Dies ist der erste Beitrag einer Serie zum Thema „Hochbegabung“ hier im Blog (s. auch die SEITE Hochbegabt? Selbsttest).

Wie erkennt man Hochbegabung?
Der sicherste Weg, Hochbegabung zu erkennen, ist ein standardisierter Intelligenz-Test wie der Hamburg Wechsler Intelligenztest für Erwachsene (HaWIE) oder die Variante für Kinder (HaWIK). Aber es gibt eine Reihe von Anzeichen, anhand derer man gewissermaßen „von außen“ abschätzen kann, ob jemand überdurchschnittlich intelligent oder begabt ist (was nicht unbedingt dasselbe ist). Ich bezeichne diese Ferndiagnostik als BrainSpotting – analog zum beliebten Trainspotting, mit dem Eisenbahn-Fans Lokomotiven und Züge zu erkennen versuchen – oder Flugzeug-Fans mittels Planespotting ihre fliegenden Lieblinge. Solche Ferndiagnosen sind bei den wissenschaftlichen Psychologen nicht sehr beliebt. Aber ich musste, wie jeder praktizierende Psychologe, ein Gespür dafür entwickeln, mit welcher intellektuellen Kapazität ich es bei jemanden zu tun hatte, der meinen psychologischen Rat suchte (bei der Dogenberatung, bei der Single-Beratung, später auch bei der Arbeit mit Hochbegabten und in meinen Schreib-Workshops). Dabei war ich mir jedoch stets bewusst, dass so eine Einschätzung „von außen“ genau dies ist: Eine Schätzung. Wenn man auf „Nummer sicher“ gehen will, kommt man um einen Intelligenz-Test nicht herum.
Der von mir entwickelte Selbst-Test entstand bei der Arbeit an meinem Sachbuch Das Drama der Hochbegabten. Er besteht aus einer Reihe von ehr zuverlässigen Merkmalen, die typisch für Hochbegabte sind, und soll jemandem, der sich Klarheit über die eigene intellektuelle Kapazität verschaffen will, eine erste Annäherung ermöglichen.
Wie gesagt: Mit Vorsicht zu genießen – aber ein (hoffentlich) hilfreicher erster Schritt. Wenn man genaueres wissen will, sollte man einen zertifizierten Testpsychologen konsultieren . Man findet welche über bei dem Hochbegabten-Verein mensa, an einem der dafür eingerichteten Hochschul-Institute oder bei extra qualifizierten Test-Psychologen und -Psychologinnen des „Berufsverbands Deutscher Psychologen (BDP)“→ Die Hochbegabung .
„Hochbegabt“ ist nicht gleich „erfolgreich“
Vorab Hinweise zu drei Kardinalfehlern, die gerne beim Thema „Hochbegabung“ gemacht werden:
1. Hochbegabte können zwar aufgrund ihrer Talente sehr erfolgreich werden, auch finanziell. Aber das ist keineswegs bei allen der Fall (man nennt diese „Minderleister“ oder Underachiever).
2. Hochbegabte sind mitnichten ethisch oder moralisch besonders hochstehend. Bei vielen ist dies wirklich der Fall – aber es gibt auch hb Kriminelle und Soziopathen, die ungemein zerstörerisch für ihre Umgebung sind. (Solche Figuren sind beliebt bei Krimi-Autoren und ihren Lesern – die Mad Scientists wie der berüchtigte und weltberühmte „Dr. Viktor Frankenstein“ oder der Wegbereiter der Mondlandung Wernher von Braun mit seiner Nazi-Vergangenheit sind es eher bei der Science-Fiction).
3. Hochbegabte (mit einem IQ über 130 in einer Standard-Testbatterie) sind keineswegs Genies. Einige von ihnen gelten als „Höchstbegabte“ und ganz wenige sind richtige Genies (zum Beispiel Sigmund Freud oder Albert Einstein).
Ein besonders krasses Beispiel für Erfolglosigkeit ist Vincent van Gogh. Zumindest zu seinen Lebzeiten blieb ihm fast jede Anerkennung als bahnbrechender Maler und schon gar finanzieller Erfolg total versagt. Wir als seine späten Nachkommen wissen, dass seine Bilder heute mit gigantischen Summen gehandelt werden – wenn sie überhaupt käuflich sind. Er selbst nagte buchstäblich „am Hungertuch“ und starb unter ganz elenden Umständen, nicht zuletzt, weil er sich für gescheitert hielt. Dabei war er nur seiner Zeit zu weit voraus.
Gleich zu gleich gesellt sich gern
Nicht nur nach meiner Beobachtung sind Hochbegabte gerne unter sich. Das ist verständlich, denn wenn man selbst überdurchschnittlich intelligent ist und (in den meisten Fällen, jedenfalls in unserem Kulturkreis) entsprechend gebildet, fühlt man sich unter Seinesgleichen und Ihresgleichen wohler. So entstehen Eliten, so erhalten sie sich und so entwickeln sie sich weiter. Das lässt sich zumindest in den schriftlich dokumentierten fünf Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte sauber belegen (Details hierzu in meinem Sachbuch Zeittafel zur Psychologie von…. Hochbegabung).
Lesen und Schreiben als Supermerkmale
Grundsätzlich kann man sagen, dass das Gehirn von Hochbegabten deshalb bessere Leistungen ermöglicht als das von durchschnittlich Begabten (IQ 90 bis 129), weil Ihr Gehirn schneller arbeitet und komplexere Zusammenhänge zu erfassen vermag. Entsprechend dem Konzept der Informationspsychologie und der Kybernetik kann man dementsprechend die Merkmale für Hochbegabung in vier große Bereich unterteilen:
° Aufnahme von Informationen (Wahrnehmung – z.B. Lesen).
° Verarbeitung von Informationen (Denken und Lernen – z.B. beim Schreiben und Rechnen).
° Speicherung von Informationen (Gedächtnis – ergänzt durch schriftliche Dokumentation).
° Abgabe von Informationen (z.B. in schriftlicher Form).
Von daher ist leicht ersichtlich, dass sehr frühes, selbstbestimmtes (intrinsisches) und intensives Lesen ein sehr guter Hinweis auf Hochbegabung ist – und entsprechend die noch weit aktivere Variante des Schreibens (früh, intrinsisch und intensiv).
Mit Lesen und Schreiben (und Rechnen!) beginnt der Aufstieg der Hochkulturen in den Stadtzivilisationen – der ohne die Hochbegabten undenkbar ist. In den vorschriftlichen Kulturen der Jäger und Sammler gab es eigentlich nur zwei Positionen, die Hochbegabung verlangt und gefördert haben: Der Schamane (Medizinmann) und der Häuptling (Anführer des Clans oder Stammes).
„Schreiben“ kann auch sein: Programmieren, Zeichnen und Malen (als künstlerisch konzentriertes „Notieren“ von Farben und Formen), Komponieren – also im Grunde jede kreative künstlerische Aktivität.
Vielleicht war in diesem Sinn
° nach der Zähmung des Feuers und der Herstellung von Werkzeugen und Waffen
° die Höhlenmalerei und die Schaffung von Kunstgegenständen vor etwa 40.000 Jahren das erste Sichtbarwerden von hochbegabten Menschen?
Viele weitere Merkmale, die auf Hochbegabung hinweisen können, stelle ich analog zum oben Ausgeführten in diesen vier weiterführenden Beiträgen vor:
° Aufnahme von Informationen (Wahrnehmung).
° Verarbeitung von Informationen (Denken und Lernen).
° Speicherung von Informationen (Gedächtnis).
° Abgabe von Informationen.
Im SelbstTest „Bin ich hochbegabt?“ habe ich das hier im Blog zu einer Sammlung von Merkmalen zusammengefasst, anhand derer man schon ganz gut einschätzen kann, ob man selbst hochbegabt sein könnte. Genaueres erfährt man, es sei noch einmal betont, aber erst durch Absolvieren eines richtigen Intelligenz-Tests.
(Dies ist die überarbeitete und ergänzte Version eines Kapitels aus meinem Buch Das Drama der Hochbegabten von 2004, das leider vergriffen und nur noch antiquarisch lieferbar ist.)
Quellen
Brackmann, Andrea: Ganz normal hochbegabt. Stuttgart 2006 (Klett-Cotta).
Dies.: Extrem begabt. Stuttgart 2020 (Klett-Cotta). ISBN 978-3-60889258 _ 281 S. – 28,00 €.
Scheidt, Jürgen vom: Das Drama der Hochbegabten. München. Feb 2004 (Kösel) ISBN 3-466-30635-3/ 360 Seiten. München Okt 2005 (Piper TB). – 19,50 €.
Ders.: Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Hochbegabung und Kreativität. München März 2004 (Allitera) 176 Seiten – 18,00 € / ISBN 386520-043-5.
Nr. 311 / aut #1138 / 10. Juni 2023 (2022-09-11/10:00 / 2004)