Zurück in der Arena

Das hat diesmal lange gedauert: Meinen letzten Beitrag habe ich am 16. Oktober gepostet. Dann bin ich in anderen, dringenderen Arbeiten geradezu ertrunken. Mag sich seltsam ausnehmen bei einem 81jährigen Rentner, der ich ja bin. Aber da waren allerlei Jobs zu erledigen:

° Zwei arbeitsintensive Kurse Kreatives Schreiben für die Akademie Breitenbrunn, mit intensiver Vorbereitung und Nachbereitung (mündliche Prüfungen eingeschlossen).

° Für einen dritten Kurs (im August) stellte ich eine Anthologie mit den besten Texten zusammen, mit entsprechendem Lektorat, Vorwort und Nachwort. Titel: Im Labyrinth des Lebens. Er ist zunächst, in Form einer pdf-Datei, nur für die beteiligten Studierenden gedacht. Aber vielleicht wird da ja noch mehr daraus; die Texte wären es wert.

Abb.1: Auszug aus der Buchführung: Monat Okt 2021

° Allen guten Vorsätzen zum Trotz habe ich es irgendwie in diesem Jahr nicht geschafft, meine Buchführung kontinuierlich zu organisieren. Mag sich auch seltsam ausnehmen, in meinem betagten Rentner-Alter. Aber so ist das nun ein mal bei Selbständigen: das hört nie auf, solange irgendwelche Einnahmen fließen, über die Rente hinaus. Und damit zu verrechnende Ausgaben gibt es logischerweise auch. Und zwei verschiedene Umsatzsteuersätze: 19% beispielsweise bei einem Seminar wie der Roman-Werkstatt und 7% bei Einnahmen aus Büchern und Artikeln. Machte zusammen für 2020 sage und schreibe 485 Datensätze, als Grundlage der Steuererklärung. Und für dieses Jahr 2021 werden es ähnlich viele sein. Für 2020 war das zusätzlich kompliziert, weil für die zweite Jahreshälfte die ermäßigten Umsatzsteuersätze von 16 % (statt 19%) und 5% (statt 7%) zu berechnen waren – Corona sei´s gedankt!

° Und dann war da noch die Steuererklärung für das Jahr „2020“ anzufertigen, mit dem hübschen Akronym „ElStEr“ für „Elektronische SteuerErklärung“ (wer sich das wohl ausgedacht hat?) Hat mich ebenfalls eine Menge Zeit gekostet – vor allem deshalb, weil dieses Event nur einmal im Jahr stattfindet und zwischenzeitlich die betreffenden Routinen bei mir weitgehend in Vergessenheit geraten – weil ich das ja nicht beruflich kontinuierlich mache.
Aber ich will mich nicht beklagen, ganz im Gegenteil: Sowohl Buchführung wie Steuererklärung mache ich ausgesprochen gerne (wenn ich mich dazu durchgerungen habe). Denn da sehe ich „schwarz auf weiß“, was ich im betreffenden Jahr alles gemacht habe – und was „unter dem Strich“ finanziell dabei herausgekommen ist.

Mit letzterem bin ich auf elegante Weise beim Thema „Informationspsychologie“ gelandet, was mich zurückführt zum Thema Hochbegabung, mit dem ich mich ja intensiver befassen möchte. Doch darüber in kommenden Beiträgen mehr.

MultiChronalia

Buchführung – dieses Stichwort führt mich seltsamerweise zu den Anfängen meines Schreibens zurück, und zwar ins Jahr 1955, als ich auf dem Dachboden des Hauses Bahnhofstraße 15 ein fast leeres großes Kontobuch entdeckte, das vermutlich vom Urgroßvater Eduard Kropf stammte, der dieses Haus um 1900 gebaut hat. Dieses Wohnhaus gehörte später seiner Tochter Betty (meiner Großmutter) und ihrem Mann Karl Hertel (meinem Großvater, der das „Baugeschäft Kropf“ übernahm und weiterführte, bis er es an seinen Sohn Karl jun. übergab). Meine Mutter und mein Vater sowie ich und meine Geschwister lebten im ersten Stock in einer geräumigen Wohnung.
In dieses Kontobuch schrieb ich die ersten zwei Seiten meines allerersten Romanprojekts. Das sollte vom Flug des ersten interstellaren Raumschiffs zum nächsten Fixstern Alpha Centauri handeln. Als Namen dieses Kugelraumschiffes wählte ich „Albert Einstein“ – weil dessen Relativitätstheorie mich als SF-Leser schon damals, als gerade mal Fünfzehnjähriger, sehr faszinierte.
Über die ersten beiden Seiten gedieh dieses Projekt allerdings nicht hinaus. Es dauerte noch einmal zwei Jahre und den Umzug in die Großstadt München, dass mir so ein Roman gelang. Aber ohne Urgroßvaters Buchführung hätte ich vielleicht nie mit dem Schreiben von Geschichten begonnen, oder?

Bleiben wir noch einen Moment bei Buchführung: Bei meinem Vater habe ich jedes Jahr aus nächster Nähe miterlebt, wie ihn dies – als Handelsvertreter mit vielen Reisen und entsprechenden Belegen – regelrecht gequält hat. Das weiß ich noch sehr genau, weil er – ab dem Umzug 1956 nach München – immer wieder in seinem kleinen „Kabuff“ (wie er es nannte) verschwand, also seinem winzigen Arbeitszimmer, um dort seine Belege zu sortieren und für die Buchführung zu organisieren – und lautstark zu lamentieren und über „das Finanzamt“ zu schimpfen und übers Steuerzahlen.

Als ich 1975 meine erste eigene Buchführung begann, hatte ich das Gejammere über die Last des Steuerzahlens meines Vaters noch deutlich im Ohr und verinnerlicht – denn ich musste ja ebenfalls, nach zwei Jahren als angestellter Lektor in Verlagen, mit nun eigener Praxis als selbständiger Psychologe und parallel mit der Tätigkeit als freiberuflicher Schriftsteller und Journalist dem Finanzamt meine Einkünfte und Ausgaben offenlegen. Noch heute habe ich mein erstes Kontobuch – alles von Hand in unzählige Spalten mit Konten eingetragen – nicht so voluminös und mit kräftigem Lederrücken wie das des Urgroßvaters, aber doch ähnlich aufwendig zu befüllen.

Meine erste Steuerberaterin zog mir 1976 den Zahn mit dem Gejammere: „Herr vom Scheidt – freuen Sie sich doch, wenn Sie viel Steuern zahlen müssen. Sie haben dann ja auch entsprechend viel verdient“.
Das hat mir eingeleuchtet. Die Buchführung habe ich lange nur vorbereitet und von einem Service-Büro erfassen und auswerten lassen – als Grundlage der Steuererklärung, die ich zusammen mit der Steuerberaterin machte und später, als sie in Rente ging, mit einem Kollegen, den sie mir empfohlen hatte.
Dann zogen die Segnungen der Digitalisierung auch bei mir ein. Ich machte etwa ab 2010 erst die gesamte Buchführung selbst (mit einer selbst programmierten Access-Datenbank) und bald darauf verzichtete ich auch auf den Steuerberater und machte ab 2015 die Steuererklärung ebenfalls mittels der komfortablen WiSo-Software selbst.

Und ja – ich mache das gerne. Nicht nur, weil mir das jedes Jahr fast 2.000 € erspart – sondern weil ich es als Grundform des Schreibens betrachte, mit der alles vor 5.000 Jahren begann, sagen wir im Jahr 3000 v.d.ZW. in Sumer und Ägypten. Zum Beispiel mit dem Zählen von Ziegen oder ähnlichen Anfängen der Buchführung – mit der die frühen Schreiber hohes Ansehen in der Gesellschaft erlangten.
Genau genommen ist die Buchführung eines Jahres nämlich eine detaillierte Dokumentation der eigenen Existenz – so etwas wie eine komprimierte Zeittafel. Ein Beispiel gefällig, aus dem Jahr 2019?

JJ=JahrMM=MonatTT=TagKontoBelegNrBuchungsdetailsBetrag
2019121240151075Bewirtung:_Planung Sylvester-Seminar mit JO und JZ -21,00 €
Abb. 2: Einzelner Datensatz aus Buchführung des Jahres 2019

Jede Buchung (also jeder Datensatz der betreffenden Datenbank) besteht ja aus Informationen zu einem bestimmten Geschehnis:
° Es muss ein Datum genannt werden
° und ein Ort (etwa ein Lokal, was auf einem Beleg dokumentiert wird oder ein Beleg des Postamts, bei dem man Briefmarken gekauft hat);
° eine Person wird (zum Beispiel) bewirtet oder eine Dienstleistung dokumentiert oder ein Objekt gekauft
° und dies hat einen bestimmten Wert (Preis).

Das sind genau die Elemente, welche ich auch in einer Erzählung benennen muss: Wann und wo hat wer was getan – mit welcher Wirkung (was dem „Wert“ oder Betrag einer finanziellen Transaktion entspricht – in Erzählungen in der Regel ein Konflikt und wie der bewältigt wird).
Man könnte also im Prinzip sogar einen ganzen Roman anhand der Details einer Buchführung erzählen, mit den jeweiligen Zeitangaben als Gerüst einer Zeittafel. Sieht vielleicht etwas weit hergeholt aus – aber es gibt ein Beispiel, wo etwas ähnliches tatsächlich gemacht wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg mussten die besiegten Deutschen anhand eines gewaltigen Fragebogens mit nicht weniger als 600 Fragen genauestens kundtun, was sie wann und wo und welcher Funktion im Rahmen es Dritten Reichs getan hatten. Ernst von Salomon verfasste genau nach diesem Prinzip, Frage für Frage, die Schicksale der Figuren seines dickleibigen Romans Der Fragebogen. Das gleiche könnte man auch anhand der Buchführung eines Jahres machen. Vielleicht hat es sogar schon jemand gemacht – ist mir aber nicht bekannt.
Möglicher Titel: Was Corona 2020 bei Herrn XYZ angerichtet hat.

Quelle
Salomon, Ernst von: Der Fragebogen. (Hamburg 1951). Hamburg 1958-05/223.-227. Tsd. (Rowohlt).

#aut #1176 _ 2021-12-04/20:47

Hinterlasse einen Kommentar