Begegnung mit brand eins

Der Titel ist nicht ganz korrekt, denn es handelt sich nicht um eine einzige Begegnung, sondern diese findet jeden Monat statt. Es begann, wie so vieles im Leben, mit einem Zufall. Etwa 2013 lag unten im Eingang des Hauses, in dem wir kurz zuvor eingezogen waren, eine Menge Bücher und Zeitschriften „zum mitnehmen“. Der dickste Stapel war ein Wirtschaftsmagazin namens brand eins, das ich schon eine Weile vom Namen her kannte und von dem schwierigen Start in einem Markt, der doch mit etlichen Magazinen bereits gut bestückt war. Darüber hatte ich im Wirtschaftsteil der SZ gelesen.
Ich bin zwar von Haus aus Psychologe und Schriftsteller – aber schon während meines Studentenjobs beim Medizin-Magazin Selecta und dessen Begleitzeitung Praxiskurier hatten mich (nicht zuletzt wegen meines Faibles für Science-Fiction) neben psychologischen und geschichtlichen Themen Naturwissenschaften und Technik mindestens so sehr interessiert. Als ich 1964 für den amerikanischen Investment-Dealer Investment Overseas Services (IOS) neben dem Studium zu jobben begann, waren es zunehmend auch wirtschaftliche Belange, die mich beschäftigten. Kein Zufall also, dass einer meiner Artikel für den Praxiskurier in jenen Tagen sich mit Investment-Fonds befasste. (Aus historischen Gründen drucke ich ihn hier im Blog nach → Altersversorgung durch Dach-Fonds )

Doch zu brand eins. Schon der seltsame Titel sprach mich an, war er doch so ganz anders als Capital, Manager-Magazin, das Wallstreet Journal (das lag bei der IOS rum), das Handelsblatt oder focus money oder wie sie alle hießen, die ich gelegentlich im Wartezimmer bei der Augenärztin und andernorts las, eher beiläufig.
Aber brand + eins – das hatte etwas seltsam Anderes. Das passte irgendwie schon rein sprachlich nicht recht zusammen: ein Substantiv (aber klein geschrieben) und eine Zahl. Bei „brand“ dachte ich gleich an eine Adresse im Hochhaus an der „Brandswiete“ in Hamburg, in dem der Spiegel damals residierte (was in den ersten Jahren tatsächlich die Verlagsadresse der neuen Zeitschrift war), aber auch an „brandeilig“, „brandgefährlich“, „brennend wichtig“.
Und „eins“ – na klar, da will ein Newcomer die Nr. 1 werden.


Handeltreibende Vorfahren – und ein zukünftiger Höchstbegabter

Sei´s drum – Wirtschaft war zwar durch den Beruf meines Vaters (Handelsvertreter) und der mütterlichen Vorfahren (Bauunternehmer, Architekten, Viehhändler) immer schon interessantes Terrain und als ich mich mit Aktien und Fonds beschäftigte sowieso – aber dieses monatlich erscheinende Heft war mir schlicht zu teuer. Und wie toll seine Inhalte beschaffen und erstklassig aufbereitet waren, wusste ich ja noch nicht. Das änderte sich erst durch den oben erwähnten Zufallsfund im Hauseingang. Ich begann mich einzulesen und war rasch – ich kann es gar nicht anders ausdrücken – „hooked“. Wie das eben so ist bei der passenden Droge. Mir war auch rasch klar, dass hier ja nicht nur ökonomische Topoi angeboten wurden, sondern die ideale Form von Weiterbildung für jemanden, der selbst schreibt und sich nicht nur häppchenweise aus dem Internet oder der Tageszeitung informieren möchte:
° Da gab und gibt es noch immer die Kolumne „Mikroökonomie“, die jeden Monat einen anderen Menschen mit seinem Beruf irgendwo auf der Welt vorstellte.
° Lange Zeit wurde jeweils ein Element wie „Silizium“ in seinen nicht nur chemischen und physikalischen Details behandelt, sondern eben auch der Bezug zur Ökonomie.
° Portraits einzelner Firmen und Interviews mit Promis zeigen die Vorzüge und Schwachstellen ganzer Branchen auf.
° Eine hervorragend recherchierte Serie wie „Der neue grüne Deal“ von Uwe Froitzheim vernetzt viel Detailwissen gekonnt miteinander.
° Dann sind da die stets tiefgründelnden Essays von Wolf Lotter, die das Schwerpunktthema von höherer (tieferer?) Warte betrachten. Das ist nämlich auch etwas, was sich ähnliche Publikationen nicht leisten: Jedes Heft von brand eins beackert auf rund 100 Seiten, dazu prächtig illustriert, vor allem ein zentrales Thema, das von allen Seiten umkreist wird.
° Statistiken und zusätzliche Highlights wie das monatliche Szenario „Was wäre wenn (z.B. alle Flugzeuge mit Biotreibstoff flögen?)“ garnieren die Hauptspeise.
° Der Augenöffner und Rausschmeißer am Schluss zeigt einem, wie schwerfällig und unzugänglich manche Texte andernorts sind und wie man sie in „Leichte Sprache“ übertragen könnte – für jede(n) selbst Schreibenden kleine Lehrstücke, wie man es besser machen kann.

Vor dem Abitur schrieb ich einen SF-Roman, in dem der superkluge „Direktor einer interstellaren Handelsgesellschaft“ die Hauptfigur ist – und 2020 Tage entstand eine Kurzgeschichte, in der es unter anderem um brand eins geht, und zwar in Gestalt einer bizarren Annonce (die ich tatsächlich im Mai 2020 geschaltet habe). Doch dazu und meinen anderen Verbandelungen mit der Wirtschaft mehr im nächstem Beitrag:
Begegnung mit der Wirtschaft .

Vorsicht: brand eins macht süchtig!

Vor Risiken oder Nebenwirkungen wird gewarnt – fragen Sie hierzu Ihren –
Quatsch: Kaufen Sie sich das neue Heft und dann los. Vielleicht annoncieren da ja demnächst echte Aliens – und nicht nur der Autor dieser Zeilen, die Sie eben lesen.

So ähnlich gespannt und neugierig bin ich als Jugendlicher zum Briefkasten gerannt, in dem die neue Ausgabe der Rasselbande lag oder der Lux-Lesebogen, die ich damals abonniert hatte. Tempi passati – die brand eins ein weg zurückbringt mit seinem bunten, kalorienhaltigen Lesefutter. Als 81jähriger rennt man allerdings nicht mehr zum Briefkasten, sondern macht das sehr gemächlich.
Während meiner Zeit als Journalist hätte ich gerne für so ein Objekt gearbeitet, jedenfalls lieber als für Jasmin (wo ich 1968 tatsächlich fast ein Jahr tätig war – mein erster fester Job im Leben überhaupt).
Obwohl: Deswegen von München nach Hamburg umziehen?
Doch das ist heute ja für mich eh keine offene Frage mehr. In den Heften zu stöbern und zu lesen, was andere schreiben, ist dafür ein guter Ersatz (und mit dem hintersinnigen Text meiner kleinen Annonce für die erwähnte Kurzgeschichte habe ich mich ja gewissermaßen als freier Mitarbeiter ins Blatt geschmuggelt.)

Aus all den genannten Gründen verschenke ich jedenfalls ausgelesen Exemplare von brand eins in meinen Schreibseminare weiter, mache auf diese enorm vielseitige Quelle für (nicht nur) wirtschaftliche Informationen und Anregungen aufmerksam – und „fixe“ die Teilnehmer richtig an. Endlich mal eine Droge, die nicht nur abhängig, sondern zugleich unabhängiger macht.

Quellen
Fischer, Eva (Chefredakteurin): brand eins. Hamburg – erscheint monatlich – ca. 100 Seiten – 10,00 €.

089 _ aut #656 _ 2021-02-13 / 21:21

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