„Bücher sind durch Druck…

… entwertetes Papier“. Dies ist einer der beiden Sätze, die der Verleger Bertold Spangenberg von der Nymphenburger Verlagshandlung geäußert hat, während ich 1969 bei ihm als wissenschaftlicher Lektor tätig war und die sich mir tief eingeprägt haben.

Die Begegnung mit diesem eindrucksvollen Mann hat mir vieles gegeben. Auch nach meinem „Mondflug-Jahr“ bei ihm im Verlag haben wir noch oft zusammengearbeitet, weil ich bei der Nymphe (wie wir den Verlagsnamen abkürzten, der vom Standort im Münchner Stadtteil Nymphenburg rührte) meine ersten eigenen „richtigen Bücher“ veröffentlicht habe.

Es gab zwar zuvor schon meine beiden Romane → Männer gegen Raum und Zeit und → Sternvogel – aber das waren auf billiges holzhaltiges Papier gedruckte Leihbücher, die eher in die Schmuddelecke des Verlagswesens gehörten als in die seriöse Bücherwelt, die in den Feuilletons der Medien Beachtung fanden und als „richtige Literatur“ eingeordnet wurden.

„Bücher sind durch Druck entwertetes Papier“ besagt genau dies: Solange die „Rohbögen“ noch nicht mit Text welcher Art auch immer bedruckt worden sind, stellen sie ein kostbares Gut dar, das man notfalls an einen anderen Verlag oder eine Druckerei weiter veräußern kann. Erst wenn sie durch den Druck gewissermaßen ihren „Aggregatzustand“ geändert haben, sind sie etwas völlig Neues:
Ein Roman, ein Sachbuch, eine Anthologie mit Gedichten oder Kurzgeschichten, ein Reader mit Artikeln zu einem Thema wie → „Psychoanalyse“. In dieser neuen Form können sie
° ein Riesenerfolg mit Millionenauflage werden
° oder wie Blei in den Buchhandlungen liegenbleiben, bei der nächsten Inventur ausgemustert und als Remittende an den Verlag zurückgeschickt, allenfalls noch als Ramschware billig verhökert (wovon der Autor keinen Cent mehr als Honorar bekommt) – eben als „durch Druck entwertetes Papier“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Papier, egal in welcher Erscheinungsform, bedruckt oder unbedruckt, so rar geworden, dass man ein neues Buch in den Läden nur für einige Kilo Altpapier zusätzlich zum Buchpreis bekam. Mein allererstes selbst erworbenes Buch Auf unbekanntem Stern von → Anton M. Kolnberger wird mich immer an diese Tatsache erinnern.

Für die Nymphe habe ich zusammen mit → Wolfgang Schmidbauer das → Handbuch der Rauschdrogen geschrieben. Die Idee dazu stammte vom Verleger, der von Haus aus eigentlich Chemiker war und in der turbulenten Nachkriegs-Mangelzeit das Glück hatte, eine der kostbaren Lizenzen für die Gründung einer Zeitschrift (Der Ruf) und eines dazugehörigen Verlags zu bekommen – und somit auch die Lizenz zum Erwerb des nötigen Papiers.
Parallel zum Drogen-Handbuch stellte ich meine erste Anthologie zusammen: → DAS MONSTER IM PARK.

Beide Bücher wurden ein großer Erfolg:
° Das Handbuch von 1971 bis 2004 – also über 33 Jahre hinweg – in elf immer wieder neu bearbeiteten und aktualisierten Ausgaben, mit einer Gesamtauflage, die ich im Rückblick nur schätzen kann auf mehr als 150.000 – also das, was man einen Longseller nennt.
° Das Monster erschien ebenfalls in mehreren Auflagen bei der NyV, dann als Taschenbuch bei dtv in vier Auflagen und beim Bertelsmann-Lesering.

Zu den Büchern, die ich als Lektor initiierte und betreute, gehörte die Autobiographie Meine Musik – mein Leben des weltberühmten indischen Musikers Ravi Shankar, der viel bekannter als „Guru der Beatles“ wurde (obwohl seine eigenen Ragas mindestens so wichtiges Kulturgut sind, wenn auch finanziell sicher nicht so erfolgreich). Übersetzt hat das Buch übrigens meine erste Frau Elke – die Discographie habe ich zusammengestellt.
Als SF-Aficionado bin ich auch stolz darauf, den exzellenten Roman Flowers for Algernon von Daniel Keyes (1927-2014) nach Deutschland geholt zu haben. Die Fassung als Kurzgeschichte wurde sowohl mit dem Hugo- als auch dem Nebula-Award ausgezeichnet, die erweiterte Langfassung bekam 1966 ebenfalls den Nebula und wurde verfilmt. Diese Verfilmung mit dem – leider sehr nichtssagenden – Titel Charly kam 1969 auch in die deutschen Kinos.
Letzteres war einer der beiden Gründe, dass Spangenberg den Roman für die NyV ankaufte (wodurch die Originalausgabe bei einer Aufräumaktion im Lektorat in meinen Besitz kam – leider nicht vom Autor signiert).
Der zweite Grund war einer dieser wunderbaren Zufälle: Die Filmmusik schrieb und spielte Ravi Shankar. Davon versprach sich der Verleger einen positiven Effekt sowohl für den Charly-Roman als auch für die parallel erscheinende AutoBio von Ravi Shankar. Dieser Effekt trat wohl auch ein, nicht zuletzt weil die damals sehr florierende Zeitschrift twen einen Bericht über den Film und die beiden Bücher brachte, nachdem ich in der Redaktion das Interesse dafür geweckt hatte.

Flowers for Algernon (Charly) handelt übrigens von der tragischen Geschichte eines schwachsinnigen jungen Mannes namens Charly, der durch ein wissenschaftliches Experiment für kurze Zeit zum hochbegabten Genie wird – und auf dem Höhepunkt seiner Karriere erkennen muss, welches Schicksal ihm blüht: Seine eigenen Experimente mit einer Labormaus namens Algernon legen nahe, dass auch seine eigenen geistigen Hochleistungen wieder auf das Anfangsstadium der Schwachsinnigkeit zurückfallen werden.

Forts. → Der Duft des Jasmin

Quellen
Keyes, Daniel: Flowers for Algernon. (New York 1959/1966 _ Hartcort, Brace and World). München 1970 (Nymphenburger Verlagshandlung).
Nelson, Ralph (Regie): Charly (Flowers for Algernon). USA 1968 – nach dem Roman von Daniel Keyes.
Scheidt, Jürgen vom (Hrsg.): Das Monster im Park. Erzählungen von Wernher von Braun bis Arthur C. Clarke. München 1970 (Nymphenburger Verlagshandlung).
Schmidbauer, Wolfgang und Jürgen vom Scheidt: Handbuch der Rauschdrogen. (München 1971 ( Nymphenburger Verlagshandlung) 11. Ausgabe 2003. Parallele Taschenbuch-Ausgabe Frankfurt am Main Nov 2004 (S. Fischer).
Schmidbauer, Wolfgang (Interview: Fries, Carolin): In: Südd. Zeitung Nr. 143 vom 25. Juni 2021, S. R08 (Lokales).
Shankar, Ravi: Meine Musik, mein Leben. (New York 1968 _ My Music – My Life) München 1969 (Nymphenburger Verlagshandlung ).

aut #1069 _ 2021-06-26/14:22

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