Früh übt sich, was ein…

… Romanautor werden will. 1955 skizzierte ich den Anfang eines utopischen Romans in ein leeres Kontobuch meines —Urgroßvater Eduard Kropf, das ich auf dem Dachboden der Bahnhofstraße 15 in Rehau gefunden hatte.
Es ging um den ersten Flug zu einem Nachbarstern: Alpha Centauri, 4,2 Lichtjahre von der Erde entfernt. Ich weiß fast nichts mehr darüber – nur dass es ein Kugelraumschiff war (außerhalb der Erdatmosphäre braucht so ein Gerät nicht mehr die Stromlinienform einer Rakete) und dass es den Namen Albert Einstein trug, dessen Relativitätstheorie mich damals sehr faszinierte.

Es folgte der Umzug von Rehau nach München – was – aus der Ferne des Jahres 2021 (und immer noch in München) betrachtet, damals wohl von der Bedeutung für mein Leben ähnlich einschneidend war wie der Flug eines Kugelraumschiffs zum Alpha Centauri: Übergang in eine völlig andere Welt.

Meinen zweiten Anlauf, einen Roman zu schreiben, startete ich irgendwann 1956 mit meinem neuen Banknachbarn Dieter Seiffert in der neuen Schulklasse 6e der Gisela-Oberrealschule in München (heute ein Gymnasium). Aber dann überrollte uns wohl der Schulalltag, Dieter begann Gitarre zu üben, ich begann mich zu verlieben…

Den Versuch Nummer 3 zog ich 1957 dann allein durch, Schule hin oder Verliebtheiten her. Dieser Roman —Männer gegen Raum und Zeit wurde fertig – und erschien sogar im folgenden Jahr 1958. Die Begleitumstände waren abenteuerlich – und sind eines eigenen Eintrags hier im Blog wert (demnächst). Das Forschungs-Raumschiff hieß nun Magellan (nach dem frühen portugiesischen Entdecker). Das Jahr war der Handlung war seeeeehr weit weg von 1957: ein fast spiegelverkehrtes 7218 a.D. – mit einem kühnen Zeitreise-Sprung in ein noch viel ferneres Jahr und seltsamen Einstein-Effekten…
Das war – für einen damals Siebzehnjährigen – recht gut erzählt. Wer´s nicht glaubt, kann es ja nachprüfen: Das Buch ist (minimal überarbeitetet) wieder lieferbar, als Paperback und natürlich auch digitalisiert als E-Book.

Vom Erscheinen meines Erstlings angespornt, stürzte ich mich 1958 gleich in das Abenteuer meines nächsten Weltraumflugs – pardon: meines nächsten Roman-Projekts. Der Titel war wie bei Versuch 1 der eines Raumschiffs: — Sternvogel. Diese Geschichte spielte ungefähr ums Jahr 2100 – also schon sehr viel näher an der Gegenwart von 1958, in der sie ersonnen wurde. Das erste Kapitel veröffentlichte ich im Party-Fanzine C. C. Rider des Cool Circle, einer losen Vereinigung von rund 30 party-begeisterten Kids, alle um die 18 Jahre alt.
Die typographische Spielerei war inspiriert von Alfred Besters SF-Romanen The Demolished Man und Tiger! Tiger! Bester war in der Werbung tätig, schrieb Drehbücher für Comic-Strips und verlieh mit seinen bizarren Einfällen dem SF-Magazin Galaxy genau den richtigen „modern touch“, der es vom in die Jahre gekommenen und sehr technikaffinen Veteranen Astounding Science Fiction wohltuend abhob. (Auf diesen Autor und diese Romane, die ich mühsam im amerikanischen Original las, machte mich Lothar Heinecke aufmerksam. 1978 begegnete ich Bester persönlich auf dem Treffen von —World SF in Dunlaoghaire). Bei mir sah das dann so aus:

Sorry – aber die Originale des C.C.Rider aus dem Jahr 1958 sind schon sehr alt und Kopien von Kopien von Kopien (Archiv JvS)

Die Zeit der Handlung rückt immer näher an die Gegenwart

Roman-Projekt Nr. 5 begann ich 1963 – ein Jahr nachdem Sternvogel endlich einen Verlag gefunden hatte (auch eine abenteuerliche Geschichte für sich, die ein andermal erzählt werden soll.*) Ich schrieb das neue Projekt mit dem Titel Der metallene Traum in mehreren Schüben für das Fanzine Munich Round Up und bekam sogar von Willi Johanns (damals mein Nachbar in der Heßstraße und beruflich Chefgraphiker des Goethe-Instituts in München) einige fetzige Tusche-Illustrationen dafür. Dann blieb dieses Manuskript erst einmal in der Schublade. Bis mein neuer Agent Axel Poldner (der ebenfalls eine wilde eigene Story wert wäre) vom Verlag R.S. Schulz den Auftrag bekam, ihm ein komplettes Verlagsprogramm mit Sachbüchern und Romanen zusammenzustellen, welches die gut florierenden Sozialgebungs-Gesetze (die jeder Unternehmer erwerben muss) dieses Hauses ergänzen sollten. Ob ich nicht was für dieses neue Programm hätte?
Hatte ich. Während der Sommerferien machte ich mich an das schon recht umfangreiche Manuskript und konnte im Herbst 1975 das neue Buch abliefern, nun mit dem neuen Titel: Der geworfene Stein. (Das Enstiegskapitel „Der metallene Traum“ machte als eigenständige SF-story ebenfalls seinen Weg.) Diese Geschichte beginnt im Jahr 1963 (als sie entstand) in München und befördert den Helden infolge eines (teilweise missglückten) Kälteschlaf-Experiments ins nächste Jahrhundert, also etwa 2063. Ich fügte eine zweite parallele Handlung hinzu, die sich am Schluss mit der ursprünglichen Geschichte vereinigt – für mich ein neues literarisches Experiment.

Der nächste Roman war eigentlich eine Sammlung von utopischen Kurzgeschichten, die durch eine Rahmenhandlung zusammengehalten wurden. Schon der Titel signalisiert mein Anliegen, aus zukünftigen Fernen sowohl im Raum als in der Zeit näher an die Gegenwart heranzukommen, in der ich damals, 1978, lebte: Rückkehr zur Erde.
Das habe ich dann mit dem Titel (und Inhalt) der Story „Abschied von Utopia“ noch weitergetrieben – spielte die doch ganz in der Gegenwart von (damals) 1986.

An Roman-Projekt Nr. 7 (wenn ich Das Unlöschbare Feuer als Gemeinschafts-Projekt nicht mitzähle) kaue ich seit 1982 herum, seit ich das erste Kapitel dazu geschrieben habe: „Die Reise im Ballon“. Dieser Roman – mit dem Arbeitstitel Weg nach O°Thar – spielt auf einem unsagbar fernen Planeten. Das war mir irgendwann, als der zweite Teil als Manuskripts schon einigermaßen fertig war, „zu weit weg in Raum und Zeit“. Und ich schrieb einen dritten Teil, der die Geschichte der Hauptfigur hier und heute (also etwa 1985) hier auf der Erde im vertrauten München erzählt, als eine Art Vorspiel zu den „fernen Abenteuern“ auf O°Thar.
Dann war lange Sendepause mit Hunderten von Schreib-Seminaren (in der allerdings viele Kurzgeschichten und Märchen entstanden und einige – publizierte – Sachbücher wie Geheimnis der Träume und Das Drama der Hochbegabten erschienen sind). Bis ich 2012 die Idee zu einer Vor-Vor-Geschichte hatte, die in Weg nach O°Thar münden sollte und so etwas wie eine Familien-Saga daraus machen würde, die nach der Jahrtausendwende spielt. Das würde aus dem Gesamtwerk also eine Tetralogie machen. Auch das geriet ins Stocken. Und auch dazu gesellte sich eine nochmals vorangestellte Handlung. Sie stellt eine vierte (fünfte?) Generation dieser Familie vor, einen jungen Historiker namens Ullrich Lauffner (Protagonist Nr. 3) frisch von der Universität, der für eine geheimnisvolle Stiftung die Biographie von Protagonist Nr. 2 (Jan Wolfart) schreiben soll. Protagonist Nr. 1 ist der mit den Abenteuern auf O°Thar (und in München und New York) mit Namen Thomas Lauffner und – genau: der Vater von Ulrich Lauffner. Und dann gibt es noch einen weiteren Protagonisten namens Venn Korr –
Aber das genügt. Es würde Sie nur so verwirren wie mich, der ich als Autor diese vielen Episoden und Fäden zusammenführen muss und will und der all dem zur Zeit mehr so aus der Ferne zuschaut, ab und zu eine Idee und sogar ganze Szenen dazu notiert – in einer Datenbank all dies säuberlich dokumentiert und strukturiert – und hier einstweilen nur den Arbeitstitel verrät: das glü-Projekt.
Es hat viel mit dem Fremden und den Fremden zu tun (Aliens kommen auch vor – aber ganz anders als gewohnt); die Labyrinth-Sage spielt eine große Rolle, es geht um künstliche Intelligenz und fremde Welten und um die Rolle der Hochbegabten in der Menschheit – aber all dies spielt primär hier und (fast) jetzt in (überwiegend) München. Und sogar die aktuelle Corona-Pandemie von 2020 folgende wird ihren Part übernehmen,
° weil sie dieses Roman-Projekt einerseits massiv behindert hat – wie ja auch meine Arbeit mit den Schreib-Seminaren
° und es zugleich sehr beflügelt.

Die Idee mit diesem Blog kam im November vergangenen Jahres 2020 dazwischen, im Jahr 2019 davor schon die Idee, meine Autobiographie anzugehen…

Aber ich bin guten Mutes, habe viel Freude mit dem Blog – und merke zunehmend (und während ich diese Zeilen tippe), dass all dies mit einander zu tun hat und irgendwie das Puzzle meines Lebens abbildet, in das ich schreibend Ordnung hineinbringe.

MultiChronalia

So ganz nebenbei ist dies, wie die fett gedruckten Jahreszahlen bekunden, nun wieder zu einem Beispiel von MultiChronie geworden, bezogen auf meine Buch-Projekte.

* Aber warum nicht gleich hier: Das Manuskript lag seit 1960 bei einem Leihbuch-Verlag in Menden in irgendeiner Schublade. Mein damaliger Agent Wolf Detlef Rohr hatte es dorthin geschickt – und dort dämmerte es nun im Lektorat vor sich hin. Im Frühjahr 1962 ermannte ich mich und fuhr mit dem Zug ins Sauerland, marschierte in diese Druckerei (mehr war das eigentlich nicht) und beschwerte mich. Es muss den Verleger? Lektor? Druckereibesitzer? schwer beeindruckt haben, wie ich meinen Ärger kanalisierte und um einen Vertrag und um baldiges Erscheinen bat: „Mein Bruder hat bald Konfirmation – und ich würde ihm den Roman gerne dazu schenken.“
Die Begründung stimmte sogar – aber ausschlaggebend war wohl mein persönliches Erscheinen. Ich unterschrieb an Ort und Stelle den Vertrag und kurz darauf lag das fertige Buch bei mir zuhause.
Die Angelegenheit ist doppelt witzig – und wirft auf ein bezeichnendes Licht auf den damaligen deutschen SF-Markt – weil ich gleichzeitig noch den Vertrag für den Roman Das Unlöschbare Feuer an Land zog, den ich mit fünf Kollegen aus der SF-Szene als wirklich völlig verrücktes Round-Robin-Experiment in im Fanzine Munich Round Up geschrieben und sehr flüchtig überarbeitet hatte. Auch dieses Manuskript legte ich dem Verlag zeitgleich vor – bekam auch dafür umgehend einen Vertrag – und so erschien diese total bescheuerte Parodie (die damit zufällig so etwas wie ein Vorläufer und Parodie auf die spätere Perry Rhodan-Serie wurde!) – ohne dass sie je ein Lektor kritisch zu Gesicht bekommen hätte.
„Sachen gibt´s – die gibt´s nicht“ würde mein Freund Alfred Hertrich an dieser Stelle vielleicht gesagt haben. Gab´s aber doch.

(S. auch den Beitrag hier im Blog, der sich mit diesem hier ein wenig überschneidet:
Geburt eines Schriftstellers aus dem Kopf einer Rock´n´Roll-Party anno 1957.)

Quellen
Scheidt, Jürgen vom: Roman-Projekt 1 (ohne Titel). Der Flug der Albert Einstein zum Alpha Centauri. Rehau 1955.
ders. und Dieter Seiffert: Roman-Projekt 2 (ohne Titel). München 1956.
ders.: Roman-Projekt 3: Männer gegen Raum und Zeit.(Leihbuchausgabe). Wuppertal-Barmen 1958 (Wieba). Überarb. Neuausgabe Frankfurt am Main 2018 (vss Schladt) – auch als E-Book.
ders.: Roman-Projekt 4: (Leihbuchausgabe). Sternvogel. Menden 1962 (Bewin). Überarb. Neuausgabe Frankfurt am Main 2018 (vss Schladt) – auch als E-Book.
ders.: Roman-Projekt 5: Der geworfene Stein. Percha bei München 1975 (R.S.Schulz).
ders.: Roman-Projekt 6: Rückkehr zur Erde. Pfaffenhofen a.d. Ilm 1977 (Verlag W. Ludwig).
ders.: Roman-Projekt 7: Weg nach O°Thar / glü-Projekt (work in progress)

aut #949 _ 2021-05-06/17:17

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