Begehbares Labyrinth in Bürchen (Wallis)

Das hier beschriebene Labyrinth war eine Utopie, die ich 2002 verwirklicht habe. Ein lange gehegter Traum.
Inzwischen gibt es die Struktur nicht mehr. Ihre Beseitigung (die ich als Vernichtung erlebt habe) war für mich wie der Tod eines geliebten Menschen. Aber so ist es nun mal im Leben: Nichts ist für die Ewigkeit. Dieses Labyrinth hat immerhin von 2002 bis 2012 existiert, wurde von mir in meine Seminare „Wandern und Schreiben“ einbezogen und auch von zufällig vorbeikommenden Passanten genützt. Eine Schautafel (gespendet vom einstigen Schmidmärt) informierte über dieses Gebilde und wie man es meditierend nützen kann. Zum Beispiel indem man sich ein  passendes Thema sucht und einen Stein. Während man gemächlich (entschleunigt!) vom Eingang hin und her mäandernd zum Kern in der Mitte läuft, kann man über das Thema meditieren und  nach der Lösung des Problems suchen. Den Stein kann man dann als symbolische Geste im Zentrum ablegen – und sich einen anderen Stein von dort mitnehmen, der einen Neustart symbolisiert.
Ich habe das oft gemacht. Es funktioniert wunderbar – vor allem wegen der phantastisch schönen Umgebung des Schweizer Hochgebirges.
Das ist nun alles Geschichte. Aber mit dieser Dokumentation möchte ich dieses Jahrzehnt noch ein wenig „verlängern“.
(S. auch den Beitrag Birkenlabyrinth forever .)

Die Beiträge für einen Blog sind ja meistens eher intellektueller Art – will sagen: Man beobachtet, zitiert, macht sich so seine Gedanken, stellt Querverweise her, abstrahiert, theoretisiert …
Aber das Labyrinth ist nicht nur ein Symbol und eine mythologische Überlieferung (wenn auch mit starken Verbindungen in die Gegenwart): Ein Labyrinth kann man auch als ganz konkrete Struktur aus Steinen oder ähnlichem Material auf dem Boden auslegen und dann darin herumlaufen. Wenn das zudem einen künstlerischen Anspruch hat sowie für die Öffentlichkeit und eine gewisse Dauer gedacht ist und sich zudem noch unter freiem Himmel befindet – nennt man das LandArt.
Man kann in so ein Labyrinth hineingehen, kann über eine Frage, ein Problem meditieren. Schon seit vielen Jahren hatte ich die Idee, an einem schönen Ort selbst einmal so ein Labyrinth auszulegen. Drei Jahrzehnte fuhr ich jedes Jahr mindestens einmal in ein Dorf im Wallis, mitten im Schweizer Hochgebirge, aus dem der väterliche Zweig der Vorfahren meiner Frau Ruth stammt: CH-3935 Bürchen. Wie an vielen solchen Bergorten werden die Wiesen längst nicht mehr so bewirtschaftet, wie früher. Da müsste es doch möglich sein, dachte ich mir, dass man auf einer von ihnen …

Ich trug also 2001 dem örtlichen Tourismusverein meine Idee vor, auf so einer Wiese ein Begehbares Labyrinth mit Steinen auszulegen, so richtig großflächig und auf Dauer. Ich war selbst überrascht von der großen positiven Resonanz. Im Jahr darauf fand sich eine Wiese am Rand von Bürchen (Abb. 2), in zehn Minuten vom Dorfkern aus erreichbar und trotzdem abgeschieden genug für stille Selbsterfahrung. Mit einem phantastischen Rundblick auf das Bietschhorn, das hier die Gegend bestimmt (Abb. 6). Der örtliche Bauunternehmer erlaubte, von einem großen Steinhaufen, der sich – praktischer Zufall – nur ein paar Schritte von der Wiese entfernt befand, die nötigen rund tausend Steine zu holen. Die Schreinerei Lehner spendete nicht nur das Sägemehl, das zum Vorzeichnen der Struktur nötig war, sondern brachte den Kasten mit den Sägespänen auch gleich vor Ort, samt einer hohen Leiter für das Foto-Shooting. Auch sonst bekam ich jede Unterstützung der Einheimischen.

Blieb noch, Helfer für das Auslegen der Steine zu rekrutieren. Ich präsentierte mein Anliegen in der Dorfschule und fand sofort Zustimmung beim Lehrer, Herrn Werlen. Und nachdem ich den elf-/zwölfjährigen Buben und Mädchen die Brücke zum Thema über das Labyrinth bzw. den Irrgarten in dem Roman Harry Potter und der Feuerkelch gebaut hatte (den sie offenbar alle kannten), waren sie begeistert bereit, mir zu helfen. Zwei Tage später, am 5. September 2002, machten wir uns an die Arbeit. Am 13. September  wurde das fertige Labyrinth im Rahmen einer kleinen Feier mit einem Apéro eingeweiht. Seitdem kann man es jederzeit begehen. Ein ausführlicher Beitrag in der regionalen Zeitung Walliser Bote informierte über das Ganze.

Und hier muss ich mich korrigieren: Seitdem konnte man es jederzeit begehen, denn Stand heute, 31. März 2022, gibt es dieses wunderbare Gebilde nicht mehr. Es existiert zwar noch bei Google Earth (→ Birkenlabyrinth forever) als Hinweis – aber „die Steine wurden entfernt“, wie mir das Tourismusbüro von Bürchen auf Nachfrage lapidar mitteilte.

Aber hier tu ich mal so, als existiere das Birkenlabyrinth noch immer:

Das fertige Gebilde ist mehr als 500 Meter lang, wenn man den Weg hinein zum Kern UND wieder hinaus zum Ausgang/Eingang zählt. Der Gang ist rund 1,50 m breit; die Fläche der Anlage beträgt 450 qm. Einen besonderen Kick erlebt man, weil die Wiese leicht schräg ist und man also nicht nur die typische Pendelbewegung beim Begehen eines Labyrinths kretischen Stils (mit nur einem Gang) vollzieht, sondern auch den Wechsel des Hinauf und Hinab (oder wie die Oberwalliser sagen: „Ambrüf un am Bri“).

Einige Bilder

Die Fotos (alle selbst gemacht) dokumentieren die Entstehungsgeschichte des Birken-Labyrinths (das so heißt, weil es sich inmitten vieler Birken befindet und weil der Ort Bürchen seinen Namen von eben diesem Baum ableitet: birchu) und sich die Struktur passenderweise am Birken-Lehrpfad der Gemeinde befindet und dort integriert wurde, samt Schautafel.
Bei nächster Gelegenheit sollte ich mal Bilder aus der Luft machen, auf denen man die Struktur der Anlage besser erkennt (ich weiß schon, wer mich vom Flugplatz Raron in seiner Einmotorigen hochfliegen kann). Die Leiter, von der aus ich am Rand der Wiese fotografierte, war gerade mal drei Meter hoch und verdammt wackelig. Aber ich denke, man sieht, worum es geht.*

* So ein Luftbild bzw. Satellitenbild existierte lange, wenn man den Ort bei Google Earth ansteuerte.

Zunächst einmal, gezeichnet, der schematische Anblick des Labyrinths, wie man es von oben aus der Luft sehen würde. Üblicherweise befindet sich der Eingang unten rechts – wegen der Lage der Wiese musste ich die Struktur jedoch spiegeln, sodass sich der Eingang jetzt, wie in der Zeichnung, unten links befindet.

Abb. 1: Schematischer Anblick des Labyrinths aus der Vogelperspektive (gezeichnet). 
Abb. 2: Blick auf die Wiese nahe dem Walliser Dorf CH-3935 Bürchen – die mit Steinen ausgelegte Struktur ist deutlich zu erkennen.

Abb. 3: Ohne die vielen Steine auf diesem Haufen linkerhand wäre das Werk nicht gelungen – Dank an den örtlichen Bauunternehmer Leo Gattlen.

Abb. 4: Die Schülerinnen und Schüler der Bürchner Grundschule, die fleißig Steine in ihren Kraxen schleppten.

Abb. 5 : Bei der Einweihung am 13. September 2002 liefen alle Anwesenden mal durch das Labyrinth – rechts Lehrer Werlen.

Abb. 6: Blick auf das majestätische Bietschhorn im Abendlicht, wie man es vom Labyrinth aus sieht.

Abb. 7: Robert Jez, bildhauernder Seminarteilnehmer aus Wien, schlug 2004 aus einem Felsbrocken diese rätselhafte Figur, die zum „Hüter des Labyrinths“ ernannt wurde.

aut #324_2022-04-01/11:55 (2008-06-08/11.02)

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