Dummes Gerede von klugen Leuten

(Diese Kolumne wird später in den Anhang verlagert – wo ich ähnliche Beispiel-Sammlungen platzieren werde. )

Dies wird eine Sammlung von – bestenfalls kuriosen, manchmal aber auch hochgefährlichen Äußerungen von Leuten, die es eigentlich besser wissen müssten – weil sie keine Dummköpfe sind, sondern nicht selten überdurchschnittlich intelligent. Aber so ist das halt manchmal: „Falsches = dummes Gerede in ansonsten richtigen = klugen Werken“. –

Ich muss dreizehn gewesen sein, als ich in der Schulklasse wohl einen Satz begann mit „Ich denke, dass“ – was der Lehrer (ich sehre ihn noch deutlich vor mir) konterte mit: „Das Denken überlassen wir den Pferden – die haben einen größeren Kopf.“


Danke Herr Pädagoge – für dieses prächtige Beispiel „schwarzer Pädagogik“, so richtig geeignet, um einem die Lust am Lernen und an der Schule und vor allem am eigenständigen Denken ordentlich anzuheizen.
Dieser Lehrer war unser Klassenleiter Dr. Kapfhammer – den ich ansonsten sehr schätzte. (Oder war es der Biologe, der Studienrat Seiffert?)

Hat doch wirklich einen prächtig großen Kopf, dieses Pferd, und ist sicher ein kluges Tier – aber „Denken“? (Photo by Dario Fernandez Ruz on Pexels.com)

Egal – jedenfalls ein treffendes Beispiel für diese Kolumne hier im Blog, in der ich solch „dummes Gerede von (ansonsten) klugen Leuten“ sammeln und hiermit eröffnen möchte. Vielleicht so etwas wie eine späte Rache eines Schülers, der sich so seine eigenen Gedanken machte, gerne als „Spinner“ bezeichnet wurde (so hat mich meine eigene Cousine Ilse mal genannt, da war ich so etwa vierzehn war und sie altkluge zehn – ja, das hab ich mir auch gemerkt.)
Obigen Satz habe sicher nicht nur ich zu hören bekommen, sondern viele Schüler. Er dürfte so etwas wie ein „geflügeltes Wort“ in Schulkreisen (gewesen?) sein – und höchstwahrscheinlich haben ihn der Dr. Kapfhammer oder der Studienrat Seiffert selbst einst von ihren Lehrern um die Ohren geschlagen bekommen. Hätte es mir damals etwas genützt, wenn ich gewusst hätte, was mir erst 60 Jahre später klar wurde: dass ich zur Gruppe der hochbegabten Spätentwickler“ gehöre? Beim Dr. Kapfhammer stand ich (nach meinem Unfall 1953) in Französisch auf „6“ – nicht gerade ein Indiz für große Denkkapazität oder wenigstens für Lerneifer. Und in Biologie hatte ich eine „2,5“ oder „3“ – weil ich halt „faul“ war (und lieber meinen Karl May oder meine Schundheftchen las als die Schulbücher).

Thomas Mann über den Krieg
Der deutsche Großdichter und Nobelpreisträger „Literatur“ hat viele kluge Sätze geschrieben. Aber der folgende war brandgefährlich. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach bramarbasierte er, wie viele deutsche Patrioten, vom „großen, grundanständigen, ja feierlichen Volkskrieg“ (wie er an seinen Bruder Heinrich schrieb). Was ist denn „grundanständig“ bei dem gegenseitigen Niedermetzeln von Soldaten samt allen zivilen „Collateralschäden“? (Reithmaier 2021)

Darf eine Weiße das Gedicht einer Schwarzamerikanerin übersetzen?
Entsetzlich viel „dummes Zeug“ wird in der aktuellen „Identitäts-Debatte“ in die Welt posaunt. Dem will ich in einem eigenen Beitrag nachgehen: Darf van Gogh eine Sonnenblume malen – wen er selbst keine ist?

Joseph Beuys über „Kunst“ und „Künstler“
Jeder Mensch ist ein Künstler“ – hat der große Meister einst verkündet. Hat er mit dieser Behauptung Recht? Er leitet sie so ab: „Wenn ich ein Künstler bin, dann sind auch alle anderen Menschen Künstler“.
Warum macht sich Beuys so klein – wo er doch immerhin eine Badewanne mit Fett gefüllt und das der Welt als Kunst verkauft hat? Er war wohl ein Künstler – weil innovativ und frech und selbstbewusst – alle anderen, die ab da Fett in Plastikwanne oder in tiefe Teller füllen (um die Badewanne von Beuys kreativ abzuwandeln) – äffen ihn nur nach.
Ich meine, das ist klassischer bullshit – wie die Amerikaner drastisch sagen. Klar kann jede Frau und jeder Mann einen Pinsel in die Hand nehmen und loslegen. Wird ja täglich gemacht – in Malschulen, in „Heimarbeit“, auf dem Bauernhof im Winter. So wie es Millionen Hobby-Musiker gibt und unzählige Leute, die schreiben, bildhauern, tanzen –

Sigmund Freud über „Labyrinth im Traum“
Verlassen wir die Pädagogik und eigenes Erlebens. Es gibt noch ganz andere Heuler von dummen Bemerkungen. Zum Beispiel von einem nicht nur klugen, sondern wirklich genialen Menschen, bei dem ich bis heute noch nichts ähnlich „Dummes“ entdeckt habe. Sigmund Freud schrieb in seinen Gesammelten Werken – laut Gesamtregister – ein einziges Mal über Labyrinthe, und zwar dies, und damit hat Freud sich richtig lächerlich gemacht:

„Im manifesten Inhalt der Träume kommen recht häufig Bilder und Situationen vor, die an bekannte Motive aus Märchen, Sagen und Mythen erinnern. Die Deutung solcher Träume wirft dann ein Licht auf die ursprünglichen Interessen, die diese Motive geschaffen haben, wobei wir aber natürlich nicht an den Bedeutungswandel vergessen dürfen, der im Laufe der Zeiten dieses Material betroffen hat. Unsere Deutungsarbeit deckt sozusagen den Rohstoff auf, der häufig genug im weitesten Sinne sexuell zu nennen ist, aber in späterer Bearbeitung die verschiedenartigste Verwendung fand. Solche Zurückführungen pflegen uns den Zorn aller nicht analytisch gerichteten Forscher einzutragen, als ob wir alles, was sich an späteren Entwicklungen darüber aufgebaut, leugnen oder geringschätzen wollten. Nichtsdestoweniger sind solche Einsichten lehrreich und interessant. Das gleiche gilt für die Ableitung gewisser Motive der bildenden Kunst […]
ich kann es mir nicht versagen zu erwähnen, wie häufig gerade mythologische Themen durch die Traumdeutung Aufklärung finden. So läßt sich z. B. die Labyrinthsage als Darstellung einer analen Geburt erkennen; die verschlungenen Gänge sind der Darm, der Ariadnefaden die Nabelschnur
.“ (Freud 1933)

Freud war ein großartiger Trauminterpret (nicht zuletzt seiner eigenen Träume). Aberdeis ist nichts anderes als ein prächtiges Beispiel für Deformation professionelle: Wer als wichtigstes Werkzeug einen Hammer verwendet (oder Freud seine Sexualtheorie – die ja weitgehend stimmt und sich sehr bewährt hat) – entdeckt eben ständig Nägel, die er in die Wand klopfen muss. Das Werkzeug „Psychoanalyse“ bzw. „Sexualtheorie“ eignet sich nun wirklich nicht, um ein so hochkomplexes – und nicht nur mythologisches – Phänomen wie das Labyrinth zu verstehen und zu deuten. (Außer vielleicht, wenn ein neurotischer Patient mit Verdauungsstörungen von einem Labyrinth träumt, weil sein Unbewusstes ihm signalisieren will –
– aber lassen wir das. So hat Freud das mit seinem Pauschalurteil ja gerade nicht gemeint: symptomspezifisch.)

Adorno und „Dichtung nach Ausschwitz“ und „Richtiges Leben im Falschen“
Auch Adorno war sicher ein kluger Mann – Universitätsprofessor und angesehener Soziologe und Philosoph. Kein bahnbrechendes Genie wie Freud, aber doch mit seinem Denken sehr einflussreich bei einer ganzen Generation von Studenten während des Aufbruchs der 68er. Ich fand ihn immer ziemlich „hermetisch“ und schwer lesbar. Und es ärgert mich heute noch, was er über Sachgebiete publizierte, von denen er wirklich nichts verstand. Zum Beispiel war er fraglos ein Experte für moderne Musik (seiner Zeit) und komponierte auch selbst Zwölftonmusik. Doch was er über Jazz geäußert hat – war wirklich nur „dummes Geschwätz“ und nichts weiter als seine persönliche (und sehr arrogante) Meinung – die aus dem Mund eines deutschen Professors leider ein anderes Gewicht hat als dito von einem Studenten im ersten Semester:

„Jazz ist die Musik, die bei simpelster melodischer, harmonischer, metrischer und formaler Struktur prinzipiell den musikalischen Verlauf aus gleichsam störenden Synkopen zusammenfügt, ohne dass je an die sture Einheit des Grundrhythmus, die identisch durchgehaltenen Zählzeiten, die Viertel gerührt würde.“
Das mit der „simpelsten melodischen … Struktur“ hat schon beim New Orleans Jazz des frühen Louis Armstrong nicht gestimmt, mal ganz abgesehen von der „sturen Einheit des Grundrhythmus“. Selbst ein schlichter Dixieland-Gassenhauer wie „Icecream, you scream“ bietet, je nach Qualität der spielenden Band, jede Menge Abwechslung. Und genau davon hatte Adorno null Ahnung: Welche Rolle die Interpreten beim Jazz spielen.
John Coltrane (den Adorno natürlich 1936 nicht kennen konnte) holte aus schlichten Folklore-Vorlagen eine unglaubliche melodische und rhytrhmische Vielfalt heraus – weil er wie jeder gute Jazzer (gleich ob schwarz oder weiß) die afrikanischen Quellen dieser polytonalen und polyrhythmischen Musik anzapft. Aber die Be-Bopper Charlie Parker (1020-1955) oder Dizzie Gillespie (1917-1993) hätte Adorno ebenso kennen können wie die Vielschichtigkeit eines Duke Ellington (1899-1974) sowie den höchst differenzierten, intellektuell wirklich „kühlen“ Cool Jazz der 40er Jahre.
Aber vermutlich hätte er über die indischen Ragas eines Ravi Shankar ebenso elitär geschnödet wie über den Jazz.

Noch zwei andere Heuler von Adorno:

Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ (Adorno 1951)
Was soll das denn? Nelly Sachs und Paul Celan („Der Tod ist ein Meister in Deutschland“ – in seiner Todesfuge) haben großartige Gedichte über die Judenvernichtung geschrieben – vielleicht sind Gedichte sogar die einzige Möglichkeit, über „Auschwitz“ und den Holocaust angemessen zu schreiben?
In der Wikipedia findet sich über Nelly Sachs dieses Statement:
In der Nachkriegszeit schrieb Nelly Sachs weiterhin mit einer hochemotionalen, herben, aber dennoch zarten Sprache über das Grauen des Holocaust. Ihr Biograf Walter A. Berendsohn nannte die Gedichte 1946 „klagend, anklagend und verklärend“. Nelly Sachs ist „die erste Schriftstellerin, welche die Schornsteine von Auschwitz zum Thema ihrer Verse machte“.

Und dann noch dieses seltsame „Orakel“ Adornos:

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Dazu gibt es in der Wikipedia sogar einen eigenen Eintrag. Sehr lesenswert und sehr klug. Aber man kann es auch einfacher ausdrücken:

Wenn Menschen nicht ihr „falsches“ in ihrem ansonsten „richtigen Leben“ entdecken und es vielleicht bereuen und das „Falsche“ wieder gutmachen könnten – gäbe es keine Grundlage für Psychotherapie oder überhaupt für eine Korrektur von Lebenslügen und „gemachten Fehlern“.
Auch in diesem Fall ist Adorno nichts weiter als ein Dampfplauderer von akademischen Gnaden – der jedoch kraft seines professoralen Amtes mit solchen Sentenzen eine Wirkung entfaltet hat, die kaum jemand zu hínterfragen wagt. Sollte man aber machen. Um das „falsche“ in seinem ansonsten hoffentlich „richtigen Schreiben (und somit auch Leben)“ erkennen und ggf. würdigen zu können.

Alexander Gauland (Afd) und der „Vogelschiss der Weltgeschichte“
„Wir haben eine ruhmreiche Geschichte, die länger dauerte als 12 Jahre. Und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. […]
Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte. „

So kann man deutsche Geschichte sehen. Aber die zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reichs“ der Nazi-Diktatur haben die Geschichte Deutschlands leider auf gut tausend Jahre kontaminiert. Als „Vogelschiss“ (oder wahlweise „Fliegenschiss“) kann man allenfalls die AfD bezeichnen, von er man in zehn, zwanzig Jahren wahrscheinlich (und hoffentlich) ebenso wenig noch hören wird wie von den einst (ebenfalls sehr rechtslastigen) bayrischen Republikanern, von denen Franz Joseph Strauß und die CSU sich nicht „rechts überholen“ lassen wollten.

Alexander Gauland ist kein Dummkopf. Sehr depressiv (mit viel dahinter verborgener Aggressivität) – aber dumm ist er nicht. Warum sagt er dann so etwas „Dummes“? Ganz offensichtlich will er damit provozieren. „Dumm“ ist der Satz dennoch.

Francis Crick über Träume

James Watson und Francis Crick haben 1953 mit ihrer Entdeckung der Doppelhelix des Erbguts Wissenschaftsgeschichte geschrieben und zu Recht dafür 1962 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Das hinderte diesen sicher klugen (sehr wahrscheinlich hochbegabten) Menschen nicht daran, zu behaupten, Träume dienten dem Vergessen (Grolle 2021).
Ob er sich jemals ernsthaft mit Träumen beschäftigt hat – oder dies nur so dahinplapperte, wie mancher Gelehrte, der seinen eigenen vertrauten Elfenbeinturm verlässt und sich auf fremdes Terrain begibt – von dem er eigentlich nichts verstehen kann, weil ihm die nötige Expertise fehlt. Nicht nur nach meiner eigenen Erfahrung während jahrzehntelanger Beschäftigung mit diesem Phänomen dienen Träume vor allem genau dem Gegenteil: nämlich tagsüber Erlebtes nachts im Schlaf
° entweder als irrelevant auszusortieren (also tatsächlich, wie Crick vermutet hat, es zu vergessen)
° oder es, weil als wichtig (oder möglicherweise wichtig) erkannt, dem Insgesamt der im Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen einzufügen.

Was Crick über Träume und ihre Funktion schreibt ist jedoch so mechanistisch, das man sich wundert, warum er es publiziert hat. Er zeigt, dass er keine Ahnung von den psychologischen und kreativ-künstlerischen Aspekten dieses Phänomens hat.
(Leider kann ich den genauen Wortlaut nirgends finden – aber der Zufall* wird es mir irgendwann zuführen – vielleicht durch eines Leser dieses Blogs?)

* Es hat nur zwei Wochen gedauert und der Zufall hat tatsächlich die gesuchte Information geliefert: Während ich gestern, am 15. April 2021, beim Zahnarzt auf meine Behandlung wartete, schmökerte ich im dort ausliegenden alten Spiegel vom – man staune: 13. März 2021 – und entdeckte dort einen Artikel über aktuelle Traumforschung, und darin wird – ja genau: Darin wird Crick folgendermaßen zitierte: „
… der berühmte Mitentdecker der DNA-Struktur, verkündete, Träume dienten dem Vergessen.“
Geschenkt, dass ich diese Aussage ursprünglich fälschlicherweise Cricks Kollegen Watson zugeordnet hatte – aber letztlich hat mein Gedächtnis doch recht gut funktioniert. Und das Zufall hat´s postwendend korrigiert.

Quellen
Adorno, Theodor W.: Über Jazz. 1936
ders: „Kulturkritik und Gesellschaft“ (1949 geschrieben und 1951 erstmals veröffentlicht).
Freud, Sigmund: Neue Folge… GW Bd XV (1933) 4. Aufl. 1967 Frankfurt am Main, S. 25/26.
Grolle, Johann: „Drogentrip im Schlaf“. In: Spiegel Nr. 11 vom 13. Mrz 2021, S. 100-102.
Reithmaier, Sabine: „Vom Leben und Leiden reicher Künstlerkinder“. In: Südd. Zeitung Nr. 75 vom 30. März 2021, S. R14.

145 _ aut #817 _ 2021-03-28/21:20

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