Vor etwa 40.000 Jahren kam es in der Menschheit zu einer dramatischen Veränderung: Der neue Typ des Cro Magnon-Menschen trat auf und „zeigte“ sich – buchstäblich – in Form von eindrucksvollen neuartigen Werkzeugen und Waffen sowie in großartigen Höhlenmalereien, kleinen Skulpturen und Musikinstrumenten. Aus der Ferne der Gegenwart sieht das aus wie eine kreative Explosion an verschiedenen Stellen des Planeten. Ich gehe jedoch davon aus, dass die meisten Cro Magnon (= Spezies VI) dem entsprachen, was man heute als „durchschnittlich intelligent und begabt“ versteht – dass aber innerhalb dieser neuen Spezies sich allmählich eine spezielle Mutation vermehrte, welche für all diese künstlerischen und sonstigen kreativen Schöpfungen verantwortlich war
In meinem Sachbuch Das Drama der Hochbegabten habe ich im Kapitel 9 habe ich die Behauptung aufgestellt, dass sich damals innerhalb der Menschheit eine neue Spezies zu zeigen begann. Ich nenne sie „Spezies VIa“ und verbinde dies mit der Idee, dass damals die Hochbegabten als neue Variante des Homo sapiens auf den Plan getreten sind. Ihr generelles Merkmal: Ein schneller getaktetes, Informationen rascher und komplexer verarbeitendes Gehirn.
Darüber kann man trefflich streiten – aber ich habe gute Argumente, die ich im Buch ausführlich darlege und demnächst auch hier im Blog →li Mutation „Hochbegabung“?
Das Fragezeichen ist wichtig – denn wie jede wissenschaftliche Hypothese ist deren Äußerung nur der Anfang einer Beweisführung.

Der obige Hinweis auf die Höhlenmalereien, die ich diesem neuen Menschentyp zuordne, zeigt bereits die Richtung meiner Argumentierung. Wir werden niemals wissen, was dies urzeitlichen Künstler sich gedacht haben, als sie mit Farben und Formen daran gingen, ihre Welt zu dokumentieren und zu gestalten. Da war vermutlich Jagdzauber im Spiel, aber auch die Freude am Sichtbarmachen von Teilen der Welt, die man vorfand – dann jedoch in der künstlerischen Darstellung bereits veränderte, komprimierte, idealisierte, abstrahierte – bis hin zu Zeichen, die man als Vorläufer einer urtümlichen Schrift deuten kann.
Schreiben bringt Neues in die Welt
Mit der Schrift jedoch kam etwas noch viel Neuartigeres in die Welt – was jedem, der sie beherrschte, automatisch eine Vorrangstellung verschaffte. Das erlebten wir alle in der Schule, als wir lernten, die ersten Buchstaben zu setzen, Wörter zu schreiben, dann ganze Sätze und schließlich verständliche Texte, die Sachverhalte und Geschehnisse so in schriftliche Form fassten, dass jeder andere Schriftkundige sie problemlos in seinem eigenen Kopf nachmodellieren und nachvollziehen kann. Und das über lange Zeit hinweg – sogar Jahrtausende.
Durch die Entzifferung der mesopotamischen Schrift wissen wir nicht nur, welche Gesetze damals vor rund fast vier Jahrtausenden der König Hammurabi (1792 bis 1750 v.d.ZW.) verkündete und in eine Felswand als Edikt für alle weithin sichtbar einmeißeln ließ – wir kennen auch von Tontafeln das Gilgamesch-Epos mit der Sintflut-Sage aus einer Zeit weit vor den biblischen Überlieferungen.
Schreiben ist das vielfältigste und wirkmächtigste Werkzeug, das Menschen jemals erfunden haben. Jemand mit einem überdurchschnittlichen Verstand (Hochbegabte also) kann damit weit mehr anstellen als Gesetze zu dokumentieren und alte Geschichten zu erzählen, die man sich schon seit Urzeiten an den Lagerfeuern und in den Hütten erzählt hat:
° Man kann sich auf dem Papier oder am Bildschirm völlig neue Geschichten ausdenken.
° Man kann Computer-Programme schreiben und testen bis hin zu Algorythmen der Künstlichen Intelligenz.
° Man kann ganze Symphonien in Notenschrift festhalten, die noch Jahrhunderte später von Orchestern vom Blatt nachgespielt werden können.
Aber mit Schreiben kann man immer noch viel mehr:
° Man kann Konzepte für neue Firmen entwickeln und mit einem Business-Plan Investoren so überzeugen, dass sie Hundert von Millionen Dollar in eine Idee investieren – aus der jemand wie Elon Musk das Elektro-Auto-Imperium Tesla aufbaut
° oder der heute reichste Mann der Welt, Jeff Bezos, seinen Amazon-Lieferdienst und sogar Touristenflüge in den nahen Weltraum.
Schreiben als zentrales Merkmal für Hochbegabung
In der Schule haben wir alle Schreiben gelernt. Das macht uns noch nicht zu Hochbegabten. Aber Hochbegabte können mit diesem Werkzeug weit mehr als Normalbegabte schaffen. Sie können dies vor allem, dann wenn sie gern schreiben. Und dies möchte ich deshalb als erstes und – nach meiner persönlichen Erfahrung und Einschätzung – wichtigstes aller Merkmale für Hochbegabung benennen. Denn Schreiben nützt alle Aspekte der Informationsverarbeitung. Und wenn dies dann auch noch mit Freude und aus eigenem Antrieb (intrinsisch) geschieht und nicht nur, weil man dazu (wie in der Schule) ständig aufgefordert wird – dann hat man bereits ein sehr treffsicheres und stabiles Unterscheidungsmerkmal, das Hochbegabung von Normalbegabung trennt.
Das entwertet nicht den Wert anderer kreativer und innovativer Ausdrucksmöglichkeiten wie Musik, Malerei, Tanz, Bildhauerei – aber es kennzeichnet doch eine ganz eigene Etage weltgestaltender Möglichkeiten:
° Ein indischer Musiker kann mit einer Raga die Zuhörer zum Weinen bringen;
° Ein Fotograf kann mit seinen Schnappschüssen die Betrachter zum Staunen veranlassen;
° ein Computerspiel-Designer kann die Gamer zu begeistertem stundenlangen Spielen verführen
° oder ein großartiger Stürmer oder Torhüter mit genialen Paraden die Zuschauer eines Fußballspiels zu frenetischem Beifall.
Auf Film gebannt, kann dies auf den Internet-Kanälen von YouTube noch nach Jahren erneut begeistern. Aber schriftliche Dokumente können dies noch nach Jahrtausenden und – dank Übersetzung – über viele Sprachgrenzen hinweg, Adaptionen mit neuen Plot-Varianten („Romeo und Julia auf dem Mars im Jahr 3000“) noch gar nicht mitgerechnet. Es gibt nichts, was der menschliche Geist nicht in Worte und somit in schriftliche Form fassen könnte. Sogar Formeln, mit denen man die Ordnung der chemischen Elemente darstellt und irgendwann vielleicht das ganze Universum verstehen wird.
Allgemein: Geschwindigkeit der Informationsübertragung (bei Hochbegabten deutlich erhöht) |
Aufnahme von Informationen (Sehen, Lesen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken etc) |
Abgabe von Informationen (Schreiben, Sprechen) |
Aufnahme und Abgabe von Informationen speziell im zwischenmenschlichen Bereich (Gespräch, Video-Konferenz, Seminar, Vorlesung) |
Speicherung von Informationen (Gedächtnis, schriftliche Fixierung in Dokumenten, Büchern etc.) |
Übergeordnete Vernetzung von Informationen (bei einem Film kommt z.B. vieles zusammen: Drehbuch, Requisiten, Schauplätze, Darsteller, Statisten, Catering, Produktion, Finanzierung) |
Vernetzung von Menschen zu Gruppen (Verein, Firma, Institution – durch Pläne, Anweisungen, E-Mails und Telefonate) |
Vernetzung von Objekten (z.B. Internet der Dinge) |
Schreiben ist die Königsdisziplin. Und die Hochbegabten sind jene Menschen, die sich dieser Disziplin am erfolgreichsten bedienen. Nicht mehr – und nicht weniger.
(Forts. folgt: In weiteren Beiträgen stelle ich noch an die neunzig andere Merkmale vor, die auf Hochbegabung hinweisen können. Auf der stabilen SEITE Hochbegabt? (Test) trage ich sie nach und nach zusammen.)
aut #1110 _ 2021-07-25/20:02
Quelle
Scheidt, Jürgen vom: Das Drama der Hochbegabten. München. Feb 2004 (Kösel) 360 Seiten ISBN 3-466-30635-3 / München Okt 2005 (Piper TB).
Unser nächstes Seminar Große Sommer-Schreibwerkstatt. 30. Juli bis 04. August 2021 – leider ausgebucht – Warteliste. Wiederholung:
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