KI kocht Buch: Das ferne Donnergrollen

(Leider notwendige Vorbemerkung: Dieser Beitrag wurde nicht von einer KI generiert, sondern von Jürgen vom Scheidt himself.)

Große Aufregung dieser Tage: Der Burda-Verlag hat einer KI die Erstellung eines kleinen Magazins mit Kochrezepten überlassen – und alle regen sich zu Recht auf:
° weil die Redaktion im Impressum diese Tatsache nicht vermerkt hat (und wohl glaubte, sie komme ungeschoren davon),
° und weil viele Journalisten und Fotographen nun zu Recht fürchten, dass dies Schule machen und der Anfang von einer für sie sehr fatalen Entwicklung sein könnte.
Wer dieser Aufregung nachspüren möchte, muss nur bei Google eingeben: „Burda KI Lisa 99 Pasta-Rezepte“ – und schon rappelt es im Karton – pardon: auf dem Bildschirm.

Abb.: Nicht nur für Hausfrauen und Hobby-Köche interessant – sondern auch für alle von KI bedrohten Berufe (Cover: Burda Verlag)

Die KI wird scheinbar immer intelligenter – wird sie auch kreativer?

Seit März dieses Jahres 2023 ist die verbesserte Version „4“der KI Chat GPT auf dem Markt, seit April auch die (etwas ältere) Variante „3“, die aber bei Microsofts Suchmaschine Bing integriert ist und dadurch das komplette Internet zum Spielfeld der KI macht (was vorher nicht möglich war).
Ich habe das selbst schon ausprobiert und mir das Exposee für ein Sachbuch zum Thema „MultiChronie“ entwerfen lassen, mit erstaunlichen Ergebnissen. Und ich würde mich nicht wundern, wenn demnächst eine Flut von Sachbüchern und bald wohl auch Romanen aus der „Feder“ einer KI auf den eh schon wegen „books on demand“ im Selbstverlag heftig überschwemmten Buchmarkt drängen würde.
Interessant war auch das Experiment, bei dem ich im September 2022 eine andere KI mit eigene Haiku „gefüttert“ habe – was ganz erstaunliche Illustrationen für meinen Blog generiert hat.

Wer Bücher schreibt (oder dies vorhat) ist jedenfalls gut beraten, sich mit diesem bei aller Umstrittenheit doch großartigen neuartigen Werkzeug vertraut zu machen* – aber es dann als Hilfs-Werkzeug einzusetzen und nicht als eigentlichen Autor. Denn so eine KI kann nur eines:
° Nach alten Vorbildern (die sie in der digitalisierten Welt und ab jetzt eben auch im Internet vorfindet) neue Werke zusammenmixen und dabei ganz ungeniert die Intelligenz und Kreativität dieser Vorbilder plündern – ohne ihre Quellen zu nennen. Wenn ich es recht sehe, nennt man dies: Plagiat.
Leider hat die gesamte Entwicklung des Internet und der digitalen Welt diese Mentalität von Anfang an gefördert: Alles soll kostenlos sein (dass es mit den persönlichen Daten „bezahlt“ wird, nimmt man leichtsinnig in Kauf). Wer gewohnt ist, sich bei YouTube unzählige Filme und bei Spotify fast jedes Musikstück kostenlos oder zumindest extrem billig herunterzuladen, dem oder der ist es auch egal, woher eine KI ihre angebliche „Intelligenz“ und „Kreativität“ herhat – nämlich von den ursprünglichen Autoren und Komponisten, von den Entwicklern des Algorythmus für die KI, von den unzähligen schlecht bezahlten Click-Workern in der Dritten und Vierten Welt (die die „Minen“ mit Material füttern, in denen die KI dann ihr „Data Mining“ betreibt).*

* Jonas Zenhäusern bietet Beratung zur Verwendung von KI an: Meine Schreibseminare .

Das ist ja alles nicht neu

Vor kurzem haben zwei der größten deutschen Verlagskonglomerate (Springer und Burda) angekündigt, demnächst Zehntausende (!) Journalisten „freizustellen“ – also sie auf die Straße zu setzen, vor allem wieder die Frauen. Und was machen die dann? Schreiben Bücher (mit Hilfe einer KI, vermutlich) oder bieten Schreib-Seminare an – so wie das schon bei der ersten Journalisten-Freistellung vor zwei Jahrzehnten war, als das mit der Digitalisierung und dem Internet in die Verlage zu kriechen begann.
Und der aktuelle Streik der Drehbuchautoren in Hollywood hat genau diesen Hintergrund: Die sehr realistische Befürchtung, dass die Produzenten von Serien und Filmen demnächst mit Brachialgewalt KI einsetzen werden, wo immer es nur geht.

Als ich vor etwa 20 Jahren begann, mit Hilfe der DRAGON-Software meine Texte selbst zu diktieren – nahm dies der Sekretärin die Arbeit weg, die damals für mich nebenbei Diktate oder handschriftliche Texte abtippte und in WORD-Dateien verwandelte, mit denen ich weiterarbeiten konnte.
Vor einem Jahrzehnt begann ich, meine Buchführung selbst mit Hilfe einer Datenbank zu erfassen, gab die Daten nur noch zur Auswertung an den Computer-Service weiter (der sie vorher auch erfasst hatte). Dann empfahl mir meine Schwiegertochter, die WiSo-Software – und bald machte ich meine Buchführung nicht nur komplett selbst, sondern verzichtete vor einigen Jahren auch auf den Steuerberater, dessen Dienste ich bis dahin in Anspruch genommen hatte. Die Software kostete damals 25 €uro – der Steuerberater pro Jahr etwa 1.400 € (und vorbereiten musste ich ihm meine Daten ja ohnehin).
Text-Schnipsel aus der Süddeutschen Zeitung als Zitat digitalisieren? Machte ich früher mühsam von Hand – seit einigen Jahren macht das für mich in Sekunden der ABBYY Fine Reader.
Fotos? Früher brachte man den belichteten Film in den Foto-Laden, der ihn entwickelte und Abzüge herstellte, aus denen ich dann meine Bilder auswählte und entweder als Abzüge auf Papier oder als Dias herstellen ließ. Von meiner Indienreise brachte ich 800 (achthundert!) solcher Fotos auf rund 30 „Filmen“ mit und bezahlte dafür ein Wahnsinnsgeld – heute würde ich das alles mit dem Smartphone aufnehmen und per E-Mail an meine Adresse oder in eine Cloud schicken, nahezu kostenlos. Als ich begann, in meinem Blog ältere Bilder zu verwenden, musste ich diese Bilder aus dem Archiv von den Papierabzügen einscannen und digitalisieren. Heute mache ich das allen in einem Arbeitsgang mit meinem Telefon – pardon: meinem I-Phone. Das auch sonst noch alles mögliche kann: „Bild-Telefonie“ zum Beispiel (wie früher in Science-Fiction-Geschichten) mit FaceTime. (1957 nannte ich das in meinem ersten Roman, der im Jahr 7812 spielt, kühn „Visiphon“). Wo ist das „Fräulein vom Amt“ geblieben, das noch in den 1950er Jahren in Rehau die Verbindung stöpselte, wenn mein Großvater aus dem Architekturbüro mit einem Kunden telefonieren wollte?

… aber neu ist das Tempo, mit dem sich alles verändert

Oh ja, die KI (Mehrzahl) werden die Welt auf den Kopf stellen – in einem so rasantem Tempo, dass wir nur noch ungläubig staunen werden – wenn wir uns nicht aus Angst vor unseren Jobs in die Hosen machen. Denn in der digitalen Welt wird ab Chat-GPT kein Stein auf dem anderen bleiben – zumindest bei den Menschen in anspruchsvollen Berufen. Ein Handwerker, der eine neue Heizung mit Wärmepumpe einbaut, muss sich da keine Sorgen machen – der Architekt, das das Haus entwirft, hingegen schon.

Einem Professor als „studentische Hilfskraft“ für einen Hungerlohn zuarbeiten? Das braucht der Professor nicht mehr – kann er alles selber machen und muss er wohl auch selber machen, weil um ihn herum vieles wegbrechen wird, worauf er sich bisher gemütlich stützen konnte.

Steuerberater – Rechtsanwälte – Ärzte – sind allesamt gut beraten, sich JETZT mit KI vertraut zu machen, wenn sie in ihrer beruflichen Suppe „oben“ schwimmen wollen. Vor allem aber: Wenn sie sich in Zukunft mehr auf das verständnisvolle Gespräch mit ihrem Gegenüber einstellen. Das ist das große Plus gegenüber jeder KI, das enorm an Wert gewinnen wird.

Auch wer Schreib-Seminare anbietet und dabei einfühlsam und kreativ ist, muss sich keine Sorgen machen – das ist die Art von Berufen, die eine große Zukunft hat, weil sie das fördern, was keine KI je können wird: Etwas erleben (zum Beispiel einen „ersten Kuss“), das Erlebte notieren und ausgestalten, es mit anderen austauschen. Alles Autobiographische und somit Authentische wird enorm an Wert gewinnen – auch wenn man kein Vincent van Gogh oder Albert Einstein oder Sigmund Freud ist. Auch im Kleinen lässt sich unendlich viel Neues entdecken.

Und noch ein kleiner Tipp: Die KI, gleich welcher Art, setzen eine weitere rasante Beschleunigung der Menschenwelt in Gang – ein Grund mehr, sich um Entschleunigung zu bemühen, die das genuin Menschliche bewahrt. Um einen Exoplaneten weit außerhalb unsers Sonnensystems zu erreichen, bräuchten wir Überlichtgeschwindigkeit. Um uns selbst zu erreichen, genügt es zu Fuß zu gehen oder still irgendwo sitzen zu bleiben.

Stell dich an den Bug
Hör das Knat tern der Se gel
Glücks mo men te satt

Quellen
Ernst, Anna: „Unterhöhlt das Vertrauen“. In: Südd. Zeitung Nr. 112 vom 16. Mai 2023, S. 19 (Medien).
KI et al: Lisa: 99 Pasta-Rezepte. München Mai 2023 (Burda-Verlag).

306 _ #1654 _ 18. Mai 2023/20:15

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