Urgroßeltern Anna und Ferdinand Naumann

Es gibt in diesem Blog bisher kaum Frauen. Das wird sich ändern, denn eine Reihe von Frauen waren die wichtigsten Beeinflusser meines Lebens – allen voran natürlich meine Mutter (mit den beiden Neben-Müttern, wie ich sie mal nennen möchte: Mutters ältere Schwester Lisbeth, genannt Lis, und das Kindermädchen Else Köster).

Meine erste Frau Elke war der zweite zentrale weibliche Faktor in meinem Leben.

In der beruflichen Fortbildung wurden dann Elisabeth von Godin als TZI-Lehrerin und Gestalttherapeutin, und Ruth C. Cohn, die Gründerin der TZI, plus einige weitere TZI-Frauen starke Einflüsse. Aus demselben „TZI-Stall“ kam 1976 meine zweite Frau Ruth. Mit ihr baute ich meine dritte berufliche Existenz auf.

Bei den weiblichen Vorfahren (Vorfahrinnen) wird es rasch dünn. Meine Oma Hertel, die Mutter meiner Mutter Marie, habe ich noch kennengelernt, in meinen ersten beiden Lebensjahren; dann starb sie einen schrecklichen Krebstod. Vor diesem Schrecken floh buchstäblich ihr Mann, mein Großvater Karl Hertel, als Major der Reserve in die Schrecken den Zweiten Weltkriegs – obwohl er Adolf Hitler, seinen obersten Kriegsherrn, verabscheute.
Die andere Oma, Mutter Nanni (17. Juni 1881 bis 08. Februar 1929) meines Vaters, habe ich nie erlebt, weil sie schon sehr früh starb.
Und die vier Urgroßmütter? Nur Namen und Daten im Familienstammbuch. Bis auf eine, Anna Naumann, die zur überraschenden Entdeckung wurde, als ich die Tagebücher ihres Mannes auszuwerten begann. Aber davon an anderer Stelle mehr bei der → Begegnung mit Urgroßmutter Anna.

Aus Urgroßvaters Tagebüchern: Die Schrecken des Winters

Mit großem Respekt mache ich hier → Auszüge aus den Tagebüchern meines Urgroßvaters Ferdinand Naumann zugänglich, die über meinen Vater (wohl sein Lieblingsenkel) auf mich gekommen sind. Ferdinand Naumann (27. Januar 1849 bis 20. Juli 1916) war Gastwirt auf dem Inselsberg bei Jena, wo er das Hotel „Gotha“ betrieb – nahe bei einem anderen Ausflugslokal jenseits der Landesgrenze, die zwischen Sachsen-Gotha (sein Territorium) und Thüringen (die Konkurrenz) verlief.

Über seine Frau Anna (geb. Duhm 21. November 1844 bis 28. Januar 1929) weiß ich fast nichts. Das „fast“ ist sehr wichtig – denn es gibt einen → Brief von ihr, der sehr viel über sie aussagt. Dies ist das einzige persönliche schriftliche Zeugnis ihrer Existenz. Ansonsten taucht sie nur passager als „Mutti“ im Tagebuch ihres Mannes auf. Sie war Mutter von sechs Kindern. Ihre Tochter Nanny heiratete den Hugo vom Scheidt, mit dem sie ihrerseits vier Kinder zeugte und großzog – von denen das jüngste, Helmut, mein Vater wurde.

Mein Vater Helmut vom Scheidt war immer davon überzeugt, dass sein Großvater Ferdinand das Vorbild für den seinerzeit sehr erfolgreichen Roman Der Herr Kortüm von Kurt Kluge war. Ich konnte davon nur sehr wenig Oberflächliches in besagtem Roman entdecken – außer, dass dieser Kortüm auch ein Gastwirt war. In Kindlers Literaturlexikon fand ich Folgendes:

In bunt aneinandergereihten, zumeist skurrilen und vergnüglichen Episoden erzählt Kluge in seinem erfolgreichsten Werk vom Leben des Gastwirts Friedrich Joachim Kortüm, der in charakteristischen Zügen dem Schöffenwirt Wöllmer bei Ilmenau nachgezeichnet ist. Herr Kortüm, »der Sohn eines großen Hamburger Weltkaufmanns«, ist nach langem Seefahrerdasein auf einer Paßhöhe des Thüringer Waldes als Wirt des Schottenhauses seßhaft geworden.

Die Örtlichkeit (Passhöhe des Thüringer Waldes) stimmt geographisch ungefähr überein mit dem „Inselsberg bei Jena“. Aber ansonsten – nada. Dabei hätte es in Urgroßvaters Leben interessanten Romanstoff genug gegeben.:
° Etwa die Notiz, die er auf dem Küchentisch des Gasthofes hinterließ: „Ich mache nach Ägypten“. Worauf er drei Monate spurlos verschwand.
° Vielleicht kündigte er damit ja seine Reise an die Riviera an, die er tatsächlich mit einem Freund gemacht hat (und wollte ursprünglich weiter, eben nach Ägypten) und sehr anschaulich auch dokumentiert hat → BILDUNGSREISE ANNO 1908 – Aus Urgroßvater Naumanns Tagebüchern.
° Oder sein Liebäugelnd mit den Freimaurern, das in den Tagebüchern immer wieder aufblitzt – und schlagartig aufhört, als er tatsächlich Mitglied einer Loge wurde.
° Oder seine Versuche, mit Artikeln in einer Zeitschrift für Frauen zu reüssieren – wozu er sicher begabt gewesen wäre – sich aber nicht traute. Denn die plötzlichen Nöte seiner Frau* haben seine schriftstellerischen Ambitionen wohl kurzzeitig ausgebremst – aber warum hat er sie später nicht weiterverfolgt? Jedenfalls ist ganz klar, das dieser Urgroßvater Ferdinand Naumann (und am Rande auch seine in dieser Hinsicht sehr begabte Frau Anna) die Quellen meines eigenen (über meinen Vater weitergegeben) Schreibtalents sind.

* Den 13. December 86 / Was ist doch alles in der kurzen zeit passiert, lauter Unglück, es ist doch ein recht schwerer Sturm im Winter hier auf dem Inselsberg! Der 7. Decbr. war gut hingegangen, am 8ten hatte ich meinen Aufsatz ausgearbeitet, welchen ich der Frauenzeitung „Fürs Haus“ schicken wollte, mir ist aber vor lauter Kummer vollständig die Lust dazu vergangen! In der Nacht vom 8. zum 9. Decbr. (abends vorher hatte noch Schach gespielt mit meiner Frau) weckte mich die Letztere und ließ nicht nach, ich sollte den Kutscher wecken, sie müßte sofort nach Gotha fahren, wer weiß, ob sie morgen noch fahren könnte. – Eine starke Blutung, das alte Leiden hatte sich plötzlich während der Nacht wieder eingestellt. Meine Besorgniß, sie werde das Fahren nicht aushalten, ließ sie nicht gelten, und so weckte ich denn den Kutscher u. das Mädchen und um 5 Uhr morgens waren wir zum Abfahren fertig! –

Das Urgroßelternpaar hat Schach miteinander gespielt – auch nicht gerade der Normalfall um 1886!

Die Einkünfte des „Hotel Gotha“, noch dazu mit der Konkurrenz in Blickweite, waren sicher nicht sehr üppig; der Urgroßvater klagt in seinen Notizen immer wieder über Geldnöte. Das änderte sich erst, als er sich (190?) verbessern konnte, indem er die Bahnhofswirtschaft des Hauptbahnhofs Erfurt übernahm. Sein Sohn Erich, der Älteste, wurde dort sein Nachfolger. Dem gelang dann der Riesensprung in den Hauptbahnhof Leipzig – der schon wegen der zweimal jährlichen Messe ein Riesenerfolg war, nicht nur in finanzieller Hinsicht für den bald sehe wohlhabenden Mann. Doch darüber demnächst mehr in der → „Begegnung mit Großonkel Erich Naumann“. (work in progress)

Quellen
Kluge, Kurt : Der Herr Kortüm. Roman Erstdruck: Stuttgart, Engelhorn, 1938. Neuausgabe. Herausgegeben von Karl-Maria Guth. Berlin 2018. Umschlaggestaltung von Thomas Schultz-Overhage unter Verwendung des Bildes: Erhard Ehrlich, Illustration unter Verwendung einer Grafik von Vincent van Gogh.
Naumann, Ferdinand. Handschriftliche Tagebücher. Inselsberg bei Jena und Erfurt 1886-1914.

aut #803 _ 2021-03-10/22:04

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