(wip) Zeittafel: Kreatives Schreiben / HyperWriting

(Work in Progress – diese Zeittafel wird später in den Anhang verlagert.)

1816
In meinem Verständnis beginnt „Kreatives Schreiben“ mit jenem Treffen von vier Autoren in einer Villa am Genfer See im Sommer 1816. Dieser Sommer war kein sehr gemütlicher: Es war kalt und sehr regnerisch – das berüchtigte „Jahr ohne Sommer“*. So waren Lord Byron, sein Leibarzt und Schriftstellerkollege John Polidori, der Dichter Percy Bysshe Shelley und dessen Frau Mary Wollstonecraft-Shelley gezwungen, viel Zeit in Byrons Villa Diodati zu verbringen. Da alle vier passionierte Schreiber waren, ergab es sich nahezu von selbst, dass sie dies gemeinsam taten und auf diese Weise entstand das, was für mich die „erste Schreib-Werkstatt der Welt“ wurde und somit der Beginn dessen, was man heute als „Creative Writing“ bezeichnet – wovon der gemeinsame kreative Schreib-Prozess und das Vorlesen die Grundvoraussetzung ist.
(Mehr zu diesem denkwürdigen Treffen im Beitrag Schlüsseljahr 1816 .)

Beispiel einer Zeittafel aus meiner Datenbank zum Blog – noch sehr roh und unbearbeitet – nur um anzudeuten, was man mit so einer chronologischen Anordnung von Themen alles machen kann (Archiv: Screenshot jvs)

1940er Jahre
Ein gewaltiger Sprung über mehr als ein Jahrhundert. Bereits in den 1920er Jahren entstand in den USA eine pädagogische Reformbewegung, bei der das gemeinsame Schreiben im Mittelpunkt stand – man wollte nicht mehr nur die „toten Dichter“ hoch oben auf ihrem Ruhmessockel verehren – sondern selbst zum Dichter und Autor werden. Diese Art des als „Creative Writing“ bezeichneten Verfahrens nahm vielfältige Formen an, die man analog zu einem späteren Ausspruch des deutschen Künstlers Joseph Beuys („Jeder ist ein Künstler“) etwa so definieren könnte: „Jeder ist ein Schriftsteller“ – oder, bescheidener: „Jeder kann lernen, sich schreibend auszudrücken.“
Speziell in der amerikanischen und bald darauf auch britischen Science-Fiction-Szene boten etablierte Autoren wie James Blish, Damon Knight und Brian Aldiss „Writer´s Workshops“ an, die zum festen Bestandteil der Szene wurden.

1978
Von alledem hatte ich keine Ahnung, als im Sommer 1978 in einem TZI-Workshop von Elisabeth von Godin für das Workshop Institute for Living Learning (WILL) in oberbayrischen Aufkirchen nahe dem Starnberger See ziemlich in der Mitte dieser fünf Tage eine kleine Krise auftrat (wie typisch für solche Selbsterfahrungs- und TZI-Gruppen) und die Teilnehmer grummelten, sie hätten genug „vonb dem Gelaber“. Woraufhin ich, damals Ko-Leiter des Workshops, spontan vorschlug: „Wie wäre es mal mit Schreiben statt Reden?“
Der Vorschlag kam gut an und diese allererste Schreibsitzung war ein so großer Erfolg, dass Elisabeth gerne meinen Vorschlag aufgriff, im folgenden Jahr einen richtigen Schreib-Workshop mit TZI anzubieten.
Selten kann man die Entstehung von etwas Neuem so präzis verorten bzw. verzeiten.

1979
„Schreiben als Abenteuer“ nannten Elisabeth von Godin und ich diesen Workshop, der bei WILL rasch ausgebucht war und ein so guter Erfolg wurde, dass wir im folgenden Jahr

1980
den Workshop „Schreiben als Begegnung“ anboten. Ich habe diese Kurse dann mit meiner Frau Ruth (die ich bei WILL kennenlernte) in eigener Regie weitergeführt und kann daher mit Fug und Recht behaupten, diese Schreib-Seminare erfunden zu haben – zumindest im deutschsprachigen Raum. Ab da habe ich das Leiten solcher Seminare zu meinem Hauptberuf gemacht, begleitet vom eigenen Publizieren als Journalist und Buchautor.
Dass es Ähnliches in den USA bereits längst gab (s. oben) – davon hatte ich keine Ahnung. Auch nicht davon, dass das Bedürfnis „gemeinsam zu schreiben“ wohl irgendwie „in der Luft lag“, denn zwei Jahre später etablierte sich in Bad Seegeberg eine ähnliche Veranstaltung, die bis heute aktiv ist: Der „Seegeberger Kreis“.
Meine eigenen Schreib-Seminare haben inzwischen (lange gemeinsam mit meiner Frau Ruth) die Zahl „1000“ längst überschritten. „Finde den roten Faden“ über Sylvester 2020/21 musste zwar wegen der Corona-Pandemie als Webinar online stattfinden – war aber nichtsdestotrotz ein richtiges Schreib-Seminar – meine/unsere Nr. 1043.

1982
Schreib-Treffen des Seegeberger Kreises“ – ab diesem Jahr bis heute. 2023.

1989
Der Film Der Club der toten Dichter kommt in die Kinos. Ähnlich wie in die Wonder Boys (→ 2000) (geht es um „Creative Writing“ – oder wie man es eigentlich nicht machen sollte.
Hier wird jedenfalls viel geredet und „getan“. Geschrieben wird nur einmal: Jeder der Schüler soll ein eigenes Gedicht verfassen und selbst vortragen. Ansonsten wird nur noch einmal geschrieben: Am Schluss sollen alle betroffenen Schüler (die Mitglied im wiederbelebten Club d t D waren) eine Falschaussage unterschreiben, die dem Lehrer Keating die Schuld am Suizid des Schülers Todd zuschiebt (der ja den passenden „sprechenden“ Namen trägt).
Keatings so „modern“ daherkommende Pädagogik ist im Grunde genauso „schwarz“ wie die an der Schule herrschende autoritäre Zwangsherrschaft mit Prügelstrafe. Ein 68er Revoluzzer, der Rache an der Anstalt nimmt, die er einst selbst durchlaufen hat. Aber den Schülern kann das nur schaden, weil Keating nicht einbezieht, dass die Schüler in eben dieses antiqierten Umgebung irgendwie zurechtkommen müssen. Die TZI-Methode nennt dies den „Globus“, den man immer berücksichtigen muss, wenn man ein Thema behandelt und vor allem, wenn man Zustände ändern will.
Ein Kurs in Creative Writing, das hätte den Schülern was gebracht: Mehr als nur ein Gedicht selbst verfassen – nicht dieses alberne Aufputschen der Widerborstigkeit.

2000
Der Film Die WonderBoys (work in progress)

2021
Die Corona-Pandemie hat mit dem mehrfachen Lockdown auch unsere Schreib-Seminare (inzwischen mit meinem jüngsten Sohn Jonas als Nachfolger von Ruth) nahezu stillgelegt. Das Ausweichen auf Webinare mit Videokonferenzen lässt sich nur sehr zögerlich an. Die Große Sommer-Werkstatt Nr. 40 im Vorjahr 2020 war zwischen den beiden Lockdowns allerdings erstaunlich gut besucht – mit neun Teilnehmer*innen.
Keine Ahnung, was die Zukunft bringen wird – aber geschrieben wird immer, soviel ist sicher, und deshalb werden auch die Schreib-Seminare wieder wichtig werden – vielleicht sogar wichtiger als zuvor, weil das Bedürfnis groß sein wird, die Corona-Katastrophe aufzuarbeiten. Was wäre dafür besser geeignet – als Schreib-Seminare?

Quellen
Hanson, Curtis (Regie): Die Wonder Boys. USA 2000.
Russell, Ken (Regie): Gothic. Great Britain 1986.
Weir, Peter (Regie). Der Club der toten Dichter. USA 1989 (Touchstone Pictures).

156 _ aut #821 _ 2021-03-31/21:056

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