Glücksmoment: A rose is a rose

Hier haben einst Soldaten für den Krieg geübt, auf dem ehemaligen Kasernenareal an der Schweren-Reiter-Straße / Infanteriestraße. Vor einigen Jahren, als ich in dieser neu aufblühenden Ecke der Stadt im Combinat 56 erst 2011 einen Co-Working-Platz und dann (bis Sommer 2020) Seminarräume mietete, erzählte uns mal ein Seminarteilnehmer (und deutete dabei nach draußen), „hier bin ich noch als Rekrut im Schlamm herumgerobbt“.
Nach Mauerfall und Wende und Wiedervereinigung 1989/90 wurden unzählige Kasernen und Truppenübungsplätze aufgelöst und auch dieses ganze Areal. So entstand hier im Münchner Ortsteil „Schwabing West“ am Ackermannbogen ein großartiger neuer Wohnbereich. Hier gibt es seit diesem Neuanfang 2005 das Café „Rigoletto“ – mein Lieblingscafé (das nur ab und zu Konkurrenz vom „Café Klenze“ in der Alten Pinakothek und dem kleinen Café im Innenhof der Glyptothek bekommt – wenn ich mich mit jemanden näher am Stadtzentrum treffen möchte).
Hier, im „Rigo“, habe ich schon oft während der Seminare mit den Teilnehmern gegessen, Kaffee getrunken, geschrieben. Oder unter der Woche allein oder mit einem anderen Besucher geratscht. Weil ich mich hier so wohl fühle und fast so etwas wie ein „zweites Wohnzimmer“ habe. Hier bekomme ich vom Kellner Antonio die aktuelle Süddeutsche und am Morgen zwei „Zimti“ zum „großen Cappuccino“ – oder am Nachmittag statt den Zimtbrötchen eine dieser wunderbaren (und für das Körpergewicht höchst gefährlichen) Torten: Mascarpone Limette, Dreifach-Schokolade , Weiße Trüffelschokolade oder das herrlich pinkfarbene Mascarpone Himbeer. Antonio und seine Kolleginnen wissen, was einem mundet (oder was am Morgen die noch „dramhapperten“ Lebensgeister weckt). So wusste in den bekannten Wiener Literaten-Cafés wie dem „Hawelka“ das Personal (und weiß es auch heute noch), was die Stammgäste brauchen, um sich wohl zu fühlen. Aber das gibt es auch in München – wenn man weiß, wo.

Abb. 1 Rosenblüte der Art, aus der (Abb. 2) dieser Strauch entstanden ist, der sich um die Säule im Vordergrund am Café Rigoletto“ emporrankt und demnächst hoffentlich wieder solche Blüten tragen wird (Archiv: JvS 2023)

Glücksmoment mit Rosenstrauch

Aber bleiben wir beim „Rigoletto“. Vergangenen Freitag (ich hab´s mir notiert: 12. Mai 2023, 10:00 Uhr) hat mir die Chefin, Frau Sabine Pour, einen echten Glücksmoment beschert. „Kommen Sie bitte mal mit“, sagte sie geheimnisvoll, „ich will Ihnen etwas zeigen.“ Und dann deutete sie außen vor dem Café zu einer Säule, an der sich ein Rosenstrauch emporrankt. Er trägt noch keine Blüten – aber links (oben im Bild) sieht man so ein Prachtexemplar der Art, die es demnächst hier zu bestaunen sein wird. Aus so einer Rose ist nämlich dieser Strauch entstanden:
„Vor drei Jahren haben Sie mir eine Rose geschenkt. Die habe ich eingepflanzt und jetzt hierher versetzt.“
„Vor drei Jahren? Das muss an meinem 80. Geburtstag gewesen sein, den wir Anfang Februar hier gefeiert haben.“
Ein echter Glücksmoment, wie gesagt.

Auch andere Mütter haben schöne Töchter

In München gibt es Hunderte von Cafés. Man kann nicht alle kennen – aber einige sollte man doch einmal besucht haben: Das Jasmin in der Augustenstraße, bei der U-Bahn-Haltestelle „Theresienstraße“. Gleich dort, beim Ausstieg aus der U-2, befindet sich auch das Höflinger. Dort lese ich gerne die Zeitung, wenn die Zeit mal knapp ist. Es wird von denselben freundlichen Pächtern betrieben wie das Höflinger bei der Uni in der Schellingstraße, gleich bei der Amalienstraße – früher das „Antiquariat Hauser“ (von dem man Reste als Ambiente gerettet hat).
Am Sendlinger Torplatz, beim Beginn der Pettenkoferstraße, ist das gemütliche Café Mozart.
Unbedingt mal besucht haben sollte man auch das Café Vorhoelzer Forum auf dem Dach der Technischen Universität – mit einem grandiosen „Blick von oben“ auf ganz München. Letzteres bietet natürlich unübertrefflich das Restaurant mit Café hoch oben auf dem Olympiaturm – das sich auch noch ständig dreht und so (wenn das Wetter günstig ist) den Blick öffnet mal auf die Alpen im Süden, den Schuttberg im Norden mit der Allianz Fußball-Arena und im Osten dem sehenswerten Vier-Zylinder des BMW-Werks (gleich gegenüber übrigens in der BMW-Welt auch mit einem sehenswerten Café).
Ganz speziell war früher auch das Café Rischart an der Leopoldstraße. Als wir noch in der Seestraße am Englischen Garten wohnten, war das oft unser Treffpunkt – ähnlich wie das Café Münchner Freiheit. Leider wurde das Rischart zunehmend dezimiert – erst verschwand oben im ersten Stock der Balkon mit dem Blick auf die quirlige Straße, dann die ganze erste Etage und unten wurde es auch immer ungemütlicher. Tempi passati – aber immer noch mit schönen Erinnerungen verbunden: Ich habe dort sogar mal eine Lesung veranstaltet, mit Geschichten aus meiner Collection Blues für Fagott und zersägte Jungfrau.

Am Rilke-Grab und bei Gertrude Stein

Zurück zur Rose. Das löst Erinnerungen aus an die Seminare „Wandern und Schreiben“, die ich viele Jahre in Bürchen im Schweizer Kanton Oberwallis durchgeführt habe. Eine der Wanderungen, die wir mit jedem Workshop machten, um Eindrücke für das Schreiben zu sammeln, führte auf die andere Seite des Rhone-Tals, nach Raron. Dort besuchten wir oben bei der alten Kirche mit den grusligen Höllen-Fresken das Grab von Rainer Maria Rilke, der dieses geheimnisvolle letzte Gedicht genau für diesen Platz und sein Grab verfasst hat:

Rose, oh reiner Widerspruch,
Lust,
Niemandes Schlaf zu sein
Unter so viel

Lidern.“

Im Internet hat jemand dazu assoziiert: „Wer sich in das aus 12 Wörtern bestehende Labyrinth begibt, sieht zunächst die rätselhafte Rose in verschiedenen Schattierungen. Bald scheint sie ein Bekenntnis zur Lebensfreude und Sinnenlust zu sein, bald radikale Absage und Verneinung. Mancher Betrachter sieht in ihr die Verkörperung des reinen Widerspruchs, anderen erscheint das ganze Versgebilde wie eine schlafende Schönheit, die nicht zu wecken ist“. (Schmoll)
Ich habe meinen Seminarteilnehmern empfohlen, sich das Gedicht Wort für Wort zu eigen zu machen, vielleicht mit einem Cluster erst jedem der Begriffe nachzuspüren – und daraus ein eigenes Gedicht zu gestalten – etwa ein Haiku (dem Rilkes Original schon sehr ähnlich ist) oder auch was ganz anderes.
Vielleicht etwas in dieser Art – von Gertrude Stein, ihr wohl berühmtestes Poem „to kill all poems“:
A rose is a rose is a rose is a rose

ZeitFaden Rosenranke

Und hier beim Café Rigoletto, zu dem ich nun zurückkehren möchte. wächst sie hoffentlich demnächst wieder, eine Rose aus einer Geburtstagserinnerung, die sich durch drei Jahre rankt und nun hier darauf wartet, demnächst neue Blüten zu öffnen. Hier entsteht am „Rigoletto“ buchstäblich das, was ich im Rahmen meiner Überlegungen zur MultiChronie einen ZeitFaden nenne – eine ZeitRosenranke in diesem Fall. Das verführt zum Dichten:

Rankt eine Rose empor
Streichelt mit Blüten mein Ohr
Farbe und Duft betören den Tor


Ist kein Haiku, kein Limerick nicht
Trotzdem ist es ein echtes Gedicht
Damit schleich ich mich fort

als reimender Wicht

Quelle
Schmoll, Renate – file:///C:/Users/User/Downloads/_journals_zrgg_37_4_article-p355_7-preview%20(4).pdf

305 _ #1615 _ 15. Mai 2023/18:20

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