Tempolimit sofort!

Eigentlich wäre ja die FDP die für mich „zuständige“ Partei. Ich war, von zwei Jahren als angestellter Lektor (1968 und 1969) mal abgesehen, immer Freiberufler bzw. Selbständiger: als Psychologe mit eigener Praxis und parallel dazu als Schriftsteller und Journalist. Aber ich habe die FDP nur ein einziges Mal gewählt, als sie bei einer Kommunalwahl eine Frau aufstellte. Warum wohl sonst nicht?
Was ich an der FDP nie mochte – und jetzt noch weniger schätze – war diese Gutsherrenart, sich unverblümt „nur“ für die Anliegen der Gutverdienenden und der Reichen einzusetzen.

Abb.: Vor einer roten Ampel müssen alle halten – und die meisten Verkehrsteilnehmer tun dies auch brav

Zur Zeit macht die FDP eigentlich keinen schlechten Job. Aber wie sie mit dem Tempolimit umgeht, das ist nicht nur politisch ungeschickt, sondern brunzdumm. Wir wissen alle, dass auf einen Großteil unserer Gesellschaft enorm schwierige Zeiten zukommen, mit explodierenden Energiepreisen, immer desolater werdendem Wohnungsmarkt und Inflation und dazu der zunehmenden Unsicherheit, was der Klimawandel, die Corona-Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine alles noch von uns verlangen werden.
Die Grünen sind jetzt sogar bereit, die allergrößte Kröte zu schlucken und die existierenden Atomkraftwerke eine Weile weiterlaufen zu lassen. Aber beim Tempolimit dem Großteil der dazu bereiten Gesellschaft entgegenkommen – dieser „Kröte“, welche die Grünen ja tapfer bei den Koalitionsverhandlungen von der FDP geschluckt haben, nämlich die vorher sehr klare Forderung nach einem Tempolimit fallen zu lassen?

Am vergangenen Sonntagabend (24. Juli 2022) in der Talkshow bei Anne Will wurde u.a. dieses Tempolimit mit sehr vernünftigen Argumenten ins Spiel gebracht: Bringt wahrscheinlich nicht sehr viel – ist aber doch ein wichtiger Teil-Beitrag, den Klimawandel ein wenig zu bremsen, Energie zu sparen, Ozonbildung zu vermeiden (in diesem heißen Sommer in der Großstadt das Umweltgift schlechthin). Ein Beitrag, der überhaupt nichts kostet – außer ein wenig Verzicht auf die fragwürdige Freiheit, auf einer vielleicht freien Autobahn zu Rasen so schnell, wie man will und wie der eigene Wagen hergibt. Also das pubertäre Gehabe von sich potent fühlenden Alphamännchen, die ihre Bedeutung nur so zeigen können – vermute ich mal. Keine Frau wäre so bescheuert, hier von „Freiheit zu reden“ – wie der Graf Lambsdorff von der FDP in aller Öffentlichkeit im Fernsehen.

Und wo bleibt die generöse politische Geste des Verzichts – angesichts der wachsenden Nöte immer größerer Teile der Bevölkerung, die sich nicht einmal ein eigenes Auto leisten können und schon gar nicht das Vergnügen der „freien Fahrt für freie Bürger“.
Schon mal was von „Solidarität“ gehört, Graf Lambsdorff?

Vor einer roten Ampel müssen auch alle Autofahrer halten und tun dies brav

Petra Pinzler (Korrespondentin im Hauptstadtbüro der ZEIT) hat Ihnen doch eine wunderbare Brücke gebaut, über die Sie hätten gehen können: Auch eine rote Ampel beschneidet die Freiheit ALLER Bürger, selbst wenn gerade kein Querverkehr kommt. Alle Autofahrer (!) bleiben brav bei Rot stehen – nur ab und zu flitzt ein frecher Radfahrer über die Kreuzung oder ein Fußgänger sieht, dass kein Querverkehr kommt (und vielleicht gerade kein Kind zuschaut, für das man ein schlechtes Vorbild wäre).
Da wird also bei einer längeren Fahrt durch eine Großstadt wie München an gut hundert Ampeln, die möglicherweise auf „Rot“ stehen, die „Freiheit“ beschränkt. Funktioniert doch – weil nämlich die meisten Menschen einsehen, dass dies sinnvoll ist – oder weil sie keine saftige Strafe riskieren wollen, falls doch mal zufällig ein Polizist sie „überwacht“.

Rauf auf die Brücke, Graf Lambsdorff! Machen Sie resp. die FDP endlich mit beim Tempolimit! Dann wird man Ihrer Partei vielleicht auch diesen Schwachsinn der „royalen Hochzeit“ Ihres Chefs Lindner auf Sylt leichter nachsehen. Ihre PS-protzigen Alphamännchen-Wähler können ja trotz generellem Tempolimit weiterhin  auf freien Autobahnen und Überlandstraßen voll aufdrehen und 200 oder 300 PS aus ihrem Porsche rauskitzeln – so eine Verkehrsstrafe (falls sie mal zufällig dabei erwischt werden) zahlt man doch locker aus der Spesenkasse.

Die Geste – es kommt auf die generöse Geste an. Das müsste Ihrer Gutsherren-Gehabe-Partei doch leicht fallen – eine generöse Geste:
„Ja, Leute, wir haben verstanden. Wir verzichten zum Gedeihen des großen Ganzen unserer Gesellschaft auf ein winziges Stück unserer Freiheit. Wir haben ja sonst noch genügend Freiheiten (weil Geld und Einfluss)“.

Und ansonsten wünsche ich mir von den Grünen und der SPD, dass sie der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wegen der Energiekrise nur dann zustimmen, wenn diese Tempolimit dafür in die angepassten Koalitionsvereinbarungen aufgenommen wird. Schließlich hat ja sogar Norbert Röttgen von der CDU sich am selben Talkshow-Abend dafür bereit erklärt.

Vielleicht wähle ich die FDP dann mal wieder. Ansonsten wird diese Verweigerung ein weiteres Steinchen am Grabstein der FDP – hoffe ich.

273 _ aut #1413 / 2022-07-26/10:00 Die

Hinterlasse einen Kommentar