Einmal im Monat, immer am zweiten Dienstag, trifft sich ein Grüppchen von Afficionados der Science Fiction und Fantasy. Sie nennen sich die Phantasten. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das erste Mal dabei war – das könnte Mitte der 90er Jahre gewesen sein, weit draußen im Südwesten am Münchner Stadtrand in einer urigen bayrischen Wirtschaft (das gab es damals noch). Dann war anderes wichtiger. Aber seit etwa zehn Jahren bin ich immer regelmäßiger anwesend – und jetzt würde mir etwas fehlen, wenn ich nicht dabei bin. Derzeit alles online – was kein Schaden ist, weil es dann leichter ist, die Vorträge einzublenden, die jedes Treffen einläuten.
(Wenn jemand Lust hat, mitzumachen: Der Ansprechpartner ist Udo Klotz, und hier findet man die Website (in meiner BlogRoll ist sie auch aufgeführt): Die Phantasten.)

Warum wir auf dem Bild alle lachen? Genau weiß ich das nicht mehr, weil ich mit Fotografieren beschäftigt war. Das muss etwas mit dem Thema „Schwarmintelligenz“ zu tun haben, das zum Schluss auftauchte – als wir eigentlich alle schon beim Ausklinken und Aufbrechen waren. Dieser etwas esoterisch aufgeladene Begriff der Schwarmintelligenz äußert sich bei solchen Phantasten-Abenden immer dann ganz real, wenn ein bestimmtes Thema (meistens durch den vorangegangenen Vortrag aktiviert) unser Kreativität und Phantasie anregt und wir denn fast wie ein übergeordnetes Globales Gehirn zusammenarbeiten – Schwarmintelligenz eben.
(Mehr Bilder und Details zu den Phantasten im nächsten Beitrag: → Phantasten up up and away.)
Der Vortrag des aktuellen Abends (09. März 2021) von Constanze befasste sich mit William Morris, einem uns zunächst völlig unbekannten britischen Autor und Innenarchitekten (diesen Beruf gab es damals noch gar nicht – er hat ihn mit begründet), der durch den Vortrag immer mehr an Inhalt und Konturen gewann. Wenn man den Namen googelt, tauchen sofort seine Vorlagen für Tapeten und Teppiche auf – die heute noch offenbar gut verkauft werden. Seine sehr „blumigen“ Graphiken weisen ihn als einen Vorläufer dessen aus, was später in Deutschland Jugendstil genannt wurde und im angloamerikanischen Bereich Art nouveau. Eigentlich ein Nischenthema – aber durch den anschließenden Gedankenaustausch gewann dieser Mann immer mehr lebendige Präsenz – Schwarmintelligenz in Aktion, eben.
Befragen wir doch mal dieses schwarmintelligente Werk der Menschheits-Enzyklopädie Wikipedia zum Morris:
„William Morris beschreibt seine Idealvorstellung einer Gesellschaft in seinem utopischen Roman News from Nowhere (dt. Kunde von Nirgendwo). In dieser Welt arbeiten die Menschen nur aus Vergnügen und verschenken ihre hochwertigen Handarbeiten an diejenigen, die sie wertschätzen. Diesen Wunsch versuchte Morris durch verschiedene Initiativen zu erfüllen und musste immer feststellen, dass sich seine qualitativ hochwertigen Produkte nur Leute der wohlhabenden Gesellschaftsschicht leisten konnten. Die anderen mussten sich – zu Morris Bedauern – mit maschinell hergestellten Möbeln einrichten.“
MultiChronalia
Das Spannende an solchen Abenden ist für mich stets die (persönliche) Zeitreise zurück in andere Zeitschichten – in diesem Fall die Erinnerung am Clubabende in der Münchner Gruppe des Science-Fiction Club Deutschland in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren – wo Freundschaften entstanden, von denen ich noch heute zehre. Das aktuelle Jahr 2021 – das war damals fernste Utopie – Science-Fiction eben. Wer konnte sich vor 60 Jahren so etwas wie das heute weltumspannende Internet und (fast) überall hinfunkende Smartphones vorstellen – die nun wirklich so etwas wie die technische Grundlage eines sich entwickelnden Global Brain sind.
Der Titel eines visionären Sachbuchs von Peter Russell zu diesem Thema war Die erwachende Erde und die These des Autors, dass die Menschheit dann einen evolutionären Entwicklungssprung zum Globalen Gehirn macht, wenn die Zahl der Menschen 10 Milliarden erreicht – weil dies der Zahl der Neuronen des menschlichen Gehirns entspräche (wie man im Jahr 1982 glaubte, als das Buch erschien). Dieser Analogieschluss war äußerst kühn und passte wunderbar in die Phantasien vom Wassermann-Zeitalter mit seiner Transformation der Menschheit in jenen Jahre des Aufbruchs um 2000 in ein neues Millennium.
„10 Milliarden Menschen“ – diese Zahl erwartet aktuell man für das Schlüsseljahr 2050 – wenn sie jemals erreicht werden sollte. Drei Milliarden wären wohl die optimale Zahl (wieder mal die drei!)
Nun, der politische Rollback der kleingeistigen Angsthasen am rechten Rand der Gesellschaft hat solche Phantasien gewaltig zurechtgestutzt. Jemand wie Donald Trump denkt lieber an die nächste Runde auf dem Golfplatz oder an ein paar dämliche Twitter-Sätze – denn an so etwas wie die Weiterentwicklung der Menschheit zum Homo futurus.
Auch schätzt man inzwischen die Zahl der Neuronen im menschlichen Gehirn auf das zehnfache (100 Milliarden – mit unvorstellbaren 100 Billionen synaptischen Verbindungen). Eine Menschheit mit 100 Milliarden Individuen wird es ganz sicher nie geben, weil sie lange vorher im eigenen Müll ersticken und den Planeten schon mit der eigenen Körpertemperatur ins Unerträgliche aufheizen würde – weit über das hinaus, was wir heute allmählich als „Klimawandel“ erkennen und fürchten lernen.
Doch zurück zum Vortrags-Thema „William Morris“. Dieser Mann war nicht nur schon um 1850 supermodern mit seinen Anschauungen über „gutes Wohnen“ (als Kombination von nützlich und schön), sondern auch einer der ersten Sozialutopisten, der manchen kühnen Gedanken vorwegnahm, den H.G. Wells dann in seinen Utopien vom Krieg der Welten und von der Zeitmaschine (1895) und anderen Werken weiterspann. Ich würde mir persönlich nie eine seiner blumig wuchernden Tapeten an die Wand kleistern (ich liebe leere weiße Wände mit ein, zwei Bildern) – aber wie in kurzer Google-Trip in Internet zeigt: Viele Menschen mögen offenbar genau das und bestellen noch heute William Morris-Tapeten und -Teppiche. Meine Tante Lis, die Schwester meiner Mutter, war Innenarchitektin – sie hätte solchen üppig wuchernden Farbenzauber wohl auch nicht sonderlich geschätzt. Aber wie meine Mutter treffsicher zu sagen pflegte (im Rehauer Dialekt): „Jeder Mensch is annerscht olber“ – wobei „olber“ in einem guten Sinn so viel heißt wie „eigenartig“.
Noch ein Nachtrag zu William Morris: Er kam aus einem sehr wohlhabenden Elternhaus (wer sonst kann es sich dann leisten, sich für den Sozialismus zu engagieren). Das erste, was ich mir bei Constanzes Vortrag über diesen britischen Phantasten notierte, war, dass er „ab seinem 21. Lebensjahr eine Rente bekam“ (die sich aus damals sehr erfolgreichen Aktien speiste). Einer meiner Urgroßväter, Philip Hertel, war als Viehhändler in Rehau so erfolgreich, dass er mit 50 „Pensionär“ werden konnte. Aber mit 21! Vow – das nenne ich „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Und wie man an seinem Leben sieht ,hat er etwas verdammt Gutes draus gemacht..
Das Globale Gehirn wird viele solche Widersprüchlichkeiten aushalten und ausgleichen müssen. Einer wie Donald Trump hat da nichts zu suchen.
Quellen
Morris, William: News from Nowhere. London 1890.
Russell, Peter: The Awakening Earth. (London 1982). Deutsch: Die erwachende Erde: Unser nächster Evolutionssprung. München 1991 (Heyne TB).
aut #432 _ 2021-03-09/21:44