Der Heilige Geist und die UFOs

Pfingsten ist zwar noch einige Zeit hin – aber zufällig war in meinem Archiv-Ordner, dem ich das Original des gestern geposteten Beitrags Bürger erfahren sich selbst entnommen habe, auf der Rückseite dieser kleine Artikel, den ich zur selben Zeit für das Männermagazin Lui verfasst habe. Ich habe für alle möglichen Zeitungen und Zeitschriften geschrieben, auch für das Männermagazin Playboy (meistens getürkte Leserbriefe und die Antworten darauf – doch davon ein andermal). Aber dieser Text ist insofern dreifach etwas Besonderes, als
° es mein einziger Beitrag für Lui ist,
° dies ein Auftrag von Lui war
° und es meine erste richtige (und honorierte) Filmkritik für ein Medium war.
*

* Meine allererste Filmkritik über das Sträflings-Drama Flucht in Ketten verfasste ich 1958 für unser damaliges Party-FanZine —C.C. Rider – auch dazu ein andermal mehr. Ein Honorar gab es dafür nicht.

Faksimile meiner Lui-Rezension von 1978 – mit Filmszene aus Spielbergs Close Encounters of the Third Kind (Archiv JvS / Spielberg und Dream Works)

Was nun das oben erwähnte „zufällig“ angeht, so ist dies ein schönes Beispiel dafür, dass es ° solche Koinzidenzen gibt, die sofort Sinn machen und einen inneren Zusammenhang zwischen Ereignissen herstellen, die auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander zu tun haben – aber eben doch irgendwie sinnstiftend gekoppelt sind
° und andere Fälle, wo eben überhaupt kein Zusammenhang besteht, wie in diesem Fall: Zwei Zeitungsartikel für zwei Magazine, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, denn Westermann Monatshefte war eine brave Monatsschrift „für die ganze Familie“ – und Lui ein reines Männermagazin mit nackten Frauen und typischen Männer-Themen wie Autorennen und Whiskey-Sorten.

Aber schauen wir uns diese recycelte Rezension aus dem Jahr 1978 mal an:

Unheimliche Begegnung der Dritten Art

Steven Spielbergs Erfolgs-Film Unheimliche Begegnung der dritten Art ist mehr als nur Action der spannendsten Sorte und Spielerei mit Lichteffekten. Es ist ein zutiefst religiöser Film. Denn hier gelingt die Verständigung zwischen Erdenmenschen und kindlich-engelhaften Außer(Über?)-Irdischen.

Ein wahres Pfingstwunder geschieht, bei dem die Sprachverwirrung auf wundersame Weise aufgehoben wird: durch das Medium Musik. Es schafft die gemeinsame Basis zwischen irdischen und nichtirdischen Intelligenzen.

Wer diesen Science-Fiction-Film mit wachem Kopf sah, muss sich fragen: Ist der Glaube an Fliegende Untertassen (UFOs) – sogar der amerikanische Präsident Jimmy Carter hat eine gesehen und glaubt daran! – nicht letzten Endes wirklich ein religiöses Phänomen? Denn woher sonst als »vom Himmel« kommen diese rätselhaften »Unidentifizierten Fliegenden Objekte«?

Schon der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hat in seinem Buch Ein moderner Mythos die UFOs als Produkte religiöser Phantasien analysiert – wobei er allerdings nicht ausschließt, dass es UFOs tatsächlich geben könnte.

Nun, Spielberg hat die UFOs vom Himmel heruntergeholt, und er greift im Film – und nicht zufällig, sondern sehr bewusst – in die große Kiste mit den religiösen Symbolen und Situationen. Er reichert sowohl die Landung der Engel als auch die abschließende Himmelfahrt einiger weniger auserwählter Erdensöhne und -töchter emotional an: Es sind die zwölf Apostel – und Jesus Christus, in Gestalt des Hauptdarstellers, der Roy Neary heißt. Roy, das ist »König« (französ. „Roi“), und Neary (gesprochen: „Niri“), ist ein Anagramm von I.N.R.I., der lateinischen Abkürzung für „Jesus von Nazareth, König der Juden“.

»Gott ist tot!« haben zahlreiche moderne Denker verkündet. Der Mythos von den Engeln und von den himmlischen Gefilden der Seligen wurde im 20. Jahrhundert total demontiert. Aber die Sehnsucht der Menschen nach »höheren Empfindungen« lässt sich offenbar umso weniger ausrotten, je rationaler konstruiert sie ihre Umwelt empfinden. Und deshalb ist das Kino gerammelt voll, wenn die Werbeplakate von Unheimliche Begegnung verkünden: »Wir sind nicht allein.«

»Begegnungen der dritten Art« füllen unser großes religiöses Defizit

Neu an diesem religiösen Trend ist freilich nur die Form: als Film. Die Science-Fiction-Bücher sind schon lange voll davon, und wer die Augen aufmachte, fand den religiösen Touch bereits in den Titeln solcher Trivialprodukte wie der weltweit erfolgreichen Serie Perry Rhodan mit ihrer Milliarden-Auflage und inzwischen mehr als 3.000 (!) Fortsetzungen. Da wimmelt es nur so von »Unsterblichen«, »Sternenbrüdern« und » Himmlischen Giganten«. Man macht da lesend einen »Ausflug in die Unendlichkeit«, verspürt einen »Hauch Ewigkeit«. Und der »Götterdämmerung« folgt, weniger angenehm, die »Invasion aus dem All«, angezettelt das eine Mal von »Bestien der Unterwelt«, das andere Mal von einer »Armee der Gespenster«. Man erlebt den »Sturz des Sternendiktators« mit und gelangt sogar an die »Schwelle der Hölle«. Das Ganze für verstaubt gehaltene Arsenal religiöser Phantasien, Ängste und Glaubensvorstellungen feiert da fröhliche – oder auch erschreckende – Wiederauferstehung. Beobachtet man die fetten Umsatzzahlen von Science-Fiction, drängt sich der überraschende Schluss auf: Wir sind wieder fast so fromm wie unsere Ahnen im Mittelalter.

MultiChronalia

Der Spielberg-Film hat mich sehr berührt, als er 1978 das erste Mal in die Kinos kam (was nicht zuletzt mit der sehr tief ins Unbewusste greifenden Titelmelodie zu tun hat). Aber die UFOs haben mich schon als Kind fasziniert, seit ich 1953 in der Jugendzeitschrift Rasselbande zum ersten Mal über UFO-Sichtungen amerikanischer Jet-Piloten las. Der amerikanische Mayor Donald Keyhoe setzte 1954 eins drauf mit seinem Sachbuch Der Weltraum rückt uns näher über (angeblich) authentische UFO-Sichtungen; ein militärischer Offiziers-Rang macht sich in solchen Fällen immer gut. Das war ja nicht nur irgend so eine
Abenteuer-Geschichte in einem SF-Heftchen (wie 1955 UFO am Nachthimmel von Clark Darlton – der später einer der beiden Gründer der Perry Rhodan-Serie wurde) – das war „echt“!

Heute halte ich den UFO-Glauben für eine ähnliche esoterische Spinnerei wie die Kornkreise (obwohl beides eng zusammenhängt und beides nach wie vor recht rätselhaft ist). Aber „Besucher aus fernen Welten“ füllen auf jeden Fall in einer areligiösen, skeptischen Welt eine große Lücke, ein Bedürfnis nach Spiritualität, das nicht leicht zu füllen ist.

Als 1996 Independence Day von Roland Emmerich in die Kinos kam, konnte man gewissermaßen die spiegelverkehrte düstere Seite dieses UFO-Glaubens bestaunen: Keine lieben kinder- und engelgleichen himmlischen Wesen kamen da zu Besuch – sondern abgrundböse mörderische Ungeheuer, wahre Satane die nichts als Zerstörung im Sinn hatten. Ein furioses Spektakel – und mit seinen monströsen, 35 Kilometer (!) durchmessenden Mutterschiffen und unzähligen gigantischen Flugscheiben und kleineren Jets, die jeder Schwerkraft trotzen, nichts weiter als ein ebenso großer Schmarr´n – wie man auf gut bayrisch sagt.
Was der Sinn solcher Invasions-Abenteuer sein soll oder wie man so etwas bauen oder gar finanzieren könnte – geschenkt. Man fragt ja im Kino auch nicht, warum dieser Superman fliegen kann – oder jene Wonder Woman ihre Riesensprünge absolviert. Die können das eben. Der Bedarf nach Märchen ist auch heute riesengroß – und wenn sie dann noch religiöse Bedürfnisse befriedigen – umso besser. Speist sich, tiefenpsychologisch gesehen, eh aus den selben Quellen der allerfrühesten Kindheit. –

Nun muss ich abschließend doch noch einmal auf das eingangs angespielte Thema „Zufall“ zurückkommen. Ganz klar: Die beiden Artikel über die Bürgerinitiativen und über den Spielberg-Film sind wirklich „rein zufällig“ im umgangssprachlichen Sinn Rücken an Rücken in derselben Klarsichthülle meines Ordners Nr. II mit den Druckbelegen gelandet – weil sie eben zeitlich hintereinander publiziert wurden.
Aber wenn ich mir das heute, im Jahr 2021, also nach 42 Jahren, genauer anschaue, sehe ich doch auch eine erstaunliche inhaltliche Nähe, die eine ganz andere Art von „Zufall“ möglich macht:
Erfüllen nicht die Bürgerinitiativen mit ihrem zukunftsgerichteten Engagement und die – vergleichsweise – neue, aus diesen Initiativgruppen erwachsene Partei der Grünen auch eine tiefe Sehnsucht nach etwas Neuem, Sinnvollen, Zukunftsträchtigen – letztlich also auch nach einem tieferen Lebenssinn und einer Art Spiritualität – welche die Altparteien längst nicht mehr bieten, auch wenn zwei von ihnen das Adjektiv „christlich“ im Parteinamen führen?

Kein Zufall ist es ganz sicher, dass beide Themen mich sehr interessieren und ja: auch faszinieren: Die verfilmte Utopie der Weltraumbesucher ebenso wie die konkrete Utopie einer neuen Partei, die sich um das Große Ganze der Umwelt Sorgen macht und erstmals Frauen eine wirklich gleiche Chance nicht nur verspricht sondern auch gibt – s. Annalena Baerbock als aktuelle Kanzlerkandidatin.

Quellen
Darlton, Clark (d.i. Walter Ernsting): UFO am Nachthimmel. Rastatt 1955 (Pabel – Utopia Großband).
Emmerich, Roland (Regie): Independence Day. USA 1996 (20th Century Fox).
Jung, Carl Gustav: Ein moderner Mythos. Von Dingen, die am Himmel gesehen werden. Stuttgart 1958 (Rascher-Verlag).
Keyhoe, Donald: Der Weltraum rückt uns näher. Berlin 1954 (Blanvalet Verlag).
Scheidt, Jürgen vom: „Bürger erfahren sich selbst. Zur psychosozialen Seite der Bürgerinitiativen“. In: Westermanns Monatshefte Nr. 4/1978, Braunschweig, S. 100-106.
ders.: „Der Heilige Geist und die UFOs“. In: Lui Nr. 7/1978, S.
Spielberg, Steven (Regie): „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“. (Close Encounters of the Third Kind) USA 1978 (Columbia).

184 _ aut #177 _ 2021-04-23/12:26

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