farb-Schranken erobert hat: Zum Beispiel bei ihrem Amsterdam-Konzert, das obige DVD großartig dokumentiert.
Bei dieser Europa-Tour 1996 gab sie 150 Shows vor drei Millionen begeisterten Fans – das muss man erst einmal körperlich und emotional durchstehen! Das muss man sich erst einmal trauen: in diese gewaltige wogende Menschenmenge auf der Rampe hineinzulaufen und dann auch noch treffsicher zu singen!
Dazu die vielen kleinen berührenden Szenen, etwa wenn sie auf der Bühne mit ihrem Saxophonisten-Macho turtelt und ihm plötzlich vergnügt einen Klaps auf den strammen Hintern gibt. Oder die kleinen Duette mit den Gitarristen, das perfekte Zusammenspiel mit ihren wilden Gogo-Girls.

Die DVD enthält außerdem als Bonus-Track ein Interview mit ihr, bei dem man sie von einer sehr privaten Seite kennenlernt. Sie war eben nicht nur eine brillante Entertainerin, die alles geschafft hat, was man in der Welt der Unterhaltungsmusik auf die Bühne stellen kann. Sie zeigte zudem in einigen herausragenden Songs wie „Addicted for Love“ ihre verletzliche Seite hinter der wildmähnigen Rampensau. Sollte es einmal so etwas wie ein „World Song Book“ geben, wird so mancher Titel von ihr darin einen Ehrenplatz finden.
In einem Nachruf der Süddeutschen Zeitung von Tanja Rest fand ich den Hinweis, dass sich unter Tina Turners Vorfahren nicht nur Afroamerikaner, sondern auch Ureinwohner Amerikas (früher sagte man „Indianer“) befanden – denen die Künstlerin mit dem Namen ihrer Villa am Zürichsee Achtung zollte: „Villa Algonquin“.

Abb. 3/4: Booklet und Doppel-CD von Tina Turners Europa-Tour 1985 – mit allen großen Hits ihrer Karriere (Capitol Records 1988).

Was für eine tolle Frau, in jeder Hinsicht. Sie verkörperte in der großartigen Welt des Jazz eine ganz spezielle Variante, die mehr in Tanzkneipen passt als in rauchige Jazz-Keller oder auf Konzertbühnen, aber nicht weniger ausdrucksstark sein kann als ein Saxophon-Solo von John Coltrane. Wäre ich jetzt noch der bluesbegeisterte Jugendliche von 1958/59, der sich den Rhythm´n´Blues in mancher amerikanischen Soldatenkneipe in München wie dem „Schmuckkast´l“ am Rosenheimer Platz mühsam erobern musste, würde ich jetzt gerührt rufen:

„We miss you, Tina!“

Aber warum nicht auch mit 83 einer gleichaltrigen Sängerin denselben begeisterten und zugleich traurigen Abschied geben.

308 _ #1672 / 29. Mai 2023 (Überarbeitung) / 25. Mai 2023/19:47

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