Aiwanger: Grundeinkommen kommunistisch?

Als ich Ende August dieses Jahres 2022 beim Zappen eine Sendung bei TV München auf den Bildschirm bekam, ereiferte sich in einem Interview der bayrische Politiker und derzeit Bayerns Wirtschaftsminister in einem Zusammenhang, an den ich mich nicht mehr erinnere, über die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens:
„Das ist kommunistisch“.

Da hat ein sicher nicht dummer Politiker (immerhin  Bundes- und bayerischer Landesvorsitzender der Freien Wähler) was doch recht Dummes von sich gegeben. Wer sich nur ein wenig ernsthafte mit dem Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ befasst, weiß nämlich, dass es hier um weit mehr geht, als um ideologisches Geplänkel und schon gar nicht um – pfui bäh – über etwa „kommunistisches“.
Ich bin ganz sicher kein Kommunist, halte diese linksextreme Ideologie für hoch gefährlich und vor allem – wie das rechtsextreme Spiegelbild des Faschismus – für geschichtlich total gescheitert (nicht einmal die Chinesen glauben noch an den Kommunismus – außer aus historischen Gründen und damit sie ihre Staatspartei nicht umbenennen müssen).
Aber beim Grundeinkommen geht es um etwas völlig anderes. Es geht darum, die total veränderte, in vielen Fällen bereits durch Automation, Roboter und KI-Software ergänzte und sogar zum Teil bereits ersetzte Arbeitswelt neu zu bewerten und die Menschen anders an der Wertschöpfung teilhaben zu lassen.

Einige Beispiele

Es gibt in Deutschland Hunderttausende sehr kreativer Menschen, die in „prekären“ (= schlecht bezahlten und entsprechend später schlecht berenteten) Berufen arbeiten: Fotographen, Musiker, Journalisten, Schriftsteller, Maler, Regisseure, Bühnenarbeiter, Messeausstatter –  allesamt (wie das heute in Corona-Zeiten heißt) „Solo-Selbständige“. Also all die, welche unsere Kultur Tag für Tag neu schaffen und am Laufen halten.
Zu den prekären Berufen gehören übrigens auch die Psychologen und Psychotherapeuten und unzählige freiberufliche Pädagogen und Privatdozenten und viele akademische Hilfskräfte. Warum beispielsweise die Psychotherapeuten? Weil sie nach abgeschlossenem Studium enorm viel Geld in Weiterbildung und Spezialisierung investieren müssen, was sich später im Beruf kaum mehr hereinholen lässt.
Für alle diese Menschen wäre das Grundeinkommen ein Segen. Und der würde ganz direkt auf die ganze Gesellschaft ausstrahlen.

Aber auch für all die vielen Hilfskräfte, die unsere Gesellschaft am Laufen halten, wäre das toll: Kassiererinnen im Supermarkt, Pflegekräfte – und ja: vor allem viele Frauen und da speziell wieder die alleinerziehenden Mütter (40 Prozent von ihnen beziehen Sozialhilfe – SZ vom 16. März 2019).

In all den genannten kreativen Berufen gibt einige wenige Spitzenverdiener. Das sind die, über welche in den Medien berichtet wird, was ihren Wert und damit ihr Einkommen weiter erhöht. Aber geschätzte 95 wenn nicht gar 99 Prozent all dieser Berufe, die unsere Kultur und Gesellschaft prägen, gehören nicht dazu. Das hat schon Carl Spitzweg mit seinem gar nicht lustigen „Armen Poeten“ denkwürdig charakterisiert und verewigt.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist keine kommunistische Ideologie – und wenn es Teil davon wäre, dann der einzige, der beachtenswert ist. Wer mehr darüber erfahren will, findet alles nötige in diesen drei lesenswerten Büchern:

1000 € für jeden von Götz Werner und Adrienne Goehler ist eine sehr differenzierte und fundierte Studie über Sinn und Wesen dieser Idee. Götz Werner ist der Gründer der „dm“-Drogeriemärkte, ein knallharter Geschäftsmann und erfolgreicher Kapitalist – und ganz sicher keiner „kommunistischen Umtriebe“ verdächtig. „1000 € für jeden“ meint wörtlich genau dies: Jeden Monat für jeden Bundesbürger tausend €uro aufs Konto, ein Leben lang. Erstmal eine schöne Utopie. Aber wie ließe sich die vielleicht doch verwirklichen? Im Buch steht alles drin, Herr Aiwanger!

Was würdest Du arbeiten, wenn du nicht musst? (herausgegeben von Susanne Risch) stellt einige der vielen Dutzend Beiträge vor, die ursprünglich im renommierten Wirtschafts-Magazin brandeins erschienen sind – ganz gewiss auch keine „kommunistische Hauspostille“, sondern eine grundsolide „kapitalistische“ Zeitschrift, die jedoch auch so manches liebgewonnene kapitalistisches Thema wie die Arbeit genauer unter die Lupe nimmt. (Alle betreffenden Artikel findet man über die Suchfunktion der Website von brandeins: https://www.brandeins.de/ )

Der interessanteste Titel ist für mich die Studie von Michael Bohmeyer und Claudia Cornelsen Was würdest du tun? – nämlich mit besagten 1000 € Grundeinkommen. Bohmeyer hat 2014 den Verein Mein Grundeinkommen gegründet, der sich ganz praktisch der Realisierung dieser Utopie widmet. Die Idee ist ganz einfach: Mit den Mitgliedsbeiträgen wird der gemeinnützige Verein am Laufen gehalten – aber man kann zusätzlich in einen „Lostopf“ spenden, aus dem inzwischen jeden Monat an die 30 (!dreißig!) solcher Grundeinkommen à 1.000 € monatlich für ein Jahr ausgeschüttet werden – immerhin 12.000 €. Als Gewinn muss das nicht versteuert werden. Damit lässt sich schon etwas anfangen, zum Beispiel eine neue berufliche Grundlage überdenken und auch realistisch starten.
Die bisherige Bilanz ist beachtlich:

313.128 Menschen haben bisher 1.238 Grundeinkommen à 12.000 € Gesamtwert finanziert.

Details findet man auf der Website des Vereins. https://www.mein-grundeinkommen.de/
(Ich bin dort selbst seit 2017 Mitglied, und zahle monatlich 15 € ein: 10.00 € in den Grundeinkommenstopf und 5.00 € Spende an den Verein. Gewonnen habe ich bisher noch nicht – aber bei etwas mehr als 300.000 Crowdhörnchen, die aufgrund ihrer Lostopf-Zahlung am monatlichen Gewinnspiel teilnehmen, ist die Chance auf ein solches Grundeinkommen doch recht hoch – jedenfalls wesentlich höher als beim Lottospielen. Aber es geht auch nicht so sehr ums „gewinnen“, sondern um die Unterstützung eienr großartigen Idee, die hier ganz buchstäblich praktisch durchgespielt wird.)

Bohmeyer und Cornelsen haben 24 Gewinner dieses erwähnten Losverfahrens ausgiebig interviewt und sind im dritten zu erwähnenden Buch zu überraschenden Ergebnissen gekommen – man ist versucht, zu sagen: zu sensationellen Funden. In Zukunft wird über das Thema nur mitreden können, wer dieses Buch gelesen hat. (Ein Spezialthema, das darin noch fehlt: Wie sich das BGE auf das Gesundheitssystem der Bevölkerung auswirken und was dies an Soziallasten sparen würde.)
Wie eine Art vorweggenommenes Ergebnis dieser Recherche heißt es gleich zu Beginn des Buches:

„Wir sind zehn Tage durch Deutschland gereist und haben Interviews mit Menschen geführt, die versuchsweise für ein Jahr ein Bedingungsloses Grundeinkommen beziehen. In den Gesprächen haben wir Dinge erfahren und Sätze gehört, von denen wir niemals zuvor gedacht hätten, dass wir sie hören würden, geschweige denn, dass sie irgendetwas mit Grundeinkommen zu tun haben könnten.“
Die Interviews haben alle Argumente, die üblicherweise gegen das Bedingungslose Grundeinkommen vorgetragen werden, widerlegt: das Hängematten-Argument, das Müllmann-Argument, das Inflations-Argument. Obwohl: „widerlegt“ ist das falsche Wort. Präziser müsste es heißen: In den Gesprächen wurde deutlich, dass die üblichen kritischen Fragen irrelevant sind:
° Wer geht denn dann noch arbeiten?
° Legen sich dann nicht alle Menschen in die Hängematte?
° Wer macht dann die Arbeiten, zu denen keiner Lust hat? Wer kümmert sich zum Beispiel um die Müllabfuhr?
° Wird nicht alles teurer, weil Menschen mit Grundeinkommen mehr Geld ausgeben?

Die Erfahrungen und Erlebnisse, die wir von den Grundeinkommens-Pionieren erzählt bekamen, waren so anders, so vielfältig und facettenreich, dass klar ist: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wirft in der Praxis ganz andere Fragen auf, als man sich in der Theorie ausdenken kann. (S. 13/14)

Und am Ende des Buches erfahren wir:

„Dann können sie viel besser Teil von etwas Größerem sein. Das lehren uns die Geschichten von Matondo und all den anderen.
Teil von etwas Größerem zu sein heißt nicht, im Kaninchenzüchterverein den Vorsitz zu übernehmen, sondern das, was Olga uns gesagt hat: dass sie Kraft für Konflikte hat, dass sie nicht wegguckt und nicht mehr weggucken kann. Dass die Gewinnerinnen und Gewinner ihre Ehe wieder ins Blickfeld nehmen, ihre Kinder wahrnehmen, wie sie sind, und sich im Alltag und im direkten Umfeld engagieren.
Dieses Gemeinschaftsgefühl haben wir bei unseren Interviews nur in Mikro-Momenten erspürt, aber möglicherweise ist dieser verbindende Geist mächtiger als jede Gewerkschaft oder Partei. Immerhin haben wir bei Mein Grundeinkommen inzwischen über eine Million »User«, also Menschen, die sich mit der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens verbunden fühlen – das sind etwa genauso viele Menschen, wie die im Bundestag vertretenen Parteien zusammen an Mitgliedern haben.
»Es ist die Pflicht eines jeden Lebewesens, mit seinem Leben, seinem Reichtum, seiner Intelligenz und seinen Worten zum Wohl anderer tätig zu sein.« Dieses hinduistische Zitat schickte uns der Chemisch-Technische Assistent Shijar aus Minden, nachdem er ein Grundeinkommen gewonnen hatte. Für ihn bedeutet das, etwas für seinen spirituellen Fortschritt zu tun. Er glaubt, dass mit Bedingungslosem Grundeinkommen die Kriminalität in Deutschland sinken und die Lebensqualität aller steigen würde. »Durch weniger Sorgen und Stress würden die Menschen friedlicher werden, erst dann kann es eine glückliche Gesellschaft geben.«
Bestes Beispiel dafür ist Petra, die mit Grundeinkommen eben doch nicht AfD wählt. Die Krankenschwester Olga macht jetzt bei politischen Diskussionen den Mund auf und geht wieder wählen. Die Lehrerin Viola schaut sich um, in welcher politischen Organisation sie jetzt eine Heimat finden kann. (S. 268)

Also, Herr Aiwanger: Nicht gleich drauf losplappern, sondern erst mal informieren, was Sache ist.

(Siehe auch hier im Blog den Beitrag Dummes Gerede von klugen Leuten )

Quellen
Bohmeyer, Michael und Claudia Cornelsen: ). Was würdest du tun?  [mit 1000 € Grundeinkommen] Berlin 2019 (Econ Paperback).
Risch, Susanne (Hrsg.): Was würdest Du arbeiten, wenn du nicht musst?. Hamburg 2018. (edition brandeins).
Werner, Götz und Goehler, Adrienne: 1000 € für jeden. München 2010 (Econ Paperback).

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Meine lieferbaren Bücher:
Sachbücher:
Kreatives Schreiben – HyperWriting. (Frankfurt am Main 1989). München 2006-11 (Allitera ). 215 Seiten Paperback.  € 19,90
ISBN 978-3-86520-210-9 .
Kurzgeschichten schreiben. (1994) München 2002-07 (Allitera). 91 Seiten. 9,90 €uro / ISBN 3-935877-57-9.
Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Hochbegabung und Kreativität. München März 2004 (Allitera) 176 Seiten – 18,00 €uro
ISBN 386520-043-5.
Belletristik:
Männer gegen Raum und Zeit  (Roman). Wuppertal-Barmen 1958 (Wieba).  Überarb. Neuausgabe 2015 (vss-verlag Schladt – Paperback und eBook). 301 Seiten – 14,95 € / ISBN 978-3-9816951-2-0.  / Kindle-Ausgabe als E-Book: 2,99 €.
Sternvogel (Roman). Minden 1962 (Bewin) überarb. Neuausgabe: vss-verlag Schladt – Paperback und eBook). 190 Seiten.
ISBN 9 781 520 546032 9,00 €.
Blues für Fagott und Zersägte Jungfrau. München 2005 (Allitera). 140 Seiten – € 12,90 / ISBN 3-86520-121-0.

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