Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die sich liebend gerne impfen lassen würden – aber noch keinen Termin bekommen haben. Die meine ich mit diesem Beitrag nicht. Ich meine die anderen – die zögern, die misstrauisch sind, die Impfen ablehnen – die sogar Angst vor dem Geimpftwerden haben.
Ich war sofort bereit für die Impfung und bin sehr froh, dass ich beide Termine inzwischen hinter mir habe plus die zwei Wochen Karenzzeit danach. Es ging beide Male völlig problemlos über die Bühne. Es gab auch keine langen Wartezeiten und Probleme mit der Organisation (wie in der recht chaotischen Anfangszeit). Ich fuhr raus zur neuen Messestadt im Osten München (da, wo früher der Flughafen Riem war), ging rein, kam sofort dran. Ein Pieks. Dann noch zwanzig Minuten auf ungewöhnliche Reaktionen warten (die bei mir nicht kamen). Und wieder heim. Hat mit Anfahrt etwa zwei Stunden gedauert.
Spätfolgen: Beide Male keine. Beim ersten Mal habe ich die Einstichstelle ein paar Tage gespürt (war wohl ein Nerv getroffen). Kein Problem. Beim zweiten Mal spürte ich am Nachmittag so etwas wie ein „leicht grippiges Gefühl“ – aber ich setzte mich an die Maschine und begann zu tippen – und danach war die Irritation weg.
Impfneid?
Interessant war ein paar Tage später meine Reaktion auf einen Artikel in der Süddeutschen, der sich mit Impfneid befasste (Wulf 2021). Interessantes Thema. War auch der Grund, weshalb ich zunächst zögerte, diesen Beitrag im Blog zu schreiben. Aber dann dachte ich mir: Sollen sie doch neidisch sein. Viel wichtiger ist, dass ich meine guten Erfahrungen mitteile und denen Mut machen, die zögern – oder gar Angst haben. Ist ein politisches Statement, wenn man so will.
Probleme mit Astra Zeneca und Johnson
Dann war da die Unsicherheit, die entstand, als erst der Impfstoff von Astra Zeneca und dann der von Johnson & Johnson bezweifelt und zurückgehalten wurde. Was für ein irrsinniger Blödsinn – bei mehreren Millionen (!) Impfungen gab es eine Handvoll Probleme mit tödlichen Thrombosen – und das wurde dann gleich zum Politikum, das die Unsicherheit der Bürger schürte, wo Besonnenheit angebracht wäre. Da kausale Zusammenhänge herzustellen ist außer dem (zunächst ja sehr sinnvollen Verdacht) mehr als fragwürdig. Das kann ebenso gut reiner Zufall sein. Es ist ganz sicher viel gefährlicher, mit dem Fahrrad gegen eine gedankenlos aufgerissene Autotür zu knallen (was ja immer wieder vorkommt), als sich ausgerechnet mit einem Impfstoff eine Hirnthrombose einzufangen.

Bundesverdienstkreuz für die Migranten von BioNTech
Was diese Pandemie alles nach oben spült! Da werden sich die Migrantenhasser von der AfD und die Impfgegner wieder ereifert haben (oder vielleicht endlich mal ins Grübeln kommen): Ausgerechnet zwei Einwanderer, die beiden türkischstämmigen Deutschen Uğur Şahin und Özlem Türeci, haben den Impfstoff BNT162b2 entwickelt, der binnen eines Jahres auf den Markt kam und nun wahrscheinlich Millionen Leben rettet. Gerne zitiere ich aus der Wikipedia:
BioNTech „ist das erste Unternehmen, das ein mRNA-basiertes Humantherapeutikum zur intramuskulären Verabreichung entwickelte, die individualisierte mRNA-basierte Krebsimmuntherapie in klinische Studien brachte und einen eigenen Herstellungsprozess für einen solchen Produktkandidaten etablierte. Ab Anfang 2020 entwickelte Biontech den Impfstoff BNT162b2 gegen das humane Coronavirus SARS-CoV-2,[6] der in Werken von Pfizer für den weltweiten Bedarf konfektioniert wird. Es ist das erste zugelassene Produkt des Unternehmens, rund 20 potentielle Medikamente sind in der Entwicklungsphase.“
Wenn man bedenkt, dass es bei der Kinderlähmungs-Pandemie der 1950er Jahre an die 14 Jahre dauerte, bis es einen zuverlässigen, leicht anwendbaren Impfstoff gab , nämlich die die „Schluckimpfung“ – dass diesmal aber bereits, inklusive aufwendiger Testphase, binnen eines Jahres ein sicherer Impfstoff zur Verfügung stand – dann ist die Leistung von BioNTech gar nicht hoch genug einzuschätzen – genau wie die Leistung der konkurrierenden Firmen.
Wahrscheinlich wird es längst Verschwörungs-Fans geben, die aus Obigem die Idee konstruieren: Klar – „die Türken“ haben das Virus in die Welt gesetzt, um dann mit einem Impfstoff Geschäfte zu machen – (dabei dachte ich, dass dies der fiese Job von Bill Gates ist). So wie die fiesen Bäcker jeden Morgen Brot backen und verkaufen, um mit unserem Hunger Geschäfte zu machen…
Soll es für Geimpfte Sonderrechte geben?
Aber ja, auf jeden Fall. Nichts, was man einfordern sollte. Aber jede und jeder Geimpfte trägt dazu bei, dass allmählich wirklich so etwas wie eine „Herdenimmunität“ entsteht (da bin ich ausnahmsweise gerne mal Teil einer „Herde“). Und deshalb sollte es auch gewisse Privilegien geben. Bei mir hält sich das ohnehin sehr in Grenzen:
° In ferne Länder fliegen oder überhaupt Reisen reizt mich eh nicht mehr.
° Kino muss auch nicht sein; das habe ich – so leid mir die Kinobetreiber tun – zuhause vor dem großen Bildschirm sicherer und vor allem gemütlicher.
° Aber ins Café würde ich gerne wieder mal gehen und dort in Ruhe die Zeitung lesen und meinen Gedanken nachhängen (die alte Tradition des „Literatencafés!) – ohne gleich kontaminierte Aerosolwölkchen von fremden (oder auch bekannten) Nachbarn fürchten zu müssen – immer eingedenk der Realität, dass derzeit jede Umgebung gefährlich sein kann.
° Doch vor allem fände ich es sehr hilfreich, wenn mein Fitness-Studio wieder öffnen dürfte – nur für Geimpfte (und auch für die dort tätigen Mitarbeiter wünsche ich mir, das sie geimpft sind). Denn die Workouts im Studio sind meiner Gesundheit sehr förderlich und sind einer der Lebensaspekte, die mir in der Pandemie resp. in den Lockouts sehr gefehlt haben und noch immer fehlen.
° Auch Treffen mit Familienmitgliedern wären dann einfacher.
MultiChronalia
Das Thema „Impfen“ hat viele Erinnerungen hochgespült. Wenn ich daran denke, dass schon seit Jahren Impfgegner gegen die Masern-Schutzimpfung polemisieren und demonstrieren – und nun all die Gegner der Schutzimpfung bei Corona auf die Straßen gehen – dann kommt mir die Galle hoch. Mit drei Kindern standen wir Eltern immer wieder vor solchen Fragen – und haben uns für das Wohl der Kinder und das der Gesellschaft entschieden und sie impfen lassen.
Vor meiner Indien-Reise 1975/76 ließ ich mich selbstverständlich vorsichtshalber gegen einige Tropenkrankheiten und anderes impfen (schließlich wollte ich ja auch nach Südindien).
Meine eigene Cousine Krista litt ihr Leben lang an einem verkürzten Bein als Folge der Kinderlähmung in ihren jungen Jahren. Und die Bilder von lebensgefährlich Erkrankten in diesen „Eisernen Lungen“, die nicht mehr selbst atmen konnten (ja, das gab es schon vor Covid-19) haben sich in meiner Kindheit und Jugend fest ins Gedächtnis eingebrannt. Da war die Polio-Schluckimpfung ein wahrer Segen für die ganze Welt.
Das stärkste Erlebnis war jedoch 1946 die Pockenschutzimpfung, die wir schon als Sechsjährige beim Schulantritt bekamen. Wie stolz ich auf diese erste „Schmucknarbe“ war! Sogar der Name des Impflokals ist mir wieder eingefallen: Es war die Rehauer „Mütterberatungsstelle“.
Der Gerhard bekam so panische Angst, dass er in der Unterhose vom Impfzentrum die Ludwigstraße entlang nachhause rannte. Wenn er noch lebte – wäre er vielleicht heute bei den Impfgegnern?
(Siehe auch den Nachtrag → Herr Aiwanger: Nehmen Sie Ihren Ministerhut vom 02. Juli 2021.)
Quellen
Bartens Werner et al: „Welcher Impfstoff kann was?“. In SZ Nr. 45 vom 24. Feb 2021, S. 13 (Wissen).
Braun, Stefan: „Bundesverdienstkreuz für Biontech-Gründer“. In: SZ Nr. 66 vom 20. Mrz 2021, S. 02.
Kel, Ekaterina: „Warten, frieren, bangen“. In: SZ Nr. 33 vom 10. Feb 2021, S. R01 (Lokales: München).
Matzig, Gerhard: „Geteiltes Leid“. In: SZ Nr. 83 vom 12. Apr 2021, S. 09.
Wolf, Veronika: „Will auch!“. In: SZ Nr. 82 vom 10. Apr 2021, S. 10 (Panorama).
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