Home Office? Schon immer!

Ein aktuelles Heft von brand eins widmet sich dem Thema Home Office – und was man von Selbständigen zu diesem Thema lernen kann. Dazu fiel mir gleich etwas ein: Dass ich eigentlich immer schon zuhause gearbeitet habe und mich dort entsprechend arrangieren musste. Geht das nicht schon in der Schule los – sobald man Hausaufgaben machen muss – also daheim?

In Rehau war das zunächst der große Tisch in der Küche. Die Mutter werkelte am Herd oder am Bügelbrett herum – und ich machte meine Hausaufgaben. Das ist eine sehr angenehme Erinnerung – nicht zuletzt, weil diese Küche nicht nur für Schularbeiten mein Arbeitsplatz war – sondern auch für die kleinen Jobs, die ich für diesen Haushalt erledigen musste und gerne erledigte. Außer Einkaufen (Milch in der Kanne bei der Milchrosl gleich nebenan holen – oder im Lebensmittelgeschäft Sachen besorgen – oder Bier im Krug mit dem Deckel für den Großvater holen oder dessen Zigarren beim Kätzel in der Fabrikstraße).
Die wichtigste Arbeit war jedoch früh am Morgen, schon vor der Schule, die Glut im Küchenherd anfachen, damit das Wasser im Schaf ordentlich heiß für den Morgenkaffee war.

Abb. 1: Fast mein ganzes Leben lang habe ich im Home Office gearbeitet – mit dem sich hier meine Lieblingszeitschrift brand eins befasst.

Okay, das damals in der Rehauer Küche kann man nicht unbedingt mit dem Home Office gleich setzen, wie es heute dank Corona verstanden wird. Aber als ich mit 14 von Hand meine ersten eigenen Texte schrieb und mit der Reiseschreibmaschine meines Vaters abtippte, hatte ich bereits mein eigenes Zimmer in derselben Wohnung in Rehau – und das war fraglos auch ein Arbeitszimmer. Darin stand das Klavier*, an dem ich drei Jahre lang (sehr ungern) übte, was der Kantor Peter mir dazu vom Unterricht bei ihm aufgegeben hatte. Hier gab es auch, noch aus Großvaters Zeit, eine richtige kleine Bibliothek mit seinen Büchern – während im weißen Schrank auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür meine eigene Bibliothek langsam Gestalt annahm.

* Später übte ich (schon etwas lustvoller weil aus eigenem Antrieb), auf der Gitarre. Diesen Unterricht besuchte ich mit meinem Freund Alfred; allerdings gab ich rasch wieder auf, während er eisern dranbliebt und später ein brillanter Jazzgitarrist wurde und noch immer ist.

An meinem Schreibtisch bastelten Alfred und ich auch unsere gemeinsamen Exposees für Jim Parker – er die Bilder, ich die Texte – so wie wir zuvor schon bei den Comics zusammengearbeitet hatten. Sage niemand, das sind Spielereien – wir haben das nämlich sehr ernsthaft betrieben und später unsere Berufe daraus gemacht: Alfred das Zeichnen als Werbegrafiker und ich das Schreiben als Journalist und Autor.
Dieses Zimmer war zuvor das Arbeitszimmer meines Großvaters gewesen; nach seinem Tod im November 1952 wurde es endlich mein eigenes Zimmer (zuvor teilte ich mir das Zimmer gleich daneben mit meiner Schwester.)

Wenn ich heute, sieben Jahrzehnte später, in meinem Arbeitszimmer in München tätig bin (wie jetzt eben beim Tippen dieser Zeilen – nicht mehr auf der „Erika“ meines Vaters, sondern auf meinem inzwischen dreizehnten Computer) – dann ist das – wenn ich richtig gezählt habe – mein Home Office #10.
Ich habe immer zuhause gearbeitet. Als Schüler (nach dem Umzug nach München im März 1956) nicht nur für die Schule – sondern ab da immer intensiver als Autor: erste Kurzgeschichten und hobbymäßig Beiträge für die Schülerzeitung Giselaner und das FanZine —Munich Round Up für Münchner und andere SF-Fans sowie für den —C.C.Rider; des —Cool Circle. Ab 1957 ging es dann mit den ersten Romane los.
Als Student arbeitete ich erst als Trainee für —Mal Sondock und die —IOS, für die ich amerikanische Investment-Fonds verkaufte (auch dafür braucht man ein Office: vor allem für die telefonische Akquise.) Ab 1965 schrieb ich für die medizinischen Zeitschriften Selecta und Praxis-Kurier – zum Teil in deren Redaktionsräume, aber später dann auch zuhause.

Eigentlich habe ich nur zwei Jahres meines Erwachsenen-Lebens nicht fulltime im Home-Officer gejobbt:
° 1968 als fest angestellter Redakteur bei der damals neu in den Markt drängenden Frauenzeitschrift Jasmin.
° Und im Jahr danach in einem renommierten Buchverlag – bei der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung.
Doch auch in diesen beiden Jahren habe ich gleichzeitig zuhause weitere (eigene) Projekte verfolgt – und das eben im Home Office (steuertechnisch heißt das eh und je „Arbeitszimmer“.)

Auch während meiner Zeit als Drogenberater (1970 bis 1976) hielt ich meine Beratungsstunden in der Wohnung in der „Grenzkolonie Trudering“ am östlichen Stadtrand von München einem etwas separaten Zimmer ab. Das wäre heute gar nicht mehr möglich, denn Psychologische Berater und Psychotherapeuten müssen längst eigene, von der Wohnung getrennte Arbeitsräume vorweisen. Damals war das problemlos möglich (auch mein Psychoanalytiker ließ mich im ersten Stock seines Einfamilienhauses „auf die Couch“ Platz nehmen und andere Therapeuten machten es ähnlich).
allerdings muss ich das Adjektiv „problemlos“ insofern relativieren, als es für meine Frau Elke und meine Kinder sicher nicht leicht wäre, immer andere „fremde Gäste“ in der Wohnung mitzuerleben.

Abb. 2: Home Office in der Seestraße ab August 1984 – den (ersten) PC , den man hier sieht, bekam ich Mitte 1984 von IBM „zum Ausprobieren“ geliehen. Damit habe ich mein „Großes Buch der Träume begonnen – um es fertigzustellen, musste ich mir dann ein ähnliches Gerät kaufen. Durch die Tür hinter mir gelangte man auf eine prächtige Terrasse – auf der sich auch gut arbeiten ließ.

Als ich einige Jahre später (ab 1982) in der Seestraße diese sagenhaft schöne und wirklich große → „Sieben-Zimmer-Luxuswohnung“ mieten konnte, war das im Prinzip ähnlich – nur dass für die Seminararbeit mit den Schreib-Gruppen (manchmal bis zu vierzehn Teilnehmer*innen) zwei der Räume mit Beschlag belegt wurden – und manchmal – wenn es drei oder vier Kleingruppen gab – sogar die Küche und bei passendem Wetter die Terrasse (unser achtes „Zimmer“) mit Beschlag belegt wurden – was für meine Frau und meinen Sohn sicher auch nicht einfach war.

Abb. 3: Verleiht meinem Home Office magisch-mystische Tiefe: Die Madonna mit dem Kind (etwa 1880 Frankreich? – Maler unbekannt – Archiv JvS)

Heute ist alles viel komfortabler – aber im Prinzip genauso wie früher

Mein Arbeitsplatz ist heute natürlich um einiges komfortabler – mit den —drei Bildschirmen und einem exzellenten Computer mit Diktiersoftware und allerhand anderen Software-Schmankerln, die man als Autor braucht. Aber an der Wand hängen inzwischen Bilder meiner Frauen Elke und Ruth – und wie eine zeitliche Brücke in mein Rehauer Zimmer ein Bild, das mehr als alles andere emotional meinen Großvater verkörpert und mich immer wieder seltsam berührt und zum Nachgrübeln bringt:
Warum hat er damals, im Ersten Weltkrieg, in Frankreich diese „Madonna mit dem Jesuskind“ erworben, die bald danach ihm gegenüber hinter seinem Schreibtisch hing – und die heute, im Jahr 2021, mir gegenüber hängt, wenn ich die Tür zum Wohnzimmer schließe, die für gewöhnlich offen steht. Diese Madonna macht aus meinem Home Office etwas Besonderes. Etwas, das mich daran erinnert, dass ich zwar Psychologe bin, aber für das, was man als Religion bezeichnet, immer auf irgendeine Weise sehr offen war – sei es in der sehr säkularen Variante der Science-Fiction (die meines Erachtens nicht nur für Techniker und Naturwissenschaftler einen Ersatz für ihren verlorengegangenen Glauben an außer- und überirdische Mächte darstellt, sei es als Esoterik. Tiefenpsychologisch geht es um jene Erlebniswelt der allerfrühestens Kindheit der ersten drei Jahre, als sich tatsächlich „Götter“ um unser Wohl sorgten, zu denen wir hoffnungsfroh (und manchmal auch ängstlich) aufblickten, weil sie so riesengroß und mächtig über uns thronten.
Diese „Madonna mit dem Kind“ (den „Jesus“ lasse ich jetzt mal bewusst weg, weil es um etwas viel Fundamentaleres geht) ist für mich zu einer Brücke geworden zwischen diesen beiden Welten
° der kindlichen Urzeit mit ihrem Märchencharakter und ihren magischen Qualitäten einerseits
° und der eher nüchternen Welt der Jugendlichen und Erwachsenen.

Deshalb passt sie bestens ins Home Office eines Psychologen und Schriftstellers.

MultiChronalia

Muss ich das noch multiChronal aufschlüsseln? Ich denke, nein. Die verschiedenen, eng mit einander verzahnten Zeitebenen sind ja deutlich sichtbar: Beginnend mit den ersten Arbeitsversuchen ab 1954 über diverse „Mietwohnungen mit integriertem Home Office“ und die Traumwohnung in der Seestraße bis zur heutigen Wohnung an der Winzererstraße – die nach dem Tod meiner Frau Ruth 2016 eigentlich nur noch Arbeitswohnung ist, in der auch gegessen, gelesen, Musik gehört und ferngesehen und geschlafen wird.

Aber die Lesungen, die wir in der Seestraßen-Wohnung mit Seminarteilnehmer*innen durchgeführt haben und die Konzerte mit Jazz (Freund Alfred wieder dabei mit Trio) und indischer Musik, die „open house“ feierten, machten schon ein ganz spezielles „Home Office“ daraus.

Abb. 4: Macht sich gut im Home Office: Die Bücherwand – eine von sechs (Archiv JvS).

Zu solcher Musik (im Home Office der Schreib-Seminare) kann man wunderbare Geschichten schreiben:

Abb. 5: Indische Ragas mit Shankar Lal (Tablas) und Sunil Banerjee (Sitar): Hauskonzert am 12. Februar 2000 in der Seestraße (Archiv JvS)

172 _ aut #854 _ 2021-04-14/16:11

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: