MultiChronie als Dilemma

Das Leben bringt ständig neue Einflüsse, zu denen wir Stellung nehmen müssen, sollen, können – oder die Erinnerungen in uns auslösen. Das zwingt uns auch ständig zur Auswahl:

Was ist wichtig?
Worauf muss ich reagieren?
Wo öffnen sich neue Möglichkeiten, denen ich nachgehen müssen?

Um in der von mir sehr geschätzten Metapher vom → „Yrrinthos des Lebens“ zu argumentieren: Welchen neuen Pfaden in diesem Dschungel der Möglichkeiten folge ich?

Wenn man schreibt, vor allem wenn man Tagebuch führt oder blogt, entsteht das, was ich als „multiChronales Dilemma“ bezeichne: Ich türme eine immer größere Halde von Einfällen auf, die ich eigentlich nicht bewältigen kann. Aktuelle Beispiele:

Am Vorabend lief im Fernsehen eine Doku über Indien, die lebhafte Erinnerungen in mir auslöste:
° an meinen → Yogalehrer Max Kirschner,
° an meine eigene Indienreise 1975/76,
° an meine eigene Tätigkeit als Yogalehrer,
° an mein Buch über Yoga,
° an Ursula von Mangoldt vom Verlag O.W. Barth…

Aber diese Erinnerungen waren kaum rudimentär notiert, als es schon weiterging mit anderen Gedanken:

° Bloggen als Erweiterung der Erzähltechnik „Stream of Consciousness (im Ulysses von Joyce) zu dem, was ich ab jetzt „Stream of Self-Consciousness“ nennen möchte.
° Der Verlust der griechischen Wurzeln von Wörtern wie „Photographie“ (jetzt: Fotografie) und „Phantasie“ (jetzt: Fantasie“) und was das multiChronal bedeutet.
° Science-Fiction-Romane, die ihren Anfang in meinen Roman-Werkstätten genommen haben und inzwischen veröffentlicht sind.
° Letzteres hat auch zu tun mit der Lektüre von Hans Freys Buch (s. nxt) und meinem Wiedereintritt in den Science Fiction Club Deutschland (SFCD) dieser Tage.
° Reflexionen zu dem Sachbuch Optimismus und Overkill von Hans Frey, das ich sehr begeistert gelesen und gerade beendet habe.
° Das SF-Fandom und die Lust am Schreiben (s. Frey, S. 96: „Fanzines“) und was das m.E. mit Hochbegabung zu tun hat.
° Zur Meta-Ebene meines glü-Roman-Projekts: Ulrich Lauffner entdeckt beim Erfassen und Analysieren von Jan Wolfarts Vorlass viele Ähnlichkeiten mit der eigenen Biographie (nicht ahnend, dass er in Wirklichkeit ein Enkel von JW ist.)
° Sehr symbolisch: Am Stauwehr im Englischen Garten (wo ich so gerne sitze – war erst gestern wieder dort) zweigt vom Eisbach („Strom des Lebens“) der Schwabinger Bach ab („Stream of Self-Consciousness“ – s. oben).

Abb. 3: Der Blogger an seinem Lieblingsplatz im Englischen Garten (Archiv JvS)

° Ergänzender Blog-Beitrag: „Science-Fiction als multiChronales und polyMundales Dilemma“.

Okay: Das ist jetzt alles wenigstens mit Schlagworten in meinem „Logbuch“ erfasst (und nun auch hier im Blog dokumentiert – auch als Anregung für andere Blogger und Autobiographen). Jetzt will ich aber noch wissen, wie dieser australische Historiker heißt, der durch die TV-Sendung führte. Ich gebe also bei Google ein:  „indien doku im tv

– und erhalte sofort – oh Wunder der modernen Digitalisierung – diese Auskunft:
Der Historiker ist Christopher Clark (von dem habe ich bereits eine interessante, aber sehr kontroverse diskutierte Reihe über deutsche Geschichte gesehen). Und diesen Pressetext zur Doku finde ich bei ZDF neo:

Indien ist das Land der Länder, voller Wunder und Mythen. Der Film zeigt die Highlights des UNESCO-Weltkulturerbes zwischen Mumbai und dem Himalaja, vom Tadsch Mahal zu den Burgen Rajasthans. Eine Vielfalt von Sprachen, Völkern und Religionen: Moderator Sir Christopher Clark geht anhand der legendären Bauten, Landschaften, Sitten und Gebräuche der Frage nach, was die 1,4 Milliarden Menschen Indiens zusammenhält. […] und der Tadsch Mahal in Agra ist gar eines der berühmtesten Bauwerke der Welt.
Unweit des Tadsch Mahal erkundet Christopher Clark einen weiteren weltberühmten indischen Schatz: das Yoga. Ein Experte und Lehrer dieser uralten indischen Errungenschaft erklärt ihm, warum der Mensch ein Reisender ist. Als sich die Engländer vor 300 Jahren in Indien festsetzten, brachten sie die europäische Kultur mit. Und später Handel, Industrie, Bahnhöfe und Züge. Der Victoria-Terminus, ein im viktorianisch-gotischen Stil erbauter riesiger Bahnhof in Mumbai, ist ein lebendiges Beispiel für diese Epoche. Clark fährt von hier aus in den Nordosten des Landes, an den Fuß des Himalaja. In der Kalka-Shimla-Bahn, einer von den Engländern gebauten Schmalspurbahn in die Berge, erlebt er spektakuläre Aussichten auf Schluchten und Wasserfälle und das Vorgebirge des Himalaja.

Was im zitierten Text des Senders nicht erwähnt wird, ist das Wunder von Fatepur sikri – dieser mitten in einer Wüste erbauten Regierungsresidenz, die aus Mangel an Wasser bald wieder aufgegeben wurde; für mich einer der eindrucksvollsten Orte meiner eigenen Reise.
Leider habe ich den Anfang dieser Sendung verpasst (Benares / Varanasi und die Insel Elephanta vor der Megacity Mumbai, wo ich 1975 ebenfalls war → Foto) – aber das kann ich ja via Mediathek von ZDF neo nachholen. Das mache ich gleich heute Abend (auch so eine wunderbare neue Technologie: dieses Streaming). Das ist eines eigenen Blog-Beitrags wert – irgendwann.

Abb. 4: Der tanzende Shiva auf der Insel Elephantine vor Bombay (Archiv: JvS)

Jetzt, wo ich all dies getippt habe, was durch den Historiker Christopher Clark angeregt wurde, wird mir um einen bewusst, dass Geschichte mein Lieblingsfach in der Schule war – und dass in meinem Roman-Projekt glü die neue (zusätzliche) Figur des „Ulrich Lauffner“ ein Historiker ist, der gerade sein Studium abgeschlossen hat, als er von der geheimnisvollen „Stiftung Schreiben“ in München-Bogenhausen den Auftrag erhält, die Biographie eines gewissen „Jan Wolfart“ zu schreiben, der für den Friedensnobelpreis gehandelt wird. (Keine Bange, falls Ihnen dieser Name nichts sagt – er ist eine Erfindung von mir.)

Wo blogge ich nun weiter?

° Eigentlich müsste ich einen ganz anderen Beitrag schreiben, und zwar über „Galaktische Kaiserreiche“ – für den Stammtisch der Phantasten, wo ich hierüber einen Vortrag gehalten und leichtsinnigerweise schriftliche Fassung versprochen habe. Aktuelle Assoziation:
Cäsar → Kaiser → Zar (Bezug zu Putin, der sich deutlich als Nachfolger Stalins und der Zaren sieht).
° Und dann wäre da noch der schon lange geplante Beitrag zu den Labyrinthen, Irrgärten und Yrrinthi, den ich betitle als: „Labyrinthisches Sammelsurium“ (ergänzen: Minotauros im kürzlich gesehenen Fantasy-Film Percy Jackson: Diebe im Olymp).
° (Am Vortag:) „Prokrastination: Drei Minuten – oder 180 Sekunden?“ (Artikel in der Südd. Zeitung, der mich zu eigenen Überlegungen angeregt hat.)
° Schließlich ist da noch das, was ich am Vortag im Englischen Garten beim besagtem Stauwehr zum Sinn des Lebens notiert habe
° und dazu an die (grob geschätzt) 50 Anmerkungen, Ergänzungen, Korrekturen zu Hans Freys Tour de Force über die deutsche SF-Szene „von den Anfängen der BRD bis zu den Studentenprotesten 1945-1968“ (s. oben) –
° was wiederum die noch auszuarbeitende Skizze „Fünf steile Thesen zur Science-Fiction“ auslöste.
° Und was ist mit der Neuausgabe von Stapledons Starmaker in der Übersetzung von Thomas Schlück, welche dieser mir eben zugeschickt hat? Da wäre doch ein Beitrag „Begegnungen mit Thomas Schlück“ fällig!

Wofür entscheide ich mich angesichts dieser Fülle?

Und vor allem: Warum nenne ich das eigentlich „MultiChronales Dilemma“ und nicht „Multi-Thematisches Dilemma“ (was es ja deutlich ebenfalls ist)?
Ich bezeichne dies so, weil die einzelnen Einfälle in mehreren Zeitschichten hin- und herspringen: Zum Beispiel von der aktuellen TV-Doku über Indien am 11. April 2022 zu meiner Indienreise 1975/76 zu Max Kirschner, den ich 1974 kennenlernte und zu dessen Zeit 1946, als er in Indien interniert war, sowie zu meinem Interview mit ihm über „Yoga“ für den Bayrischen Rundfunk (Sendung: 03. Nov 1978).

Mein nächster Beitrag hier im Blog wird zeigen, welches Thema ich als nächstes ausgewählt habe. Und alle anderen erwähnten Ideen kommen auch noch dran. Irgendwann. On the run…

aut 1273_ 2022-04-16/16:34 [2022-04-12/17:30]

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