„Bin ich hochbegabt?“

Einige allgemeine Gedanken vorweg, um den Rahmen des Themas „Hochbegabung abzustecken:

Ganz wesentlich ist die Freude am (intrinsischen) Schreiben – d.h. am Schreiben aus eigenem Antrieb, zu eigenen Themen. Zum Beispiel als Blogger.
Aber da kommt noch viel mehr ins Spiel:

° Sehr frühes Auftreten einer Begabung – etwa schon vor der Schule Lesen lernen wollen – nicht etwa, weil einem das aufgezwungen wurde.
° Kinder, die eine Schulklasse überspringen wollen (!), weil sie sich zu Tode langweilen.
° Jugendliche, die bei „Jugend forscht“ oder anderen anspruchsvollen Wettbewerben mitmachen (und nicht selten auch gewinnen).

Man schätzt, dass ein Drittel aller Hochbegabten gar keine Ahnung haben – dass sie es sind!
Viele Hochbegabte leben als Underachiever und leiden darunter, ihr Potenzial nicht zu leben – ich nenne sie „Latente Talente“.

Der Selbsttest: Vorbereitung

Um das Verständnis und die Bedeutung der Merkmale für Hochbegabung zu erleichtern, wie ich sie in meinem Buch Das Drama der Hochbegabten vorgestellt habe, möchte ich sie (im nächsten Beitrag) neu anordnen und durch weitere Beobachtungen ergänzen, und zwar sortiert nach übergeordneten Themen.

Die Hardware (physiologische bzw. gehirnorganische Merkmale) äußert sich direkt eigentlich nur in der erhöhten Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, also in beschleunigtem Denken und in der Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge zu verarbeiten. Alles andere ist mehr oder minder Software, also durch Milieu und Erziehung vermittelte oder beeinflusste psychische, psychosoziale und soziokulturelle Merkmale. Entsprechend habe ich den Selbsttest, nach einigen allgemeinen und anders schwer einzuordnenden Merkmalen, nach den vier Kategorien der Informationsverarbeitung geordnet: Aufnahme, Abgabe, Speicherung und Vernetzung von Informationen (wobei ich Letzteres noch ergänze durch die spezielle Vernetzung von Menschen und Objekten).

Folgen Sie nun Ihrer Neugier, nehmen Sie sich vor allem geduldig ein wenig Zeit.

Wenn Sie den Test für sich selbst machen:
So manches wissen Sie vielleicht nur aus Erzählungen Ihrer Eltern  vor allem Mütter geben solche Informationen gern voller Stolz (oder auch mit unverhohlener Ablehnung!) immer wieder zum Besten.

Wenn Sie den Test für einen anderen Menschen machen,ein eigenes Kind oder jemanden, auf dessen mögliche Hochbegabung Sie neugierig sind: Seien Sie sich bitte dessen bewusst, dass solche Ferndiagnosen immer nur mit allergrößter Vorsicht zu betrachten und sehr unzuverlässig sind!

Manche der Merkmale haben auch eine negative Variante, aber diese kann (wie bei Fällen von Hyperaktivität ein ADH-Syndrom) dennoch Anzeichen für Hochbegabung sein deshalb bitte ebenfalls ankreuzen.

Einige der Merkmale sind sehr spekulativ, entstammen jedoch eigenen langjährigen Beobachtungen und sinnvollen Überlegungen: zum Beispiel, dass Hochbegabte vermutlich eine längere Lebenserwartung haben und aufgrund dessen wohl auch eine verlängerte Pubertät (manchmal bis ins dritte Lebensjahrzehnt). Der einfache Grund: Wenn sie erfolgreich sind im Leben, können sie sich gute medizinische Versorgung und andere Lebensvorteile sichern. Es darf auch vermutet werden, dass ein hochbegabter Mensch einen besseren Überblick über die Gefährdungen des Lebens hat und sich entsprechend besser einrichten kann.

Die Enge des Bewusstseins (bei jedem Menschen ein Maß dessen, was man gleichzeitig an Eindrücken aufnehmen kann) scheint bei Normalbegabten deutlich enger zu sein als bei Hochbegabten, wo man von einer Weite des Bewusstseins sprechen könnte; diese kann allerdings neurotisch blockiert sein. Eine Neigung zu Perfektionismus kann sich sowohl sehr positiv auswirken (bei einem Forscher, der unbeirrbar sein Projekt zu Ende bringt: Sigmund Freud sezierte während eines Physiologiepraktikums in Triest die Hoden von 800 Aalen!) oder sehr negativ (ein Autor, der mit Recherchieren nicht aufhören und deshalb sein Buch nicht abschließen kann).

Am besten nehmen Sie die drei folgenden grundlegenden Merkmale als Maßstab, welche Ellen Winner am Anfang ihres Buches Hochbegabt  vorschlägt, und überlegen dabei: Wo war das bei Ihnen oder Ihrem Lebenspartner der Fall? Wo beobachten Sie dies bei einem eigenen Kind?

1.
Hochbegabte (Kinder) sind frühreif, das heißt, sie sind ihren Altersgenossen in der nicht nur intellektuellen Entwicklung voraus und zeigen weit vor der Zeit Fähigkeiten, die andere später oder gar nicht entfalten (das frühe und eigenständige Lesenlernen könnte man hierzu zählen).
2.
Sie halten sich konsequent an ihr eigenes Drehbuch, lernen nicht nur schneller, sondern tun dies anhand ganz eigener, selbst entwickelter Strategien.
3.
Sie verfügen über eine geradezu „wütende Wissbegierde“ (wie Ellen Winner das treffend formuliert).

Am effektivsten setzt man die folgende Liste als Grundlage für ein anschließendes Beratungsgespräch ein, bei dem man Punkt für Punkt die Selbsteinschätzung kritisch überprüft. (An jeder größeren deutschen Universität mit einem Psychologischen Institut dürfte es inzwischen auch eine Beratungsstelle geben, die sich mit Fragen der Hochbegabung beschäftigt und auch Tests durchführt. Ansonsten ist mensa eine erste Anlaufstelle, eine andere der Expertenkreis des Berufsverbands Deutscher Psychologen: Die Hochbegabung.)

Bedenken Sie auch, dass dieser Test primär für Erwachsene gedacht ist! Es gibt allerdings eine Reihe von Merkmalen, welche die Kindheit betreffen. Für Kinder wiederum ist so ein Merkmal wie ein „abgeschlossenes Hochschulstudium“ natürlich absurd.

Das Verfahren ist einfach: Lesen Sie die Kästchen zu den einzelnen Merkmalen durch, überlegen Sie, ob das Element zutrifft, und  ist das der Fall  machen Sie dann in der vorderen Spalte neben der jeweiligen Ziffer ein Kreuzchen. Anschließend zählen Sie die angekreuzten Kästchen zusammen. Insgesamt sind damit 90 Punkte möglich.

Wenn Sie sich bei dem einen oder anderen Merkmal nicht sicher sind, notieren Sie ein Fragezeichen. Diese können interessante Einstiegsmöglichkeiten für ein Beratungsgespräch sein. Für sich selbst können Sie es mit dieser Empfehlung halten: Wenn man sich über etwas so Wichtiges (und alle diese Merkmale zielen auf ein wichtiges Element Ihres Lebens ab) im Unklaren sind, ist wahrscheinlich eine unbewusste Blockade im Spiel. Bei solchen existenziellen Lücken wird eine Vertiefung besonders ergiebig ausfallen  was nicht heißt, dass diese Vertiefung leicht sein muss (wie jeder weiß, der einmal eine Psychotherapie gemacht hat). Aber es lohnt sich allemal, über diese unklaren Merkmale ein wenig nachzudenken. Solange Sie sich unsicher sind, addieren Sie jedes Fragezeichen mit einem halben Punkt zur Gesamtsumme.

Sie erhalten mit dem Resultat nicht Ihren genauen IQ  das wäre äußerst unseriös von mir, so etwas zu versprechen. Dieser Selbsttest erfüllt nicht die Kriterien eines standardisierten Intelligenztests. Bitte ignorieren Sie auch, dass da immer wieder Äpfel mit Birnen durcheinander geschüttelt werden, denn diese Merkmale sind nur bedingt gleichwertig. Aber Sie bekommen trotzdem eine, wie ich meine, recht brauchbare Annäherung an die Frage „Bin ich selbst hochbegabt?“

Ich habe auf eine feinere Unterteilung der einzelnen Merkmale in starke, mittlere oder schwache Aussagekraft verzichtet, weil dies alles ohnehin nur auf Schätzungen beruhen würde und entsprechend unzuverlässig wäre. Jedes angekreuzte Merkmal entspricht also einem einzigen Punkt.

Vorsicht: Frauen schätzen sich bei solchen Bewertungen gerne zu niedrig ein. Falls Sie dazugehören sollten, geben Sie sich ruhig (mindestens) zehn Prozent mehr Punkte.

Für Männer gilt das Gegenteil: Sie überschätzen sich gerne. Wenn Sie zu dieser Gruppe zählen, ziehen Sie bitte zehn Prozent von Ihrer Punktzahl ab.

Das ehrlichste Ergebnis erhalten Sie wahrscheinlich, wenn Sie den Fragebogen nicht nur selbst auswerten, sondern dies auch von jemand anderen machen lassen, der Sie gut kennt. Vielleicht trifft ja der Mittelwert die Realität?

1Allgemeine Eigenschaften
2Geschwindigkeit der Informationsübertragung
3Umgang mit/Aufnahme von Informationen
4Abgabe von Informationen
5Aufnahme und Abgabe von Informationen speziell im zwischenmenschlichen Bereich
6Speicherung von Informationen
7Vernetztes Denken: Verarbeitung von Informationen
8Vernetzung von Menschen
9Vernetzung von Objekten
Abb: Grobe Einteilung der Merkmalsgruppen des Selbst-Tests

Der eigentliche Test folgt nach dieser Vorbereitung im nächsten Beitrag: Bin ich hochbegabt (Selbst-Test).

Quellen
Mehr zum Thema Hochbegabung in meinem Sachbuch und Ratgeber Das Drama der Hochbegabten (München 2004, Kösel-Verlag / München 2005 – Taschenbuchausgabe bei Piper).
Dass Buch ist vergriffen – aber im Modernen Antiquariat jederzeit erhältlich. Ich sollte es mal überarbeiten und wieder veröffentlichen. Aber mein glü-Roman-Projekt ist mir wichtiger und dieser Blog ist es ebenfalls. Man kann nicht alles machen, was man machen möchte – oder sollte. Der Tag hat leider nur 25 Stunden – auch für Hochbegabte (kleiner Scherz).

Scheidt, Jürgen vom: Das Drama der Hochbegabten. München 2004 (Kösel).
ders.: Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung. München 2004 (Allitera).
Winner, Ellen: Hochbegabt. Mythen und Realitäten von außergewöhnlichen Kindern. (1996) Stuttgart 1998 (Klett-Cotta).

aut #405 _ 2021-05-19/21:05 (2021-03-15)

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