_HANDBUCH DER RAUSCHDROGEN (mit Wolfgang Schmidbauer)

Wenn ich meine Buchveröffentlichungen Revue passieren lasse, tanzt eines gewissermaßen aus der Reihe, und zwar das komplexeste und erfolgreichste Werk: Das Handbuch der Rauschdrogen:
° zum einen, weil ich es nicht allein, sondern gemeinsam mit einem Kollegen (Wolfgang Schmidbauer) verfasst habe;
° zum anderen, weil es eine dreifache Kombination darstellt von Lexikon (in alphabetischer Anordnung), umfangreichen Artikeln zu Spezialthemen wie „Drogentherapie“, sehr detailliertem Glossar und entsprechend umfangreichen Sach-Register, Personen-Register und extra Drogen-Register sowie einer extensiven Zeittafel (die allein den Preis des Buches wert ist);
° dann weil die Idee dazu nicht von uns selbst kam, sondern vom Verleger Berthold Spangenberg;
° und schließlich, weil das Werk immer umfangreicher wurde, von ursprünglich 259 auf 702 Seiten anwuchs – dazwischen sogar einige Auflagen mit einem integrierten anderen Büchlein als Spezialfall: Meine Studie über Freud und das Kokain.

Zwischen 1971 und 2004 gab es 11 verschiedene, immer mehr ergänzte Ausgaben in mehr als 20 Auflagen (das lässt sich heute gar nicht mehr rekonstruieren, weil es Hardcover-Editionen gab und jeweils auch Taschenbuchausgaben, und die Verlage nicht immer sehr transparent abrechneten*). Finanziell war das Werk sehr erfolgreich, mit einer Gesamtauflage von (geschätzten) 250.000 Exemplaren. Da die immer neue, zusätzliche Aktualisierung alle paar Jahre bei diesem dynamischen Thema jedoch unzählige Stunden fraß, schrumpft das auf einen Stundenlohn für uns beide zusammen, der kaum über zehn Mark, später Euro gelegen haben dürfte. Welche Putzfrau würde dafür einen Besen in die Hand nehmen?

* Die Taschenbuchausgaben wurden immer erfolgreicher, von der Hardcover-Ausgabe (die ja der direkte Gegenstand unseres Verlagsvertrags war) wurden nur noch einige hundert Exemplare verkauft. Für letztere bekamen wir unser Honorar – am Taschenbuch aber einen viel geringeren Anteil – obwohl wir in die Hardcover-Ausgabe unsere immer neue Arbeit steckten.

In der Schlussphase, der 11. Ausgabe von 2004, kam noch eine dritte Person dazu: Monika Schulenberg, die einige neue Beiträge verfasste (wozu sie als Apothekerin bestens gerüstet war). Sie hätte irgendwann das Konvolut allein weiterstemmen sollen – aber das Internet, das ja viel rascher und nicht selten auch kompetenter arbeitet (zum Beispiel im Rahmen der Wikipedia) hat dem Unternehmen schließlich nach 34 Jahren den Garaus gemacht (2005 erschien die letzte Taschenbuchausgabe bei Fischer). Ganz abgesehen davon, dass man so ein riesiges Sachgebiet auch zu dritt nicht mehr guten Gewissens auf den Markt bringen kann – und dass auch ein Grad von Selbstausbeutung erreicht war, der das Projekt für uns Autoren sinnlos machte.

Raubdruck ehrt und ärgert uns

Was uns als Autoren natürlich besonders gefreut hat – wenngleich auf höchst zwielichtige Art – war der Raubdruck, denn wir 1972 in Berlin zufällig beim Bummeln entdeckten. Dieter Lattmann, Präsident des Verband Deutscher Schriftsteller (VS), hatte uns zu einem gemeinsamen Festvortrag für die Jahresversammlung des VS in die damals noch geteilte Stadt eingeladen. In einer Pause schauten wir uns an, was die Bouquinisten vor dem Tagungsgebäude so zu bieten hatten und entdeckten dabei ein sehr primitiv zusammengestoppeltes Büchlein, das beim Umblätter fast auseinanderfiel und sehr billig kopiert war. Es enthielt Teile des Handbuchs und noch einen Artikel aus meinem Reader Drogenabhängigkeit.
Unsere zwiespältigen Gefühle rührten zum einen daher, dass wir uns um unser Honorar betrogen fühlten – andrerseits aber durchaus die „Empfehlung“ und Würdigung sahen, die so ein Raubdruck ja darstellt (der vor allem für Studenten gedacht war).

Das sind so Gedanken, die man sich beim ersten Entwurf nicht macht. Man legt mit großer Naivität (und gerade mal 30 Jahre alt) einfach los – und schaut, wie weit man kommt. Und ja: Man wächst mit seinen Aufgaben.
Das Handbuch kam genau zum richtigen Zeitpunkt, als das Drogenthema mit Haschisch, Marihuana und LSD seien ersten exotischen Impulse bekam, angefeuert von den politischen Veränderung durch die 68er Generation, die nach Bewusstseinsveränderung und -erweiterung vor allem durch „sex und drugs and rock´n´roll“ strebte. Da lagen wir mit unserem Handbuch der Rauschdrogen goldrichtig.

Für mich kam damals in den 70er Jahren noch dazu, dass ich mich einige Jahre auf die beratende und therapeutische Arbeit von Drogenkonsumenten spezialisierte, darüber forschte (meine Dissertation Der falsche Weg zum Selbst war das Ergebnis dieser praktischen Arbeit und empirischen Studien und zugleich – schon im Titel – die Antwort auf allzu drogenselige Heilsbringer-Botschaften, von denen der Zeitgeist in jenen Tagen geradezu „schwanger“ war – wenn ich diese kühne Formulierung einmal verwenden darf.
Ich machte Beratungen in so ziemlich jedem deutschen Internat (wo man den Geruch der Joints manchmal schon beim Betreten der Zimmer zu riechen meinte), hielt unzählige Vorträge, schrieb einschlägige Artikel für alle möglichen Zeitungen und Magazine, führte Seminare durch – und merkte nicht, dass ich allmählich auf einen kräftigen Burn-out zusteuerte.

Highlight jener Tage war die Frage eines Beamten im Kultusministerium (den ich wegen etwas völlig anderem konsultierte – nämlich um die Adresse der Witwe eines verstorbenen Freundes zu erfahren, vor der ich wusste, dass sie Lehrerin war). Als ich meinen Namen nannte, sagte der Mann hinter dem Tresen am Empfang ein wenig verwundert: „Sind Sie der Drogen-Scheidt?“

Ja, das war ich. Der Drogen-Scheidt. Und genau zu jener Zeit passte es, damit aufzuhören und etwas Neues zu beginnen. Das war zunächst die Arbeit mit Alleinlebenden vulgo Singles. Dann das Kreative Schreiben“ – dann mehr und mehr das spezielle Thema „Hochbegabung“.

Nachtrag Februar 2021: In den USDA haben schon eine Reihe von Staaten (wie Kalifornien) die Handprodukte legalisiert und zum freien Verkauf freigegeben. Das gleiche geschah schon vorher in Holland („Coffee Shops“), dann in Spanien. Auch andere Länder und irgendwann sogar Deutschland (und Bayern!) werden folgen müssen – einfach aus Vernunftgründen. So lange die Drogen von international agierenden Kartellen bis herunter zum Straßendealer vertickt werden, sind die Konsumenten den Lieferanten ausgeliefert. Würde man Cannabis legal in der Apotheke bekommen (meinetwegen auf Rezept) oder in speziellen Läden, könnte der Staat – wie beim Alkohol, Steuern kassieren. Die Kriminalität würde ausgetrocknet. Die Konsumenten würden ent-kriminalisiert – und für viele grade jungen Leute wäre der „Stoff“ nicht mehr so interessant, weil „verboten“.
Verharmlosen sollte man weder Marihuana noch das stärkere Haschisch – nicht zuletzt, weil immer stärkere hochgezüchtete Varianten auf den Markt kommen. Halluzinogene heißen nicht zufällig so, sondern weil sie Halluzinationen auslösen können – und das ist nicht ungefährlich, vor allem für instabile und ´neurotisch gestörte Menschen.

Das ist doch mal ein passabler Schlussstrich unter einige Jahrzehnte Beschäftigung mit diesem Thema.

Die letzte Ausgabe 2005 – als Taschenbuch-Version der 11. Ausgabe von 2003

Bibliographie
Schmidbauer, Wolfgang und Jürgen vom Scheidt: Handbuch der Rauschdrogen. München 1971 (Nymphenburger Verlagshandlung).
dieselben u.a. Autoren: Rauschdrogen – Drogenabhängigkeit. Raubdruck ohne Angaben (vermutlich Berlin 1972).
dies: Handbuch der Rauschdrogen. 11. und letzte Ausgabe. München 2003 (Nymphenburger Verlagshandlung).
dies.: Handbuch der Rauschdrogen. Taschenbuchausgabe der 11. Ausgabe. Frankfurt am Main 2005 (Fischer).
aut #555 _ 08. Feb 2021 _

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