Akronyme, die „sprechen“

Ein Akronym ist ein Kürzel, das mehrere Begriffe über deren Anfangsbuchstaben zusammenfasst – eine Gedächtnisstütze gewissermaßen und in der Bürokratie (speziell der des Militärs) sehr beliebt:
North Atlantic Treaty Organization (N.A.T.O.) und United Nations Organization (U.N.O. – meistens ohne die Punkte: UNO) sind recht kunstlose Konstrukte. Weitaus interessanter sind Akronyme, die in bereits in ihrer Neukonstruktion deutlich sichtbar das Thema transportieren, also gewissermaßen „sprechen“:

Abb: Beispiele „sprechender“ Akronyme (Archiv JvS)

LUCA = [the] Last Universal Common Ancestor = die Urzelle, auf die sich die DNS aller heute existierenden Lebewesen zurückführen lässt – was davor war, weiß man nicht (Dawkins 2016).
LSD
° ist zum einen das Kürzel für LysergSäureDiäthalamid
° und das Lied der Beatles „Lucy in the Sky with Diamonds“ der Beatles lässt sich als Entfaltung von LSD lesen (was die Beatles ja vermutlich zumindest mal probiert haben – offiziell als Ursprung des Song-Titels aber immer ablehnten).

CODE schreiben ist die wesentliche Arbeit von Programmierern und Informatikern – und es ist das Akronym für „C.ampagign to O.rganize D.igital E.mployees“.
Da hat jemand sicher lange rumgebastelt, bis das zu einem „sprechenden Akronym“ wurde. (Man bezeichnet solche speziellen Kürzel auch als Apronym.)

Ein Sonderfall ist das Genfer C.E.R.N.-Institut. Es befasst sich ja tatsächlich mit „AtomKERNforschung“ – aber der Klarname ist französisch und bedeutet: „Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire“.

YAHOO („Yet Another Hierachically Organized Oracle“) war die von Jerry Yang und David Filo gegründete Konkurrenz von Google – die aber heute kaum mehr eine Rolle spielt (CBU 2016).

Die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der USA ist nahe dran am Namen des biblischen Noah – dessen Sintflutabenteuer weiß Gott mit „Ozean“ und „Atmosphäre“ zu tun hatte!

Was soll Lernen machen? Spass – und zwar mit der Methode „Selbstgesteuertes Produktives Aktivierendes Situatives Sozial-wertschätzendes Lernen = SPASS-Lernen (brand eins, Mai-Heft 2020, S. 82).

CAR = Center of Automotive Research (ein deutsches Institut zur Erforschung der Autofahrgewohnheiten der Deutschen).
ARTE (was ja auch für ART = engl. „Kunst“ steht – also den hohen künstlerischen bzw. kulturellen Anspruch dieses TV-Programms): „Association Relative à la Télévision Européenne“ = „Zusammenschluss bezüglich des europäischen Fernsehens“)
ATTAC ist ein wunderbares französisches Exemplar: „Association pur une taxation des transactions financières pour l´aide aux citoyens“ (franz. für Vereinigung zur Besteuerung von Finanz-Transaktionen zugunsten der Bürger) – da steckt in der „Attacke“ gleich noch die Wut der in dieser NGO (Non governmental Organization) verbündeten Aktivisten. –
Spaß kann so ein Kunstwort auch machen: Dr. Erika Fuchs ist die bekannte Übersetzerin, welche über viele Jahre die Micky-Maus- und Donald-Dock-Comics ins Deutsche übertragen hat. Der Förderverein der Stiftung „Dr. Erika Fuchs“ lädt ein, zu ihrem Gedenken förderndes und geldspendendes Mitglied zu werden – im „Club der M.I.L.L.I.A.R.D.Ä.R.E“: „Mitglieder in lauterer lebenserfahrener interaktiver angenehmer Runde donaldische Ästhetik rigoros einfordernd“.

Dieses hübsche Beispiel, das noch einmal ein wenig anders funktioniert, fand ich in der Wikipedia:
Der Film Injection von Christopher Nolan handelt von der Manipulation von Träumen – das heißt, die Hauptfiguren dringen auf (sehr fiktionale) digitale Weise in die Träume eines Geschäftsmannes ein, um ihm seine Geheimnisse zu entlocken und seine Entscheidungen zu beeinflussen. Das englische Wort für Träume = DREAMS ist zugleich ein Akronym, das aus den Vornamen der wichtigsten Figuren des Films besteht:
Dominik (gespielt von Leonardo DiCaprio),
Robert
Eames,
Arthur,
Mal und
Saito.

Zufallsfund in der Zeitung

Ein Forschungsproject mit dem pfiffigen Akronym „I.C.A.R.U.S“ – und das hat tatsächlich mit dem Fliegen zu tun (allerdings ohne den fatalen Absturz des griechischen Sagenfigur):
Achtzehn Jahre ist es her, seit Martin Wikelski in Panama den Fleckenbrust-Waldwächter erforscht hat. Der heute 53-jährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell baute damals mit Kollegen mitten im Dschungel 40 Meter hohe Gerüste, um die Vögel von oben zu beobachten. Noch besser wäre es, die Tiere aus dem Weltraum sehen zu können, meinte einer aus dem Team. Es war ein Witz, doch die Idee ließ Wikelski nicht mehr los. Wenn alles nach Plan läuft, wird seine Vision an diesem Mittwoch Wirklichkeit: Das Projekt Icarus (International Cooperation for Animal Research Using Space), das der Professor für Ornithologie an der Universität Konstanz leitet, nimmt die Arbeit auf. Wenn die Icarus-Antenne an der Außenseite der Internationalen Raumstation (ISS) aktiviert ist, wird sie Signale von kleinen Sendern auf dem Rücken von Vögeln, Fischen und Säugetieren auf der ganzen Welt empfangen. Und Wikelski kann fast live und gleichzeitig die Bewegungen von Flughunden im Kongo, von Enten in China und von Amseln in Deutschland verfolgen. (Wikelski 2019)

Curiosa

Manchmal merkt man die Konstruktion „vom anderen Ende her“ – um beispielswise einen Witz zu transportieren:
Am Flughafen von Las Vegas gibt es eine geheimnisvolle Fluglinie namens „Janet“; welche Passagiere zur geheimnisumwitterten „Area 52“ bringt. Der Volksmund machte aus diesem „Janet“ ein „Just another not existent terminal“. Muss ich das übersetzen?
Die Automarke „Fiat“ wird scherzhaft interpretiert als: „Fehler in allen Teilen“ . Sabena (der frühere Name der belgischen Nationallinie) wurde von frustrierten Kunden umfunktioniert in „Such a bad experience never again“. Konzernmanager machten aus „Team“ den bösen Scherz: „Toll, ein anderer macht’s“. Und die Ehe wird zur Abkürzung von „Errare humanum est“: „Irren ist menschlich.“
ElStEr (die Abk. für „ELektronische Steuer-Erklärung“) bringt den „diebischen“ Rabenvogel, der der Volkssage nach glitzernde Wertsachen an sich bringt und im Nest sammelt und der in Teilen Europas auch als Unheilsbote gilt, in Zusammenhang mit dem Finanzamt. Wer sich das wohl ausgedacht hat? Wahrscheinlich die Programmierer, die diese Software gebastelt haben (und die Leute von der Finanzbehörde bewiesen genug Witz, um das nicht zu verhindern).

SHIELD (Supreme Headquarters International Espionage Lawenforcement Division, dt. Bezeichnung in den Live Action-Filmen: Strategische Heimat-Interventions-, Einsatz- und Logistik-Division) später auch Strategic Hazard Intervention Espionage Logistics Directorate bzw. Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics Division) ist eine Organisation, die weltweit Bedrohungen wie HYDRA oder Advanced Idea Mechanics (A.I.M.) bekämpft. Mobile Operationsbasis und Hauptquartier ist der Helicarrier, eine Art fliegender Flugzeugträger. [Wikipedia]
SNARC (= Stochastic Neural Analog Reinforcement Calculator) ist ein neuronaler Netzcomputer, den Marvi Minsky 1951 gemeinsam mit Dean Edmonds in Princeton entwickelte. Das ist insofern ein „sprechendes Aktonym“, als der Begriff an „The Hunting of the Snark“ erinnert, einen verrückten Text von Lewis Carroll (Alice in Wonderland).
SWIFT = Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication – ein „Sprechendes A.“ insofern, als „swift“ so viel wie „schnell, rasch“ heißt und dieses Geldsystem für rasche finanzielle Transaktionen sorgen soll.
WASP (= White Anglo-Saxon Protestants – gerne als Donald Trumps Klientel bezeichnet) – der „Wespenstachel“ entspricht dem aggressiven Unterton der Äußerungen dieser Wählerschicht. Man müsste eigentlich noch ein M für „Male“ hinzufügen: WASPM. Aber das ist dann nicht mehr so schön „sprechend“.

Eigentlich auch „sprechend“ (wegen der Alien-Assoziation zu „Yeti“): SETI = Search for Extraterrestrial Intelligence

Besonders hübsch ist die Herkunft des astronomischen Namens TRAPPIST

TRAPPIST steht für „Transiting Planets and Planetesimals Small Telescope“, also ein Teleskop zum Aufspüren von Exoplaneten.
Trappist-1 ist ein etwa 40 Lichtjahre von der Erde entferntes Planetensystem. Nachdem zunächst nur der Zentralstern, ein massearmer Roter Zwerg, 1999 beim Two Micron All Sky Survey entdeckt worden war und die Katalogbezeichnung 2MASS J23062928-0502285 erhalten hatte, wurde das Planetensystem nach der weiteren Erforschung mit dem Transiting Planets and Planetesimals Small Telescope (TRAPPIST) am La-Silla-Observatorium in ChileTrappist-1 benannt.[10]
Ein Team von Astronomen unter der Führung von Michaël Gillon vom Institut d’Astrophysique et Géophysique an der Universität Lüttich in Belgien fand heraus, dass dieser dunkle und kühle Stern in regelmäßigen Abständen leicht an Helligkeit abnimmt, was darauf hindeutet, dass mehrere Objekte zwischen dem Stern und der Erde vorbeiziehen. Erste Untersuchungen ergaben über die Transitmethode zunächst Hinweise auf drei erdähnliche Planeten, die den Stern umkreisen. Am 22. Februar 2017 gab die NASA die Entdeckung weiterer vier erdähnlicher Planeten bekannt. Die Entdeckung war das Ergebnis wochenlanger Beobachtung von Trappist-1 mit Hilfe des Spitzer-Weltraumteleskops
. Wikipedia)
Trappist, und das ist das Curiosum, ist aber passenderweise auch der Name einer belgischen Brauerei in der Nähe des Observatoriums und einer Biersorte, welch die Astronomen, die dies erforschten und entdeckten, sehr schätzen.


Voll daneben

Manchmal geht so ein Kürzel auch (vermutlich ungewollt) in die falsche Richtung. Bei einer Wanderung am Starnberger See las ich auf einem Schild: M.I.E.V. für “ Mitsubishi Innovativ Electromobil Vehicle“. Die Assoziation zu „Mief“ ist nicht gerade das, was ich mit einem Elektromobil verbinden möchte!


Eigentlich auch „sprechend“ (wegen der Alien-Assoziation zu „Yeti“):
SETI = Search for Extraterrestrial Intelligence

Weitere Gedanken zu Akronymen hier im Blog: Akronym-Spiel: Demokratie

MultiChronalia

Das erste Akronym, das ich bewusst gelesen habe, stand in einer SF-Story in der deutschen Ausgabe von Galaxy Science Fiction: S.A.T.A.N. Das war im Jahr 1964. Herausgeber und Übersetzer war Lothar Heinecke, dem ich viel zu verdanken habe. Er war ein richtgier Bohemien und Original von Lebenskünstler. Gut zehn Jahre älter, wurde er war so etwas wie ein erster Mentor für mich, nicht nur was das Schreiben angeht. Er riet mir, obwohl wie ich in der Münchner SF-Szene beheimatet: „Du musst auch Hemingway lesen und Camus“. Wichtig war auch sein Tipp, die angloamerikanische SF im Original zu lesen – was meinen Englischkenntnissen einen enormen Push verliehen hat. Als er im April 1964 tödlich mit dem Auto verunglückte, absolvierte ich gerade mein Psychologisches Praktikum bei IBM in Sindelfingen. Ich war sehr betroffen und schrieb den ersten Nekrolog meines Lebens.
Als mit das ungefähr 2010 wieder einfiel, hatte ich keine Ahnung mehr, wovon das Kürzel abgeleitet wurde. Jedenfalls war ich damals (1964) verblüfft von dieser Möglichkeit, in einem Akronym mehrere Wörter zusammenzuziehen. Was ich noch erinnerte, war, dass es in der Novelle um etwas wahrhaft Satanisches. Die Story handelte von einem kaum zu überwindenden Diktator. Wem es gelang, die Abwehr durch Waffensysteme zu überwinden – der wurde selbst dieser Diktator.
Am 27. November 2017 entdeckte ich beim Suchen nach etwas ganz anderem (Serendipität!) zufällig diese Story wieder – als Nachdruck aus dem (deutschen) Galaxy in dem – ebenfalls deutschen – SF-Magazin 2001 vom September 1978: „Satans Tempel“ von Daniel F. Galouye.
Das Akronym lautete dementsprechend „Supremer Autokrat der Assoziierten Nationen – SATAN“ (S. 44 im Heft) – sehr „1 zu 1“ ins Deutsche übersetzt. Das Original ist etwas eleganter: Supreme Autocrat of the Assoziiated Nations“.
(Gegenüber der letzten Seite, also auf S. 51, ist mein damals erschienener vierter Roman angezeigt: Rückkehr zu Erde. Im Heft selbst ist, wieder so ein Zufall, auch meine SF-Story „Zurück von den Sternen“ abgedruckt – mit Pseudonym „Stefan Bergmann“ (Geschrieben habe ich die lange zuvor: im August 1962.)

Quellen
CBU: „Knapp verpasst. Die Geschichte von Yahoo“. In Südd. Zeitung Nr. 171 vom 26. Juli 2016, S. 21. Dawklins, Rochard (Interview mit ihm). In: SZ Nr. 214 vom 03. Sep 2016, S. 34).
Galouye, Daniel F. : „Satans Shrine“. (1954 in Galaxy SF). Dt. in Galaxis 1958 und in 2001, September-Heft 1978.
Wikelski, Martin (interviewt von Baier; Tina): „Martin Wikelski: Erfinder des Internets der Tiere“. In: SZ Nr. 157 vom 10. Jul 2019, S. 04.

141 _ #aut #374 2021-03-24/18:12

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