~Die WonderBoys (Film)

Dem ziemlich verzweifelten Bestseller-Autor Grady Tripp (Nomen est Omen) will sein neues Roman-Projekt nicht gelingen. Während er von den Resten seines Ruhmes zehrt, unterrichtet er – mehr der Not gehorchend als der Tugend – an einer Universität einige Studenten in Creative Writing und tröstet sich mit Kiffen (wie andere Schriftsteller mit Alkoholsaufen).
Viel lieber würde er seinen neuen Roman vollenden. Davon hat er zwar schon 2.611 Seiten getippt (also keine Blockade im üblichen Sinne) – aber mit der Struktur hapert es gewaltig. Wie ihm die bei ihm wohnende Studentin Hannah mit einem seiner eigenen Statements klarmacht: „Sie müssen sich entscheiden“ – zum Beispiel, was er besser weglassen würde. Eher widerwillig und neiderfüllt beobachtet er den lügenden, aber sehr begabten Studenten James Leer, der offenbar genau das hat, was ihm abhanden gekommen scheint: Den Biss und die Power zum Gestalten eines richtigen Manuskripts. Und der dies, ebenfalls ein echter Wunderknabe, auch gleich verkaufen kann.

Großartige Schauspieler in einer köstlichen Komödie – die auch viel Unsinn transportiert: oben Michael Douglas, unten von links: Frances McDormand, Tobey „Spiderman“ Maguire und Katie Holmes (hier nicht zu sehen: Robert Downey Jr. als Buchlektor Terry Crabtree) (Cover: Concorde Film)


Katie Holmes spielt diese Studentin, die bei Tripp logiert und ihn anhimmelt (was auch schon eines seltsame Sache für sich ist).
Gegen Ende spannt Tripp in einem neuen Anlauf die Seite 2612 ein. Doch danach folgt in einer Nebenhandlung eine turbulente Autofahrt und sein Lektor Crabtree verschusselt die Sache: Ein starker Wind verbläst alle Seiten des Manuskripts aus der offenen Wagentür ins Hafenbecken von Pittsburgh.
In der Schlusseinstellung hat der Professor offenbar alle Probleme gelöst, die vorher dem Film seine spannende Dramaturgie verpasst haben: Er hat mit dem Kiffen aufgehört, lebt mit seiner vorherigen Geliebten (der Direktorin der Universität) nach gegenseitigen Liebesgeständnissen zusammen. Sie steigt gerade aus dem Auto mit dem gemeinsamen Kind, dessen Ankunft vorher alle Konflikte aufgeheizt hatte („Ich bin schwanger-“ – was ihn ziemlich hilflos reagieren lässt). Zufrieden und verliebt schaut sie zu ihm hoch.
Friede – Freude – Eierkuchen – ein Happy-end à la Hollywood, wie es kitschiger und realitätsferner nicht geht.
So köstlich und unterhaltsam dieser Film ist: Das würde alles nie funktionieren:
° Man kann nicht einfach nach vielen Jahren mit dem Kiffen über Nacht aufhören – wenn nicht die darunter liegende Störung bearbeitet wird.
° Und man kann nicht einfach eine massive Schreib-Blockade auflösen – die in diesem speziellen Fall nur scheinbar aus dem Gegenteil besteht: einem unaufhörlich weiterwuchernden Manuskript. Dass die Studentin Hannah sehr unmissverständlich zu Tripp sagt: „Sie müssen sich entscheiden“ – das ist bullshit: Jung und in ihn verliebt würde sie in der Realität niemals mit dieser klaren Stimme so etwas zu ihm sagen.
Romanschreiben ist tatsächlich unter anderem die Kunst des Weglassens – auf den Punkt gebracht in dem markigen Rezept: „Kill your Darling!“ (was in seiner Radikalität auch wieder der pure Schwachsinn ist – aber einen wahren Kern enthält).
Wie Tripp mit seinen Studenten arbeitet, ist übrigens auch nicht die hilfreichste Art, Creative Writing zu vermitteln. Ich würde jedenfalls niemals den Text eines Studenten selbst vorlesen – und ihn dann der Meute zum Fraß – also zur offenen Kritik – hinwerfen. So funktioniert das nicht – auch wenn es filmisch was hergibt, weil es Konflikte offenlegt und schürt. Aber dieser Professor hat keine Ahnung, wie man ein Schreib-Seminar leiten sollte.
Dennoch: Ich liebe diesen Film, der von seinen großartigen Schauspieler*innen lebt und von vielen witzigen Szenen und Dialogen. Kintopp eben.

Und es ist eine wahre Freude, diesen prächtigen Beispielen von Hochbegabten zuzuschauen, wie sie ihre Talente realisieren – oder sie eben verschusseln. wie das Tripp zunächst macht.

Und auf jeden Fall handelt es sich um ein prächtiges Exemplar von Filme rund ums Schreiben, von denen es erstaunlich viele gibt.

MultiChronalia

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Kiffen keineswegs nur so lustig ist, wie das in dieser Komödie zelebriert wird. Es ist zwar – zum Beispiel wenn man unter ADHS leidet – , ein scheinbar gutes Medikament zur Selbstheilung. Was am Anfang tatsächlich „das Bewusstsein erweitert“, nimmt einem allmählich jeden Ehrgeiz und lässt einen zusehend in Depressionen versinken. Da wieder rauszukommen, ist ein Jahre dauernder anstrengender Kampf, der einen wirklich guten Therapeuten als Begleiter braucht.
Ich kenne das von beiden Seiten:
° als Student habe ich in den 1960er Jahren mehr gekifft als mir gut tat – und es war mir später nur ein schwacher Trost, dass Sigmund Freud mit Kokain ähnliche Kämpfe ausfechten musste. Wie ihm das gelungen ist und wie er daraus die Psychoanalyse kreïerte, habe ich in meinem Buch — Freud und das Kokain untersucht
° Später habe ich meine eigenen Erfahrungen von 1970 bis 1976 gut in der Drogenberatung umsetzen können und in mehreren Büchern – so im Handbuch der Rauschdrogen.

Zur Anregung der Kreativität ist dass Kiffen höchst ungeeignet: Da sprudeln zwar die GeistQuantenFluktuationen nur so aus dem Unbewussten ins Bewusstsein – aber sie dann in der Realität praktisch umzusetzen erschöpft sich meistens nur im Reden und scheitert schlimmstenfalls im depressiven Nichtstun. Den Zahn, dass Drogen dem kreativen Prozess gut tun könnten, haben mir zwei Vorbilder in jungen Jahren sehr nachdrücklich gezogen: der österreichische Physiker und Schriftsteller — Herbert W. Franke und der indische Musiker — Ravi Shankar – die ich in eigenen Begegnungs-Texten würdigen werde.

Was die Schreibblockaden angeht, mit denen sich Tripp plagt, so kenne ich die ebenfalls aus eigener Anschauung. Und mein aktuelles Roman-Projekt glü kann es mit des Professors 2612 Seiten locker aufnehmen. Aber der Blog ist mir jetzt eine Weile wichtiger. Und im Gegensatz zu den meisten meiner früheren Buch-Projekten habe ich keinen Vertrag, der mir eine Deadline aufzwingt. Hat Vorteile – aber auch Nachteile, wie man sich denken kann. Und irgendwie macht es auch Spaß, einmal länger an einem Projekt zu arbeiten – in diesem Fall seit 1982.

Dass ich in meinen Schreib-Seminare (seit 1979) anders arbeite, habe ich oben schon angemerkt. Ich fände es nur sehr hilfreich, wenn die Corona-Aliens sich allmählich wieder zurückziehen würden (oder möglichst bald möglichst viele Menschen geimpft sind) und die Durchführung von Schreib-Seminaren wieder so locker durchgeführt werden kann, wie im Film. Aber leider ist das kein Science-Fiction-Roman oder -Film, dem man ein einsprechendes Happy-end ankleben könnte.

Die BinnenVersalie des Titels (WonderBoys) ist übrigens echt und nicht von mir hineingeschmuggelt.

Quelle
Hanson, Curtis (Regie): Die WonderBoys. USA 2000.

170 _ aut #202 _ 2021-04-13/10:10 Die

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