Labyrinthiade: Fünf Kreise von Figuren

(Diesen Text wollte ich schon lange mal überarbeiten und hier im Blog veröffentlichen. Ich hatte ihn ursprünglich 2007 für meinem früheren Labyrinth-Blog verfasst. Hier ist er nun, frisch poliert und illustriert:)

Abb.: Der Sturz des Ikaros – unten ist das Labyrinth-Gefängnis auf Kreta angedeutet – in der Ferne gleitet Vater Daidalos Richtung Sizilien davon (Aquarell Alfred Hertrich 2007).

Theseus – Ariadne – Minotauros – Minos – Daidalos – Ikaros – eine Fülle von Figuren bevölkern die Geschichte(n) um das kretische Labyrinth. Genau genommen sind es fünf Kreise von Figuren, deren Insgesamt ich als LABYRINTHIADE bezeichne.

1. Den Ersten (Innersten) Kreis bildet die klassische HELDENREISE des athenischen Prinzen Theseus, der im Labyrinth mit dem Minotauros kämpft, wobei ihn die Prinzessin Ariadne mit dem nach ihr benannten Ariadnefaden* unterstützt.

*Ob dieser Faden „rot“ war, wie ich gerne schreibe, ist unsicher. Manche Quelle nennen die Farbe, in der Originalsage wird darüber nichts berichtet. Für mich ist er immer „rot“ gewesen: Rot als Farbe der Liebe (von Theseus zu Ariadne) – und der Aggression (Tötung des Minotauros). Das würde auch gut zum sprichwörtlichen „Roten Faden“ passen, der ja hilft, Ordnung in Texten zu schaffen – oder eben aus einem Irrgarten/Labyrinth herauszufinden.

2. Im Zweiten Kreis finden wir Daidalos, den Erbauer und bald auch Gefangenen des Labyrinths, der mit seinem Sohn Ikaros (den er mit der Sklavin Naukrate zeugte) mit Hilfe künstlicher Flügel aus dem Labyrinth flieht. Je nach Variante stürzt Ikaros ab und ertrinkt – oder wird gerettet. (Die erste, tragische Variante ist eindeutig die beliebtere.)
Daidalos wurde aus Athen verbannt, weil er aus Neid seinen ebenfalls sehr begabten Neffen und Lehrling Perdix ermordet hatte. König Minos bot dem genialen Flüchtling gerne Asyl – bis er der Gemahlin des Königs die künstliche Kuh baute, in der sie sich vom Poseidon-Stier bespringen ließ, was zur Geburt des stierköpfigen Minotauros führte.
Eine wirklich wahnsinnige Geschichte und so etwas wie der Ursprung der modernen Science-Fiction., in der solche Mad Scientists und ihre Erfindungen ja ein wichtiger Topos sind – Mary Shelleys Frankenstein-Roman führte das dann 1816 kongenial weiter.
In diesen Zweiten Kreis gehören aber auch König Minos, als Auftraggeber für den Bau des Labyrinths, und seine Gattin Pasiphaë sowie Minotauros, der gefräßige Bankert, für den das Labyrinth als Aufenthaltsort bzw. Gefängnis durch Daidalos erbaut wird.
(S. auch den Beitrag Erfand Daidalos den ersten Roboter? )

3. Den Dritten Kreis bevölkern Figuren, die in der kretischen Phase der Labyrinth-Erzählung direkt nicht auftauchen, aber wichtig für den Fortgang der ganzen Geschichte sind:
Theseus´ Vater Aigeus (auch Ägäos – nach ihm ist das Ägäische Meer benannt), König von Athen, der sich vor Gram in den Tod stürzt, als der heimkehrende Sohn das Segel mit der falschen Farbe setzt (statt rot für Leben schwarz für Tod – was dem Sohn praktischerweise den Thron freimacht). Dann Medea, die Stiefmutter des Theseus, die ihm mit Gift nach dem Leben trachtet; sowie Phädra, Schwester der Ariadne, die Theseus später heiratet.

4. In einem noch weiter vom Kern entfernten Vierten Kreis finden wir schließlich Figuren, die nur noch sehr indirekt mit dem eigentlichen Geschehen verbunden sind: Zeus und die von ihm entführte Prinzessin Europa (werden Eltern des Minos), Odysseus, Ödipus und seine Tochter Antigone, Jason (von den Argonauten, Geliebter der Medea), Hippolytos (Sohn des Theseus mit der Amazonenkönigin Hippolyte – in den sich tragischerweise Theseus´ zweite Frau Phädra verliebt)e. Dazu die Götter Helios (Vater von Pasiphaë), Dionysos (dem Ariadne als Priesterin versprochen war), Poseidon (angeblich der wahre Vater des Theseus). Und noch einige andere mehr.

5. Schließlich gibt es weit draußen an der Peripherie noch einige Gestalten, die man einem Fünften Kreis zuordnen könnte. Das sind Menschen unserer Tage – oder auch Objekte – die Namen aus der Labyrinth-Geschichte tragen.
Allen voran ist da Ariane – sowohl als Frauenname absolut modern (s. den Film Good Bye, Lenin! ) wie auch als Name der wichtigsten Rakete der Europäischen Raumfahrt Agentur (ESA). Aber auch Ikarus und Dedalos sind als Raumschiffe im Angebot, Theseus ist der Name eines Verlages, Minotaurus Titel eines Films und das Labyrinth selbst geistert unaufhörlich durch die Medien, auch als Buchtitel (z.B. Das verlorene Labyrinth von Kate Moss) und als Filmtitel (Pans Labyrinth – räumte 2007 sieben Oscars ab)

318 _ aut #966 _ 29. November 2023 / 20:39 (2007 im Labyrinth-Blog als LdS #127)

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